Liebe Leserinnen und Leser,
in seinem 1959 veröffentlichten Aufsatz "Vorschlag zur Ungüte" plädiert Theodor W. Adorno dafür, "die Zweiteilung zwischen Freunden und Gegnern [der neuen Kunst] zu ersetzen durch die zwischen den Freunden und dem Bund für deutsche Hotelbildmalerei (BfdH)." Und er fügt hinzu: "Man sage nicht, daß es so etwas nicht gebe. Schließlich müssen die Bilder, die in den Hotelzimmern so standhaft wiederkehren wie die ewigen Werte bei den Philosophieprofessoren, ja irgendwoher kommen."
Eine ähnliche Differenzierung ließe sich kirchlich einführen zwischen den Freunden der neuen Kunst und den Anhängern religiöser Kunst (ArK). Landauf, landab findet man in den Kirchen - sofern man überhaupt auf Kunst aus den letzten 50 Jahren stößt - jenen religiös-expressiven Stil, den die ArK für ebenso christentumskongenial halten, wie andere die Gotik im Blick auf den Kirchenbau. Auch die Schulbücher des Faches Religion offenbaren - von wenigen Ausnahmen abgesehen - dasselbe Desaster. Die christlichen Kirchen sind weiterhin ein Hort jener Mentalität, die einen Kunststil erst dann akzeptiert, wenn er schon 50 Jahre durchgesetzt ist und als traditionell bezeichnet werden kann. Alles Andere ist von Übel.
Nun ist die Geschichte der Kunst in der Kirche eine des permanenten Bilderstreits. Das gilt selbst dort, wo Konflikte nicht unmittelbar offensichtlich sind. Und keinesfalls kann davon ausgegangen werden, dass dieser Bilderstreit in der Kirche in absehbarer Zeit zur Ruhe kommen könnte. Ganz im Gegenteil deuten alle Zeichen auf eine zunehmende Kluft weniger zwischen Kunst und Kirche an sich, als vielmehr zwischen dem kirchlich eher randständigen und dem kerngemeindlichen Publikum. Für letzteres ist Zeitgenossenschaft eine Denunziationsformel, die sie im Sinne der "Anpassung an den Zeitgeist" missbraucht.
Auch wenn sich die Konfliktzonen in den letzten 30 Jahren verschoben haben und sich zahlreiche neue Initiativen etabliert haben, lautet die Bilanz weiterhin: Gestörte Beziehungen überall. Im letzten Jahr 2000 war diese Erfahrung gleich mehrfach zu machen; da war:
- der Pfarrer, der meinte, kirchliche Kunstausstellungen hätten dem Gemeindeaufbau zu dienen (ein nicht ganz neues innerkirchliches Totschlagargument), und müssten sich deshalb diesem Zweck bedingungslos unterwerfen. Deshalb lehnt er jede Kunst jenseits der (religiösen) Hotelbildmalerei ab und stellt sich einer Fortführung der begonnenen Öffnung zur zeitgenössischen Kunst konsequent in den Weg.
- der kirchliche Veranstalter, den die zeitgenössischen Kunstwerke, die ausgestellt werden sollten, überhaupt nicht interessierten, sondern der nur irgendein Kunst-Event realisieren wollte, das möglichst viele Besucher versprach.
- die kirchliche Stiftung, die allen Ernstes ihre Aufgabe darin sieht, zeitgenössische Künstler wieder an christliche Themen heranzuführen, statt der Zeitgenossenschaft der Kunst nachzudenken und nachzugehen.
- der Künstler, der dem Kirchenmann, sobald er ihn als solchen identifiziert hatte, sogleich ein Bild mit religiöser Ikonographie anbot, statt ihm gute Kunst zu offerieren.
Das aktuelle Heft des Magazins für Theologie und Ästhetik setzt sich deshalb mit den begrenzten Semiosen zur Kunst in der Kirche auseinander. Ist das "interesselose Wohlgefallen" ein Kennzeichen ästhetischer Erfahrung, kommt diese im Kontext der Kirche weitgehend nicht zustande. Selbst dort, wo man sich der zeitgenössischen Kunst öffnet, tut man dies höchst interessegeleitet.
Das Heft ist so angelegt, dass es einen Weg abschreitet. Wir haben einen Text aus den Classics ins aktuelle Heft übernommen, weil er den Weg des Bilderstreits von den Anfängen bis in die Gegenwart nachzeichnet. Vom protestantischen Nestor der Begegnung von Kunst und Kirche, Paul Gräb, haben wir einen Text aus dem Jahre 1990 übernommen, der einen Rückblick auf die Zeit etwa zwischen 1970 und 1990 wirft. Ergänzt wird diese Perspektive durch den Blick von Thomas Erne auf die letzten zehn Jahre Kunst und Kirche, also das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts. Jörg Mertin reflektiert das Konfliktverhältnis von Kunst und Gemeinde vor dem Hintergrund aktueller Ausstellungen der letzten zwei Jahre.
In den Reviews beschäftigt sich Andreas Mertin passend zu Heftthema mit der aktuellen Bilderstreit-Ausstellung in Bern. In den Marginalien zeigt Markus Steinmayr, dass das Programm Dogma95 zur Errettung des Kinos durch eine strenge Dogmatik des künstlerischen Schaffens getragen wird, welche gleichzeitig eine zutiefst religiöse ist. In den Spotlights werden wie gewohnt von Andreas Mertin neue Videoclips und von Karsten Visarius Kinofilme vorgestellt. Neu ist in dieser Rubrik die Kolumne "Im Labyrinth", in der jeweils interessante Netzadressen vorgestellt und kommentiert werden sollen.
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Wir wünschen den Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre dieses Heftes!
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