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Magazin für Theologie und Ästhetik


Trägt das Netz?

Seelsorge unter den Bedingungen des Internet

Sabine Bobert-Stützel

Das Magazin "PC-Praxis" schreibt über das Internet- "Netzwerk gegen Kummer": "Das schillernd bunte Werbefernsehen plappert einen voll, aber hört niemals zu. Wenn die Angst einen aber fest im Griff hat, wenn der Kummer lähmt und kaputt macht? Wer hört zu? Wer redet mit mir? Lassen Sie sich ... überraschen. Egal, wie verzweifelt Sie sind, hier finden Sie vielleicht jemanden, der in einer ähnlichen Situation steckt. ... Ich meine, ehe Sie sich an den großen Haken hängen oder auf eine andere Art Ihr Leben vergeuden, sollten Sie doch lieber in das Netzwerk gegen Frust und Verzweiflung eintauchen."(1)

Wie tragfähig ist dieses Netz? Im Folgenden werden hierzu drei Teilantworten gegeben: (I) in einem Blick auf das Angebotsnetz an Internet-Seelsorge; (II) durch Differenzierung in derzeitige Hauptformen von Internet-Seelsorge-Angebote; (III) durch pastoralpsychologische Reflexion und weitere theologische Fragen für eine künftige Internet-Poimenik.

I. Seelsorge-Angebote im Netzwerk mit anderen Angeboten

Derzeit gibt es bereits zahlreiche einzelne Angebote zu Seelsorge und christlich motivierter Beratung im Netz. Die Suchmaschine "Yahoo.de" zeigt auf den Suchbegriff 'Seelsorge' (Stand: Juni 1999) 7 Angebote für den deutschsprachigen Raum sowie weitere unter "Krisenintervention". Hinzu kommen Angebote kommerzieller und nichtkommerzieller Beratung ("Yahoo.de" verweist unter "Beratung" auf 7 Angebote, dort auch weitere links zu: "christliche Beratung", "kommerzielle Beratung", "Mediation", "Therapie").

Die Telefonseelsorge in Deutschland setzt ihre Erfahrungen im bisherigen Umgang mit medial vermittelter Seelsorge seit dem Dezember 1995 in der Internetarbeit (Angeboten von Seelsorge und Beratung) ein.(2) Die Webseiten erläutern ihren Adressatenkreis, informieren über psychologische Beratung, Grundsätze der TS-Arbeit, Arten der Kontaktaufnahme, den Umgang mit nötigen Programmen (u.a. auch zur Verschlüsselung von mails) und enthalten Links zu verwandten Einrichtungen. In den ersten beiden Projektjahren (1996 und 1997) ergaben sich 1404 Beratungskontakte zu 351 Personen. Erste Beobachtungen zu den Ratsuchenden ergeben, dass 60 % der Ratsuchenden zwischen 20 und 29 Jahren alt sind, 64 % berufstätig sind und Themen vorwiegend Beziehungsfragen sind. Unerwartet hoch sei auch der Anteil an psychischen Störungen im engeren Sinne (Schizophrenien, Angststörungen etc., mit 14%).(3)

In der Schweiz wurde auf Privatinitiative hin im September 1995 die "Internet-Seelsorge" begründet. 1998 arbeiteten dort in ihrer Freizeit acht TheologInnen mit (katholisch und reformiert; aus der Schweiz, Österreich und Deutschland).(4) Als Kontaktweg wird - fünfsprachig - email an eine zentrale Adresse angeboten. Ein eigenes Angebot richtet sich in diesem Rahmen an "Trauernde im Internet": mit einem Besinnungstext, einer kleinen Grafik und einer email-Kontaktadresse. Für einen dringenden Kontakt wird eine Handy-Nummer angegeben.

Unter dem selben Namen, der "Internet-Seelsorge", bietet ein Team aus SeelsorgerInnen aus der Diözese Würzburg Seelsorge per email im Netz an. Im Unterschied zur Telefon-Seelsorge und zur Schweizer "Internet-Seelsorge" stellen sich die Team-Mitglieder hier persönlich und mit Bild vor, und Ratsuchende können sich ihre Seelsorgerin bzw. ihren Seelsorger mit jeweiliger email-Adresse selbst auswählen.(5)

Derzeit denkt die Zentralstelle der Medien der Deutschen Bischofskonferenz über ein von der katholischen Kirche getragenes entsprechendes Internetangebot nach. Damit bestünde für die Kirchen die Möglichkeit, z.B. in Zusammenarbeit mit der TS im Netz, die Internetseelsorge zentral aufzubauen und auch ökumenisch zu koordinieren. Derzeit ist für die Koordination die Erstellung eines Konzepts eine kleine Projektgruppe von Mitarbeitern der TS und aus den Internetarbeitsstellen der Kirchen eingesetzt worden.(6)

Im Internet hat bereits eine privatwirtschaftliche Konkurrenz nicht nur auf dem Felde der Seelsorge, sondern auch um den Terminus selbst eingesetzt. Dieser ist offenkundig immer noch mit einem kommerzialisierbaren Vertrauensbonus besetzt. Einen Anspruch auf eine säkulare Fortführung des Begriffs 'Seelsorge' erhebt zum Beispiel Michael Schneider, "Psychologischer Berater und Therapeut; Seelsorger". Schneider wird allerdings nicht beratend im Internet tätig, sondern wirbt hier nur für seine "Psychologische Telefonberatung" namens "psychorat". Für den Terminus 'Seelsorge' bezieht er sich auf einen logotherapeutischen Verstehensrahmen. Die Unterschiede zur Telefonseelsorge legt er breit dar.(7)

Die privatwirtschaftliche Konkurrenz konzentriert sich besonders auf das Feld der Trauerarbeit. Offenkundig sind Menschen bereit, im Medium des weltweiten Netzes Versprechungen weltweiten und ewigen Gedenkens oder auch virtuellen ewigen Lebens Glauben zu schenken und sich diesen etwas kosten zu lassen.(8) Exemplarisch verweise ich auf die Webseite des Frankfurter Unternehmers Schmidtkowsky, dessen "Hall of Memory". Dort können Angehörige für ihre Verstorbenen Gedenkanzeigen mit individuell gestalteten Texten und Bilddokumenten schalten und im Zuge der Multimedia-Kultur im Netz zusätzlich Bild- und Tondokumente zu den Toten ertönen lassen - gegen entsprechende Löhnung.(9) "Seiten der Besinnung, der Andacht und des Gebets" wurden geschaffen, und es gibt eine "Kunstsammlung" zum Thema Tod und Trauer. Die Möglichkeit zu (Andachtslichtern), termingerechten Kranzgebinden oder Schaffung von Büsten ist gegeben. Nicht nur theologischen, sondern auch kirchenpolitischen Konfliktstoff dürfte das neue geplante Angebot enthalten: ein 7-Tage-Trostgespräch in Form eines moderierten Chats. Hierfür hat Schmidtkowsky über Tageszeitungen Theologen als ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht. Ferner hat er sich an verschiedene kirchliche Stellen gewandt, mit der Bitte, Theologen für diese Gesprächsforen abzustellen - die jedoch weiterhin von der Kirche finanziert werden sollten.

Die "Arbeitsstelle Internet" (von der EKD und dem Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gebildet) hat angesichts dieser neuen Marktführer bereits mehrfach auf theologische Reflexion und entsprechende kirchliche Präsenz im Netz gedrungen. Sie empfiehlt u.a. eine Form der Begleitung Trauernder auf einer kirchlichen Webseite, die virtuelle Substitute Verstorbener sehr wohl von Hilfe zur Trauerarbeit zu unterscheiden weiß. Dieses Angebot sollte u.a. mit dem Bundesverband der Bestatter vernetzt werden.(10) Ferner sollte auch die Internetseelsorge spezifische Angebote zur Begleitung Trauernder erarbeiten. Dass hier ein enormer Bedarf besteht, zeigen bereits bestehende US-amerikanische Angebote im Netz wie "GriefNet" - ihre Websites und Selbsthilfeforen werden über 3.700 Mal pro Woche aufgesucht.(11)

II. Formen der Internet-Seelsorge

Vielen mag das Thema der Seelsorge im Medium des Internet befremdlich erscheinen. Das Medium scheint dem Verständnis der seelsorgerlichen Situation als Vertrauensbeziehung entgegenzustehen, scheint doch Seelsorge Nähe und räumliche Präsenz vorauszusetzen. Es sei jedoch daran erinnert, dass Seelsorge seit jeher Medien einzusetzen wusste, um Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen nahe zu kommen. Das älteste und noch zu Seelsorgebedingungen in der DDR relevant gebliebene ist der Brief.(12)

Die Vorreiterrolle der Telefonseelsorge unter den Seelsorgeinitiativen im Netz zeigt, dass ihrerseits offenkundig die geringsten Schwierigkeiten bestanden, sich im neuen Medium zurechtzufinden. Häufig wird in der Diskussion über Psychotherapie im Netz auch auf Erfahrungen mit dem Telefon vergleichend zurückgegriffen. Für die poimenische Diskussion um eine Seelsorge-Präsenz im Netz werden Neuauflagen der Diskussionen zu erwarten sein, die den Aufbau der Telefonseelsorge begleiteten: Ist dies überhaupt Seelsorge? Was ist ihr kirchliches Proprium, wie ist mit der Anonymität umzugehen, welche Zuständigkeit hat sie?(13)

Zusätzlich kommen - wie bereits beim Telefonkontakt gegenüber dem Briefverkehr - Besonderheiten hinzu. Dies möchte ich verdeutlichen, indem ich die drei Hauptformen kurz charakterisiere, die einer Seelsorge und Beratungsarbeit im Netz derzeit(14) zur Verfügung stehen. Die drei derzeit gängigen Hauptformen bei Cyber-Psychologen und in der Internet-Seelsorge sind: email, chat und mailing-Listen. Insbesondere chat und mailing-Listen sind sowohl vertraulich als auch öffentlich möglich, ferner mit Moderation oder als 'freies Gruppengespräch'.

1) Seelsorge und Beratung per email: email (und auch chat zu Zweit, s.u.) kommen den herkömmlichen Vorstellungen von Seelsorge im realen Gegenüber oder im vermittelten Gegenüber durch Brief oder Telefon noch am nächsten. UserInnen tippen eine email und schicken sie an eine angegebene mailadresse, mails gehen hin und her wie Briefe. Je nach Problemlage gibt es (z.B. beim "Netzwerk gegen Kummer") zwischen einer und 20 Antworten. "Meistens gibt es dann einen Punkt, wo der/die User/in genug hat. Bei schweren Fällen benennen wir Profis in der Region und raten dringend zu einer Therapie."(15) Vertraulichkeit kann neben der 'Anonymität zu zweit' durch Verschlüsselungsprogramme gesteigert werden (nicht jedoch: garantiert werden, vgl. aktuelle Probleme im online-Banking) und seitens der/des UserIn bis hin zu einer verdeckten email-Adresse reichen.

2) Seelsorge bzw. Beratung im Chat-Raum: Diese Möglichkeit offerieren derzeit z.B. die Telefonseelsorge im Netz (Zweierchat und Gruppe) sowie das eingangs genannte "Netzwerk gegen Kummer". Man vereinbart online einen Termin, im Falle eines erwünschten vertraulichen Zweierchats auch ein Passwort, gibt dies dann zum vereinbarten Termin ein und gelangt in das virtuelle 'Sprechzimmer'. Hier kann man dann miteinander - wie bei email, jedoch mit sofortiger Reaktion aufeinander - Texte austauschen. Man kann sich ebenso als formelle oder informelle Gruppe (ggf. mit Gesprächsleitung) treffen, um sich zu bestimmten Themen miteinander zu beraten. Während email ähnlich wie das Briefschreiben Zeit zur Selbstbesinnung einräumt, fällt diese beim Chat weg. Hier imitiert der geschriebene Text eher das spontane Wort (mit Sonderzeichen für Emotionen, sog. Emoticons).(16) Zu Möglichkeiten gesteigerter Anonymität (neben geschlossenen chat-Rooms) siehe oben.

3) Seelsorge und Beratung in Newsgroups und Mailinglisten. Bei Newsgroups handelt es sich sozusagen um themenbezogene Pinnwände im Netz. Für die Seelsorge und Beratung könnte man sie auch als Klagemauern und Vermittlungsstellen für Hilfe-Ressourcen verstehen. Meines Erachtens handelt es sich bei den Chats (s.o.) und Newsgroups als bislang internetspezifischsten Seelsorgeformen auch um die zukunftsträchtigsten Formen in diesem Medium. Sie ermöglichen die dem Medium (bislang!) spezifischsten Sozialkontakte: nämlich den Aufbau sozialer Netze und die Verteilung sozialer Ressourcen unter Personen, die sich nur in diesem Gesamtwerk aller verbundenen Rechner kennenlernen. - Im US-amerikanischen und auch im deutschsprachigen Raum haben sich bereits eine Fülle von (offenen oder geschlossenen, seltener durch Professionelle begleitete) Selbsthilfegruppen gebildet, und zwar zu allen nur denkbaren Lebensthemen. Beispiele sind Netzgruppen zu psychologischen Themen wie Depression, Angst, Zwänge, Drogen, sexueller Missbrauch, Phobie-Betroffene (Angst-L) oder auch zu sozialen Fragen wie Elternschaft bei Lesben und Schwulen oder zu Lebenskrisen wie das oben erwähnte GriefNet (Trauer).Das Internet ermöglicht besonders die Bildung von Gruppen zu Themen, die in weniger anonymer Teilnahmeform zu schambesetzt wären.

Newsgroups sind wie ein Marktplatz für jede vorbeikommende Person einsehbar. Mailing-Listen haben durch eine Anmeldeprozedur eine Art Tür zwischengeschaltet und gewähren mehr Schutz vor 'lurkern', unerkannt bleibenden MitleserInnen (wenngleich auch hier nicht alle eingeschriebenen mit'reden'). Über ein Verteilersystem wird die Liste mit den bei einer zentralen email-Adresse eingegangenen Meinungen an die AbonnentInnen weitergeleitet.

4) Weitere unterstützende Möglichkeiten im Netz (z.T. nur prospektiv): (a) Wiewohl das Internet immer stärker für kommunikative als für informative Zwecke genutzt wird ("The medium is the message"), werden natürlich auch weiterhin Informationen gesucht und ausgetauscht. Das "Netzwerk gegen Kummer" finanziert sich sogar (bislang zu einem geringen Teil) aus seinem online-Shop mit Ratgeber-Literatur. Zu einem flankierenden Informationsangebot gehören auch themenbezogene Volltext-Artikel (so auch im Kummernetz), FAQs (Frequently Asked Questions: Ein Dokument, das zu den am häufigsten gestellten Fragen eines Themenbereichs Antworten bereit hält) und, der Netzstruktur entsprechend, weiterführende Links (geschaltete Querverweise auf andere Anbieter bzw. themenbezogene Seiten im Netz). - (b) Eher Zukunftsmusik im Netz, aber für den therapeutischen Bereich bereits auf Softwarebasis existent, sind Selbsthilfeprogramme auf der Basis von Virtual-Reality-Systemen: z.B. mit Therapieschritten für klassische Ängste wie Höhenangst oder Zwänge. - (c) Interessanter erscheinen mir die - bisher, wie ich sehe, weder im therapeutischen noch im beraterischen Bereich genutzten - Möglichkeiten für psychodramatische bzw. bibliodramatische Arbeit. Basis hierfür wäre die im Netz bereits weit verbreitete Form von Multi User Dungeons (MUDs): graphisch ausgebauten virtuellen Städten oder sonstigen Umgebungen für Rollenspiele für mehrere Personen.(17)

III. Grundsatzfragen einer Internet-Poimenik

Uwe Holschuh, der Betreiber des "Netzwerkes gegen Kummer", nennt als Vorteile der Beratung via Internet: "Typische psychologische Eigenarten, zum Beispiel enthemmtere Umgangsformen, eine kürzere Smalltalkphase, man kommt schnell zur Sache. Eine 'Aufwärmphase' ist oftmals gar nicht notwendig".(18) Weitere für computergestützte Kommunikation (CMC) als auffällig bekannte Phänomene sind übergroße Offenheit und Generosität, Neigung zu sexuellen Offerten und zum sog. "flaming", d.h. zu verbalen Angriffen, die mit unsachlicher Diskussion, Verbreitung falscher Information oder schlichtweg dem Versuch des 'Fertigmachens' des Gegenübers einhergehen.

1. Kommunizieren bei radikalisierter Abwesenheit der Beteiligten

Norman Holland vergleicht die im Internet empfundene Abwesenheit des Gegenübers mit der Abwesenheit des Beichtvaters im dunklen Beichtstuhl und mit der Abwesenheit des Psychoanalytikers im Sessel, der für den Klienten unsichtbar bleibt. Dies ist m.E. noch zu euphemistisch formuliert: Beide Formen müssen zwar auf die Körpersprache und andere szenische Informationen (der Analytiker weniger!) verzichten. Sie können aber - wie die Telefonseelsorge - noch auf die Stimme zurückgreifen: ihren Klang, ihre Stille, all ihre emotionalen Informationen. Die Briefseelsorge kommt der Situation empfundener Abwesenheit insofern näher, als auch sie rein textvermittelt verläuft. Doch der (jedenfalls früher handschriftliche) Brief und das für ihn ausgewählte und ggf. gestaltete Material, häufig noch der Absender (falls nicht über Postfach), bieten wesentlich mehr Brüche für eigene Projektionen als der anonyme Kontakt im Netz. Hier gibt es nur eingetippte, selbst noch in der Schriftart vereinheitlichte, Texte und eine email-Adresse, deren Angabe auch unterdrückt werden kann. Ob das angegebene Geschlecht, der hinterlassene Name stimmen - dies weiß nur die/der AbsenderIn. Wie viel sie/er persönlich von sich im Laufe des Kontakts preisgibt oder ob sie/er als rein fiktives Geschöpf auftritt, bleibt selbstbestimmt. Internet-Kontakte sind daher hochgradig ungewiss: Du weißt niemals, zu wem du wirklich schreibst (es sei denn, man ist sich schon begegnet). Ein Cartoon im "New Yorker" zeigte einmal zwei Hunde vor einem Computer. Sagt einer zum andern: "On the Internet, no one knows you're a dog."(19)

In der Diskussion über Internet-Therapie herrscht angesichts dieser Probleme der Konsens, dass der technische Stand des Netzes für eine Therapie (derzeit) nicht ausreicht, um den Mangel an persönlichem Kontakt für eine tragfähige Beziehung auszugleichen.(20) - Dennoch scheint diese Ungewissheit die UserInnen nicht zu schrecken, denn gerade die Selbsthilfe-Initiativen sprießen nur so. Häufig wird zur Erklärung auf die Attraktivität der Anonymität verwiesen. Ich würde darüber hinaus auch den Zugang zu sozialen Ressourcen herausstellen, die ohne die computergestützte Vernetzung unzugänglich blieben (s.o.: Beispiel NetGrief).

Die positive Kehrseite der Anonymität besteht in ihrer Senkung der Kontaktschwelle, die noch unter der des Telefonkontaktes liegt (es sei denn, man hat gerade Probleme mit der Verschriftlichung). Informationen über die eigene oder andere Personen, die eine/n für eine Kontaktaufnahme verunsichern würden, fallen fort: Alter, Geschlecht, Rasse, sexuelle Orientierung, Attraktivität etc. Während das Telefon im persönlichen Leben eher dazu eingesetzt wird, eine relativ geringe Anzahl von Kontakten mit bereits bekannten Personen zu pflegen,(21) ist im Netz die Kontaktaufnahme zu Fremden geradezu Beziehungsstandard. Ohne Verunsicherung durch körperlich sichtbares oder gar spürbares Feedback riskiert man mehr. Kontrolle über den Beziehungsaufbau spielt eine herausragende Rolle und ist noch stärker möglich als über Telefon: Zunächst kann man ungesehen (freigeschaltete) Dokumente einsehen: die entsprechende Homepage der Seelsorge, man kann sich Infos ausdrucken, gar den bisherigen Gesprächsverlauf einer ganzen Gruppendiskussion. Man kann sich Zeit zum Formulieren nehmen. Und jederzeit ausloggen kann man sowieso.(22) Für unsichere Ratsuchende wird ein autonomes Auftreten erst in solchen sanktionsarmen (Sanktionen gibt es auch hier!) Freiräumen möglich. Sie können selber ihr Tempo beim Überschreiten der verbleibenden Schwelle bestimmen. Eine Teilnehmerin an der Newsgroup von alt.suicide.holiday beschreibt ihren Zugang wie folgt: "Nach ein paar Tagen und Nächten, die ich mit der Lektüre der Nachrichten verbrachte, wusste ich, dass ich hier richtig war. Hier konnte ich zum ersten Mal meine Gedanken aussprechen - ohne Angst haben zu müssen, mich auf einer geschlossenen Station wiederzufinden. ... Ich kann selbst entscheiden, wann ich wie viel Kontakt haben will. Ich kann selbst bestimmen, wann ich neue Mails herunterlade und wann ich sie lese."(23)

Die Probleme ausschließlicher therapeutischer Kontakte über das Netz stellen sich für die meisten UserInnen nicht: Sie nehmen dieses Selbsthilfe-Netzwerk von vornherein nur flankierend (zu einer Therapie oder einer herkömmlichen Selbsthilfegruppe) wahr. - Doch als flankierendes Hilfsangebot scheint es unschlagbar beliebt zu sein: aufgrund des leichten Zugangs zu Hilfe, aufgrund der gleichzeitigen Sicherheit und Gemütlichkeit des Wohnzimmers, aufgrund der Verfügbarkeit der Texte als verbleibendes Besinnungsmaterial.(24)

2. Kommunizieren mit einem radikalisierten Erleben von Nähe

Wie entsteht unter Ausschluss herkömmlicher sozialer Schlüsselinformationen in der weitgehenden Anonymität textvermittelter Beziehungen Nähe? Wie wird die oder der fremde VerfasserIn von mails zum "intimate stranger"(25), zur fremden Vertrauensperson?

Ich gehe davon aus, dass auch in Netzkontakten zutreffende Vermutungen über das Gegenüber möglich sind; umso mehr, je mehr das Gegenüber von sich preisgibt. Darüber hinaus schafft das Vakuum - noch stärker als Beichtstuhl und Couch-Setting - Freiräume für Projektionen. Grundsätzlich werden die UserInnen in das Netz die selbe Vielfalt an Übertragungen von Beziehungswünschen und Ängsten mit hineinnehmen, die sie auch im Alltag mit sich herumtragen - nur dass sie hier ungebremster ausgelebt werden können. - Zusätzlich zu diesen Allgemeinplätzen gehe ich jedoch davon aus, dass computergestützte Kommunikation (im folgenden: CMC) spezifische Phantasien stützt und fördert - was sich in den oben benannten Zuspitzungen nur am Computer beobachteten Verhaltens niederschlägt: ungehemmte Preisgabe von Intimitäten, Generosität, flaming.

Als Verstehensrahmen für das Erleben von CMC-spezifischen Verhaltenseigenarten greife ich auf die psychoanalytische Narzissmustheorie zurück.(26) Sie thematisiert Formen, Selbstwertgefühl zu erlangen: durch Präsentieren eigener Größe ("Ich bin großartig") in Verschmelzung mit einem anerkennenden Publikum; durch Aufblicken zu anderen Größen und gefühlsmäßiges Verschmelzen mit solchen Idolen ("Du bist großartig, und ich bin ein Teil von dir."); durch Anerkennung und Bestärktwerden in einer Gruppe Gleichgesonnener. Bei all diesen Beziehungsweisen gibt es gereiftere und suchtartige Formen - je nachdem, wie weit Menschen mit Fremdheit und Frustrationen gegenüber solchen Bedürfnisse nach Spiegelung umgehen lernen. Gerade diese frustrierenden Brechungen erspart einer/einem das Internet weitgehend. Netzkontakte nähren geradezu diese Beziehungswünsche.

Grundlegend sind zunächst die Phantasien zwischen UserIn und Computer. Mit dem Computer verbindet sich nicht nur ein sachbezogener Umgang, sondern auch Gefühle und Phantasien. Weil er (etwa im Unterschied zu einer mechanischen Schreibmaschine) Rückmeldungen gibt, auffordert, fragt, etc., wird er leicht anthropomorphisiert. Je nach persönlichem Bedürfnis und nach Nutzungsart kann er wahrgenommen werden als Spielkamerad, guter Freund, knechtender Chef, Betthasi oder auch (mit dem Programm ELIZA bestückt)(27) als Therapeut. In Untersuchungen häufig genannte Phantasien in Bezug auf Computer bewegen sie sich im Bereich von Macht, magischen Kräften, überlegener Intellektualität. Wie Autos bestimmter Marken sich als seelisch-körperliche Prothese zur Steigerung körperlicher und sexueller Attraktivität einsetzen lassen, so scheint sich der beherrschte Computer - erst recht der vernetzte Computer - als seelisch-intellektuelle Prothese anzubieten und grandiose geistige Kräfte zu verheißen.(28)

Ein zentrales Symbol, das die Theologie in diesem Zusammenhang beschäftigen sollte, ist das Symbol des Cyborg, des kybernetischen Organismus. Ein Maschinen-Mensch, in seiner körperlichen oder geistigen Unvollkommenheit durch Implantate perfektioniert. An dieser futuristischen Gestalt kristallisieren sich Sehnsüchte nach der Verschmelzung mit einem höheren Wesen aus, Sehnsüchte nach einer quasi Selbstvergottung durch Verschmelzen mit der intellektuell und körperlich auf ihre Weise unsterblichen Denkmaschine. In Filmen wird an diesem Symbol bereits seit längerem diese Sehnsucht und die Furcht vor ihr bearbeitet. Die Suchmaschine von "Yahoo" zeigt hierzu im deutschsprachigen Bereich noch magere Ergebnisse, aber im englischsprachigen Raum ist die Debatte um diese Form von Selbstaufhebung des Menschen bereits in vollem Gange.(29)

Der User-Cyborg am heimischen PC verschmilzt mit einem machtvollen Hirn. Mit dieser Ausstattung schmelzen bislang geltende Grenzen dahin. Manche Surfer sprechen von einem Gefühl von Telepathie: über den PC könnten sie in die Gehirne anderer eindringen, ihre Gedanken wie unvermittelt lesen, mit ihnen verschmelzen. Körperliche Grenzen wirken aufgehoben. Räumliche Schranken fallen in der Empfindung dahin. Auch das Zeitgefühl wird diffus: vernetzte Zeit wird "subjective eternity", kann erhabene Zeit mit einem anderen Takt werden. Seelische und gesellschaftliche Grenzen werden bei Bewegungen im Netz nivelliert. Das Netz bietet sich geradezu für Rollenspiele an.(30) Für seelische Nöte kann man sich aus der Fülle der Kontaktangebote die ideale Familie zusammenstellen - ohne irritierende Fremdheiten und Ansprüche. Trost die Fülle im Geben und Nehmen.

Die Kehrseite: Wo solche Öffnung geschieht, wächst im gleichen Maße die Verletzbarkeit und Enttäuschbarkeit. Der/die Unbekannte gewinnt mit der Zeit auch über Texte, Emoticons und auch im Netz szenisch (! durch die Frequenz von Postings, Länge der Beiträge, etc.) an Profil, und auch in Mailing-Listen entstehen Hierarchieebenen. In vielen Aspekten erscheint die vernetzte Gemeinschaft - selbst in den MUDs - als eine Verdoppelung des Altbekannten, nur dass andere und z.T. extremere Ausdrucksformen zur Verfügung stehen. Natürlich entstehen - wie im Leben 'draußen' - auch aus Netzkontakte Realbegegnungen und Freundschaften. Aber wieder gilt: Nirgends werden Menschen so kränkbar und hemmungslos ausfällig. Aus Verzweiflung hat z.B. die Homepage von "Kirche online" (www.kirchen.de) ihr Forum und ihr Gästebuch geschlossen, weil sie die verletzenden Einträge nicht länger dulden wollte und sich anders nicht mehr zu helfen wusste. - Das narzisstische Universum ist äußerst störanfällig. Das narzisstisch überfrachtete Netz reißt. Diesen Wünschen nach Selbsterhöhung, idealer Partnerschaft, Verschmelzung mit einer idealen Ersatzfamilie kann es auf Dauer nicht standhalten. (Gerade grenzenlose) Annahme pur führt hier keinesfalls weiter.

3. Reflexionsaufgaben für eine Seelsorge-Theologie des Internet

Eine theologische Orientierung der Internetseelsorge sollte insbesondere drei Problemfelder eingehend reflektieren: (1) Fragen theologischer Anthropologie, die durch das anthropologische Leitsymbol des Cyborg aufgeworfen werden, (2) inhaltliche Veränderungen theologischer Aussagen durch den Kontext des Internet provoziert werden, d.h. insbesondere die technologische Umdeutung theologischer Aussagen, (3) die Nivellierung professioneller Hierarchien durch netzartige Kommunikationsstrukturen. Im gegebenen Rahmen kann ich diese Aufgaben nur kurz erläutern.

Ad 1: Theologische Leitlinien für eine Internetseelsorge müssen besonders die Anthropologie für dieses Medium neu formulieren und das heißt, sich mit gegenwärtigen Leitphantasien über Menschsein vertraut machen. Wie erwähnt, steht im Zentrum der Netz-Anthropologie das Symbol des Cyborg. In ihm bündeln sich narzisstische Wünsche, die mit Hilfe der CMC in einer virtuellen Welt umsetzbar erscheinen und im Laufe technischer Weiterentwicklungen von vielen durchaus für real gehalten werden. Der Cyborg ist der sich angesichts technischer Möglichkeiten seiner menschlichen Grenzen schämende Mensch: des verletzbaren und alternden Körpers, biologischer und sozialer Abhängigkeiten, u.a. durch Emotionalität bedingten kognitiven Ungenügens.

In diesem Zusammenhang erscheint mir eine Neuaufnahme der Gnosis-Diskussion wichtig: Wenn der Mensch sich vorwiegend als informationsverarbeitende Maschine schätzt (homo informaticus) und seinen Körper durch 'technisch höherwertige' Materialien zu substituieren sucht, dann begegnen darin alte gnostische Dualismen wieder. Soweit die theologische Anthropologie selber Leitvorstellungen vom Menschen als animal rationale und als Sprachwesen (orientiert an der Selbsterfahrung des akademischen Theologen) aufsitzt, wird ihre eigene Körperverachtung in der Netzanthropologie gespiegelt. - Korrektive Kraft haben nur multidimensionale theologische Anthropologien jenseits der strikten Hierarchisierung durch die res cogitans.

Ad 2: Damit bin ich beim nächsten Problem angelangt: der Veränderung theologischer Aussagen durch ihre semantische Reformulierung im Rahmen technischer Aussagen. Exemplarisch bleibe ich bei der Trauerindustrie und ihren grenzenlosen Offerten (auch dem Gegenstande nach: z.B. für Tiere und Tamagotchis). - Allein schon 'totsein' wird variantenreicher: (a) als ausgeloggt sein aus dem being-online, (b) als Tod einer virtuellen Kreatur im Netz, (c) als länger oder kürzer 'ewiges Totsein-online' in Gestalt einer digitalen pars-pro-toto-Kopie, die als eine Art Untote/r den hinterbliebenen SchöpferInnen (oder vorsorglich voraus selbstgestaltet!) und einigen Visitors in Audio, Video, Grafik, Text und ggf. heimeliger 3-D-Umgebung erscheint und die man mit virtuellen Blumengebinden, Kerzen und überhaupt mit Aufmerksamkeit versorgen kann. Die Leiche bleibt insofern tot, als sie (derzeit ohne spezielle software) nicht mehr ins übrige Netzgeschehen eingreift.

Die Seite "Das Ewige Leben" preist ihr Angebot wie folgt an: "Alles kann noch einmal gesagt und richtig gestellt werden. Das Lebenswerk kann noch einmal Revue passieren. Alles ist möglich." Der Vertreter des digital simulierten Jenseits leugnet den Tod weitgehend als soziale Grenze (Ungeschehenmachen) und verspricht wörtlich "Alles". Hierzu zählen - im Netz als simulierter Himmel auf Erden - die Zeit umzukehren, weltweite Anteilnahme, weltweite und ewige Erinnerung. Die auf das Computernetz projizierten Phantasien verleiten offenkundig zu solchen Versprechungen und machen für derartige Versprechungen leichtgläubig. Gegenüber theologischen Aussagen wird hierbei 'ewiges Leben' mit technischen Mitteln als eine zeitlich beschränkte (virtuelle Liegezeit bei "Ewiges Leben": 30 Jahre) Simulation von Bild, Stimme umgesetzt - gegen cash. - Theologische Reflexion sollte im Dialog mit Trauerangeboten und Ewigen-Lebens-Vorstellungen (Simulation von Toten) im Netz formulieren, was menschlicher Tod und was Hoffnung auf Ewiges Leben (diesseits und/oder jenseits) heißt und selber angemessene Trauerarbeit im Netz anbieten helfen. Können die leiblich Toten als digitales Subjekt weiterleben? Ist die menschliche Seele ein speicherbares Geistwesen?

Ad 3: Bereits im psychotherapeutischen Bereich sehen sich die Professionellen massiv damit konfrontiert, dass gerade Selbsthilfegruppen im Netz ohne professionelle Leitung massiven Zulauf finden. "The netizens' I have met there aren't waiting for professionals to come up with the answers".(31) Es klingt fast pfingstlich, wie in diesem Zusammenhang des Hilfsnetzes auch der Zusammenbruch weiterer Hierarchien geschildert wird: "Member support [sc. in online support group for eating disorders - BS] crossed demographic boundaries, ... with teen-agers giving advice and support to 35-year-olds."(32)

Wenn M. Weimer die Telefonseelsorge als das "Pfarrhaus des 20. Jahrhunderts" bezeichnet hat (als feststehender, rund um die Uhr offenstehender Ort der Zuwendung in einer erbarmungslosen Zeit), dann wäre das WWW als das "Pfarrhaus des 21. Jahrhunderts" zu verstehen, das im Sinne des mutuum colloquium sororum et fratrum von einer Gemeinde autonomer UserInnen aufgesucht wird.(33)

Die Echos auf solche bereitgestellten und gepflegten Umschlagplätze und Knotenpunkte für seelische Hilfeleistungen sind - exemplarisch für das "Netzwerk gegen Kummer" (Gästebuch) - ermutigend: "Finde Eure Homepage erstklassig. Wir sind ein Verein für Menschen mit Angststörungen Panikattacken und Depressionen in Wien. Finde eine Vernetzung für Betroffene und deren Angehörigen für äußerst wichtig!" Denise - "Wer hat auch viele Bücher über positives Denken im Regal, kommt aber mit der Umsetzung nicht recht voran? Bitte melden, ich habe einen Weg für mich gefunden!" Oliver(34)

Anmerkungen
  1. Nane Jürgensen, in: PC-Praxis, Ausgabe 5/99. - Erweiterte Fassung eines Probevortrages an der Theologischen Fakultät Kiel vom 29.7.99. - Für weitere online-Artikel und Links über Internetseelsorge und kirchliche Internetarbeit vgl. meine Homepage (jeweils zum Stichwort: Seelsorge).
  2. Telefonseelsorge. - Laut Selbstauskunft auf einer Website (Stand: 03.11.98) arbeiten hier derzeit die TS-Stellen Braunschweig, Duisburg, Duisburg/Mülheim/Oberhausen, Hagen, Köln evang., Köln kath., Krefeld, Schwarzwald/Bodensee und Wolfsburg mit.
  3. Angaben nach einem ersten Bilanzbericht von Frank Christl, Beratung im Internet, in: Ludwig Janssen (Hg.), Auf der virtuellen Couch, Bonn 1998, 101-116. Dort auch ein Beratungsbeispiel. Christl arbeitet derzeit an einer Dissertation zum Thema Internet-Beratung.
  4. Internet-Seelsorge. Vgl. Einführend zum Projekt: Jakob Vetsch-Thalmann, Ankerplatz für Net-Surfer, in: Wolfgang Nethöfel/Matthias Schnell (Hg.), Cyberchurch?, Frankfurt a.M. 1998, 141-146.
  5. Internet-Seelsorge.
  6. Zu Konzeptinhalten und Fragen vgl. Klaus Flammer, Protokoll der 8. Internet-Konsultation vom 5. Mai 1999, S. 1f.
  7. Michael Schneider, Praxis für psychologische Beratung und Psychotherapie Michael Schneider.
  8. Vgl. besonders platt: Ewiges Leben. Hier werden Lebende begrüßt: "Willkommen in der Ewigkeit. Leben sie weiter in der virtuellen Realität des Internet!" - Als nichtkommerzielles und von Künstlern gestaltetes Projekt mit großer Medienresonanz ist hervorzuheben: Memopolis (TheologInnen sollten besonders den links "Theorie" und "Lektüre" nachgehen!). - Zur Reflexion über virtuelles Totsein vgl. Andreas Mertin, Der Tod im Cyberspace.
  9. Hall of Memory. [online nicht mehr erreichbar]
  10. Vgl. hierzu das EKD-GEP-Protokoll der 8. Internetkonsultation (a.a.O., Anm. 6).
  11. Cendra Lynn, GriefNet. - Lynn beschreibt den Bedarf solcher Netzwerke mit ihrem "virtual social service" vor allem verursacht durch "the disappearance of the extended family and wide geographic dispersion of family members, individuals no longer have as ready access to traditional sources of help among family, communities and religious groups when facing death daying and major loss". - Vgl. zum Thema Trauerarbeit im Netz: Abo Aebischer, Erfahrungen in der Begleitung Trauernder und Lebensmüder auf dem Internet.
  12. Diese Medienformen der Seelsorge sind stark von kulturellen Leit-Medien zur Distanzüberbrückung abhängig. Mit dem Rückgang des Briefes und Ausbreitung des Telefons in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren war zugleich der Boom der TS verbunden. Analoges dürfte für die Internet-Seelsorge mit der Verbreitung von Internet-Anschlüssen zu erwarten sein. - Zu erinnern bleibt daran, dass die alten Medien nicht verschwinden, sondern nur an Bedeutung verlieren und in den Gesamtrahmen des neuen Mediums 'aufgehoben' werden. - Zum offenkundigen Bedeutungsverlust unter 'westdeutschen' Kulturbedingungen: 'Briefseelsorge' wurde auf Lehrbuchebene zuletzt nur noch im Ostberliner Handbuch erwähnt: vgl. Manfred Haustein, Briefseelsorge, in: I. Becker et al. (Hgg.), Handbuch der Seelsorge, Berlin (Ost), 1983, 203-212. - Vgl. noch W. Jentsch, Schreiben befreit, Wuppertal 1981.
  13. Vgl. Ingo Habenicht, Telefonseelsorge als Form intentionaler Seelsorge, Hamburg 1994, besonders 143.216ff.
  14. Mit dem multimedialen Ausbau des Internet (Video- und Sprachübermittlung, Ausbau von 3-D-Grafik etc.) sind die folgenden Ausführungen, die sich auf Eigenheiten und Grenzen von textbasierter Kommunikation konzentrieren, hinfällig.
  15. Netzwerk gegen Kummer, http://www.kummernetz.de/gezeit (Zugang 9.6. 99).
  16. Beispiele auf der Basis von Smileys: :-D (breites Grinsen); :-o (Staunen); :-( (traurig) :-x (Lippen verschlossen); :-* (virtuelles Küßchen); für das Versenden virtueller Gefühlsgegenstände z.B. @>--- (elektronische Rose geschickt); Näheres zur Person 8-) (bin BrillenträgerIn); Anzwinkern mit ;-). - Diese Emoticons bzw. andere Icons sind derzeit Notbehelfe in Richtung auf einen ganzheitlicheren (und weniger mißverständlichen) Kontakt (auch in emails und Listen möglich). Ferner gibt es bereits eine ausgefeilte Kürzelsprache (auf dem Englischen basierend) wie CU (See you), F2F (Face to face), (kb) (Kiss back) oder FOAD (F*ck off and die). - Sie sollte von SeelsorgerInnen im Netz zumindest verstanden werden. - Vgl. http://www.heisoft.de/web/emoticon/emoticon.htm; http://www.hexen-kessel.de/.
  17. Erwogen z.B. von Fred Cutter, Virtual Psychotherapy?, in: PsychNews International, Juni 1996, S. 6. Cutter: "There may well be a need for or value in, creating a mud for psyhcotherapy with the wizard being a qualified psychotherapist, and the players seeking a psychodramatic role-play for selected themes, in the data base. I see the possibility of MUDS evolving into instant psychodrama for any one ready to enter these mental health dungeons and slay the dragons of the mind."
  18. Netzwerk gegen Kummer, a.a.O. (Anm. 15).
  19. M. Godwin unterscheidet grundsätzlich zwei Formen von Anonymität in CMC: "The first is 'apperent anonymity' where the system management has the capability to know all users are and trace their true identity, if needed (as with most online services). The second type is 'true anonymity' and no one can find out the true identity of the person sending mail or making postings." (zit. in: Wende Phillips, A comparison of online, e-mail, and in-person self-help groups, January 1996.
  20. Eine hervorragende Link-Liste zur Einführung in "Cyberpsychology Resources on the Internet" bietet John Suler (vgl. dessen eigene Forschungsergebnisse!). Hervorzuheben ist besonders die Forschungsarbeit von Suler (s.o.) und Storm A. King. - Der online-Therapeut David I. Sommers (gestartet im November 1995) hat sein Angebot inzwischen aus ethischen, gesetzlichen und Abrechnungsgründen eingestellt. Die Seite ist noch im Netz: David I. Sommers, Mental Health Cyber-Clinic. - Für die laufende Diskussion sind insbesondere folgende Diskussions-Listen zu verfolgen: The Psychology of the Internet LISTPROC@CMHC.COM (breit über Forschung und Theorie von Psychologie des Internet), Netdynam listserv@sjuvm.stjohns.edu (zu online-Gruppendynamik) und NetPsy listserv@sjuvm.stjohns.edu (zu therapeutischen Diensten über Internet).
  21. Nach I. Habenicht, a.a.O. (Anm. 13), 154.
  22. Vgl. zum Folgenden besonders Storm A. King/Danielle Moreggi, Internet therapy and self help groups - the pros and cons, 1998, dort Abs. 1.1.: "The psychology of text based relationships".
  23. Katrin Jaeger, Im virtuellen Selbsthilfenetz, in: L. Janssen, a.a.O. (Anm. 3), 40-52, Zitat: 42.
  24. Nach S. A. King/D. Moreggi, a.a.O. (Anm. 22).
  25. Vgl. Scott Sleek, Online network provides forum for patients, in: APA Monitor, Juli 1997: "They're sharing coping strategies, exchanging technical information and offering emotional support to intimate strangers who understood exactly what they're going through".
  26. Vgl. Sabine Bobert-Stützel, "Man is born broken, God's grace is glue"?, in: Jürgen Henkys/Birgit Weyel (Hg.), Einheit und Kontext. Praktisch-theologische Theoriebildung und Lehre im gesellschaftlichen Umfeld, Würzburg 1996, 41-76. Heribert Wahl, Narzissmus?, Stuttgart etc. 1985.
  27. Vgl. Eliza.
  28. Vgl. Symbole, die die Werbung für Hardware einsetzt: neben weiterhin erotischer Verpackung (besonders mit der Superfrau Lara Croft!) und zunehmend ästhetischen Werten gibt es Analogien mit Autos ("turboschnell"). Für eine Festplatte wirbt z.B. ein Baby mit Superman-Umhang (Computer Bild 8/1999, S. 117), für eine Spielekarte wirbt "Phoenix" ("Die Reinkarnation von Leistung und Kraft durch Phoenix" - "der Rest ist Asche" (PC go 2/1999, S. 113). - Vgl. Stefan Düssler, Computer-Spiel und Narzißmus, Eschborn 1989.
  29. Auf künstlerischer Ebene hat sich besonders der in Australien lebende Performancekünstler Stelarc seit Ende der 60er Jahre dieses Themas angenommen, bzw. er ist von ihm besessen.
  30. Storm A. King/D. Moreggi: "Control over impression formation is enhanced in written mediums. People can select only aspects of themselves that they choose to make public. There is a 'hyperpersonal aspect' to Internet communications, a means to be more selective about how one presents ones self. 'Another component of the (hyperpersonal) model, feedback, suggests that these heightened self-presentations and idealized perceptions magnify each other to a superordinal level, as users reciprocate each other's partial and selective presentations.' (Walter & Boyd 1997 p.8) This magnification factor of the hyperpersonal model is a theoretical formulation that could help account for the high rates of flame wars (arguments) and love affairs that happen on the net." (a.a.O., Anm. 22)
  31. Rande Kreger, zitiert von Scott Sleek, a.a.O. (Anm. 25).
  32. Andrew Winzelberg, zitiert von Tori deAngelis, Do online support groups help for eating disorders?, in: APA-Monitor, March 1997.
  33. Martin Weimer, Telefonseelsorge - das Pfarrhaus des 20. Jahrhunderts, in: WzM 39 (1987), 1ff.
  34. Netzwerk gegen Kummer, Gästebuch, a.a.O. (Anm. 15).

© Sabine Bobert 2000
Magazin für Theologie und Ästhetik 7/2000
https://www.theomag.de/07/sbs2.htm