Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Magazin für Theologie und Ästhetik


Bewegte Blicke oder "Motion Pictures"

Erfahrungen mit dem Sehen in Film und Glaube

Werner Schneider-Quindeau

Was macht die Faszination und die Attraktivität eines Kinobesuchs für Milliarden von Menschen rund um die Welt aus? Die erzählten Geschichten sind meist vertraut und die Erwartungen der Besucherinnen und Besucher an den Unterhaltungswert der Filme eher konventionell. Liebesgeschichte und Abenteuer, der Sieg des Guten über das Böse, verführerische Erotik und spektakuläre Gewalt, Schaulust und Nervenkitzel - die Versprechen der Filme entspringen den Träumen und dem Begehren des Menschen. Diese Herkunft aus der Welt psychischer Wirklichkeit teilt der Film mit anderen Künsten und Ausdrucksformen menschlicher Weltwahrnehmung. Narrative und Motive wie sie z.B. auch für die Untersuchung religiöser Themen im Film leitend sein können(1), bilden keinen Bezugsrahmen, um die spezifische visuelle Erfahrung im Unterschied etwa zur literarischen Darstellung hinreichend zur Kenntnis zu nehmen. Sowohl semiotisch als auch phänomenologisch ist die Filmwahrnehmung eine Erfahrung sui generis, die zwar die Dimensionen des Sehens und Hörens einschließt, diese jedoch durch ein präzises Arrangement der Blicke überbietet. In einem gewissen Sinne vergeht uns im Kino gerade Hören und Sehen, damit ein neues Bild entstehen kann.

Der Film hat im Verlauf der letzten hundert Jahre durch technische Entwicklungen, ökonomische Verwertung, öffentliche Wirkung und ästhetische Gestaltung ein System von Codes aufgebaut, die eine eigenständige Erfahrung mit dem Sehen und Hören darstellen. Weder ist der Film Abbild von Wirklichkeit noch reines Phantasieprodukt. Das Fiktionale und das Dokumentarische, das Reale und das Imaginäre, das Mythische und das Geschichtliche verschwistern sich in der filmischen Organisation der Wahrnehmung.

In den folgenden Überlegungen geht es mir um diese spezifische Seherfahrung, die sich dem Film verdankt. Inspiriert durch die semiotisch orientierte Filmtheorie von G. Deleuze(2) und die phänomenologischen Studien von B. Waldenfels(3) versuche ich den Film als eine spezifische Erfahrung mit dem Sehen zu verstehen. Was sich im Film zeigt, unterliegt einer Organisation und Inszenierung der Blicke, die zwar den natürlichen Blick der Augen in den Dienst nehmen, jedoch durch die Filmtechnik (Kamera, Schnitt, Montage, Licht, Einstellungen, Kinoraum) eine phänomenale Erweiterung dieser natürlichen Seherfahrungen ermöglichen. Im Vergleich zur Beweglichkeit der Filmwahrnehmung erscheinen unsere Augen stillgestellt. Der konzentrierte und gebannte Blick auf die Leinwand eröffnet einen Sehraum intensiver und extensiver Mobilität.

Wirklichkeit wird im Gleichnis sichtbar, das Wiedersehen und neues Sehen zugleich verspricht. Jede Leinwand im Kino ist das Versprechen, daß der dunkle geschlossene Raum sich öffnen möge, um bisher Nichtgesehenes, Verborgenes und Unsichtbares sichtbar zu machen. Bei aller Unähnlichkeit mit der Wirklichkeit verlangt die Struktur des Gleichnisses nach Ähnlichkeit. In den vertrauten Narrativen und der scheinbaren Wiederholung bekannter Seherfahrungen, vor allem aber in der Erzeugung eines affektiv besetzten Raumes, wird ein Bündnis mit den Zuschauenden geschlossen, das nur um den Preis des Ausschlußes hintergehbar ist. Gleichnisse entwickeln einen Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn, der auf anderes und neues Sehen verweist, weil sie keine Abbildungen von Realität sind. Wirklichkeit wird multiperspektivisch, wird durchsichtig auf Unsichtbares und entwirft die Möglichkeit ihres Transzendierens. Daher kann der christliche Glaube solche Gleichnisse der Wirklichkeit so wenig verzichten wie Jesus es bei seiner Ankündigung des Reiches Gottes konnte. Denn im Gleichnis kommt eine Erfahrung mit dem Sehen zur Sprache und ins Bild, die sich dem Vertrauen verdankt, das für Gott und seine Geschichte mit uns offen ist.

Filme als Gleichnisse zu verstehen bedeutet, sie in der Erwartung und Hoffnung zu sehen, daß Offenheit entsteht für das Wechselspiel zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, Vertrautem und Fremdem, Bekanntem und Unbekanntem. Im Unterschied zur literarischen Form des Gleichnisses, das durch bestimmte Irritationen und ungewöhnliche Anordnungen realer Erfahrungen Aufmerksamkeit und veränderte Perspektiven erzeugt, springt der Film ins Auge. In Idealisierungen und Typisierungen, im Klischee und im Kitsch, in verstörenden Großaufnahmen und in beruhigenden Totalen zielt der Film auf die Bewegung der Affekte. Lachen und Weinen, Freude und Trauer, Lust und Ekel, sexuelles Begehren und haßerfüllte Gewalt: Filme zeigen uns Gleichnisse der "condition humaine", die uns nicht unberührt lassen.

Deleuze hat in seiner Filmtheorie den Versuch unternommen, das Bewegungs-Bild und seine Metamorphosen Wahrnehmungsbild, Aktionsbild und Affektbild zu klassifizieren, um ein System der elementaren Bilder des Films zu rekonstruieren. Diese Bilder können in allen Filmen wiederentdeckt werden und bilden eine Art Zeichenlogik des Films. Demgegenüber betont Waldenfels in seinen Studien zur Phönomenologie des Fremden, daß Seherfahrungen auch Fremdheitserfahrungen sind. Jeder Blick ist beunruhigt durch das Verborgene und Unsichtbare, das mit jeglicher Erfahrung von Sichtbarwerden und Sichtbarmachen immer schon mitthematisiert wird. Die Technik des Film, seiner Produktion wie Rezeption, besteht gerade in der Kunst Verborgenes sichtbar zu machen und gleichzeitig Sichtbares zu verbergen. Was sich im Film zeigt, ist für die bestimmte Dauer einer Bewegung wirklich und zugleich unwirklich als feststellbare Tatsache. Die augenscheinliche Wirklichkeit bekommt Fenster und diese Fenster ermöglichen Ausblicke, die Alltag und Welt in neuer Beleuchtung wahrnehmbar machen. Gleichnisse formen literarisch oder filmisch ein Erschließungsgeschehen für verändertes Sehen und Hören. Das Kino ist ein Ort der Offenbarung neuen Sehen und Hörens, bei der uns immer wieder auch Sehen und Hören vergeht. Dieser Bewegung vom Ende des Sehens zu neuem Sehen im Kino versuche ich im folgenden nachzugehen.

1. "Bewegungs-Bild" (Deleuze) und "beunruhigter Blick" (Waldenfels)

Vor der Beweglichkeit der Bilder steht die Bewegung des Zuschauenden. Die Wahrnehmung eines Films bildet eine Sozialerfahrung, die mit einer individuellen Wahl und einem öffentlichen Weg verbunden ist. Vor den Blicken liegt ein Weg, der voller Erwartungen ist. Diesen Weg zu einem öffentlichen Ort als Voraussetzung der Wahrnehmung teilt das Kino mit dem Theater, der Oper, dem Museum, dem Kaufhaus, der Kirche und dem Rathaus. Das Kino gehört zum Marktplatz und nicht zum privaten Wohnzimmer. Diese unhintergehbare soziale Dimension der Filmwahrnehmung ist für das Verständnis von Filmproduktion und Filmrezeption bedeutsam. Das Bewegungs-Bild des Films ist ein massenwirksames Phänomen; Wahrnehmung, Aktion und Affekt sind zugleich individuell und gemeinschaftlich vermittelt.

Mit dem Betreten des geschlossenen Kinoraumes wird es für die Augen dunkel. Seherfahrungen in Höhle und Nacht werden assoziiert. Platons Höhlengleichnis wie die Lichtmetaphorik der Aufklärung lassen sich kulturhistorisch mit dieser Sehordnung verbunden. Der natürliche Blick erfährt durch diese Verdunklung eine Metamorphose, damit ein anderer Blick Raum gewinnen kann. Durch die Anordnung und Ausrichtung der Sitze wird der Blick auf die Leinwand eingestellt. Ein Blickfeld und ein Sehraum ist organisiert, der im Verhältnis zum natürlichen Blick und seiner Beweglichkeit eine Art künstlicher Stillstellung des Blicks bedeutet.

Mit dem Eintritt ins Kino wird auch die Schwelle vom natürlichen zum künstlichen Blick überschritten. Das Auge überläßt sich in diesem Raum einer spezifischen Organisation der Blicke. Indem das Auge in relativer Unbeweglichkeit dem Bewegungs-Bild folgt, wird es bewegt und die natürliche Wahrnehmung bricht an der inszenierten Wahrnehmung der bewegten Bilder. Diese Unterbrechung und Störung der natürlichen Wahrnehmung macht ein Faszinosum des Kinos aus: es wird anders und es gibt Anderes zu sehen. "Anderssehen bedeutet stets auch von anderswo sehen. Die Erkundung der Geschichte des Sehens erfordert demgemäß einen Doppelblick, der inmitten aller Ordnungen, Praktiken und Techniken des Sehens dem Unsichtbaren Beachtung schenkt."(4)

Das Kino ist ein solcher Ort des Anderssehens, an dem durch das Anderswoher von Kamera und Projektor Licht auf das Unsichtbare und Verborgene fällt. Das Begehren, sich beim Sehen selber zuzusehen, wird durch die Verfremdung des eigenen Blicks in der cinematografischen Organisation der Blicke befriedigt. Das Fremde mit eigenen Augen wahrzunehmen, indem es für eine bestimmte Dauer bedrohliche Spannung und affektive Wirkung erzeugt, macht den populären Reiz des Kinos aus. Durch Schnitt und Montage, Beleuchtung und Kulisse, Großaufnahme und Totale, Kamerafahrt und -einstellung wird aus den Teilen eines Films ein Ganzes, das keiner natürlichen Wahrnehmung mehr entspricht.

Im Kino können wir zurück- und nach vorne sehen, von oben und von unten wahrnehmen und im Kreis uns um uns selber drehen wie es kein Auge je vermag. Dabei entsteht eine Bewegung, der wir dauerhaft folgen müssen und die einen spezifischen Eindruck hinterläßt. Mit Deleuze definieren wir "also den Film als ein System, das die Bewegung reproduziert, indem es sie auf den beliebigen Moment bezieht."(5) In einer Klassifikation von Bildern entfaltet Deleuze dieses System, indem er das Bewegungs-Bild unter den Aspekten von Bildfeld und Einstellung, Kadrierung und Szenenaufgliederung, Montage und Komposition beschreibt. Als Wahrnehmungs-, Affekt- und Aktionsbild entwickelt Deleuze die Formen des Bewegungs-Bildes und die ihnen entsprechenden Transformationen. Der Film bildet ein System hochbeweglicher Zeichen, die selber Bewegungen zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren, Fremdem und Eigenen auslösen.

Im Gespräch mit Bergson findet Deleuze die Bedeutung der Bewegung für jegliche Wahrnehmung. Wahrnehmung ist ein komplexer äußerlicher wie innerlicher Bewegungsvorgang, bei dem unterschiedliche Momente von Sinneseindrücken zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Erst in solch differenzierter Bewegung entsteht ein Bild oder mit Deleuze: "Tatsächlich befinden wir uns vor der Exposition einer Welt, in der BILD = BEWEGUNG ist."(6) Nach Bergson hat diese Identität von Bild und Bewegung ihren Grund in der Identität von Materie und Licht.(7) Daß das Bild selber Bewegung ist, löst einen Blickwechsel aus, der sowohl im Bild selber als auch zwischen Bild und Zuschauenden stattfindet.

Filmwahrnehmung ist eine wechselseitige Bewegung von innen und außen, in der die Blicke vielschichtig aufeinander antworten. Und es sind diese "Blickbewegungen", die das Bewegungs-Bild entwirft, die zu einer höchst reizvollen Beunruhigung des Blicks führen. "Neuartiges Sehen, das vom gewohnten Sehen abweicht, läßt sich jedoch keineswegs als Akt denken, der sich auf etwas richtet, was schon da ist. Es beginnt damit, daß uns etwas auffällt, einfällt, zufällt, zustößt. Blick- oder Gedankeneinfälle, die mir kommen, sind keine Akte, die ich vollziehe: Es fällt mir ein, es fällt mir auf, es springt ins Auge."(8) Was hier als Erscheinung des Sehens beschrieben wird, ist die Intention des Bewegungs-Bilds: es soll einfallen, auffallen und ins Auge springen. Die Irritationen und Störungen des natürlichen Sehens sind Filmprogramm, sofern es unsere Blicke bewegen will.

Das Versprechen des Kinos liegt in der Beunruhigung der Blicke. Und jeder Kinobesuch kann die Erfüllung des Versprechens bedeuten, sofern die Bewegung der Bilder mich bewegt. Dabei überlassen wir in einer eigentümlichen Passivität unsere Körper und unsere Augen einem Abenteuer des Sehens, bei dem wir zu finden hoffen, was wir nicht suchen konnten, weil es uns unsichtbar und verborgen ist. "Im aktiven Sinne suchen kann ich nur das, was ich schon kenne. Ein Finden, das mehr bedeutet als bloßes Wiederfinden, überschreitet eine Schwelle. Es stößt auf etwas, das uns überfällt und überrascht, das sowohl Erschrecken wie Erstaunen auslöst und Züge vom tremendum und fascinosum an sich hat."(9)

Wenn jeder Kinobesuch das Überschreiten einer Wahrnehmungsschwelle einschließt, dann sind in einem allgemeinen Sinne Kinoerfahrungen auch Transzendenzerfahrungen mit einem religiösen Horizont. "Der Blick, der immer schon außer sich ist, hat es mit Abwesendem zu tun, das ängstigt oder verlockt, anzieht oder abstößt und uns eben deshalb nicht zur Ruhe kommen läßt."(10) Exakt dieses Abwesende wird in der Blickorganisation des Kinos zu einem Anwesenden, indem der Zuschauer gleichzeitig ganz außer sich und ganz bei sich. In Wahrnehmung, Handlung und Affekt erkennen wir uns selbst, sehen uns wieder und sehen uns neu. Dabei spielt das Bewußtsein, mit dem wir sehen, nur eine sekundäre Rolle. Wir überlassen unseren Blick den Einstellungen der Kamera, die ein ausgewähltes Blickfeld entwirft. Unser Blick wird durch die Kamera fortbewegt. "Man könnte sich eine Reihe von Fortbewegungsmitteln (Eisenbahn, Auto, Flugzeug ...) und parallel dazu eine Reihe von Ausdrucksmitteln (Graphik, Foto, Film ...) vorstellen: die Kamera erschiene dann als eine Art Relais oder besser noch als ein verallgemeinertes Äquivalent der Fortbewegungen."(11) Die Kamera ist Fortbewegung im Apparat: sie läßt die Bilder laufen, indem sie sie im gleichen Abstand von Momentaufnahme zu Momentaufnahme transportiert, 24 mal pro Sekunde.

Durch Schnitt und Montage, durch Kamerafahrten und Einstellungsvielfalt wird das Bild als Bewegungsvorgang intensiviert und extensiviert. Die Bewegung unserer Blicke vollzieht sich durch die ungeheure Beweglichkeit der Bilder, die unser natürliches Sehvermögen transzendiert. In Großaufnahmen und Panoramen, in Rückblenden und Vorausschau, in Überblendungen, Ab- und Aufblendungen und in der Variation von Geschwindigkeit und Zeit wird ein imaginärer Sehraum geschaffen, der die Begrenztheit der Augen aufhebt. Durch technische und ästhetische Verfremdung wird unser Sehen selbst dramatisiert. Es gewinnt Tiefenschärfe und Hellsichtigkeit genauso wie es getäuscht, manipuliert und belogen werden kann.

Das Kino ist kein Ort des "wahren Sehens", sondern ein Ort der Doppel- und Mehrfachblicke, an dem die Vieldeutigkeiten lebendiger Wirklichkeit wie in einem Gleichnis des Sehens erscheinen. Hier werden wir mit der Ungewißheit unserer natürlichen Wahrnehmung in einer Weise konfrontiert, die den Film zu einer signifikanten Darstellungsform modernen Bewußtseins macht. Nirgends wird die immer schon naive Behauptung "ich glaube nur, was ich sehe", so sehr in Frage gestellt wie im Kino.

Es ist die inszenierte Fremde im Vertrauten, die den Reiz der Filmwahrnehmung ausmacht. "Blickstörungen sind es, die den normalen Blick in Unruhe versetzen, und eventuell zu einer Blickrevolution, zu einem Anderssehen führen."(12) Wie Einstellungen durch die Filmeinstellung verändert werden und ein anderes Sehen ermöglicht wird, verdeutlicht das Verständnis des Films als Bewegungs-Bild. "Die Einstellung ist das Bewegungs-Bild. Insofern sie die Bewegung auf ein sich veränderndes Ganzes bezieht, ist sie der bewegliche Schnitt einer Dauer. Bei der Beschreibung des Bildes einer Demonstration erklärt Pudovkin: Das ist, als stiege man aufs Dach, um sie sich anzusehen, stiege dann hinab zu einem Fenster im erste Stock, um die Losungen auf den Tragetafeln zu lesen und mischte sich dann unter die Menge ... Es ist nur "als ob": denn die natürliche Wahrnehmung bringt Unterbrechungen, Stockungen, Fixpunkte und gesonderte Gesichtspunkte, ganz unterschiedliche Träger, wenn nicht Beförderungsmittel, mit sich, wohingegen die kinematographische Wahrnehmung kontinuierlich verfährt, in einer einzigen Bewegung, in der die Unterbrechungen - die nur Vibration in sich sind - als integrale Bestandteile dazugehören."(13)

Was der Phänomenologe als "abweichendes Sehen" vom normalen Blick unterscheidet, das wird dem Filmtheoretiker zur prinzipiellen Einstellung, die die Filmwahrnehmung ausmacht. "Anderssehen" ist für das Kino Programm. Zu einer Phänomenologie des Fremden, die den Formen und Ordnungen des Sichtbaren nachgeht, gehört das Kino als inszenierter Blickraum mit spezifischer Seherfahrung. Filme sind Gleichnisse des Sichtbaren, indem der Zuschauer einer Bewegung der Blicke folgt, die seine Verankerung in der Welt partiell aufhebt, um neues und anderes Sehen zu ermöglichen. Im Kino gerät das Sehen in eine Bewegung, die sich dem Visionären wie dem Imaginären, dem Illusionären wie dem Realen verdankt.

Als Gleichnisse sind Filme Verfremdungen der Wirklichkeit, die das Fremde und das Ferne als Eigenes und Nähe ins Spiel bringen. "Das Blickgeschehen mitsamt dessen, was wir als Blickstörung, Blendung, fremder Anblick, Blickbegehren und Blickantwort namhaft gemacht haben, muß mit dem Bildaufbau und dem Blickgeschehen interferieren. Das 'sehende Sehen' wäre ... ein Geschehen, das sich im Sehen des Gesehenen ständig selbst entgleitet. Es stünde für eine Fremdheit, die sich dem eigenen Blick einschreibt."(14) Durch die Struktur des Bewegungs-Bildes wird das Sehen im Kino zu einer Erfahrung der Fremdheit, die anzieht und bedroht, die Neugier weckt und Schrecken verbreitet. Nicht was, sondern wie die Dinge im Bewegungs-Bild gezeigt werden, erzeugt die Erfahrung des fremden und 'beunruhigten Blicks'.

Bereits das Bildfeld (cadre), in dem aus einer Fülle von Teilen bestimmte ausgewählte Elemente ein Ensemble bilden, verfremdet den Blick durch ungewohnte Eingrenzung und überraschende Perspektive. "Kadrierung ist die Kunst, Teile aller Art für ein Ensemble auszuwählen."(15) Erst wo die Kadrierung der Ensembles und die Montage des Ganzen miteinander vermittelt sind, kann ganz allgemein von einer filmischen Einstellung gesprochen werden. Diese Vermittlung von Kadrierung und Montage zu einem Ganzen geschieht als Bewegungs-Bild. Daher sind die Anschlüsse der einzelnen Bilder für das Verständnis des Films entscheidend, denn durch sie wird der Film zu einer neuen und anderen Wahrnehmungserfahrung.

Daher spielen auch 'falsche Anschlüsse", die durch die Montage entstehen, für das Verständnis der Filme eine wesentliche Rolle. Denn 'falsche Anschlüsse' bringen zusammen, was der natürlichen und bewußten Wahrnehmung verborgen ist und machen Unsichtbares sichtbar. Einem Assoziationsverfahren vergleichbar kann der Film in Raum und Zeit "springen", kann Parallelen montieren, Wahrnehmung be- und entschleunigen und durch Beleuchtung den Blick ins Unbekannte lenken, so daß das Fremde im Eigenen der Wahrnehmung, des Handelns und des Affektes erkennbar und erlebbar wird. Das Kino bietet einen bequemen und geschützten Raum des Fremdsehens. Für die Dauer der Filmvorführung werden wir in einen Zustand gleichnishaften Sehens versetzt, der uns der Wirklichkeit enthebt und zugleich einen stabilen Rahmen der Wahrnehmung bietet. Der ruhiggestellte Körper wird auf den 'beunruhigten Blick' konzentriert, der durch die Bewegung der Bilder ausgelöst und gelenkt wird.

Der Film überschreitet die menschliche Wahrnehmung auf eine andere Wahrnehmung hin und differenziert damit die Wahrnehmung in Richtung auf ihre unabschließbaren und offenen Möglichkeiten. Jenseits der Wirklichkeit nehmen wir im Kino uns selber als Fremde wahr, die ungeahnte Möglichkeiten entdecken und erkunden. Dabei folgen diese Möglichkeiten einer bestimmten Klassifikation von Bildern, die sich als Metamorphosen des Bewegungs-Bildes darstellen lassen, und die räumlich festgelegten Einstellungen zugeordnet werden können: "die Totale wäre vor allem ein Wahrnehmungsbild, die Halbaufnahme ein Aktionsbild und die Großaufnahme ein Affektbild."(16)

Die Organisation der Blicke und die Erfahrung des Sehens entspricht einem Zeichensystem, aus dem das Substrat des Films gewonnen wird. Filmwahrnehmung wird zu einem Gleichnis des Sehens, indem wir dem "Sehen" der Kamera und dem "Sehen" der Akteure zusehen. Es ist ein Sehen, als ob wir selber sehen würden. Jedoch sind unsere Blicke geführt und bewegt durch das Leinwandbild, wobei ihre Bewegung durch Beunruhigung und Irritation, durch Begehren und durch Hingabe erzeugt wird. Im Gleichnis des Sehens verwandelt sich die Wirklichkeit unserer Wahrnehmung, indem ein Spiel mit den Möglichkeiten des Sicht- und Darstellbaren begonnen wird. Ein kleiner Kameraschwenk, die Großaufnahme eines Gesichts oder der überraschende Schnitt: das bisher Wahrgenommene und Wiedergesehene gewinnt Mehrdeutigkeit und Tiefenschärfe, die den Reiz des Neuen und Fremden besitzen. Dies kann wie im populären und vor allem kommerziell orientierten Film als gezieltes Kalkül eingesetzt oder wie in der Filmkunst als eigene künstlerische Ausdrucksform entwickelt werden. Dabei sind die Grenzen zwischen populärem Kino und Filmkunst ausgesprochen durchlässig und nur an der Gestaltung des einzelnen Films auszumachen.

Zum Gleichnis wird die Filmwahrnehmung, weil sie wie jedes Gleichnis die festgestellte Wirklichkeit in ein Spiel von Möglichkeit transformiert. Daß es schlechte und langweilige Spiele gibt, ändert nichts an ihrem Gleichnischarakter. Gelungene Gleichnisse zu entdecken, die der Wirklichkeit eine Melodie vorspielen, die die Verhältnisse zum Tanzen bringt, wäre die Aufgabe einer kritischen Unterscheidung innerhalb der Filmwahrnehmung als Gleichnis. Filmanalyse und Filmkritik rekonstruieren das Verhältnis von Gleichnis und Wirklichkeit, um die angemessenen kreativen und offenen Möglichkeiten oder die ideologischen und affirmativen Entwürfe zu benennen. Dabei wird die Richtung, in welche die Blicke im Kino bewegt werden, für die Beurteilung der Filme ermittelt. Zielt der Blick auf die Humanisierung der Lebensverhältnisse oder wird bestehendes Unrecht und existierende Inhumanität legitimiert und überhöht?

Gleichnisse überschreiten das Sichtbare, um Unsichtbares und Verborgenes erscheinen zu lassen. Das Spiel mit den visualisierbaren Möglichkeiten trägt auch dann gleichnishafte Züge, wenn es die Augen blendet, bannt und überwältigt. Noch der sentimentalste Kitsch kann uns zu Tränen rühren, weil er Unbewußtes und Unbekanntes thematisiert, dem wir uns in seiner affektiven Wirkung nicht zu entziehen vermögen. "'Vielleicht aber ist das Bild auch eine Repräsentationsform für etwas anderes, nämlich das Anschauungsmodell für eine jedem unmittelbaren Zugriff sich entziehende Wirklichkeit überhaupt, auf die es als ein Sichtbares hindeutet und die selbst kein Aussehen hat.' Diese Möglichkeit eines Wirklichkeitsentzugs im Sehen selbst führt uns auf die Spuren eines fremden Blicks, der kein Aussehen hat, sondern uns stets das Nachsehen gibt."(17) Was hier vom gemalten Bild ausgesagt wird, gilt vom Bewegungs-Bild des Films in gesteigertem Maße.

Im Gleichnis der Filmwahrnehmung entzieht sich die Wirklichkeit dem Sehen, um in der Inszenierung als fremd und anders wieder zu erscheinen. In jedem Wiedersehen, im Deja-vu, steckt immer auch ein neu und anders sehen. Unmerklich oft haben sich die Perspektiven der Wahrnehmung im Laufe der Zeit verschoben und ein neuer Anblick und Einblick wird möglich. Was uns einmal wie ein treffendes Bild der Realität vorgekommen ist, erscheint nun in geradezu surrealen Formen und Farben und in einem neuen Licht. Und der Glaube von Gott redet, da wird die Wirklichkeit noch einmal anders in ihrer Gleichnisfähigkeit und Gleichnisbedürftigkeit erkennbar.

2. Vom Sehen im Glauben: ein Blickwechsel

"Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren." (Jes. 64,3) Da der Glaube im Blick auf Gott immer das Nachsehen hat, kann von Gott und seinem Reich nur in der Form des Gleichnisses geredet und erzählt werden. Im Verzicht auf eine bestimmte Anschauung von Wirklichkeit, gewinnt der Glaube einen neuen und anderen Blick auf die Wirklichkeit, indem er im Blick auf Gott unser Sehen verändert. Gott kommt im Gleichnis so zur Sprache, daß beziehungsreich die Distanz zu ihm gewahrt bleibt und er deutlich in bestimmter Zeit und konkretem Raum vernehmbar ist. Das Sehen der Wirklichkeit wird für den Glauben an Gott zu einer Gleichnishandlung. Wirklichkeit wird durchsichtig in ihrer eigenen Gleichnisfähigkeit und Gleichnisbedürftigkeit.

Nicht so sehr die literarische Form des Gleichnisses und deren Hermeneutik ist für den Film von Interesse, sondern die Organisation von Perspektiven und der entworfene Blickwechsel. Der Spätform ihrer schriftlichen Fassung liegt eine Sicht der Wirklichkeit zugrunde, die einen verfremdeten und beunruhigten Blick erzeugt. Durch die Ähnlichkeit zwischen dem Augenschein und der verheißenen Welt Gottes wird eine konstitutive Differenz der Wahrnehmung festgehalten, ohne daß diese beiden Perspektiven in der Wahrnehmung auseinanderfallen. Gleichnisse als spezifische Sehweisen des Verhältnisses von Gott und Mensch sind als "dichte Beschreibungen" dieses Verhältnisses für die theologische Reflexion und die Begrenzungen ihrer Begriffsbildungen als Korrektiv unverzichtbar. Der literarischen Form geht die eigentümliche Wahrnehmungsform des Gleichnisses voraus.

Wie die biblischen Gleichnisse in alltäglichen Geschichten, ihrer szenischen und dramatischen Gestaltung, das Reich Gottes darzustellen vermögen, so eröffnet der Film als inszeniertes Bewegungsbild immer wieder neue Perspektiven, die alltägliche Erfahrungen überschreiten und bisher Verborgenes sichtbar und erkennbar machen. Gleichnisse wollen wie Filme die Blicke in neue und überraschende Richtungen lenken, damit die unverfügbare und unbekannte Wahrheit des Lebens und der Welt in Erscheinung zu treten vermag. Wenn Jesus vom Sämann, vom verlorenen Sohn, vom Weinbergbesitzer oder von den anvertrauten Talenten erzählt, dann widerfährt der alltäglichen Geschichte durch ihre Gestaltung als Gleichnis eine Metamorphose, die ein anderes Sehen konstituiert. Der Blick auf die Geschichte und ihre Bilder weitet sich und bildet einen neuen Horizont aus. Als narrative Fiktion gewinnt die Parabel ihre Attraktivität dadurch, "daß sie das Geläufige in einer eigenwilligen und problematischen Verschränkung mit dem ganz und gar nicht Geläufigen vor Augen führt."(18)

In der Unterscheidung von Geläufigem und Nichtgeläufigen wiederholt sich die phänomenologische Differenzierung von Eigenem und Fremden, Vertrautem und Unbekanntem. Gleichnisse lehren anders auf die Wirklichkeit zu sehen, weil sie sich auf eine andere Wirklichkeit beziehen, die nur im Gleichnis darstellbar ist. Dabei werden Lebenswelt und Alltag nicht enthusiastisch oder esoterisch übersprungen, sondern exakt im Alltäglichen kann das Gleichnis geformt und anschaulich werden. Als literarische Formen bewegen Gleichnisse die Blicke von der einen Wirklichkeit in eine andere, so daß sie durchaus als literarisches Äquivalent der Kinoerfahrung verstanden werden können.

Im Glauben an eine andere zukünftige Wirklichkeit werden Möglichkeiten der existierenden Wirklichkeit sichtbar, die sich dem Auge unmittelbar verbergen würden. Veränderungen dieser Wirklichkeit beginnen mit einer veränderten Wahrnehmung, die durch den Blick auf eine andere Wirklichkeit ein phantasievolles Spiel mit den erkennbaren Möglichkeiten eröffnet. Sehen im Glauben macht das Sehen selbst zu einer Gleichnishandlung: Durch-, Weit- und Einblick gewinnt das Sehen, wenn es im Vertrauen auf Gott seine Spuren in den Gleichnissen entdeckt. "Christlicher Glaube bedeutet nämlich auch Einladung in eine Sehschule, in der Menschen die Augen zur Wahrnehmung des Lebendigen geöffnet werden."(19)

Auch das Kino lädt zu dieser Wahrnehmung des Lebendigen ein, gerade in seinen ästhetisch und technisch avanciertesten Werken. In der Gleichnishaftigkeit des Sehens entsprechen sich die Wahrnehmungsformen in Kino und christlichem Glauben. Beide bewegen die Blicke in doppelter Hinsicht: indem sie den Kopf und das Herz, den Verstand und das Gefühl ausrichten auf neue andere Horizonte. Nicht jeder Film ist ein Gleichnis, sondern zum Gleichnis wird der Film dort, wo er ein Sehen des Sehens ermöglicht und den Blick für den mitmenschlichen Sinn des Auges öffnet. Indem Menschen sich ansehen und im Ansehen Anerkennung finden, wird das Sehen zum Gleichnis für Gottes Blick auf uns Menschen, gleich wie "sein Angesicht leuchtet über uns". "Großer, feierlicher, unvergleichlicher Augenblick, wo es zwischen Mensch und Mensch nun vielleicht zum "Augenblick", nämlich dazu kommt, daß sie sich in die Augen blicken, sich gegenseitig entdecken! Dieser Augenblick ist gewissermaßen die Wurzelbildung aller Humanität, ohne die alles Weitere unmöglich wäre."(20) Diesen humanen Sinn des Auges vermag das Kino in den gelungenen Augenblicken bewegend zu inszenieren.

Eine Phänomenologie des Kinos und das Versständnis der filmischen Codes könnten der Kirche helfen, sich als Gleichnis des Himmelreichs in Augenhöhe und im wechselseitigen Anblicken zu verstehen. V. Flusser hat darauf aufmerksam gemacht, "daß das Kino innerhalb der gegenwärtigen kodifizierten Welt eine der mittelalterlichen Kirche vergleichbare Stelle einnnimmt."(21) Wofür steht die Kirche als Raum und als lebendige Gemeinschaft, wenn sie Gleichnis des Gottesreiches sein will? Sie wird aus ihren Mauern und Strukturen aufbrechen müssen, um im Sehen der Geschichten, die kulturell und religiös, politisch und sozial im Alltag und der Lebenswelt der Menschen spielen, Gleichnisse zu suchen, die in Phantasie und Imagination Befreiung von den vielfältigen Zwängen der Wirklichkeit entwerfen. Und dabei wird geweint und gelacht, Spannungen erzeugt und Entspannung herbeigeführt werden - zutiefst werden wir von diesen gefundenen Gleichnissen bewegt werden: eben genau wie im Kino.


  1. Vgl. I. Kirsner, Erlösung im Film, Stuttgart 1996; G. Langenhorst, Jesus ging nach Hollywood, Düsseldorf 1998; Hinter den Augen ein eigenes Bild, Hrsg. v. M. Kuhn, J.G. Hahn, H. Hoekstra, Zürich 1991, Aus Leidenschaft zum Leben, Hrsg. v. Z. Cavigelli, J. G. Hahn, T. Henke, M. Kuhn, Zürich 1993
  2. Gilles Deleuze, Das Bewegungs-Bild, Kino 1 und Das Zeit-Bild, Kino 2, Frankfurt 1989 und 1990
  3. Bernhard Waldenfels, Sinnesschwellen, Studien zur Phänomenologie des Fremden Bd. 3, Frankfurt 1999
  4. Bernhard Waldenfels, Anderssehen, in: a.a.O., S. 178
  5. G. Deleuze, a.a.O., S. 19
  6. G. Deleuze, a.a.O., S. 86
  7. Vgl. die Interpretation von Bergson, Materie und Gedächtnis durch Deleuze, S. 89. In seinem zweiten Bergson-Kommentar geht Deleuze kurz auf das Verhältnis zur Phänomenologie Merleau-Pontys ein, wenn er schreibt: "Merleau-Ponty versucht bei Gelegenheit eine Gegenüberstellung Film-Phänomenologie, sieht aber -...- im Film nur einen zweifelhaften Verbündeten. ... Was die Phänomenologie zur Norm erhebt, sind die "natürliche Wahrnehmung" und ihre Bedingungen." (a.a.O., S.85) Wahrgenommene oder vollzogene Bewegung wird hier als eine Empfindungsform (Gestalt) verstanden, "die das perzeptive Feld in Abhängigkeit von einem intentionalen Bewutßsein in einer Situation organisiert." Nach Deleuze befreit der Film das Subjekt jedoch aus seiner Verankerung in der Welt, "indem er die Bedingungen der natürlichen Wahrnehmung durch ein implizites Wissen und eine zweite Intentionalität ersetzt. ... "mit dem Film wird die Welt ihr eigenes Bild und nicht ein Bild, das zur Welt wird." (a.a.O., S. 85) Semiotische und phänomenologische Betrachtungen wollen meine Überlegungen zusammenführen, weil ich denke, daß es genau dieses System von Bewegungs-Bildern ist, das die Wahrnehmung von Fremdem und Eigenem, von Sichtbarem und Unsichtbarem verstehbar macht.
  8. B. Waldenfels, Der beunruhigte Blick, in: a.a.O., S. 125/126
  9. B. Waldenfels, Der beunruhigte Blick, in: a.a.O., S. 126
  10. B. Waldenfels, Der beunruhigte Blick, in: a.a.O., S.130
  11. G. Deleuze, a.a.O., S. 17
  12. B. Waldenfels, Anderssehen, a.a.O., S. 163
  13. G. Deleuze, a.a.O., S. 40/41
  14. B. Waldenfels, a.a.O., S. 140. Waldenfels spricht zwar nicht vom Film und der Kinoerfahrung, aber exakt diese Erfahrung könnte er mit dieser Beschreibung sehr dicht erfassen.
  15. G. Deleuze, a.a.O., S. 35
  16. G. Deleuze, a.a.o., S.102
  17. B. Waldenfels, Der beunruhigte Blick, in: a.a.O., S. 139
  18. W. Harnisch, Die Gleichniserzählungen Jesu, Göttingen 1990 (2. Aufl.), S. 306, der sich in seiner Hermeneutik der Gleichnisse auf F. Kafka bezieht, der als passionierter Kinobesucher auf höchst subtile Weise unser Verhältnis zur Wirklichkeit selbst als gleichnishaft beschreibt. (Vgl. F. Kafka, Erzählungen, Frankfurt 1961 darin: Von den Gleichnissen, S. 328).Und wenn Harnisch im Blick auf das NT formuliert: "Nicht der abgedroschenen Geschichte des Wirklichen, sondern der unverbrauchten Geschichte eines Möglichen redet Jesu Parabel das Wort" (a.a.O., S. 307), dann besitzt die Möglichkeit einen Vorrang vor der Wirklichkeit, die mit einem neuen, anderen und fremden Wahrnehmen und Sehen einhergeht. Das Entwerfen von Gleichnissen als Praxis des Glaubens wäre für Kirche, Theologie und Kultur noch zu entdecken.
  19. Hans-Günter Heimbrock, Gott im Auge. Über Ansehen und Sehen, in: W.-E. Failing, H.-G. Heimbrock, Gelebte Religion wahrnehmen, S. 144, Stuttgart 1998
  20. K. Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. III/2, Die Lehre von der Schöpfung, Zürich 1959 (2. Aufl.), S. 301
  21. V. Flusser, Medienkultur, hrsg. v. S. Bollmann), S. 95, wo Flusser auf den Zusammenhang zwischen Kinosaal und Basilika verweist. "Übrigens ist der Kinosaal kein Enkel des klassischen Theaters, sondern der Basilika, und dieser Umstand will bedacht sein. Die klassische Basilika,..., war ursprünglich eine Art Supermarkt, die später zu Tempel und Kirche umfunktioniert wurde. In unserer kodifizierten Welt dient die Basilika beiden, aber jetzt voneinander räumlich getrennten Funktionen: als Supermarkt und als Kino." In den modernen Shopping Centers wachsen beide wieder räumlich zusammen, wobei zu überlegen wäre, was dies für die Präsenz der Kirche auf den modernen Marktplätzen bedeutet. Auf jeden Fall wird sie ins Kino gehen müssen.

© Werner Schneider-Quindeau 1999
Magazin für Theologie und Ästhetik 3/1999
https://www.theomag.de/03/wsq1.htm