Die Stadt und der Tod ... |
„Wollen Sie wirklich wissen, wie Sie sterben werden?“Zur popkulturellen Version einer Providentia deiAndreas Mertin Es gibt Phänomene, die sind lustig, bis man sie in die Lebenswirklichkeit übersetzt. Die Vorstellung, es gäbe eine Maschine, die nachdem sie das Blut des betreffenden Probanden untersucht hat präzise die Todesursache bestimmen kann, hat etwas ebenso Bizarres wie Amüsantes. Zumal dann, wenn sich herausstellt, dass die Maschine zwar niemals irrt, aber die Angabe der jeweiligen Todesursache durchaus deutungsfähig und deutungsbedürftig ist. Entstanden ist die Idee rund um die Todesmaschine ironischerweise aus der Diskussion zweier Comic-Dinosaurier über die Möglichkeit einer derartigen Maschine. Daraus entwickelte sich später eine Kurzgeschichte. Und noch später wurde daraus eine ganze Serie von Kurzgeschichten aus der Feder ganz unterschiedlicher Autoren über genau diese Art von Maschine. Sie alle stellten sich vor, wie es wohl wäre, wenn es eine solche Maschine gäbe. Wie würde der Einzelne auf eine derartige Maschine reagieren, wie die Gesellschaft, wie die Nachbarn und Firmenkollegen, wie Arbeitgeber und Politiker? Sollte man alle Menschen verpflichten sich einem derartigen Todesarten-Test zu unterziehen? Oder wäre es nicht besser, ja gesünder, man wüsste gar nichts über die Ursache des eigenen Endes? Und woher weiß die Maschine eigentlich so genau Bescheid über das Ende aller Menschen? Hier kommt, der geneigte Leser ahnt es schon, die Providentia Dei ins Spiel, denn nach gängigen Vorstellungen verfügt nur Gott über dieses Wissen zu jedem seiner Geschöpfe.
Gott verfügt nach einigen theologischen Konzepten über die vollkommene Voraussicht aller möglichen Ereignisse, denn kein Sperling fällt vom Himmel ohne seinen Willen und der Mensch ist wichtiger als ein Sperling (Matthäus 10, 29f.). Aber Gott ist keine Maschine und auch er teilt den Menschen nur ganz selten die Ursache des Todes in der Zukunft mit. Woher weiß die Maschine dann über den Tod so gut Bescheid? Im Kinofilm Gattaca werden die Menschen noch vor der Geburt auf ihre Lebensrisiken hin untersucht. Aber auch hier werden die Lebensrisiken nur in Prozentangaben angegeben: 56%iges Risiko eines Herzinfarktes bis zum Alter von 55. Unfälle und andere zufallsabhängige Risiken kann die Untersuchung aber nicht prognostizieren. Woher könnte eine Maschine also darum wissen? Der Leser wird es bis zum Schluss nicht erfahren, es bleibt ein Geheimnis. Etwas anderes wird dem Leser aber schnell klar: auf einem Zettel mit einem Begriff die Todesursache zu erfahren, hilft nicht wirklich weiter. Aus mehreren Gründen. Nehmen wir an, man würde an einem solchen Test teilnehmen, Geld in den Automaten werfen (ja, Wissen kostet, wenn auch nicht viel), seinen Finger hineinstecken, etwas Blut abgeben und dann käme aus dem Schlitz der Maschine folgender kleiner Zettel heraus: Würde man aufatmen, sich freuen? Immerhin könnte man vorausgesetzt man wäre in jungen Jahren nun die Sau rauslassen, könnte es dem verlorenen Sohn im ersten Teil der biblischen Geschichte nachmachen und in Saus und Braus leben. Man dürfte sich schließlich auf ein langes Leben freuen, das nicht vorzeitig beendet werden könnte. Passieren könnte einem ja nichts. Oder? Aber schauen Sie selbst: (https://www.youtube.com/watch?v=ccOG42NuwIw) Das ist das Problem von Prophezeiungen: auch wenn sie rückblickend betrachtet zutreffend sein mögen, sind sie in dem Moment, wo man von ihnen erfährt, deutungsbedürftig religiöse Menschen und Leser der griechischen Mythen wissen das nur zu genau. Kroisos Halyn diabas megalen archen katalysei erfährt Krösus vom Orakel (Wenn Krösus den Halys überschreitet, wird er ein großes Reich zerstören), aber anders als er dachte, ist es nicht das fremde, sondern das eigene Reich, das zerstört wird. So ist das mit Prophezeiungen. Sie sind oft rätselhaft. Sie können mal das Eigene, mal das Fremde bedeuten. So wie in unserem Fall der kleine Zettel mit der Aufschrift „Hohes Alter“. Ob Tod im Hohen Alter oder durch Hohes Alter ist für den Betroffenen ein gravierender Unterschied. Ebenso wie die Zerstörung des fremden oder des eigenen Reiches für den König Krösus. Von all dem handelt auch der Kurzgeschichtensammelband: Die Herausforderung für die zahlreichen Kurzgeschichtenschreiber ist klar: Ihnen ist die erzählerische Konstellation, also das Setting vorgegeben. Und nun geht es darum, ein besonders interessantes, ein besonders amüsantes, ein besonders überraschendes Beispiel für die Erfahrung mit dieser fürchterlichen Maschine zu erfinden, einer Maschine, die genau weiß, wodurch ein Mensch stirbt. Und nun kann man verrückte Dinge konstruieren. Was wäre zum Beispiel, wenn ganz viele Menschen den Zettel „Atombombe“ erhielten? Müsste man nicht davon ausgehen, dass demnächst ein feindlicher Atomschlag erfolgen wird? Und wäre man als Regierung dann nicht geneigt, wenn man den Atomschlag schon offenkundig nicht vermeiden kann, wenigstens die Betroffenen schnellstmöglichst weit außerhalb jeglicher Zivilisation anzusiedeln? Und würde man ganz persönlich eine Beziehung mit einer Person eingehen, auf deren Todesursachenzettel „Eifersucht“ steht? [Die Antwort hängt natürlich auch vom eigenen Zettel ab.] Und was soll man von einem Menschen halten, auf dessen Zettel „Brennender Marshmallow“ steht? Etwas verrückt, oder? Seit dem Ende der Serie „Two and a half man“ wissen wir, dass der Tod durch „Klavier“ auch durch ein vom Hubschrauber herabfallendes Klavier eintreten kann, ein Ereignis, dem im konkreten Fall zu entgehen außerordentlich schwer ist wie Chuck Lorre weiß: Einige Autoren lassen die Maschine Dinge auf den Zettel schreiben, die es unmöglich machen, sie zu verifizieren: „Wärmetod des Universums“ ist so eine Vorhersage. Der Betreffende stirbt also erst in Unwahrscheinlich und unsinnig, oder? Einfacher ist schon die Antwort auf die Frage, was mit denen ist, auf deren Zettel gar nichts steht. Kurze Konfusion, aber dann wird schlicht klar, dass die Tintenpatrone der Todesmaschine leer ist. Kann ja passieren. Gibt es vergleichbare historische Ideen? In einem gewissen Sinn natürlich: Saul und die Hexe von Endor.
Was hätte wohl auf dem Zettel des biblischen Königs gestanden, wenn eine Maschine und nicht der von der Hexe von Endor beschworene Geist des Propheten Samuel ihm Auskunft über sein künftiges Schicksal gegeben hätte? „Enttäuschung“ oder „Schwert“ oder „Suizid“? Oder hätte nicht auch „Neugier“ auf dem Zettel stehen können, weil er etwas zu wissen begehrte, das zu wissen ihm nicht zustand, weshalb er verworfen wurde und sich in sein Schwert stürzte? Sobald man jedoch beginnt, diese fiktionalen Geschichten lebensweltlich zu erden, sie mit Geschichten des letzten Jahres zu füllen, gefriert einem das Blut in den Adern und es ist ganz und gar nicht mehr amüsant. Was hätte auf dem Zettel des kleinen Jungen gestanden, der an den Strand nahe Bodrum angetrieben wurde: Assad oder Krieg? Und wären seine Eltern vermutlich deshalb aus Syrien geflüchtet, um diesem drohenden Schicksal für ihren Jungen zu entgehen? Und was hätte auf den Zetteln der sechzehn deutschen Schülerinnen und Schüler gestanden, die nach Spanien und zurück geflogen sind: Suizid? Das ist ganz und gar nicht mehr lustig (obwohl ein derartiges Beispiel im Buch sozusagen proleptisch mehrfach erörtert wird). Aber wenn man sich mit der Providentia Dei beschäftigt, muss man so etwas natürlich mitdenken. Im Buch „Machine of Death. Wollen Sie wirklich wissen, wie Sie sterben werden“ kommt Religion jedoch nur am Rande vor. Gut, man kann durch „Religion“ sterben, das wissen wir. Einmal spricht ein Protagonist eine Geschichte lang mit Gott (ohne dass er benannt würde):
Also die üblichen Hiob-Fragen. Anders aber als im Buch Hiob wird Gott hier nie antworten, auch nicht aus dem Wettersturm. Antworten geben in einer anderen Geschichte („Krebs“) eher die religiösen Scharlatane, die Sekten-Gurus und die Profiteure des kognitiven und emotionalen Elends (die dennoch manchmal wie Vertreter der liberalen Theologie klingen):
Aber wie in Monty Pythons „Leben des Brian“ gibt es sogleich auch um das Seelenheil der Menschen konkurrierende Gruppen. In diesem Falle ist es ein Junge namens Tim, der seine Botschaft von der Selbstheilung des Menschen noch religiös akzentuierter unters Volk bringt:
Geheilt wird natürlich niemand, das liegt in der Konstruktion der Geschichten begründet, denn die Maschine ist ja in ihrem Urteil unfehlbar. Es ist, als ob sie einfach nur in einer himmlischen Bibliothek aus dem Buch des Schicksals eines jeden Menschen den letzten Tag nachschlagen und dann in einem Wort oder Begriff zusammenfassen würde. Biblisch gibt es diese Vorstellung einer Art himmlischer Bibliothek durchaus. Während dabei das Buch der Erinnerung von den konkreten Taten des Einzelnen berichtet, über die dann gerichtet werden kann, und das Buch des Lebens jene Menschen in Listen verzeichnet, die Gott am Ende gnädig aufnimmt, gibt es auch so etwas wie das Buch des Schicksals.
In Psalm 139, 16 heißt es konkret: „In dein Buch waren sie alle geschrieben, die Tage, die schon vorgebildet waren, als noch nicht einer von ihnen war.“ (Bibel in gerechter Sprache) In diesem Buch des Schicksals müsste also lesen, wer über die Todesursachen eines einzelnen Menschen etwas in Erfahrung bringen wollte. Das aber bleibt Gott vorbehalten.
Was lernen wir nun aus der popkulturellen Version der Providentia dei? Die Kurzgeschichten offenbaren ein größeres Interesse an den Folgen der einzelnen Prophezeiungen auf das Subjekt als an den Ursachen der Präzision der Maschine. Nicht dass die Maschine alles weiß, ist wichtig, sondern welche Auswirkung dieser Umstand für den Einzelnen hat. Im Kern geht es um Suspense.
Der amerikanische Medienpsychologe Dolf Zillmann beschreibt Suspense als „emotionale Reaktion, die typischerweise aus akuter Besorgnis um beliebte Protagonisten entspringt, die durch unmittelbar erwartete Ereignisse bedroht werden, wobei diese Besorgnis aus einer hohen aber nicht vollständigen subjektiven Gewissheit über das Eintreten der erwarteten bedauernswerten Ereignisses erwächst“ (zit. nach wikipedia, Art. Suspense). In diesem Falle entsteht der Suspense aus einem unentwirrbaren Widerspruch. Dass wir wissen: Der Tod ist unberechenbar und dennoch mit einer präzisen Ansage konfrontiert werden: nicht nur, dass wir sterben werden (was wir ja wissen), sondern auch wie bzw. wodurch. Wir warten daher sehnsüchtig auf die Lücke im System, auf den Fall, der uns zeigt, dass wir doch frei sind: im Leben und im Tod. In diesem Sinn: Lutherbibel 1984, Sprüche 16,9 Bertold Brecht: Mutter Courage P.S.: Die kürzeste Geschichte im hier vorgestellten Buch ist nur eine Zeile lang. Sie zeigt nur den Zettel der Maschine und umfasst einen Satz. Auf dem Zettel steht „HIV-Infektion durch Todesmaschine“. Und der Satz lautet: „OH“, dachte ich, „also das ist echt beschissen.“ |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/101/am542.htm |