Die Stadt und der Tod ... |
|||
Das allsehende Auge GottesZur aktuellen Ikonographie des Religiösen VIIIAndreas Mertin Station IDer vom 24.-28. Mai 2017 stattfindende Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin und Wittenberg[1] steht unter einem Motto aus dem Bibelvers 1. Mose 16, 13: Der Vers stammt aus dem Kontext der Abraham-Sarah-Hagar-Geschichte und charakterisiert die Reaktion der Hagar auf das tröstende Gespräch mit dem Engel des Herrn. Da Abraham und seine Frau Sarah keine Kinder bekommen, schläft Abraham auf Bitten seiner Frau mit der ägyptischen Sklavin Hagar. Nach damaligem Recht wäre ein Kind aus dieser Verbindung ein Kind der Herrin. Nachdem Hagar schwanger geworden war, demütigt die eifersüchtige Sarah ihre Sklavin und diese entflieht dem Haushalt. Auf der Flucht erscheint ihr ein Engel und fordert sie auf, zurückzukehren und sich Sarah zu unterwerfen. Der Engel verspricht ihr, aus dem Sohn Ismael, den sie gebären werde, würde der Stammvater vieler Völker. Und dann nennt Hagar den Gott, der so zu ihr sprach: El Roï (Gott, der mich sieht / nach mir schaut). Nun hätte man sich für einen Kirchentag zum Reformationsjubiläum durchaus eine Formulierung gewünscht, die nicht so missverständlich an frühkindliche Ohnmachtserfahrungen des „Der liebe Gott sieht alles“[2] erinnert. Aber damit muss man leben. Der Kirchentag hat nun der Öffentlichkeit kürzlich das Werbeplakat zu diesem Vers und zum Kirchentag selbst vorgestellt: Nun sind die Plakate für den Ev. Kirchentag seit einigen Jahren von einer zunehmenden Schlichtheit, so als ob sie implizit die Selbstauflösung des Protestantismus spiegeln würden: Man ahnt irgendwie, dass spätestens 2021 ein einfarbiges Plakat mit einem großen Du (1. Kön. 20,14) übrig bleiben wird. Aber vielleicht auch ein eher provokatives, multikulturelles Ey Du! [Jeder zweite Kirchentag trägt ja aufgrund einer geheimnisvollen Verabredung ein Du oder Dich im Titel.[3]] Aber zurück zum Plakat des kommenden Kirchentages 2017 in Berlin und Wittenberg. Für kreative Pfarrerinnen und Pfarrer, Jugendmitarbeiterinnen und Jugendmitarbeiter, die dieses Mal nicht nur einfach Drachenflieger zur Verkündigung beim Reformationsfest basteln wollen (vgl. https://www.theomag.de/74/am375.htm), sondern das Plakat zum Kirchentag mit den Konfirmanden selbst herstellen möchten, ist schnell eine geeignete Bestellung vorbereitet: Da sind etwa selbstklebende Wackelaugen - 100 Stück - Größen Mix. Passendes Papier finden Sie beispielsweise hier: SUMICO® Tonpapier 130g/qm, orange, DIN A3, 50 St. pro Packung. Bestellen Sie eifrig, Sie fördern damit nicht nur die kreativen Anlagen Ihrer Konfirmandinnen und Konfirmanden, sondern auch unser Magazin ;-) Und wenn man dann ein solches Plakat gebastelt hat, kann man, wenn man denn über aufgeweckte Konfirmandinnen und Konfirmanden verfügen, gleich in die Fußstapfen des Heiligen Nikolaus von Kues treten und mit den Jugendlichen die Gottesschau einüben. Auf ähnliche Weise hat dieser nämlich versucht, seinen Mitbrüdern, Gottes Sicht zu erläutern (siehe dazu Station II). Das Plakat des Kirchentages ordnet sich deshalb durchaus ein in die Geschichte der traditionellen Ikonographie des Christentums und ist damit auch ein Beitrag zur aktuellen Ikonographie des Religiösen. Die Augen, die einen beobachten und scheinbar überall hin verfolgen, sind eine kulturelle Errungenschaft. Leider wird heute das Stichwort des alles sehenden Auges auf die Zeit Jakob Böhmes und vor allem auf die Symbolik der Freimaurer reduziert. Damit gerät man aber automatisch nicht nur in den Kontext aktueller Verschwörungstheorien, sondern auch in das 17. Jahrhundert und reduziert den Reichtum des Phänomens unzulässig auf einen schmalen Bereich. Aber wie der Bibelvers des Kirchentages ja schon verdeutlicht, ist die Vorstellung des alles sehenden Gottes natürlich viel älter. Selten wird sie allerdings so plakativ umgesetzt wie auf dem Einladungsposter des Kirchentages. Man könnte sagen, der Spruch „Du siehst mich“ sei eine Aussage des abstrahierten Kulleraugenwesens, die Kulleraugen stünden also für uns selbst (bzw. historisch für Hagar). Aber das ist kaum evident. Wahrscheinlicher ist, dass in der Rezeption die Kulleraugen mit dem verbunden werden, über den gesagt wird, dass er mich sieht. Sie werden also mit Gott verbunden. Das scheint mir keineswegs glücklich zu sein. Letztlich führt das nämlich zu Bildlösungen zurück, wie sie schon 1628 von Papst Urban VIII. verboten wurden, aber im 19. Jahrhundert noch einmal Popularität erlangten, bei denen - wie beim Drei-Hasen-Bild im Paderborner Dom drei Wesen zu einem Monstrum zusammengefügt werden. Station IIWenden wir uns lieber einem besseren Beispiel zu. Um Blicke, Einblicke, Durchsichten und Einsichten dreht sich die gesamte Malerei des 15. Jahrhunderts nordwestlich der Alpen. „Eine gemalte Anthropologie des Blicks“ hat das Hans Belting zutreffend in seinem Buch „Spiegel der Welt. Die Erfindung des Gemäldes in den Niederlanden“ genannt.[4] Was sehen wir, wenn wir auf ein Bild blicken, inwieweit spiegelt und reflektiert das Bild unseren Blick und inwieweit schlagen modern gesprochen die Kunstwerke ihre Augen auf?[5] Aber nicht nur die Künstler, sondern auch die Theologen beginnen intensiv über Blicke und Wahrnehmungen nachzudenken. 1453 erscheinen die „De visione Dei" („Von der Gottesschau“) des Nikolaus von Kues.[6] Darin schreibt er einleitend an seine Klosterbrüder:
Nikolaus von Kues hat für sein ‚Gleichnis‘ selbstverständlich nicht mit Wackelaugen gearbeitet, er war ein veritabler Vertreter der Hochkultur und hat deshalb ein Kunstwerk gewählt:
Es ist bis heute nicht bekannt, welches Tafelbild Nikolaus von Kues seinen Klosterbrüdern geschickt hat. Der Einfachheit halber nutze ich zur Veranschaulichung ein berühmtes Gemälde von (nach) Jan van Eyck aus dem Jahr 1440, das heute im Groeninge-Museum in Brügge zu finden ist: Jan van Eyck, Christus, 1440, Eichenholz, 33 x 27 cm, Groeninge Museum, Brügge
Ganz pragmatisch sucht Nikolaus von Kues nun die Bilderfahrung auf die Gotteserfahrung zu übertragen.
Er beschreibt nach und nach die Erfahrungen, die seine Mitbrüder mit dem übersandten Bild machen werden und ermuntert sie, diese Erfahrungen in ein Verhältnis zur Gotteslehre zu setzen. Das braucht hier im Einzelnen nicht dargelegt zu werden, der Text sei dem Leser, der Leserin zur eigenständigen Lektüre empfohlen.[7] Worauf aber noch abschließend mit Hans Belting aufmerksam zu machen wäre, sind die bild-anthropologischen Implikationen nicht nur der Gedankengänge von Nikolaus von Kues, sondern auch des Bildes von Jan van Eyck:
Station IIIDas Urteil über das Einladungsplakat zum nächsten Kirchentag in Berlin und Wittenberg hängt vielleicht aber auch davon ab, wie man es zu Martin Luthers Auslegung des Magnifikat in Beziehung setzt:
Man sollte diese Frage nicht vorschnell beiseiteschieben. Die Herausforderung ist in allen Zeiten dieselbe: Gottes Wort zu verkündigen, zur Gottesschau zu führen. Was früher eine Frage des theologischen Briefwechsels war, ist heute eine der Massenkommunikation. Aber das Ziel sollte das Gleiche sein. Ich bin stark im Zweifel, ob das gewählte Plakatmotiv das leisten kann. Es setzt zu bewusst auf Trivialisierung und Infantilisierung. Selbst wenn sich die Macher auf den Satz des Nikolaus von Kues berufen würden: Näherhin werde ich versuchen, euch auf die einfachste und allgemein verständlichste Weise auf dem Wege der Erfahrung (experimentaliter) in die allerheiligste Dunkelheit hineinzugeleiten ... so werden sie erkennbar mit diesem Bild ihr Ziel nicht erreichen. Anmerkungen[2] Erinnert sei an Bertolt Brechts Gedicht „Was ein Kind gesagt bekommt“: [3] Im Einzelnen: [4] Belting, Hans (2013): Spiegel der Welt. Die Erfindung des Gemäldes in den Niederlanden. 2. Aufl. München: Beck, C H (Beck'sche Reihe, 1830). [5] „Was Natur vergebens möchte, vollbringen die Kunstwerke: sie schlagen die Augen auf.“ Th. W. Adorno, Ästhetische Theorie, Gesammelte Schriften 7, S. 104. [7] Nikolaus von Kues: Textauswahl in deutscher Übersetzung, Heft 3: De visione Dei / Das Sehen Gottes. Deutsche Übersetzung von Helmut Pfeiffer, 3. Auflage, bearbeitet am Institut für Cusanus-Forschung, Trier: Paulinus-Verlag, 2007 [8] Belting, Hans (2013): Spiegel der Welt, a.a.O., S. 87. [9] M. Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt WA 7, 544-604. [10] Thaidigsmann, Edgar (1987): Gottes schöpferisches Sehen. Elemente einer theologischen Sehschule im Anschluss an Luthers Auslegung des Magnificat. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie (NZSTh) (29), S. 1938. |
|||
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/101/am543.htm |