Die Stadt und der Tod ... |
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Der Totentanz von Alfred RethelEin Beispiel politischer Kunst - wiederbetrachtetAndreas Mertin
Den Bildern beigegeben sind Verse von Robert Reinick, die das Bildgeschehen näher erläutern. Der Zyklus ist außerordentlich erfolgreich und verzeichnet eine breite Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart. In der Literatur ist dabei umstritten, ob es sich bei dem Zyklus um ein konterrevolutionäres[2] oder ein humanistisches Werk handelt. Sven Drühl etwa sieht in den Bildern Arbeiten „im Dienste politischer Propaganda“ und kommt zu dem Schluss: „Die Totentanzdarstellungen dienen nun als Transportmittel für eine antirevolutionäre, reaktionäre Botschaft, die sich folgendermaßen umschreiben lässt: Die durch die französische Revolution aufgebrachten Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit finden wir nur im Tod und genau in diesen führt uns auch der gegenwärtige Volksaufstand.“[3] Hans Jürgen Imiela hält dem jedoch entgegen: „Ihn zum Konterrevolutionär stempeln zu wollen, wäre Verdrehung von Tatsachen. Alfred Rethel sah die Fragwürdigkeit bewaffneten Aufeinanderlosgehens, und darum ist sein Hinweis auf den einzigen triumphierenden Sieger, auf den Tod, Ausdruck seiner tiefen Menschlichkeit, Aufbegehren gegen jede Revolutionseuphorie und aus mutiger Einsicht kommend.“[4] Vielleicht ist die Differenz der Urteile dadurch zu erklären, dass der eine sich bei der Bewertung mehr auf den Text und der andere mehr auf die Bilder fokussiert. Der Text ist deutlich konservativer, die Bilder offener bzw. ambiguitärer. Man wird den Erfolg des Bildbogens aber nicht auf eine eventuelle revolutionäre Tendenz, sondern auf das Entsetzen über die entfesselte revolutionäre Gewalt des Jahres 1848 zurückführen können. Aber schon 1916 urteilt Eduard Fuchs in seinem monumentalen „Der Weltkrieg in der Karikatur“ über den Zyklus: „Seit Holbein und Dürer ist der Tod in der Kunst keines einzigen Landes so gewaltig und so monumental gestaltet worden“. Aber eben auch: „Rethels Totentanz ist durch und durch politische Tendenz, und er stellte sich damit, wie man sieht, völlig auf die Seite der Reaktion.“ Heute sei er nur noch künstlerisch wertvoll. Fuchs schreibt zum Kontext:
Blatt 1
Blatt 2 |
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Brüder, so kann’s nicht gehen |
Dann wird’s, dann bleibt’s nur gut |
Bruder in Gold und Seid’, |

Das fünfte Blatt zeigt nun die Peripetie des Dramas. Der Kampf ist entbrannt, auf beiden Seiten sterben die Menschen. Auf der linken Seite kämpfen die Aufständischen mit Steinen, Brettern und eroberten Bajonetten, rechts eröffnen die mit Bajonetten bewaffneten Soldaten mit einer Kanone das Feuer. Der nun mit der Fahne der Republik bewehrte Tod enthüllt den Kämpfenden (und Sterbenden) seine wahre Identität, die er bis dato verborgen hatte: er ist der Tod, der alle Menschen ihm gleich und zu Brüdern machen will. Die Freiheit, die er verkündet, ist die Freiheit vom Leben. Er offenbart die Schattenseite der Gewalt, der „Geburtshelferin der neuen Zeit, die überall gleich ungestüm an die Tore pochte“.
Man kann in Rethels Bildkonzeption unschwer eine Anspielung auf „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix aus dem Jahr 1830 erkennen. Nur dass die Göttin Freiheit durch den Tod großen Gleichmacher ersetzt wurde und der dramatische Handlungsaspekt nicht mehr beim revolutionären Aufbruch, sondern beim qualvollen Sterben liegt.

Das sechste und letzte Blatt des Zyklus‘ zeigt den Ausritt des triumphierenden Todes aus der zerstörten Stadt. Die Ordnungsmacht hat scheinbar gewonnen, der Aufstand ist niedergeschlagen. Aber der wahre Sieger ist der Tod, der reichlich Ernte eingefahren hat. „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod“. Wir sehen überall Leichen liegen, während Frau und Kind die Toten beklagen. Das Schwert liegt nun ungenutzt herum. Der Tod aber hat seinen Mantel abgeworfen, den Kepler-Hut abgesetzt und trägt nun den Siegerkranz und eine bleiche Fahne. Sein Blick ist einem Sterbenden zugewandt: „Tu fui, ego eris“ - „Was du bist, war ich; was ich bin, wirst du sein.“ Die Stadt hat als Schlachtort ausgedient, sie liegt zur Hälfte in Trümmern.
Man hat in diesem Bild eine Anspielung auf Dürers Apokalyptische Reiter sehen wollen, aber viel wahrscheinlicher scheint mir die Verbindung mit Dürers Zeichnung von 1505, die den bekrönten Tod als Skelett auf einer Schindmähre zeigt und neben dem die Worte Memento mei stehen.
Und sicher kann man im Lorbeerkranz eine Anspielung auf die preußische Hymne „Heil dir im Siegerkranz, Herrscher des Vaterlands“ sehen, die eine Negativfolie für den gesamten Bildzyklus sein könnte: „Heilige Flamme, glüh, glüh und erlösche nie fürs Vaterland! Wir alle stehen dann mutig für einen Mann, kämpfen und bluten gern für Thron und Reich!“ Nur dass an die Stelle des preußischen Königs der Tod getreten ist.
Zunächst ist noch einmal in Erinnerung zu rufen, was Eduard Fuchs 1916 über den Totentanz-Zyklus von Alfred Rethel notiert hatte:
Seit Holbein und Dürer ist der Tod in der Kunst keines einzigen Landes so gewaltig und so monumental gestaltet worden ...
... weil er sich auf die Seite der absolutistischen Reaktion stellte, hat er heute nur noch künstlerisches Interesse; sein geistiger Inhalt ist durch die Entwicklung widerlegt worden.
... die große künstlerische Form ... verhilft zu ewigem Leben in der Kunst, darum lebt andererseits der Rethelsche Totentanz auch heute noch sein starkes Leben.
Man könnte auch sagen, der konkrete Anlass war nur das außerästhetische Substrat, mit dem Rethel gearbeitet hat. Dieses Substrat ist historisch kontingent, deren künstlerische Bearbeitung behält jedoch ihre Qualität. Abstrahiert ist Rethels Thema die Dialektik der Aufklärung. Ersetzt man die Parolen auf den Bildern durch jene des Daesch, der Ideologie sät und Tote erntet, dann erhalten sie ihre Aktualität zurück.
Der Tod ist in diesem Totentanz nicht der, den wir aus dem Basler Totentanz, dem Totentanz von Hans Holbein, Matthäus Merian oder auch dem Totentanz der Berliner und der Lübecker Marienkirche kennen. Diese sind ein Tanz des Todes mit den verschiedenen Mitgliedern der Gesellschaft bzw. der Stände. Seit Adam und Eva, so künden sie, sind alle dem Tod unterworfen, unterschiedslos ob Papst, Kaiser König oder Bischof, ob Edelmann oder Arbeiter.

Das ist aber nicht das Thema bei Rethel. Der Tod wird hier explizit auferweckt, um aus künstlichem Anlass der Revolution tätig zu werden. Für diesen Anlass wird er ausstaffiert und diesen Auftrag führt er aus. Es geht also um den vor-zeitigen Tod. List, Lüge, Eitelkeit, Tollheit und Blutgier bewirken seinen Auftritt. Was bei Rethel nicht zur Sprache kommt, was nicht im Bild erscheint, ist der Tod unter der infolge von Missernten hungernden Bevölkerung vor der Revolution. Der Totentanz bei Rethel ist sekundärer Reflex auf die Normalität des Todes in breiten Schichten der Bevölkerung vor der Revolution. Was dagegen die Zahl der durch die Revolution bedingten Toten angeht, so war sie, wie Eduard Fuchs zu Recht festhält, eher gering.[12]
Dass der Tod bei Rethel in der Stadt tätig wird, geschieht nicht zufällig. Die Landbevölkerung flieht die Lebensbedrohung, die sich aus den Aufständen ergibt. In der Stadt aber ist mit der Zeit ein explosives Potential für Aufstände gewachsen:
„Eine neue Bevölkerungsschicht, das Proletariat (die abhängig beschäftigte Arbeiterklasse), wuchs rasch an. Die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Industriebetrieben und deren Umfeld waren im 19. Jahrhundert in der Regel katastrophal. Die meisten Arbeiter lebten in den Ghettos und Slums der Städte am Rande des Existenzminimums oder oft auch darunter, von Arbeitslosigkeit bedroht und ohne soziale Absicherung. Schon Jahre vor der Märzrevolution war es immer wieder auch zu kleineren, regional begrenzten Aufständen gegen Industriebarone gekommen.“[13]
Wenn man nichts mehr zu verlieren hat, kann man nur noch bzw. immer noch über die Art des Todes bestimmen. Man kann alles einsetzen, um zumindest potentiell etwas (das Leben) zu gewinnen. Es ist vielleicht die zentrale Schwäche der Bilder von Rethel, dies nicht zum Ausdruck gebracht zu haben. Jener Tod, der durch Unfreiheit, Ungleichheit, Unbrüderlichkeit das Regime über den Alltag des Lebens in der Stadt führt, kommt bei ihm nicht vor.
Was er aber präzis im Bild erfasst, ist der Umstand, dass Menschen sich durch nebulöse Ideologien leicht beeinflussen lassen, Leib und Leben zu opfern oder anderen Menschen das Leben zu nehmen. Und dazu bedarf es nicht einmal menschlicher List, Lüge, Eitelkeit, Tollheit und Blutgier. Es bedarf nur eines Anlasses, beschädigter Existenzen und einer vagen Hoffnung dem scheinbaren Schicksal zu entkommen. Dann sind viele bereit, selbst die Gestalt des Todes anzunehmen, sei es 1848/49 oder 2015/16.
[1] Imiela, Hans Jürgen (1989): Alfred Rethel. In: Hans Helmut Jansen (Hg.): Der Tod in Dichtung Philosophie und Kunst. Zweite, neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Heidelberg: Steinkopff, S. 371379.
[2] Boime, Albert (1991): Alfred Rethel's Counterrevolutionary Death Dance. In: The Art Bulletin 73 (4), S. 577.
[3] Drühl, Sven (2001): Tanz mit dem Tod. In: Sven Drühl (Hg.): Choreografie der Gewalt. Ruppichteroth: Verlag Kunstforum (Kunstforum International, 153), S. 4673.
[4] Imiela, Hans Jürgen (1989): Alfred Rethel, a.a.O., S. 378.
[5] Gemeint ist: Combe, William, Rowlandson, Thomas (1815): The English Dance of Death. 2 Bände. London.
[6] Fuchs, Eduard (1916): Der Weltkrieg in der Karikatur. Bis zum Vorabend des Weltkrieges. Mit 333 Textill. u. 47 Beil. München: Langen (Bd. 1). S. 78ff.
[7] Art. Geschichte des Tabakkonsums, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_des_Tabakkonsums
[9] Jesaja 35, 4 Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Sehet, euer Gott, der kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. 5 Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden, und der Tauben Ohren geöffnet werden; 6 alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird Lob sagen. Denn es werden Wasser in der Wüste hin und wieder fließen und Ströme im dürren Lande. …
[10] Matthäus 11, 5 die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf und den Armen wird das Evangelium gepredigt.
[11] Noch martialischer ist das Vorwort zum Großen Lied: „Horcht auf, ihr Fürsten ! Du Volk, horch auf ! / Freiheit und Rach' in vollem Lauf, / Gottes Wetter ziehen blutig herauf! / Auf, dass in Weltbrands Stunden / Ihr nicht schlafend werdet gefunden ! / Reiss' aus dem Schlummer dich, träges Gewürme / Am Himmel, schau auf, in Gewitterspracht / Hell Hell aufgegangen dein Todesgestirne ! / Es erwacht, / Es erwacht, / Tief aus der sonnenschwangern Nacht / In blutflammender Morgen wonne, / Der Sonnen Sonne / Die volkesmacht! / Spruch des Hernn, du bist gesprochen, / Volkesblut, Freiheits blut, du wirst gerochen / Götzendämmrung, du bist angebrochen.“ Man könnte Alfred Rethels Bild-Zyklus als direkt Antwort auf diese Verse verstehen.
[12] „Die kriegerischen Blutopfer dieser Zeit waren sehr gering im Vergleich zu denen der napoleonischen Kriege.“
[13] Art. Deutsche Revolution_1848, https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Revolution_1848/1849#Vorgeschichte_und_Ursachen
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/101/am540.htm
© Andreas Mertin, 2016