Verba vana aut risui apta non loqui!(1)
Als sich an den Kirchenportalen und Kapitellen romanischer Kirchen symbolische Naturdarstellungen und vor allem auch Darstellungen von Dämonen verbreiteten, beklagte sich Bernhard von Clairvaux (1091-1153) in einem Brief an den Abt Wilhelm, "die Vielfalt der verschiedenen Formen ist so reich und so seltsam, daß es angenehmer dünkt, in den Marmorsteinen als in den Büchern zu lesen und man den Tag lieber damit verbringt, alle diese Einzelheiten zu bewundern, als über Gottes Gebot nachzudenken."(2) Was Bernhard feststellt, ist, daß die ästhetische Erfahrung sich nicht in den Grenzen der 'religiösen Vernunft' halten läßt, daß sie vielmehr die religiöse transzendiert, daß die 'concupiscentia oculorum' eine größere Faszination ausübt als die Meditation über das Wort Gottes.(3) Auch in Umberto Ecos Bestseller 'Der Name der Rose' scheint eine der zentralen Aussagen darauf hinauszulaufen, daß ästhetische Erfahrung und theologische Lehre, insoweit zumindest, als diese sich als 'reine' bewahren will, unvereinbar sind. Schon die ersten Worte, mit denen der Urheber aller Übel, ein Theologe, auf der Bildfläche erscheint, enthalten eine pauschale Warnung vor dem ästhetischen Genuß. Und es ist keinesfalls nur die Heiterkeit, das Lachen, das ihn zum Verbrechen treibt, auch die abschreckende Monstrosität romanischer Kapitelle verurteilt er im wortwörtlichen Rekurs auf Bernhard von Clairvaux.(4) Die Furcht vor dem Unbotmäßigen aller ästhetischen Erfahrung ist die Ursache seiner Verbrechen. Und so berichtet auch die Nachschrift zum Roman, daß das Labyrinth der Kathedrale von Reims vom Kanonikus zerstört wurde, weil ihn das Spiel der Kinder verdroß, die während der Gottesdienste den verschlungenen Gängen zu folgen versuchten, statt den Worten der Predigt zu lauschen. So reflektiert auch der postmoderne Roman der Gegenwart, daß das Verhältnis von Kunst und Kirche, anders gesagt, zwischen ästhetischer Erfahrung und theologischer Lehre ein nicht ungetrübtes ist.(5) Nicht erst seit Umberto Ecos Roman ist bekannt, daß der Streit um die ästhetische Erfahrung nicht immer nur mit friedlichen Mitteln gelöst wurde. Ein Blick in die Kirchengeschichte genügt, um zu erkennen, daß die religiöse Inkriminierung der Kunst ein 'Dauerbrenner' des Christentums ist, angefangen in Byzanz über Savonarola und Karlstadt bis zur Gegenwart.(6) Vor diesem Hintergrund sei die These aufgestellt, daß sich das Verhältnis von Kunst und Kirche als Prozeß darstellt, zu dessen Entwicklung notwendig der Ikonoklasmus, der Bilderstreit oder -sturm gehört. Die Kirche hat eine latente Neigung zu Bilderstreit und Bildersturm.(7) Nicht nur im 20. Jahrhundert verhält sie sich der autonom gewordenen Kunst gegenüber skeptisch, ja großteils sogar feindlich; auch zu den im Verlaufe ihrer Geschichte von ihr selbst in Auftrag gegebenen Kunstobjekten hat sie ein allenfalls ambivalent zu nennendes Verhältnis.(8) Der Zwiespalt zwischen der Nutzung ästhetischer Mittel zur Veranschaulichung von Glaubenssätzen und den Gefahren ästhetischer Identifikation oder Irritation hat die kirchliche Autorität wie auch einzelne Gläubige seit dem Entstehen einer christlichen Bildwelt bis zur Gegenwart immer wieder beschäftigt. So steht oftmals ein positives Bekenntnis zur Kunstausübung dort, wo Glaubenssätze illustriert werden sollen, neben der direkten Ablehnung der ästhetischen Grenzüberschreitung auf den Bereich der religiösen Realitätserfahrung. Das Engagement der bildenden Kunst ist erwünscht, aber nur solange sie, direkt oder indirekt, 'ancilla ecclesiae' bleibt, oder, eine neuzeitliche Variante, die Künstler dazu führt, sich wieder mit der christlich-religiösen Ikonographie zu beschäftigen. Geschätzt wird die vitale Kraft der Kunst zur Veranschaulichung, gefürchtet ihre im Ästhetischen begründete Eigenart, die ihr gesteckten Grenzen immer wieder zu überschreiten, der Theologie und der Kirche fürwitzige Fragen, sie in ihrem Selbstverständnis infrage zu stellen. Zu begründen und zu erklären wäre daher zunächst einmal, warum es in der Kirche immer wieder zu Konflikten um Kunst und Kunstwerke kommt, aber auch, was passiert, wenn die kritische Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk unterbleibt. Aufgrund der so erarbeiteten Folie könnten dann die Möglichkeiten der Rezeption von 'Kunst im Kontext Kirche'(9) bestimmt werden. Zugrunde gelegt werden soll dabei ein Begriff der ästhetischen Erfahrung, wie Immanuel Kant ihn in der 'Kritik der Urteilskraft' erarbeitet und wie er in den letzten zwei Jahrzehnten in der Rezeptionsästhetik (vor allem in der Literaturwissenschaft und ansatzweise auch in der Kunstgeschichte und im Gespräch von Kunst und Theologie) zum Tragen gekommen ist.(10) Die Basis der ästhetischen Erfahrung bildet die reale sinnliche und nichtbegriffliche Begegnung mit dem Kunstwerk. Jedes Kunstwerk muß in seiner jeweiligen Einzigartigkeit, in seiner konkreten Gestalt und in seinem Zusammenhang wahrgenommen werden. Die Erfahrungen, die wir mit Kunstwerken machen, bestimmen sich von unseren Alltagserfahrungen her. Dort nehmen wir ständig Beurteilungen, Zuordnungen und Bestimmungen vor. Wir sehen etwas, messen es an unseren Erfahrungen, an den Begriffen, die wir uns er arbeitet haben und ordnen es ein. Wir nehmen einen Gegenstand wahr und sagen, dies ist ein Baum, ein Haus, rot, schnell usw., d.h. wir verbinden eine Anschauung mit einem Begriff. Unsere vertraute Alltagswirklichkeit ist freilich nichts fest Gefügtes, das wir als solches vorfinden, sie erwächst vielmehr aus der Arbeit des Verstandes, der die Dinge, die ihm zur Anschauung kommen, gliedert und ordnet. Der Aufbau einer Lebenswelt, in der wir uns auskennen, muß zur Selbstverständlichkeit gediehen sein, bevor wir abweichende Erfahrungen machen können. Es gibt nämlich Dinge, die wir keiner Ordnung einfügen können, hier steht der Anschauung kein Begriff zur Verfügung. Wir sind daher gezwungen, einen Begriff zu suchen, nachzudenken, zu reflektieren. Genau diese Denk-Bewegung findet auch gegenüber Kunstwerken statt. Das 'Kunsthafte' der Kunst unterliegt keiner Begriffsbildung, jeder Versuch, ein Kunstwerk begrifflich zu erfassen, scheitert und wir werden angetrieben, einen neuen Versuch zu wagen. Der Intellekt bekommt Arbeit, er muß etwas denken, für das es keine Verstandeskategorien gibt. Dieser Prozeß der Denkarbeit gegenüber Kunstwerken kann als 'ästhetische Erfahrung' bezeichnet werden. Erfahren wird eine Welt, die sich nicht dem gewohnten, geordneten Weltbild fügt, die über das Objektive hinausweist und auch nicht objektivierbar ist. Die gewohnte Welterfahrung wird umgekehrt, der Betrachter wird auf sich zurückgeworfen. Ästhetische Erfahrung findet dort statt, wo unsere generelle Weltauffassung unterbrochen und zurückgespiegelt wird.(11) Zwar kann man auch am Kunstwerk registrieren, Material, Farbe, Form, Symmetrie, Abbildungstreue, Klarheit etc. untersuchen und beschreiben, aber diese Dinge sind dem Kunstwerk äußerlich, sie bilden das außerästheti sche Substrat. Von der Ebene bestimmbarer Begrifflichkeit am Kunstwerk, der Beschreibung der empirischen Merkmale, gibt es keine Verbindung zu der des ästhetischen Urteils. Diese Erkenntnis vermittelt die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.(12) Marcel Duchamps 'Readymades', die er nach 1913 der Öffentlichkeit präsentierte, bestehen aus einfachen Gebrauchsgegenständen, die vom Künstler ohne jede Veränderung ihrer Gestalt zu Kunstwerken erklärt wurden. 1913 war es ein auf einem Holzhocker befestigt es Fahrrad-Rad, 1914 ein Flaschentrockner, 1915 eine Plastikschreibmaschinenhaube, 1917 ein unter dem Titel 'Fountain' ausgestelltes Urinoir. Auf diese Weise wird die Kunst der Wirklichkeit angenähert, indem in den Kunstwerken die Wirklichkeit sich selbst darstellt. Die Readymades verweigern die den Kunstwerken bis dahin unterstellte Nachahmungsfunktion. Sie sind einerseits Wirklichkeit (schließlich unterscheiden sie sich in nichts von einem normalen Gebrauchsgegenstand) und sind es andererseits doch nicht (auf irgendeine Weise muß sich ja das Kunst-Werk von der Realität unterscheiden, sonst wäre es keines). Duchamp erklärt die traditionellen ästhetischen Wertbegriffe in der Kunst für obsolet. Nicht durch Fertigung von Künstlerhand, sondern durch Auswahl entsteht Kunst. "Die Kunst ist die einzige Tätigkeitsform, durch die der Mensch sich als wahres Individuum manifestiert. - Der Betrachter bringt das Werk in Berührung mit der Außenwelt, indem er seine inneren Qualitäten entziffert und damit seinen Beitrag zum schöpferischen Akt leistet".(13) Andere Künstler haben Duchamps Arbeit an der bewußtseinskritischen Aneignung von Wirklichkeit und der Differenzierung des traditionellen Begriffs vom Ästhetischen fortgeführt. Sie haben zugleich die bisher latente schöpferische Eigenleistung des Betrachters betont. Robert Rauschenbergs erste Combine paintings entstanden 1953/54. In diesen Werken werden verschiedene Gegenstände (Gebrauchsgegenstände oder Abfallstoffe) mit traditioneller Malerei und Zeichnung kombiniert, werden nach den Gesetzen des Zufalls montiert und erzielen zugleich eine Irritation und eine Aktivierung des Betrachters. Eines von Rauschenbergs bekanntesten Combine paintings ist 'Black Market'. In diese Arbeit kann der Rezipient aktiv eingreifen. Er soll eines der vier Objekte, die sich in einem offenen Kasten unter dem Bild befinden, mit einem beliebigen Gegenstand, den er bei sich trägt, umtauschen. Die Objekte in dem Kasten sind gestempelt mit den Zahlen 1, 2, 3 und 4. Entsprechende Stempel und ein Stempelkissen sind ebenfalls in dem Kasten vorhanden. Es wird gebeten, das neue Objekt mit der richtigen Nummer zu stempeln und es in dem Notizblock mit derselben Nummer einzuzeichnen. Diese Arbeit ist ein Beispiel für die Bemühung, den Betrachter aus seiner passiven Rolle zu befreien und ihn in den Prozeß der Entstehung des Kunstwerkes mit einzubeziehen. Durch den Umtausch (= Schwarzmarkt) und die entsprechenden Eintragungen wird das Bild ständig verändert, der Betrachter ist zum Ko-operator geworden.(14) Diese und andere Kunstwerke, wie etwa Jasper Johns Pop-Art-Bild 'Flag on Orange Field', in dem die zweidimensionale Wirklichkeit einer amerikanischen Flagge derart mit der zweidimensionalen Wirklichkeit eines Gemäldes von einer Flagge konfrontiert wird, daß die Frage entsteht 'Is it a flag or is it a painting?'(15), oder auch Joseph Kosuths Werk der Concept-Art 'Rahmen - eins und drei', in dem Urbild, Abbild und Begriff zueinander in Beziehung gesetzt werden, sie alle verweisen auf die Erfahrungsgebundenheit des Ästhetischen.(16) Das Schöne, das 'Kunsthafte' ist nicht in einem Gegenstand objektiviert, sondern konstituiert sich erst in der aktiv reflektierenden Tätigkeit des Subjekts. Grundsätzlich gilt aber nicht nur für die Kunstwerke des 20. Jahrhunderts, daß sie im wesentlichen von der ästhetischen Reflexionsleistung des Betrachters abhängig sind. Es gibt nicht jeweils nur eine gültige Deutung eines Kunstwerks, vielmehr ergibt sich ein ganzes Feld von Bedeutungen je nach Zusammenhang, Rezipient und Standort. Kunstwerke erscheinen als 'offene Kunstwerke'.(17) Sie leben von der Dialektik von Form und Offenheit. Einerseits schafft der Künstler eine in sich geschlossene Form, eine ästhetische Totalität, von der er möchte, daß sie so, wie er sie produziert hat, auch verstanden und genossen wird. Auch Rauschenberg verbindet schließlich Intentionen mit seinem Werk, Jasper Johns und Joseph Kosuth produzieren nicht beliebig Rezipierbares, sondern eine Form, die ihrem Kunstwollen unterliegt. Andererseits bringt jeder Rezipient bei seinem Umgang mit dem Kunstwerk eine konkrete existentielle Situation mit, Sensibilität, Kennerschaft, Vorbildung, Geschmack, Neigungen, Vorurteile und dergleichen, so daß die ursprüngliche geschlossene Form in einer individuellen Perspektive konkretisiert wird. "Im Grunde ist eine Form ästhetisch gültig gerade insofern, als sie unter vielfachen Perspektiven gesehen und aufgefaßt werden kann."(18) Gerade vor dem Kunstwerk muß der Rezipient aus seiner Konsumentenrolle heraustreten, er muß aktiv werden, schöpferisch etwas leisten: die Realisation des Kunstwerks. "In der ästhetischen Kommunikation erfährt er 'die Wirklichkeit' als eine von ihm abhängige Verfaßtheit, als revidierbare und beeinflußbare Größe, deren Geschichtlichkeit die Veränderbarkeit von Wirklichkeit überhaupt paradigmatisch zeigt; er erfährt die Bedingtheit jedes Sinns und jeder Bedeutung."(19) Auf die aufklärerische Funktion der Kunst hat schon Schiller in seinen 'Briefen zur ästhetischen Erziehung des Menschen' hingewiesen. Anstelle der Religion soll die Kunst als vereinigende Macht wirksam werden können, weil sie als eine in die intersubjektiven Beziehungen der Menschen eingreifende 'Form der Mitteilung' verstanden wird.(20) Entscheidend für das Zustandekommen der ästhetischen Reflexion ist, daß der Betrachter das Kunstwerk nicht von vorneherein unter funktionalen, instrumentellen Aspekten betrachtet. Vorausgesetzt werden muß, in der Kantschen Terminologie, ein 'interesseloses Wohlgefallen'. Ohne es wird das Kunsthafte des Kunstwerks gar nicht wahrgenommen, sondern allenfalls hingenommen. Aber auch der Versuch, eine einmal erarbeitete Deutung eines Kunstwerks als 'die' Bedeutung zu fixieren, verfehlt den Sinn der Kunst, jede Bemühung, eine Auslegung verbindlich zu machen, tut dem Kunstwerk Gewalt an. Beides, die Präjudizierung des Kunsturteils unter einem fixierten Erkenntnisinteresse, wie auch die Fixierung des Kunstwerks auf eine einmal erarbeitete Erkenntnis sind Formen des Ikonoklasmus. Ikonoklasmus ist jede Form der Auseinandersetzung mit moderner Kunst, die das freie Spiel der Sinnes- und Verstandeskräfte gegenüber dem ästhetischen Objekt zugunsten einer begrifflichen Fixierung vernachlässigt oder stillstellt. Man ist gewohnt, Ikonoklasmus auf physische Aktionen gegen Kunstwerke einzugrenzen. Wenn im folgenden der Begriff des Ikonoklasmus weiter gefaßt wird, dann deshalb, weil so die spezifischen Probleme mit Kunst in der Kirche pointierter beschrieben werden kö nnen. Andererseits soll deutlich werden, daß der so gefaßte Begriff des Ikonoklasmus keine Eigenart des Christentums oder der Religionen allgemein beschreibt.(21) Ikonoklasmus ist ebenso die politisch motivierte Bildzerstörung, wie die Ausübung von Zensur gegen Kunst, als auch jede Form des erkenntnisintentionalen Umgangs(22) mit der Kunst, einschließlich des wissenschaftlichen, da dieser sie auf Aussagen, Inhalte, Strukturen etc. festlegt. Andererseits ist Ikonoklasmus nicht im pejorativen Sinn als 'barbarische' Einstellung gegenüber Kunst zu verstehen, wie sich dies im Gefolge der deutschen Klassik im Allgemeinen durchgesetzt hat.(23) Ikonoklasmus meint vielmehr jede Stillstellung oder Erstarrung der ästhetischen Erfahrung durch Eingrenzung, Ausgrenzung, Applikation oder Bevormundung, aber auch jene Kristallisationspunkte ästhetischer Erfahrung, die sich als produktive Erkenntnisakte erweisen.(24) Das bedeutet, daß der Ikonoklasmus und die ihn stützenden Theorien auch positiv bewertet werden können: "Die bilderstürmerischen Theorien gehören zu den großen geistigen Hervorbringungen ihrer Zeit, und die Formen ihrer praktischen Übersetzung waren so vielfältig und originell wie die Impulse, die zur Herstellung der Bilder nötig waren: Bildersturm konnte ebenso schöpferisch sein wie Bildproduktion."(25) Zu unterscheiden sind die Formen des Ikonoklasmus im Hinblick auf ihre Folgen für die Kunst. Grob skizziert ergeben sich vier Typen ikonoklastischen Umgangs mit ästhetischer Erfahrung im Kontext Kirche:
Jede dieser Formen hat ihren bestimmbaren historischen und systematischen Ort. Bilderstürme und die sie begründenden Theorien sind Reflexe bestimmter Zeitsituationen. Doch gibt es eine Kontinuität nicht nur der Bilderstürme, sondern auch einzelner Momente der sie legitimierenden Theorie. Die bekannteste Ausprägung der Bilderfeindschaft im Kontext Kirche ist jene, die unter theologischen Erwägungen die Kunst aus dem religiösen Erfahrungsbereich ausgrenzt, weil sie in ihr eine Gefährdung des Glaubens sieht. Diese Form der Bilderfeindschaft hat dem Ikonoklasmus seinen Namen gegeben. Er steht für die theologisch motivierten Bilderfeinde und Bilderstürmer im Byzanz des 8. Jahrhunderts.(26) Diese bestreiten der Kunst die Fähigkeit, religiöse Erfahrungen im Bild zu versinnlichen, ohne zugleich den religiösen Glaubensbestand zu gefährden. Ihr Verdacht ist der, daß das Abbild in der Kunst sich gegenüber seinem religiösen Urbild so verselbständigt, daß es selbst zum religiösen Objekt wird und damit zur Idolatrie verleitet. Das theologische Bezugsfeld gab der Streit um die Natur(en) Christi ab, an dem seit dem 4. Jahrhundert die besten Wissenschaftler beteiligt waren und auf dessen hoch entwickeltem Niveau die Bilderfrage diskutiert wurde. Während noch der den byzantini schen Bilderstreit auslösende Kaiser Leo III. zur Abwehr der religiösen Bilder hauptsächlich den auch schon in der Hebräischen Bibel gebräuchlichen Vorwurf des Götzendienstes vorbrachte, bevorzugten die späteren ikonoklastischen Theologen bereits eine Weit erentwicklung der christologischen Vorbehalte gegen das Christusbild.(27) Um zu verstehen, warum im 8. Jahrhundert die Bilderstreitigkeiten mit solcher Vehemenz ausbrachen, ist ein Blick auf die gängige Bildpraxis nützlich. Im Laufe des 6. und 7. Jahrhunderts tritt im Verhältnis zum Bild ein grundlegender Wandel ein. Bis dahin w aren nur wenige Bilder Gegenstand theologischer Erörterungen geworden, welche zudem unter einem verstärkten legitimatorischem Druck standen (Was u.a. die Tatsache belegt, daß einige Bilder auf 'himmlischen' Ursprung zurückgeführt wurden). Nun häufen sich jedoch die Zeugnisse für Heiligen- und Christusbilder, es wird ihnen zunehmend mehr Eigengewicht zugemessen. Man baut ihnen zu Ehren Kirchen, geleitet sie wie das Kaiserbild in Prozessionen; geheimnisvolle Kräfte wohnen jetzt im Bild, es heilt Krankheiten und wehrt Unheil ab. Neuplatonische Ideen aufnehmend, wird den Bildern eine Verbindung mit dem Dargestellten eingeräumt. Die Ehre, die einem Bild erwiesen wird, kommt dem Heiligen zu; ebenso trifft aber auch die Verunehrung den Heiligen. Die Differenz zwischen Bild und Abgebildetem verringert sich zunehmend und verschwindet auf der Ebene der Praxis fast völlig.(28) Die sogenannten Ikonoklasten haben diese Praxis, die keinesfalls nur eine Abirrung des 'gemeinen' Volkes war, sorgfältig studiert und mit der geltenden theologischen Theorie in Beziehung gesetzt. Aufgrund der Analyse der herrschenden Praxis der Bilderverehrung kommen sie zu dem Ergebnis, daß zwischen Bild und Abgebildetem eine (Teil-)Identität bestehen muß. Wenn dies aber so war, und sie konnten täglich beobachten, daß von den Bildern Wunder erwartet und erlebt wurden, daß ihnen magische Kräfte zugesprochen wurden, wenn also Christus-Bild und Christus selbst die gleichen Möglichkeiten der Wirksamkeit zugeschrieben wurden, dann war das dogmatisch höchst illegitim. Die Gegner der religiösen Bilder lehnten diese nicht ab, weil sie eine andere Theorie der Praxis hatten, sondern weil sie die zur Theorie erhobene Praxis bis zu der Erkenntnis weiterführten, daß - unter der Voraussetzung einer (Teil-)Identität von Urbild und Abbild - das einzig denkbare und praktisch mögliche religiöse Bild das Abendmahl ist. Die theoretische Betonung der Praxis schlägt hier um in deren Ablehnung. Gegen diese Argumentation verwiesen die Bilderfreunde auf die ihrer Ansicht nach das Bild ermöglichende Inkarnation Christi. Denn da Gott wesentlich und wahrhaftig Mensch wurde, als Mensch auf Erden lebte, litt, gekreuzigt wurde und auferstand, ist es möglich und erlaubt, von ihm ein Bild zu machen. Aus der Tatsache, daß Christus Mensch wurde, folgt konsequent die Möglichkeit, ihn malerisch in Erscheinung zu bringen. Schließlich unterliegt alles Materielle der Möglichkeit malerischer Darstellung. Wer also nicht gemalt werden kann, der ist folgerichtig auch nicht richtig Mensch. Aus der Möglichkeit der figürlichen Darstellung Christi wird so unter der Hand ihre heilsgeschichtliche Notwendigkeit. So konnte die bilderfreundliche Theorie der Theologen des 8. Jahrhunderts sogar behaupten, es werde durch die Abschaffung der Bilder und ihrer Verehrung auch Christus verleugnet und sein Heilswerk aufgehoben. Für die Bilderfreunde war das strukturell Einigende zwischen Bild und Prototyp oftmals wichtiger als die stoffliche Differenz. Zwar werde niemand "derartig irrsinnig sein, den Schatten und die Wahrheit, den Prototyp und das von ihm Abgeleitete, die Ursache und das aus ihm Hervorgegangene für der Substanz nach eins zu halten", aber dennoch sei das Bild Christi "im Grunde nichts anderes als Christus selbst, abgesehen von der Verschiedenheit der Materie."(29) Das Bild Christi bekommt einen sakramentalen Charakter. Johannes von Damaskus kann sogar den Satz prägen: "Ich sah das Bild Gottes in Menschengestalt und meine Se ele ward gerettet, und der Patriarch Nikephoros gibt - in einsamer Übertreibung - der Ikone bezüglich der Heilswirksamkeit eindeutig den Vorzug vor dem Wort Gottes."(30) In einem Punkt ist die byzantinische Orthodoxie nicht so weit entfernt von ihren ikonoklastischen Gegnern. Beide unterstellen den Bildern weitreichende Wirkmöglichkeiten. Während aber die orthodoxen Bildtheologen ihre bildtheoretischen Einlassungen immer wieder zugunsten der theologischen Dogmatik relativieren müssen, d.h. gezwungen waren, dem Abgebildeten gegenüber dem Abbild Dominanz zuzusprechen, beharrten die ikonoklastischen Theoretiker konsequent auf der Unversöhnlichkeit von Bild und theologischem Wort, weil sie aus der Bildpraxis wissen, daß dem Abbild zumindest die gleiche Fähigkeit zur Wirkung unterstellt wird wie dem Abgebildeten. Die Theorie der Ikonoklasten geht aufgrund einer theologischen Erörterung der den Kunstwerken unterstellten Wirksamkeit davon aus, daß Kunst innerhalb des Kontextes Kirche in Konkurrenz zu den Glaubenssätzen und -inhalten tritt. Die Ikonoklasten setzen sich daher für eine Trennung von Kunst und Kirche ein. Kunst ist für sie nur insoweit zulässig, als sie sich aus dem Darstellungsbereich des Religiösen heraushält. Der säkularen Kunst haben die Ikonoklasten dagegen, soweit sich dies aus den wenigen vorhandenen Quellen schließen läßt, durchaus offen gegenübergestanden. So sind die angeblichen 'Bilderfeinde' in Wirklichkeit eher Bilderfreunde, arbeiten sie doch selbst bei den Werken, die sie ablehnen, mit einer Theorie, die den Kunstwerken in einem fast modern zu nennenden Sinn einen eigenen auratischen Wert zuschreibt. (31) In der Gegenwart gibt es keine relevante Position innerhalb der Kirche, die die Argumentation der byzantinischen Bilderstürmer in ihrer Radikalität und Konsequenz übernehmen würde. Aber die Überzeugung, daß die Kunst nicht uneingeschränkt im Kontext Kirche aktiv sein darf, teilen viele. Die Künstler dagegen und die sie begleitende ästhetische Theorie haben auf ihre Weise die Konsequenzen aus der ikonoklastischen Theorie und ihrem ikonodulen Spiegelbild gezogen. Im Prozeß ihrer Autonomisierung gelang es ihnen, ihre Produktion und ihre Produkte von jeglicher Nutzanwendung zu befreien, das heißt von der Respektierung moralischer Zensuren, ästhetischer Programme einer Kirche, von akademischen Kontrollen oder von Aufträgen der politischen Macht.(32) Nun sind es die Künstler, die von sich aus die Kirche meiden und ihre Werke dem religiösen Bereich fernhalten. Auch jene religiösen und theologischen Urteilsbildungen, die Kunst innerhalb oder auch außerhalb des Kontextes Kirche inhaltlich und formal auf den Ausdruck religiöser Erfahrungen beschränken wollen, verfehlen die spezifische Eigenart ästhetischer Erfahrung. Nach einer Verbrennung von 'Eitelkeiten' in Bologna 1423 versammelten sich erregte Maler bei Bernhard von Siena und beklagten sich darüber, daß sie - da sie den Lebensunterhalt mit dem Bemalen der vernichteten Gegenstände verdienten - zu Bettlern würden. Bernhard rät ihnen, nur noch religiöse Themen zu gestalten. Der Franziskaner Bernhardin von Feltre "schonte selbst die schönsten Gemälde nicht, wenn sie heidnische oder schamlose Dinge darstellten".(33) Historisch ist Girolamo Savonarola ein Beispiel für den Ver such, den Prozeß der Verweltlichung der Kunst, der insbesondere in der Renaissance zutage tritt,(34) zugunsten einer Resakralisierung anzuhalten. Zur obersten Richtschnur der Kunst nicht nur im Kontext Kirche wird die 'christliche Einfalt'. Savonarola "geißelte namentlich die Darstellung des nackten Körpers als unkeusch und verderblich, zumal da die Gemälde in den Kirchen die Bücher für Kinder und F rauen seien."(35) Er fand es außerordentlich unpassend, daß zunehmend auf den Werken der bildenden Kunst nicht nur biblische Gestalten, sondern auch gewöhnliche Menschen dargestellt wurden.(36) Neben die Forderung nach Einfachheit und Realismus trat die nach Allgemeinverständlichkeit im Dienst religiöser Pädagogik, "da die Figuren der Kirche die Bücher der Kinder seien und den Ungebildeten und Unkundigen an Stelle des Lesens zu Hilfe kommen."(37) Kunst muß jeden 'Eindruck des Gekünstelten' vermeiden, den des 'Einfachen und Natürlichen' erwecken. Ein weiteres wichtiges Moment in der Argumentation Savonarolas war die Forderung, das beim Verzicht auf die Aneignung von Kunstwerken gesparte Geld lieber den Armen zu spenden. Es war ein Kampf gegen die Sinnlichkeit, gegen Weltzugewandtheit und gegen 'vanagloria', Eitelkeit: Verinnerlichung, und durch sie Innerlichkeit, war Savonarolas Ziel. Kunst wird in diesem Falle auf nur einen Darstellungsbereich begrenzt, wobei tendenziell diese Vorstellung von Kunst über den Kontext Kirche in den gesamten Kunstbereich hinausweist. Vorausgesetzt wird von diesen Ikonoklasten ein theologisches Vorwissen darüber, was für den Menschen gut und nützlich ist. Jedenfalls gehört die weltliche Kunst nicht dazu. Kunst ist hier weniger 'ancilla ecclesiae' als vielmehr ein Teil der Theologie, partiell mit ihr identisch. Hier gilt, was schon die byzantinischen Bilderfr eunde vertraten, daß nämlich "die Schöpfung der Bilder nicht der Erfindung des Malers, sondern der katholischen Kirche entspringt ... Der Maler schafft allein die techne, die materiellen Mittel der Bildherstellung."(38) Den Bildern wird keine eigene Wirksa mkeit zugestanden, sondern allenfalls eine zweckbezogene. Der vom Rezipienten zu leistende Anteil am Bild soll allein auf die von der Kirche gesetzten sakralen Inhalte und Ziele gelenkt werden, keinesfalls darüber hinaus sich den Kunstwerken als solchen zu wenden. Savonarola will "die Kunst aus der Sphäre vermeintlicher Autonomie wieder zurückführen in ihre Funktion eines "gemeinschaftsstiftenden" (Weber), lehrhaften Zusammenhanges, dem zu diesem Zeitpunkt einzig die traditionelle Religion einen schlüssigen Rahmen bietet."(39) Daß Savonarolas Kunsttheorie nicht prinzipiell kunstfeindlich war, zeigt ein Blick auf die Entwicklung des Malers Sandro Botticelli (1445-1510). Dieser hatte ursprünglich dem Kreis um den Medici-Fürsten Laurenzo nahegestanden. Im Auftrag der Medicis schuf er Werke, die heute weltberühmt sind, so die Darstellungen der 'Primavera' und der 'Geburt der Venus'. Nach dem Tode Lorenzos wurde Botticelli immer mehr zum Anhänger Savonarolas, während er weiterhin überwiegend für die Medici arbeitete. Gleichzeitig versuchte er, Savonarolas Kunstauffassung umzusetzen.(40) 1501 malte Botticelli die 'Nativita mistica'. Bei diesem Bild hielt er sich eng an Savonarolas Vorschriften. Aber künstlerisch ist das Werk umstritten: Während die einen in ihm ein schallendes Gloria in excelsis Deo vernehmen, kommen andere zu weniger positiven Schlußfolgerungen: "Die absichtliche Verleugnung fast jeder Perspektive, die Vernachlässigung der Proportionen, die Absage gegen jede individuelle Verschiedenheit in einer Zeit, in der das künstlerische Wissen gerade den höchsten Grad erreichte, ist zu gesucht, um zu befriedigen, so wenig wie es die Kunst der Zeit in neue gesunde Bahnen führen konnte."(41) Der Ikonoklasmus, für den Savonarola steht, ist mit ihm nicht untergegangen. Er hat Kontinuität in verschiedenen Forderungen des bürgerlichen Christentums der Gegenwart. Insofern kann Savonarola zu Recht auch als Prototyp des bürgerlichen Führers bezeichnet werden.(42) Im Heidelberger Fensterstreit etwa kommen analoge Vorstellungen zu Wort, wenn auch in gemäßigter Form. Die Parallelen beginnen damit, daß vom Künstler Recht-Gläubigkeit gefordert wird, daß verlangt wird, daß das künstlerische Werk sich der Funktion der Kirche unterzuordnen habe. Auch die Erwartung, daß nicht Themen der Welt, sondern ausschließlich biblische Geschichte(n) den Bildinhalt bilden müssten, die Hervorhebung der didaktisch-pragmatischen Funktion der Kunst in der Kirche als 'litterarum laicorum', die Forderung nach ungekünstelter Naivität der Kunstwerke und auch im Umgang mit der Kunst, nach Verinnerlichung und Innerlichkeit sowie die Suggestion, Geld für die bildende Kunst und für die Armen seien einander ausschließende Alternativen, könnten durchaus von Girolamo Savonarola stammen. Ihr 'Alltagsgesicht' zeigt die theologische Hermeneutik gegenüber der Kunst dort, wo sie von der Kunst nichts anderes erwartet, als die Illustrierung religiöser Erfahrungen und biblischer Geschichte(n). Sie subsumiert die ästhetische Form ganz der theologischen Funktion. Diese Form der Begrenzung der ästhetischen Leistung auf ihre illustrative oder didaktische Funktion kennzeichnet den größten Teil der Geschichte von Kunst und Kirche seit der konstantinischen Wende. Es ist sozusagen die lautlose und nicht gewaltsame, dafür aber effektive Form des Ikonoklasmus. Ihre Geschichte ist vor allem mit den Begriffen 'biblia pauperum' und 'litterarum laicorum' verbunden und gekennzeichnet von der Bemühung, die Kunst im Status der 'ancilla ecclesiae' zu halten. Bis in das 17. Jahrhundert ist die Hervorhebung didaktischer und illustrativer Funktionen der Kunst nicht eine Form des Ikonoklasmus im strengen Sinn, koinzidiert sie doch mit Grundzügen mittelalterlicher Ästhetik. Das Kunstwerk unterschied sich damals nicht von Kleidung oder handwerklichen Gebrauchsgegenständen. Für das Denken des Mittelalters war jedes Material mit einer spezifischen Anschaubarkeit verbunden, die von seinem Verwendungszusammenhang abhing.(43) Erst in dem Maße, in dem die Kunst von ihrer Unterordnung unter die Funktion frei wurde, kollidierte sie mit den gegenläufigen Interessen derer, die vorher Nutznießer einer funktional bestimmten Kunst waren. Während die Kunst also im Zuge ihrer Autonomisierung die Form eroberte und ihr den Primat über die Funktion gab,(44) hat die Kirche die Kunst weithin auf ihren funktionalen Charakter zu beschränken gesucht.(45) Die Werke der bildenden Kunst sollen biblische Geschichte(n) und Gestalten zur Darstellung bringen, sie sollen in den Dienst der Verkündigung treten. Sie bilden dabei einen Wort-Ersatz, der wegen seiner Anschaulichkeit geschätzt wird. Ein Blick auf die kirchliche Literatur und kirchliche Periodika, auf religionspädagogische Ausarbeitungen, auf die Ausstattungen von Kirchen und Gemeindehäusern offenbart eine optische Katastrophe. Die Herausforderung durch die zeitgenössische Kunst, durch Kunst überhaupt, wird nicht wahrgenommen, geschweige denn angenommen. Die Situation prägt weniger die Wahrnehmung der korrektiven Funktion des Bildes gegenüber einer sich im Wortfetischismus zu erschöpfen drohenden Religion, als vielmehr seine Indienstnahme im Sinne der mittelalterlichen 'biblia pauperum'-Tradition. Autonomie wird der längst autonom gewordenen Kunst nicht zugestanden. Religiöses Kunsthandwerk, das unverdrossen biblische Szenen im neo-expressiven Stil abbildet, beherrscht die Situation. Aber auch da, wo gegenwärtige theologische Hermeneutik im positiven Sinn auf Kunst sich bezieht, hat sie Momente des Ikonoklasmus in sich aufgenommen. Die Mehrzahl der Theologen bleibt einer Methodik verbunden, die hinter der Erscheinungsform des Kunstwerks bestimmte Verweise entdecken will: "Der Theologe sucht nach religiös relevantem Gehalt in jedem Bild, und zwar auf jene Weise, in der er durch die Deutung heilsgeschichtlicher Darstellungen geschult ist: Die Bilder werden einer ihnen vorgängigen außerbil dlichen Realität untergeordnet, der sie im Schema symbolischer Repräsentation zu gehorchen haben."(46) Damit löst er sich letztlich nicht von einem Modell der Kunst, in dem dieser nur illustrative Aufgaben zugeordnet werden. Illustriert wird hier nicht biblische Geschichte(n), sondern eine bereits vorher fixierte theologische Erkenntnis. Es kann nicht bestritten werden, daß die Versuche, sich im Diskurs von Kunst und Theologie ihrer Gemeinsamkeiten versichern zu wollen, wichtig sind, nur dürfen sie nicht von einer Verhältnisbestimmung ausgehen, die weniger in herrschaftsfreier Kommunikation gründet als vielmehr ein Hase-Igel-Verhältnis(47) beschreibt. "Zwar gilt der Erfahrung der Bedeutung das eigentliche theologische Interesse an den Bildern, diese wird aber eher durch vorgängige Legitimation sichergestellt als durch verstehende Erfahrung zu erlangen gesucht."(48) Das applikative Interesse der Theologie kann auch als erkenntnisproduktiv beschrieben werden, freilich unter punktueller Vernachlässigung der Eigenarten ästhetischer Erfahrung. Als 'legitimer' Ikonoklasmus läßt sich das Spannungsverhältnis zwischen Theologie und Kunst bezeichnen, in dem die theologische Hermeneutik ästhetische Erfahrung momentan stillstellt, um aus ihr Erkenntnisse für die Theologie zu gewinnen. Bestimmt man ästhetische Erfahrung als die Denkarbeit beim wiederholten Versuch, eine besondere sinnliche Erfahrung unter einen allgemeinen Begriff zu bringen(49) und hält zugleich daran fest, daß ein Kunstwerk ästhetisch gültig ist, insofern es "unter vielfachen Perspektiven gesehen und aufgefaßt werden kann",(50) dann ist Deutungsfähigkeit ein Konstitutivum des Kunstwerks. Aber Auslegung kann nicht so geschehen, daß der Betrachter die Deutung eines Kunstwerks oder die Weise seiner Rezeption fixiert. Vielmehr wäre der Denkprozeß gegenüber dem Kunstwerk aufzufassen als das Festhalten einer Erkenntnis, "wie sie im Moment der Gefahr aufblitzt."(51) Faßt man Kunst auch als sedimentierte historische Erfahrung, als eine "Semantik, die Stück für Stück aus dem Inneren des Mythos herausgelöst und in den Werken der großen Kunst messianisch, d.h. für den Gebrauch der Emanzipation freigesetzt und zugleich auf bewahrt worden ist",(52) dann gilt es, sie der Erkenntnis wieder zugänglich zu machen. Kunstwerke sind dann auch ein Schlüssel für das Verständnis von Gegenwart und Vergangenheit. Sie können nicht nur danach beurteilt werden, welchen Genuß sie vermitteln, und sei es den des Erschreckens, sie können auch befragt werden, wie sich in ihnen die gesellschaftliche Entwicklung spiegelt, welche Auskunft sie auf Fragen der Zeit geben oder wie sie auf Veränderungen der menschlichen Kommunikation reagieren. Sie sind ein Indikator der Hoffnungen und Ängste, der Utopien und Leiden der Menschen. Die Interpretation hat die sozialen Gehalte der Kunstwerke zu erarbeiten. Dabei ist sie nicht an Werke gebunden, die durch ihren Realismus schon als Spiegel der Wirklichkeit erkennbar sind. Vielmehr sind gerade die Werke der Moderne Reflexe gesellschaftlicher Situationen. So reagiert die informelle Malerei auf das Zerbrechen der Welt in den beiden Weltkriegen, die Pop-Art auf die Standardisierung der Sehgewohnheiten durch die Massenmedien und die neue deutsche wilde Malerei auf die mangelnde Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. In diesem Sinne kann von Kunst gesprochen werden "als eine(r) Art von Sprachkode für Prozesse, die in der Gesellschaft ablaufen, als einen Kode, der mit Hilfe der kritischen Analyse zu dechiffrieren ist."(53) Die Arbeiten Emil Schumachers(54) zeigen aufgerissene Flächen, erdige Farben und Materialien. Seine Bilder rufen Assoziationen hervor an alte Mauern, verwitternde Inschriften, auch an unbeherrschte Gewalt und spontane Zerstörung. Sie wirken wie von unbekannter Hand hinterlassene Botschaften, ihrer Entschlüsselung heischend. Schumachers Werke bilden nicht Wirklichkeit ab, sie machen erfahrene Welt sichtbar. Den gestischen Schriftzeichen korrespondieren Bildtitel, die in ihrer lautmalerischen Gestalt wie Chiffren des Archaischen wirken. Oftmals sind es auch Begriffe der griechischen und hebräischen Mythologie, ohne daß ihnen jedoch konkrete Bildinhalte entsprechen würden. Dabei sind die Arbeiten Schumachers kein Ausdruck von Weltflucht, keine Abwendung von der Welt wie bei Franz Marc. Schumachers Kunst "ist allenfalls Zeichen der Vereinzelung, Individuation in einer Epoche, in der die übergeordneten Lebensregeln und -inhalte zerbrochen sind, in der auch das Wort Gemeinschaft nicht mehr trägt. Der kritische Ansatz dieser Kunst ist insoweit unüberhörbar. Dem stellt der Künstler seinen Entwurf der Begegnung mit Welt gegenüber, der äußeren und nicht weniger der inneren ... Das ungestüm entworfene Bild wird zum Dokument, zum Aufschrei solcher Begegnung".(55) So reagiert der Künstler sensibel auf die Zeitgeschichte, auf Veränderungen der Gesellschaft, auf ihren Erosionsprozeß. In der aktuellen Kunstproduktion lassen sich gesellschaftliche Momente dechiffrieren. Betrachtet man die Entwicklung der Kunst seit den siebziger Jahren, so läßt sich bei maßgebenden Kunstströmungen eine 'Rückkehr zum Heiligen' feststellen. Faszination und Schrecken des Heiligen treten verstärkt in den Vordergrund, zugleich wird der 'schöne Schein' wiederentdeckt. Dabei lassen sich mit Stephan Schmidt-Wulffen zwei 'Spielarten' unterscheiden: "Für die einen zeigt sich im Schönen eine transzendente Wahrheit. An Urbildern, nicht an Abbildern versuchen sich diese Maler. Den Schein als Trug nehme n Künstler, die an Wahrheiten nicht mehr glauben können und eine 'Ästhetik der Verführung' propagieren."(56) Die Enttäuschung der gescheiterten Revolution von 1968 provoziert eine Kritik der Aufklärung, eine Überprüfung der kritischen Momenten der Moderne, verbunden mit der Frage nach den Schattenseiten der Aufklärung, dem Mythos, dem ganz Anderen, dem rational nicht Subsummierbaren, dem Heiligen. In der kritischen Retrospektive bekamen zugleich Werke der Kunstgeschichte, die auch als Kritik der Aufklärung 'gelesen' werden können, eine aktuelle Brisanz.(57) Die Theologie kann nun nicht einfach aufatmen über die "Rückkehr des Heiligen" in der Kunst, geht diese doch im wesentlichen an den Intentionen und Grundlagen christlicher Theologie vorbei. Sie muß sich der Auseinandersetzung stellen, ihren gesellschaftlichen Ursachen und Bedürfnissen nachgehen. Dazu muß sie zunächst aber auch die Werke der modernen Kunst lesen lernen, sich von ihnen anregen lassen. Es stellt sich natürlich die Frage, wie Kunst und Theologie produktiv miteinander umgehen können, wie sich ihre unbestreitbaren Gemeinsamkeiten, aber auch ihre Unterschiede nutzen lassen für den theologischen Diskurs zur Kunst. Ausgeschlossen sind dabei jene Wege, die als (illegitime) Formen des Ikonoklasmus vorstehend beschrieben wurden: zum einen, weil es historisch überholte Wege sind, zum anderen, weil sie zielsicher an der genuinen ästhetischen Erfahrung vorbeiführen. Infrage kommt nur ein Modell, das beiden Bereichen verbunden bleibt, ein Problem, das man zurecht paradox als die Aufgabe beschreiben kann, "eine autonome Ästhetik heteronom zu denken, ohne dabei einem der beiden Bezugspunkte "Ästhetik" und "Theologie" Gewalt anzutun."(58) Die Perspektive des Gesprächs zwischen Kunst und Theologie liegt in der Koinzidenz ihrer Momente: zwischen Bilderverbot und ästhetischem Schein. Das Paradigma christlicher Kunsterfahrung ist der Bilderstreit. Die Arbeit "Bilderstreit" von Anselm Kiefer gehört zu einer Serie von Bildern, die zwischen 1976 und 1978 entstanden sind und sich mit einer historischen Erscheinungsform des Bilderstreits, dem byzantinischen Bilderstreit im 8. und 9. Jahrhundert, beschäftigen. Der Bilderstreit wird dargestellt als militärischer Kampf um die Palette des Malers. Sie bildet das Zentrum des Bildes, einige blaße Farbtupfer sind auf ihr noch zu erkennen. Umstellt ist die Palette vollkommen anachronistisch von Panzern, Attributen moderner Militärtechnologie. Verstreut über das Bild Namen von Protagonisten im Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts. Dabei verteilen sich die Namen so, daß die sogenannten Bilderfeinde außerhalb, und die Bilderfreunde auf der Palette zu finden sind. Kiefers Stellung in diesem Feldzug scheint auf den ersten Blick klar: "'in hoc signo vinceris', schreibt er auf eine gemalte Fahne mit dem Emblem der Palette. Keine verlorene Schlacht kann den Glauben an den Sieg der Malerei zerstören, denn noch in dem Bild der verbrannten Erde triumphiert das Emblem der zerborstenen Palette."(59) Danach würde sich der Künstler mit der Position der Bilderfreunde identifizieren. Auf den zweiten Blick relativiert sich diese Interpretation jedoch. Vielmehr erscheint es so, als ob der Künstler den Bilderstreit aufgenommen hat als einen Streit um die Kunst im Bild selbst. Auf der einen Seite stehen jene Momente, die den absoluten Gelt ungsanspruch des Werks vertreten, auf der anderen Seite jene, die von der absoluten Scheinhaftigkeit der Kunst zeugen, sie ins unverbindlich Spielerische abzuschieben drohen. Dieser Bilderstreit im Bild ist mehr als aktualisierende Illustration eines historischen Ereignisses, er verdeutlicht die Ambivalenz des Kunstwerkes zwischen seinem absoluten Geltungsanspruch(60) und seiner gesellschaftlich eingeschränkten Wirkungsmächtigkeit. Historisch vertreten die Bilderfreunde in Byzanz, wie wir sahen, (in der Theorie) eine Position der Nichtidentität von Urbild und Abbild, der Unverbindlichkeit der Kunst, die nur als Zeichen für etwas anderes, Übergeordnetes instrumentalisiert wurde, was z ugleich bedeutet, den Anspruch der Kunst auf Verbindlichkeit zu unterlaufen. Dagegen vertraten die Bilderfeinde die Position der Identität, behafteten Kunst mit der daraus entstehenden Verbindlichkeit (ein Anspruch, den diese nicht einlösen konnte) und zog en daraus die Konsequenzen. Indem Kiefer beide Positionen in sein Werk aufnimmt, sie als Formeln für aktuelle Kunstphänomene reaktiviert, strebt er eine dritte Position an, jene der nichtidentischen Identität,(61) die in der Reflexion auf den Scheincharakt er der Kunst deren Verbindlichkeit erkennt. Die Kunst Kiefers verbietet sich eine Position, die im Entweder-Oder steckenbleibt, sie nimmt den Widerspruch als zu lösenden in sich auf, initiiert einen Reflexionsprozeß beim Betrachter. Setzt man diese Interpretation in Beziehung zu den neuesten Auslegungen des Bilderverbots in der Hebräischen Bibel so ergeben sich auffallende Parallelen. Topos des alttestamentlichen Bilderverbots ist das Verbot des Kultbildes,(62) m.a.W. die theologische Relativierung des absoluten Geltungsanspruchs des Bildes. Ist in seinen ältesten Schichten das alttestamentliche Bilderverbot eine Ablehnung der urbanen Gottesverehrung (mittels goldener und silberner Götterbilder) zugunsten nomadischer Kultbräuche (Schla chtopfer), so entwickelt es sich später schrittweise vom konservativen Kultgesetz zum antisynkretistischen Bilderverbot. Bei Hosea findet sich dann erstmals eine entwickelte Bilderkritik: "Hosea erkennt die Ambivalenz des Bildes, d.h. unabhängig von den da mit verbundenen Vorstellungen ist jedes Bildmaterial immer schon 'besetzt'. Bestimmte Symbole und Darstellungen könnten zwar ihren legitimen Raum im JHWH-Kult haben; da die Ikonographie aber die nötige spezifische Differenz zwischen JHWH- und Baal-Kult nicht liefern kann, muß für Hosea das Bild als polyvalenter Träger religiöser Ideen abgelehnt werden. Hosea kritisiert somit nicht das Bild als Bild, sondern das Bild als Träger unterschiedlicher und für ihn nicht zu vereinbarender religiöser Ideen."(63) Es kommt darauf an, einzusehen, wie berechtigt die Bilderkritik Hoseas ist, um aus ihr Folgerungen für das Verhältnis von Kunst und Kirche zu ziehen. Hosea kritisiert das Bild da, wo ihm unter religiösem Vorzeichen ein Verbindlichkeitsanspruch zugewiesen w ird, den es faktisch durch seine prinzipielle Mehrdeutigkeit nicht einlösen kann. Gerade weil auch das Kultbild letztendlich doch polyvalent bleibt, droht es, das Dargestellte zu relativieren, seine Verbindlichkeit aufzulösen. Hosea wird zum Bildkritiker, weil er erkennt, "daß die Repräsentanz an die Stelle des Repräsentierten getreten ist."(64) Was theologisch eine Not ist, ist ästhetisch jedoch eine Tugend. Das Bilderverbot beschreibt so eine Eigenschaft des Kunstwerks und zieht daraus die Konsequenzen. Mit Hosea ist jede Forderung abzuweisen, Kunst habe zur Illustration religiöser Ideen zu dienen, ist aber auch jeder Versuch zu problematisieren, "Kunst als säkularisierte Kirche zu autorisieren."(65) Folgt man Christoph Dohmen,(66) dann stellt der Bilderstreit einen Indikator theologischer Krisenprozeße dar: er tritt immer dann auf, wenn tieferliegende theologische Probleme zu klären sind. Umgekehrt wird man sagen können, daß Bilderstreit auch bestimmte kunstimmanente Entwicklungen indiziert: er tritt immer dann auf, wenn Bilder unter Verlust ihrer Deutungsvielfalt zu Kultbildern zu werden drohen. Bilderstreit ist so zum einen der Streit der Bilder mit der Theologie, gegen die sie einen absoluten Geltu ngsanspruch anmelden, zum anderen der Streit der Theologie mit den Bildern, indem diese den Anspruch der Bilder zurückweist, und zum dritten das Moment des Ikonoklastischen in den Bildern selbst.(67) Während die Kunstwerke aus sich heraus die Theologie in Frage stellen, muß die Theologie ihre Fragen immer wieder an die Kunst herantragen. Wie wir gesehen haben ist das stärkste Kapital der Theologie in der Auseinandersetzung mit der Kunst zugleich eines der ältesten Momente christlich-jüdischer Religion: das Bilderverbot. Gerade im Normativen des Bilderverbots koinzidiert die Theologie mit einem Moment des Kunstwerks: dem ästhetischen Schein. Das hat Th.W. Adorno in seiner nachgelassenen 'Ästhetischen Theorie' präzise formuliert: "Das alttestament(liche) Bilderverbot hat neben seiner theologischen Seite eine ästhetische. Daß man sich kein Bild , nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich."(68) Ganz in diesem Sinn hat B. Brock in seinem Beitrag zur documenta 8 geschrieben, Schönheit und Wahrheit und Ganzheitsanspruch seien prinzipiell unerfüllbare Postulate, denen die Aufgabe zukomme, kritische Folie dogmatischer Geltungsansprüche zu sein. Diese Funktion verlören sie, sobald sie sich selbst dogmatisch zu verabsolutieren begännen.(69) In Umberto Eco Erfolgsroman "Der Name der Rose" erringt die Theorie des Lachens als Methode ästhetischer Transzendierung der theologischen Lehre keinen Sieg. Wie in der mittelalterlichen Lachkultur ist das Lachen auch hier eher die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Aber auch die theologische Lehre kann am Ende nicht triumphieren. Noch im scheinbar apokalyptisch inspirierten Untergang, den sie zur Verhinderung einer ästhetischen Kultur des Volkes in Szene setzt, erkennt sie das Ästhetische als ernstzunehmendes Gegenüber an. So erweist sich auch im postmodernen Roman, daß eine Verabschiedung des Theologischen im Namen des Ästhetischen, wie auch die Verabschiedung des Ästhetischen durch die Theologie nur unzulängliche Alternativen sind. So sind Theologie und Kunst als Korrektive aufeinander angewiesen, ist der Bilderstreit notwendig, kommt doch in der Auseinander-Setzung jede zu ihrem Eigensten. Die Seele ist heiter nur, wenn sie die Wahrheit schaut Anmerkungen
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