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Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips V

Entwicklungsgeschichten

Andreas Mertin

Fatboy Slim, Right Here, Right Now

Kaum ein Thema, das in Videoclips nicht erzählerisch behandelt wird, beginnend von den kleinen Alltagssorgen bis hin zu den großen Menschheitsgeschichten. Computeranimationen machen darüber hinaus vieles ansonsten Unvorstellbare möglich, auch die visuelle Zusammenfassung der Entwicklungsgeschichte jeglichen Lebens auf der Erde von der Urzelle bis zum verfetteten Zivilisationskranken am Ende des 20. Jahrhunderts in kürzester Zeit.

Was Stanley Kubrick seinerzeit im legendären Film "2001 - Odyssee im Weltraum" noch in den so genannten längsten (und doch nur wenige Sekunden dauernden) Cut der Filmgeschichte packte: die Entwicklung vom Affen-Tier zum die Hochtechnologie nutzenden Menschen, das wird bei Fatboy Slim (Norman Cook) im Clip zum Lied "Right Here, Right Now" unter der Regie von "Hammer & Tongs" im Rahmen einer atemlosen Bilderfolge in 3 Minuten und dreißig Sekunden vorgeführt.


Der Videoclip beginnt vor den unendlichen Weiten des Weltraums mit dem Schriftbild

350 BILLION YEARS AGO,

um dann auf die Uratmosphäre bzw. Ursuppe vom Anfang der Erde zuzufahren. Der Clip fährt fort mit der ersten Zellspaltung, optisch in tiefem Blau gehalten. Aus den ersten Einzellern entwickeln sich Meerestiere, die irgendwann den Sprung aufs Land schaffen. Aus dem aufs Land geratenen Fisch wird der Alligator, der nach und nach sogar die Bäume erklimmt und schließlich als Affe zum großen Entwicklungssprung zum Menschen ansetzt.

Der Mensch - zunächst ein 70er-Jahre-Verschnitt - verfettet zusehends und sinkt am Ende ermattet auf eine Bank, den Blick zum Himmel gerichtet, dessen Sternenfülle die Anfangsbilder des Clips aufnimmt.

Der Betrachter sieht ständig rechts unten im Bild - während sich das irdische Leben vor seinen Augen weiter entwickelt - eine rasend ablaufende Zeitangabe eingeblendet, die die Entwicklung des Lebens von den Anfängen vor über 350 Milliarden Jahren bis heute erfasst.

Die Zeitlogik einer Entwicklungsgeschichte des irdischen Lebens wird am Ende aufgelöst, denn im Vergleich zur real verlaufenden Zeit wird dem Menschen ungebührlich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Das ist vermutlich weniger eine anthropozentrische Sicht als vielmehr der Logik der gezeigten Evolutionsgeschichte geschuldet. Normalerweise käme dem Menschen nicht einmal ein Bruchteil an Aufmerksamkeit und damit an Darstellungszeit zu. Dennoch ist er im Rahmen evolutionärer Entwicklung natürlich einer genaueren Betrachtung wert. Um ihn im Clip also überhaupt (kritisch) darstellen zu können, muß man seine Auftrittszeit gegenüber allen anderen Zeitabschnitten und damit auch gegenüber allen anderen Kreaturen künstlich verlängern.

Der Videoclip erschöpft sich dabei nicht in der computeranimierten Illustration der Erdgeschichte mit dem Menschen als "Krone der Schöpfung" . So wie es in Kubricks Film "2001" eine kritische Verbindung von dem als Mordwerkzeug gebrauchten Knochen zur kreisenden Weltraumstation gibt, so wird die Evolution bei Fatboy Slim - spätestens mit dem Auftreten des Menschen - auch als Verfallsgeschichte beschrieben. Der aus dem Bildungsstadium der Natur entlassene Mensch trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift:

I'M *1 - SO WHY TRY HARDER.

Dort, wo sich die evolutionäre Entwicklung am stärksten beschleunigt hat, kommt sie in der Figur des Protagonisten "Mensch" zugleich zum Stillstand. Dem unermüdlichen Entwicklungs-Lauf seiner Vorfahren kann und will er sich nicht mehr anschließen, ein weiterer Entwicklungs-Sprung zeichnet sich nicht ab. Gegenüber dem Endprodukt erweist sich noch der Einzeller als mobiler.

Der Videoclip von Fatboy Slim gehört in das Genre erzählender Clips, er stellt in komprimierter Form eine Bildgeschichte vor. Dabei scheint der Liedtext in der Relation zum Geschehen auf dem Bildschirm kaum eine Rolle zu spielen und auch der musikalische Ausdruck des "Epic Big Beat" ist im Clip nicht besonders auffällig.

Statt dessen findet eine interessante Umkehrung in der Relation der Ausdrucksformen statt: wenn man es recht betrachtet, kann man das Lied als akustische Stützung des Clips deuten, es ist eine Art Filmmusik. Das entspricht einem neuen Trend im Medium der Videoclips, bei dem im Verhältnis von Musik, Text und Bild letzterem eine immer größere Bedeutung zukommt.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 10/2001
https://www.theomag.de/10/am25.htm

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Fatboy Slim: Right Here, Right Now

Andreas Mertin. Videoclips im Religionsunterricht, Göttingen 1999