Die Stadt und der Tod ... |
Des Königs zweiter KörperEine RezensionLudwig Laibacher Jacques-Louis Davids Gemälde „Der Tod des Marat“ von 1793 markiert eine Zäsur - in der Bildenden Kunst als auch in der politischen Theorie. Der Künstler arbeitet noch in der Manier des Hofmalers, aber da ist kein König mehr. Und der, der mithalf, den Monarchen zu töten, ist ebenfalls tot. Stattdessen aber ist das Bild voller Andeutungen und Hinweise auf die Welt, die da kommen wird. Das berühmte Gemälde des in der Badewanne ermordeten Marat ziert auch den Umschlag von Eric Santners Abhandlung „Was vom König übrig blieb - die zwei Körper des Volkes und die Endspiele der Souveränität“. Es geht dem Autor um die Transformation von Machtmechanismen an der Wende von monarchischen zu modernen Staatsformen. Und auf der Ebene darunter natürlich um all die Dinge, die den Bürger bis jetzt in der Unfreiheit halten. Santners Ausgangspunkt ist Michel Foucaults Theorie von der Biopolitik (die wiederum auf Ernst Kantorowiczs Studie „Die zwei Körper des Königs“ fußt). „Die Macht war vor allem ein Zugriffsrecht auf die Dinge, die Zeiten, die Körper und schließlich das Leben; sie gipfelte in dem Vorrecht, sich des Lebens zu bemächtigen, um es auszulöschen.“ So beschreibt Foucault die alte Ordnung der Könige in „Der Wille zum Wissen“. Doch mit dem Wandel zur Demokratie ist die Gewalt auf einen anderen Souverän - das Volk - übergegangen. Mit durchaus prekären Folgen: „Die Souveränität wurde vom Körper des Königs auf alle Körper verteilt. Plötzlich besaß jeder Körper politisches Gewicht. Die Körper waren weniger lesbar und der Platz der Person innerhalb der Nation unklar geworden.“ (Melzer/Norberg: From the Royal to the Republican Body). Santner findet Foucaults (und Kantorowiczs) Theorie ungenau, sie besitze nicht genügend Trennschärfe - vor allem, wenn es darum gehe, die Gewaltexzesse des 20. Jahrhunderts zu erklären. Wie konnte es zum Holocaust kommen, wenn doch der neue Herrscher - die Körper der Vielen - regiert, der doch nicht mehr den Tod will, sondern dem Leben eine herausragende Rolle zuweist und alles tut, um es zu bewahren? War diese Bestialität eine Rückfall in die Vormoderne und deren Herrschaft über den Tod oder gibt es im neuen Recht Formen der Macht, die gleichermaßen „Leben machen oder es in den Tod stoßen“? Mit Foucault lässt sich das nach Ansicht Santners nicht wirklich entscheiden. Und noch an einer zweiten Stelle will der Autor korrigierend eingreifen: Es gibt einen Platzhalter, den Foucault „die merkwürdige und mythische Gegenwart des Königs“ nannte, und die als solche auf den Körper und das Leben des Volkes übergegangen sei. Santner widerspricht: „Das tatsächliche Objekt der neuen Physik der Macht ist nicht einfach der Körper oder das Leben, sondern das vom Körper des Königs abgelöste Fleisch, das wie eine merkwürdige alien-artige Präsenz in den Körper des Volkes übergangen ist.“ Damit glaubt er einen Ansatz gefunden zu haben, der es ihm erlaubt dem „immunologischen Paradigma“, wonach souveräne Macht in den Biopolitiken moderner Staaten fortbesteht, auf die Spur zu kommen. Santner beharrt, wie der Untertitel verrät, auf den zwei Körpern des Volkes. Das heißt, er will „einen zweiten Körper“ betonen: die Kategorien von Schmerz und Jammer. Ihm ist daran gelegen ist, stets die Spannung zwischen der Souveränität des Einzelnen und dem Rätsel seiner Kreatürlichkeit mitzudenken. Die Belege und Illustrationen dafür findet er in der Bildenden Kunst und, mehr noch, in der Literatur. Als eindringliches Beispiel stellt er die Absetzungsszenen von William Shakespeares „Richard II“ ins Zentrum seiner Überlegungen: „Wir müssen uns eine muybridgeartige Bewegungsstudie dieser Absetzung vorstellen, deren kaskadenartige Bewegung vom Königtum zum Namen des Königtums, und von dem Namen zum nackten menschlichen Jammer führt“. Dieses Bild wiederum schließt Santner mit der Krisenliteratur der Moderne kurz. Hugo von Hofmannsthal, Franz Kafka und Samuel Beckett („Die Endspiele der Souveränität“) ruft er als seine Zeugen auf. Am deutlichsten jedoch, so Santner, habe Rainer Maria Rilke in seinen „Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ den „nackten menschlichen Jammer“ evoziert, auf den der König in Shakespeares Drama herab-gesunken ist. Modellhaft steht dafür die berühmte, viele Seiten lange Beobachtung eines Veitstänzers. Er wird zum Inbegriff des Kreatürlichen und dessen, was dem Menschen an sich selbst fremd bleibt. Die gesamte Geschichte der Menschheit ist „in jedem Bestandteil der Luft“ enthalten, schreibt Rilke. „Alles, was sich an Qual und Grauen begeben hat auf den Richtplätzen, in den Folterstuben, den Tollhäusern, die Operationssälen, unter den Brückenbögen im Nachherbst: alles das ist von einer zähen Unvergänglichkeit, alles das besteht auf sich und hängt, eifersüchtig auf alles Seiende, an seiner schrecklichen Wirklichkeit.“ Der Mensch möchte vergessen, aber diese Wirklichkeit holt ihn im Schlaf ein. Santner gelingt mit seiner Abhandlung eine weitere Differenzierung, indem er Bilder findet, die die Spannung zwischen dem menschlichen Wunsch nach der Freiheit und seiner Bedingtheit den nötigen Raum gibt. Aber darüber kommt er nicht hinaus und er ist sich dessen auch bewusst. Er räumt ein, dass er nur die Vorarbeit geleistet hat und dass es noch eine Menge zu tun gebe, um die Implikationen seiner Behauptungen weiter auszuarbeiten. Wie in Davids „Tod des Marat" kämpft das souveräne Volk weiterhin vergeblich darum, eine lebensfähige Gestalt anzunehmen. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/101/ll01.htm |