Ausgehend von erlebten Beispielen der Begegnung von Kirche und aktueller zeitgenössischer Kunst versuche ich eine gegenwärtig dominante Konstellation zwischen (evangelischer) Kirche und Gegenwart zu beschreiben. Wenn ich im folgenden von Kirche spreche, ist mein Augenmerk vorwiegend auf eine bestimmte Spielart kirchlicher Kultur gerichtet, nämlich jenes Milieu, das man als "Kerngemeinde" bezeichnet. Dieses Milieu beschreibt natürlich nicht die Kirche als ganze. Das zeigen die Konflikte bei der Begegnung von Kunst und Kirche, die in der Regel innerkirchliche Konflikte sind, in denen unterschiedliche Bedürfnisse, Einsichten, Interessenlagen und eben auch Milieus aufeinandertreffen. Das Kerngemeindemilieu ist allerdings gegenwärtig dominant, ihm wird auch von der Ebene der Kirchenleitungen her gewissermaßen Referenzmacht zugestanden. Es erscheint immer noch als "eigentlich" kirchlich. Was die Milieuforschung gezeigt hat, trifft auch hier zu: Das Milieu ist nach außen gut abgegrenzt, andere Milieus werden im Widerspruch zur Rhetorik des "Wir laden alle ein" faktisch nicht oder nur zu den Bedingungen der Kerngemeinde zugelassen, öfter jedoch ausgegrenzt. Grundmuster und Einstellungen, die in diesem Milieu wirksam sind, beschreibe ich ausgehend von Projekten, die in den vergangenen Jahren in der zentralen evangelischen Kirche in Paderborn durchgeführt worden sind. Zwei Ausstellungen mit Werken zeitgenössischer Künstler wurden mit einem jeweils unterschiedlichen Rahmenprogramm der Öffentlichkeit präsentiert (1999: Madeleine Dietz, Korrespondenzen; 2000: Frank Schult, Randzeichen).
Der Aufbau der Ausstellungen war kurz gesagt folgender: Autonome Kunst wurde im Sinne eines Crossovers präsentiert und griff in der räumlichen Inszenierung jeweils spezifisch in traditionelle Wahrnehmungsweisen des Kirchenraumes ein. Der Leitbegriff der Interventionen war nicht Vermittlung, sondern Konstellation. Die Reaktionen darauf waren gegensätzlicher Natur. Während die kulturelle Öffentlichkeit in Paderborn und die landeskirchliche Öffentlichkeit der Evangelischen Kirche von Westfalen die Ausstellungsprojekte mit Interesse verfolgten und als einen ermutigenden Schritt im Hinblick auf einen intensiveren Kontakt zwischen Gegenwartskultur und Kirche ansahen, machte sich im Bereich der sogenannten Kerngemeinde" von Anfang an und dauerhaft starker Widerspruch bemerkbar. Dieser Widerspruch war trotz einiger Versuche nicht kommunikativ zu bearbeiten, sondern konnte nur notdürftig organisatorisch begrenzt werden. Im Rückblick zeigt sich, dass diese Kulturprojekte einer Reihe glücklicher Umstände zu verdanken waren: Die mit einer finanziellen Zuwendung verbundene Anregung der Stadt Paderborn an die evangelische Kirche, im Rahmen eines zu feiernden Jahrestages einen Beitrag zu leisten, die initiale Offenheit des Gemeindepfarrers, das Interesse des Superintendenten des Kirchenkreises und das Engagement einzelner interessierter Menschen aus einigen Kirchengemeinden. Aber durch einen Wechsel des Pfarrstelleninhabers brach die Arbeit zusammen. Der neue Pfarrer bezeichnete die bisher an seiner Kirche geleistete kulturelle Arbeit offen als "nicht dem Gemeindeaufbau dienlich" (!) und entzog ihr sofort die Unterstützung. Da es keine kompensatorische institutionelle Verankerung der Projekte gab, musste die Arbeit eingestellt und das über zwei Jahre für einige Wochen im Jahr geöffnete "Kulturfenster" wieder geschlossen werden. Dies ist natürlich kein Einzelfall. Es gibt zahlreiche vergleichbare Erfahrungen mit je unterschiedlichen Bedingungen und Verläufen. Gemeinsam dürfte jedoch allen Erfahrungen sein, dass Kulturarbeit in der Kirche augenblicklich vorwiegend nur in der Form einzelner befristeter Projekte durchführbar ist und weniger als strukturell verankerter Teil kirchlicher Arbeit. Einige mögliche Gründe dafür möchte ich an dieser Stelle freilegen, indem ich einen Blick darauf richte, was die Reaktionen auf solche Projekte vonseiten ihrer Gegner im Hinblick auf die Mentalität der Kirche im Gegenüber zur Gegenwart besagen. Ich glaube, es gibt so etwas wie ein Angstsyndrom in der Kirche im Gegenüber zur kulturellen Gegenwart, das sich besonders an solchen Projekten zeigt, aber aus einem tieferen Fremdheitsgefühl gegenüber dem, was gegenwärtig sich in der Gesellschaft abspielt, gespeist ist. An den Reaktionen aus dem sogenannten "Kerngemeindebereich" fällt vor allem ihre Unangemessenheit auf. Man hat oft das Gefühl, aus einer Mücke würde ein Elefant gemacht. Unangemessene Reaktionen sind Symptome für eine tiefliegende, verborgene Betroffenheit, die es zu erkunden gilt. Beispielsweise kommt es häufig zu Missverständnissen, wenn die zeitliche Begrenzung eines Kunstprojekts dargestellt wird. Die Ankündigung einer 6-wöchigen Ausstellung löst die Befürchtung aus, es sei eine generelle und dauerhafte Veränderung des kirchlichen Raumes geplant ("Ach so, die Ausstellung dauert nur 6 Wochen, ich dachte..."). Mit einer kleinen, zeitlich begrenzten Veränderung steht offenkundig mehr auf dem Spiel. Eine Skulptur oder ein Bild werden nicht nur als Kunstobjekte wahrgenommen, sondern rufen weitergehende Irritationen hervor. Ausstellungen werden als illegitime Besetzungen des Raumes erlebt. Ein fundamentales Gefühl der Kerngemeinde, nämlich das Heimat- und Besitzgefühl (wir sind hier zu Hause, das ist unsere Kirche und hier kennen wir uns aus) wird durch die Präsenz der Kunst erschüttert. Für manche Gemeindeglieder wird ihre Kirche durch die Kunst gleichsam entweiht, so dass sie während der Laufzeit einer Ausstellung nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen. Nach dem Ende von Ausstellungen (bisweilen auch während einer Ausstellung) wird versucht, den Raum nun "gemeindegemäß" zu besetzen (vermehrter Blumenschmuck, Steigerung der Ausstattung mit Kerzen usw.). Der durch die Gegenwartskunst entweihte Kirchenraum wird gewissermaßen neu geweiht. Dabei darf man nicht übersehen, dass es offenkundig zur Wirkung von Kunstausstellungen gehört, dass die Gemeinde ein neues Gefühl für die Räumlichkeit entwickelt, wenn sie nun auch versucht, die entdeckten Spielräume schnell mit bekannten und erlaubten Dingen zu besetzen. Kunstprojekte berühren offenkundig zentrale Elemente im Kirchenraum. Anders formuliert: Es wird der Gemeinde durch eine Ausstellung deutlich, dass ihr etwas zentral, heilig ist. So können plötzlich Altarkerzen, die durch eine Ausstellung verdeckt werden oder zeitweilig entfernt werden müssen, eine gesteigerte Wichtigkeit erhalten. Der Umgang mit ihnen bietet Anlass zu Diskussionen und wird schon während der Laufzeit der Projekte zum Kriterium von Kirchennähe und Kirchenferne, von "erlaubt" und "verboten". In den Auseinandersetzungen darüber treten heftige Gefühle von Aggression, Ärger, ja Wut auf, die sonst in einer Gemeinde wenig wahrzunehmen sind. Der Anlass für die Gefühle dürfte damit zusammenhängen, dass man Gegenwartskunst nicht auf Anhieb versteht. In der Tat zielt sie ja zum Teil programmatisch auf Irritation des Gewohnten. Im Nichtverstehen der Gegenwartskunst kann sich allerdings die Kerngemeinde der Mehrheit der Bevölkerung verbunden fühlen. Die Entrüstung über die unverstehbare Kunst, bei der man nichts erkennen kann und die einem nichts gibt, wird noch dadurch verstärkt, dass Gegenwartskunst als elitär angesehen wird und nicht selten auch mit einem Überlegenheitsanspruch in die Gemeinden gebracht wird und dies meist nicht einmal durch die Künstler selbst. Wird einem seine eigene Unterlegenheit demonstriert, so ist das keine gute Voraussetzung für eine offene und interessierte Auseinandersetzung. Gleichzeitig wird im Gegenüber zur Gegenwartskunst schnell die innerkirchlich (wie für die Mehrheit der Bevölkerung) akzeptierte Norm der Ästhetik deutlich: Es ist eine vormoderne Ästhetik der Abbildung, gegenüber der aktuelle Kunst sich als Durcheinander ausnimmt, dem jeder Kunstcharakter abgesprochen werden kann. Hinzu kommt noch, dass die "Kerngemeinde" in der Regel nicht gefragt wird, ob sie die Kunst sehen will. Sie kann der Kunst nicht ausweichen und wird schlicht mit ihr konfrontiert, während ansonsten Menschen, die sich nicht für Kunst interessieren, die Freiheit haben, Galerien und Museen zu meiden. Ungefragt konfrontiert zu werden führt zu einer Entfremdungserfahrung. Die aggressiven Gefühle, die dabei laut werden, sind die Gefühle derjenigen, die sich der Kirche besonders verbunden fühlen, für die die Kirche der hervorragende, wenn nicht einzige Identität und Gemeinschaft versprechende Ort ist und die sie daher als ihren ideellen Besitz ansehen. In der Tat geht es hier darum, wer der Herr im Hause ist. Im aggressiven Widerspruch gegen die Kunst wird das kerngemeindliche Terrain gegen Eindringlinge von außen verteidigt. Die Kunst kommt von außen und stört den Gemeindefrieden. "Kunst verletzt Gefühle", so die Überschrift des Artikels einer Paderborner Tageszeitung über eine Gemeindediskussion anlässlich einer Ausstellung. Auch diejenigen, die sich für die Kunst in der Kirche stark machen, können an den Rand gedrängt bzw. ausgegrenzt werden, d.h. zu "Außenstehenden" gemacht werden. Wer sich für Gegenwartskunst in der Kirche interessiert, gehört nicht mehr dazu. Die Wirklichkeit wird gespalten in diejenigen, die zur Gemeinde gehören und diejenigen, die nicht dazugehören. Solche Vorgänge bestätigen die soziologische Milieuforschung: Milieus sind in sich weitgehend homogen und können sich untereinander in vielen Fällen nicht verstehen. Häufig hört man im Zusammenhang mit Ausstellungen, dass sich Künstler im Kirchenraum "austoben" wollen. Auch dies ist eine unangemessene Bezeichnung, da in aller Regel die Künstler dem Kirchenraum sehr respektvoll begegnen und sich interessiert und gesprächsbereit zeigen. Die Bezeichnung "austoben" hängt einmal damit zusammen, dass viele Gemeindeglieder ästhetische Notwendigkeit mit narzisstischer Selbstdarstellung eines Künstlers identifizieren. Selbstdarstellung ist in der Kirche tabuisiert, und wird der Logik des Tabus gemäß den Anderen zugeschrieben. "Austoben" besagt aber auch, dass in der Kerngemeinde intuitiv richtig erfasst wird, dass Kunstwerke in einer Kirche immer ein Stück ihrer Fremdheit bewahren und sichtbar nicht zur Kirchenausstattung gehören. So wird eine illegitime Ästhetisierung (und damit Entweihung) des Sakralen kritisiert (eine entsprechende Kritik kann umgekehrt auch von seiten der Kunst vorgebracht werden, wenn in einer Kunstausstellung in einer Kirche eine illegitime Sakralisierung von Kunst gesehen wird). Die Auseinandersetzung eines Künstlers mit dem Raum wird nicht nachvollzogen, die Kunst passt nicht in die Kirche und wird demzufolge als etwas Ungezügeltes, Wildes erlebt, das sich der Kontrolle entzieht. Die bleibende Fremdheit der Kunst in der Kirche ist der Preis der Autonomie. Das ist das Reizwort schlechthin. Nicht allein auf der Ebene der Kerngemeinde hat die Kirche als normative Institution mit der "Autonomie" ihre Schwierigkeiten. Das Zentralwort der Moderne und der Emanzipation irritiert die Kirche immer wieder, weil sie aus einer wie ich meine missverstandenen Anthropologie heraus sich immer noch an einem an den Defiziten der Subjekte orientierten Menschenbild festhält und daher nur schwer einen Zugang zu Gegenwartsthemen wie Ich-Stärke, Kreativität und Ausdruckskraft findet. Die Ahnung, dass ein Zusammenhang von ich-starken Individuen und Organisation (nicht allein der Kirche) ein konfliktgeprägtes Spannungsfeld ist, trügt natürlich nicht. Nicht selten heißt es, die Künstler steigerten ihren Ruhm auf Kosten der Kirche. Sie missbrauchen den Kirchenraum, um bekannter zu werden. Abgesehen davon, dass sich dahinter eine groteske Fehleinschätzung der Bedeutung der Kirche innerhalb der Kultur der Gegenwartsgesellschaft verbirgt, wird deutlich, dass Kunstprojekte als Verlust und Beeinträchtigung erlebt werden: Der Kerngemeinde wird durch eine Ausstellung auf jeden Fall etwas geraubt, nämlich Ruhe und Frieden. Der Künstler zieht mit seinem Ruhm davon, die Gemeinde bleibt zerstritten zurück. Von der Kunst hat sie nichts. Was die Kunst ihr geben könnte, wird zwar im Umkreis von Ausstellungen durchgängig erörtert, kann aber offenkundig im Kerngemeindebereich kaum aufgenommen werden. Wo die Kerngemeinde Selbstbestätigung braucht, zielt die Kunst auf Selbstbefragung der Kirche, wo die Kerngemeinde ein stabiles Orientierungsmuster glaubt nötig zu haben, kommen mit der Kunst Wahrnehmungsexperimente ins Haus. So fühlt man sich vielfach verunsichert. Obwohl sie vielfach dokumentiert sind, werden positive Reaktionen auf die Kunst entweder geleugnet oder es wird versucht, ihre Bedeutung zu marginalisieren. Auch hier handelt es sich um eine unangemessene, nicht realitätsbezogene Reaktion, die dazu dient, die Eindeutigkeit des Erlebens unter allen Umständen zu wahren. Es handelt sich um eine Form ideologischen, geschlossenen Bewusstseins, das Erfahrungen und Argumenten nicht zugänglich ist, sondern Realität entweder zum Beleg für die Richtigkeit der eigenen Einstellung umdeutet oder aber als Lüge bzw. Irrtum ansieht. Die Bedrohung durch die Kunst wird häufig mit dem sogenannten Zeitgeist in Verbindung gebracht. Hier handelt es um eine Interpretation, mit der das Erleben eingeordnet werden soll. Niemand vermag genau zu sagen, was Zeitgeist ist, aber Kunst gehört auf jeden Fall dazu. Zeitgeist verbindet sich mit Autonomie, mit dem Wilden, das sich an keine Regeln hält, das alle Traditionen umstößt, mit der Abkehr vom eigentlichen Auftrag der Kirche. Zeitgeist ist für die Kerngemeinde der allgemeine Name für die Bedrohung der Kirche durch die Welt. Gegen den zersetzenden Einfluss des Zeitgeistes muss man sich schützen, man darf ihm keinen Raum in der Kirche gewähren. Leider aber ist er schon durch die Ritzen der Kirchentüren eingedrungen und hat bereits die Kirche und manche ihrer Vertreter erfasst, denn die laufen ihm nach. Die gegenwärtig erlebte Krise der Akzeptanz und Bedeutung der Kirche wird daher auf den Einfluss des Zeitgeistes in der Kirche zurückgeführt, anstatt umgekehrt auf die seit vielen Jahren praktizierte innerkirchliche Abwehr von Gegenwart. Um so schärfer muss man auf den Zeitgeist aufpassen, muss seine zerstörerische Ausbreitung in der Kirche verhindern. Daher auch: keine Gegenwartskunst. Wenn man das Geschilderte zusammenfasst, so legt es sich nahe, dass die unangemessenen Reaktionen darauf zurückzuführen sind, dass ein vitaler Punkt berührt wird, nämlich die Identität als treues Gemeindeglied. Ich meine, dass in den beschriebenen Bereichen der Kirche eine große Angst vor Identitätsverlust vorhanden ist. Gerät diese Identität ins Wanken, dann ist die letzte Sicherheit verloren. Und es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Diese Angst ist berechtigt. Denn sie hängt mit den unentrinnbaren Zumutungen zusammen, die aus der Auflösung der großen Erzählungen und der großen Organisationen in der Moderne entstanden sind. Die Zumutung der Gegenwart, zu einem individuellen, eigenständig begründeten Umgang mit dem Leben zu kommen, den einem keine Organisation abnimmt, wird als bedrohlich abgewehrt. Auf bewusster Ebene geschieht dies (übrigens natürlich nicht nur in den Kerngemeindebereichen der Kirchen) durch einen Fundamentalismus, den Ersatz der Reflexion durch die Behauptung, man sei im Besitz der Wahrheit, die nicht in Frage gestellt werden dürfe. Die Angst kann die Gestalt einer undurchdringlichen, fundamentalistischen Panzerung annehmen in der erlebten und propagierten Trennung von Innen (Kirche) und Außen (Welt). Das Bedürfnis danach, den Zumutungen der Moderne und dem Abschied von den institutionell verbürgten Lebensgewissheiten etwas Unbefragbares, Haltbares, Sicherheit Verbürgendes entgegenzusetzen, ist durchaus nachzuvollziehen. In jeder Organisationsberatung wird deutlich, wie groß, ja manchmal geradezu vernichtend die Angst der Beschäftigten vor den durch den Markt anscheinend erzwungenen Veränderungen ist. Die Zumutungen der Gegenwart können als ganz reale Bedrohung und Belastung empfunden werden. Das gilt auch für die Kirchen. Die Angst der Kirche vor der Gegenwart ist immer die Angst von Menschen, die sich an etwas festhalten wollen, und dieses Feste und Sichere erschüttert und bedroht sehen. Und sie haben Recht damit, denn die Kirche unterliegt tatsächlich erheblichen Erschütterungen und Veränderungsanforderungen. Insofern ist die Angst ernst zu nehmen, nicht allein sozusagen kirchenpolitisch, sondern auch individualpsychologisch. Sie darf nicht pathologisiert oder belächelt werden, sondern sie muss verstanden werden. Ich meine nun gerade auf dem angedeuteten Hintergrund, dass die Angst der Kirche durchaus bearbeitbar ist (allerdings konsequent im Sinne der offenen Partizipation an der vielschichtigen Gegenwart und nicht, indem man Kirche als Hort bildungsbürgerlicher Tradition pflegt). An dieser Stelle möchte ich aber in erster Linie darauf aufmerksam machen, dass die Angst der Kirche sich in Sachen Kunst auf jeden Fall mit dem falschen Objekt verbindet. So gefährlich ist die Kunst nämlich wirklich nicht. Das müsste verstehbar gemacht werden, damit die produktiven Möglichkeiten des Umgangs mit der Kunst fruchtbar werden können. Die Kunst hält sich zwar als individuelle Arbeit an Material und Form an keine Vorgaben mehr und inszeniert insofern die antifundamentalistische Veränderung, vor der man sich fürchtet. Aber sie tut es in der Form der Auseinandersetzung, nicht der Zerstörung. In der Unangemessenheit der Reaktionen auf die Kunst zeigt sich daher ein erschüttertes, ein schwaches Selbstbewusstsein. Wenn Kunst tatsächlich als Bedrohung erlebt wird, wenn einige wenige Kunstwerke, die auf Zeit in einer Kirche platziert sind, die Befürchtung entstehen lassen, die Kirche sei entheiligt und nun ein Museum, in dem man keine Gottesdienste mehr feiern könne, und wenn selbst der praktische Beweis des Gegenteils, dass man eben tatsächlich Gottesdienste feiert während und innerhalb einer Ausstellung, die Irritationen nicht auszuräumen vermag, dann ist die Frage, wie diesen übertriebenen Reaktionen entgegenzusteuern ist, so dass hier mehr Offenheit und Gelassenheit an den Tag gelegt und die eingeengte Wahrnehmung erweitert werden kann. Ich meine, dass hier kirchenleitendes Handeln gefordert ist. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kirchenleitungen sehe ich darin, konzeptionell, strukturell, finanziell und vor allem bereits in der Ausbildung der TheologInnen dafür Sorge zu tragen, dass sich ein Klima der Neugier und Offenheit gegenüber der Gegenwartskultur entwickeln kann. Dringend erforderlich scheint mir, die dem Milieu der Kerngemeinde zuerkannte Referenzmacht zu problematisieren. Die Stärke der "Kerngemeinde", ein heimatstiftendes Milieu anzubieten, hat als Kehrseite die Tendenz zur Abgeschlossenheit. Die Homogenität des Kerngemeindemilieus darf nicht zur "Leitkultur" der Kirche werden. Hier liegt eine delikate Steuerungsaufgabe für das kirchenleitende Handeln bis auf die Ebene der Gemeinden. Beispielsweise bedarf nicht nur die Freiheit der "Kerngemeinde" von der Kunst des Schutzes, sondern auch das Interesse zahlreicher Kirchenglieder und interessierter Bürger an der Begegnung von Kunst und Kirche muss gestützt werden. Mit anderen Worten: Die Konflikte um die Kunst sind als notwendiger und sinnvoller Bestandteil kirchlichen Lebens aufzufassen. Gemeinschaft gibt es nur da, wo die Differenzen in ihr anerkannt sind, wo die Beteiligten lernen, einander zuzuhören und aufeinander einzugehen, obwohl sie ihre Differenzen deutlich empfinden. Das lässt sich entwickeln, indem unvoreingenommene Kontakte zu interessierten und kompetenten Menschen außerhalb der engen Gemeindegrenzen zur Regel werden. Der Fundamentalismus in allen seinen Spielarten ist in den Kirchen (und nicht nur dort) allerdings eine Dauergefahr, schon weil jeder Religion qua Wahrheitsanspruch ein latenter Fundamentalismus innewohnt. Es geht natürlich um fundamentale Fragen, auf die gerade Religion als vertiefter Umgang mit der Wirklichkeit hinführt. Doch diese Fragen sind heute mit den Aufgaben verbunden, die den Individuen zugemutet sind, nämlich grundsätzlich ihre Lebensführung selbst wählen und verantworten zu müssen. Diese Zumutung darf nicht in einem fundamentalistischen Kurzschluss der subjektiven Arbeit entzogen und an Organisationen abgetreten werden, die der Hort der Wahrheit zu sein versprechen. Vielmehr ist die Stärkung der Individuen zur eigenständigen Auseinandersetzung mit traditionellen Vorgaben, Werten und Einstellungen erforderlich. Im Hinblick auf Kultur darf sich die Kirche daher weder einem an vorgeblich überzeitlichen Werten orientierten bildungsbürgerlichen Kulturbegriff einordnen, noch ihr Heil in der Entwicklung eines kirchlichen Kulturbegriffs suchen, dessen Zweck die Beurteilung von Kultur nach dem Schema "kirchenangemessen" - "kirchen-unverträglich" wäre. Ein kirchlicher Kulturbegriff (wenn er mehr zu sein beansprucht als eine theologische Perspektive und eine Zuordnung zu kirchlichen Denksystemen) ist auf der Ebene der Organisation zu vergleichen mit der Veränderungsangst der Kirchenglieder, wenn sie Gegenwartskunst ablehnen oder ihr nur einen eng umgrenzten Raum zugestehen oder sie auf Verkündigungszwecke reduzieren wollen. Ein offener, nichtfundamentalistischer Umgang mit Kunst und Kultur zeichnet sich demgegenüber dadurch aus, dass im Sinne von Konstellationen gedacht und gearbeitet wird. Konstellationen von Kunst und Kirche sind herzustellen, in denen nicht vorhergewusst wird, wie die Dinge zu sehen sind, sondern durch die die Einzelnen zu einem unabgesicherten Erkenntnisprozess provoziert werden. Das ist übrigens für alle Menschen wichtig. Aber es hängt eben davon auch sehr viel ab für die Zukunft der Kirche, die immer vorrangig die Zukunft der einzelnen Menschen in der Kirche ist. Sich der Autonomie von Kunst im Kirchenraum auszusetzen kann nicht allein ästhetisch anregend sein, sondern ein Schritt auf dem Wege zu eigener Autonomie sein. In der Auseinandersetzung mit der Kunst und ihrer Formensprache, ihrer gerade im kirchlichen Kontext spezifisch wirksamen Eigenständigkeit des Sehens, Wahrnehmens und des Ausdrucks, ihrer schöpferischen Freiheit in der Auseinandersetzung mit dem Gegebenen wachsen den Betrachtern selber neue individuelle Ausdrucksmöglichkeiten für das existentiell Bedeutsame zu, für das sie bislang oft nur die formelhafte Sprache der Tradition zur Verfügung hatten. Um dies zu fördern, sehe ich keinen anderen Weg als immer wieder sorgfältig vorbereitete Projekte auf unterschiedlichen kirchlichen Ebenen durchzuführen. Hier haben zentral gelegene Kirchen eine größere Verantwortung als Gemeindezentren in kleineren Orten oder Vorstädten. Die Frage ist jedoch überall, wie man Erkenntnisse provoziert, ohne die fundamentalen Ängste zu verstärken und damit Wahrnehmungserweiterungen zu blockieren. In therapeutischen und supervisorischen Zusammenhängen ist die Methode der "zugewandten Konfrontation" bekannt. Dabei geht es darum, den zu Beratenden zu Erkenntnissen über sich selbst zu provozieren, aber so, dass er sie akzeptieren kann. Die Handhabung dieser Methode setzt viel Erfahrung und eine sichere Diagnose seitens des Beratenden voraus, denn das Erschrecken, das dadurch entstehen kann, dass ein zu Beratender sich selbst in einem Spiegel entdeckt, schlägt leicht um in die Abwehr jeder Erkenntniszumutung und in die Flucht zurück in alte Interpretations- und Verhaltensmuster. Wenn man eine solche Methode mutatis mutandis auf die Begegnungen von Kirche und Gegenwartskunst übertragen kann (ein fundamentaler Unterschied besteht darin, dass die "Kerngemeinde"-Kirche nicht um Beratung durch die Kunst gebeten hat, wenngleich dies sicher für einzelne an Kultur interessierte Verantwortliche durchaus zutreffen wird), dann würde sich vielleicht zeigen, dass es häufig an der Zuwendung in der Konfrontation gemangelt hat. Häufig wollen einzelne Kunstbegeisterte zu viel und dies auch noch zu schnell. Auf der anderen Seite besteht allerdings die Gefahr, die Begegnung von Kunst und Kirche durch Kompromissbildungen zu entschärfen. Eine wichtige Orientierung könnte darin bestehen, auf die immer wieder auftretenden unangemessenen Reaktionen zu achten. Die Angst, die sich darin zeigt, ist grenzenlos. Ein Element der Zuwendung in der Konfrontation sehe ich darin, Begrenzungen und Struktur anzubieten und in die Projekte einzubauen. Es geht um kleine Schritte, für jeden Einzelnen und jede Gemeinde, übrigens auch für beteiligte Künstler. Vielleicht ist in einer Gesellschaft, in der die großen Events favorisiert werden, ein den kleinen Schritten förderliches Klima schwierig herzustellen. Aber ich halte es nicht für unmöglich. Wenigstens dürfte die Diagnose dessen, worum es für die Kirchen geht und woran es in den Kirchen fehlt, verhältnismäßig gesichert sein: nämlich um ein relativ angstfreies Sich-einlassen auf die Gegenwartskultur in ihren ganz unterschiedlichen Facetten. Die immer wieder an der Kunst in der Kirche aufflammenden Konflikte sind im Grunde ein ermutigendes Zeichen einer zunehmenden Differenzierung in den Kirchen auf dem Weg zu einer Stärkung von Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der Menschen, zur Anerkennung von Unterschieden und zur Entwicklung von Gemeinschaft, in der man ohne Angst verschieden sein kann. Noch ermutigender aber finde ich, dass sich Künstler immer wieder gerne und neugierig auf den Dialog in den Kirchen einlassen. |
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