Ars brevis

Die kleine Ewigkeit der Kunst

Andreas Mertin

Kunstmuseen

Grasskamp, Walter (2016): Das Kunstmuseum. Eine erfolgreiche Fehlkonstruktion. Originalausgabe. München: C.H. Beck (C.H. Beck Paperback, 6228).

Eine „erfolgreiche Fehlkonstruktion“ nennt Walter Grass­kamp ebenso provozierend wie zutreffend in seinem jüngst erschienenen Buch das Kunstmuseum. Provozierend erscheint es auf den ersten Blick, weil kaum etwas im Kulturbetrieb auf so viel Nachfrage stößt wie die zeitgenössische Kunst, zutreffend ist es, weil kaum etwas im Kulturbetrieb in den letzten dreißig Jahren so problematisch wurde wie die zeitgenössische Kunst im Kontext des Museums.

Mein Fazit im Voraus: Ich empfehle dieses kleine Buch (es sind gerade mal 180 Seiten) jedem, der an der der zeitgenössischen Kunst teilnimmt, jedem, der ab und an ein Kunstmuseum aufsucht und sich fragt, was er dort und warum er dort was präsentiert bekommt und jedem, der sich für Kulturpolitik interessiert. Denn Grasskamps Buch ist ein kulturpolitisches Buch. Es ist sehr lesefreundlich geschrieben, man kann den Gedankengängen gut folgen und bekommt selbst als Kunstinteressierter noch manche Information, über die man bisher nicht verfügte. Freilich stellt man sich am Ende auch die Frage, warum wir uns noch so etwas Aufwendiges leisten wie Museen für zeitgenössische Kunst.

Grasskamp ist kein Museumsstürmer, sondern ein ausgewiesener Kenner der Museumsgeschichte. 1981 legte er eine kleine Sozialgeschichte des Museums vor, in den Jahren danach immer wieder Studien zur Rolle der Kunst in unserer Gesellschaft.

Hier eine kleine Auswahl:

  • (1981): Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums. München: Beck, C H
  • (1989): Die unbewältigte Moderne. Kunst und Öffentlichkeit. München: Beck, C H
  • (1992): Die unästhetische Demokratie. Kunst in der Marktgesellschaft. München: Beck, C H
  • (2000): Konsumglück. Die Ware Erlösung: Beck, C H.
  • (2002): Ist die Moderne eine Epoche? Kunst als Modell. München: Beck, C H
  • (2014): André Malraux und das imaginäre Museum. Die Weltkunst im Salon. München: Beck, C H.

Das nun vorgelegte Buch über die erfolgreiche Fehlkonstruktion des Kunstmuseums gliedert sich wie folgt:

  • PARADOXIEN DES KUNSTMUSEUMS
    Wie man Folgekosten erwirbt, die man nie wieder loswird
  • DER TRAUM DES KÄMMERERS
    Darf man Museumsbesitz verkaufen?
  • TRADITION ALS GENERATIONENVERTRAG
    Die Entkernung des Kunstmuseums
  • BILDWECHSEL
    Schausammlung und Wechselausstellung
  • DIE AURA ALS BAUSTELLE
    Der Künstler als Widersacher der Restauratorin
  • BLEIBEVERHANDLUNGEN DES ZEITGEISTES
    Die museale Verdrängung der Vergangenheit
  • ZUNEHMENDES NACHLASSEN
    Die kleine Ewigkeit der Kunst

Jeder, der in den letzten Jahrzehnten den Museumsbetrieb verfolgt hat, konnte beobachten, wie immer mehr Museen mit zeitgenössischer Kunst errichtet wurden. Auch dort, wo die Bevölkerung selbst deutlich verlautbarte, sie habe keinerlei Interesse an der dauerhaften Ausstellung zeitgenössischer Kunst, wurde – unbeachtet aller Folgekosten – unverdrossen durch die Kulturfunktionäre der Städte ein neues Museum hochgezogen. Sogar jene Städte in Deutschland, die am höchsten verschuldet waren, spielten bei diesem Spiel mit. Jeder wollte im Wettlauf mit der kulturellen Aufmerksamkeit dabei sein.

Selbst in der Megacity Ruhrgebiet, in der ich wohne, wo das nächste Museum spätestens in einem der ‚Nachbarviertel‘ zu erreichen ist, wurde kräftig gebaut. Der inzwischen schon in die Jahre gekommene Museumsführer „Moderne Kunst in NRW“ verzeichnete bereits 2003 allein für Nordrhein-Westfalen 60 Museen zeitgenössischer oder moderner Kunst. Und seitdem sind einige neu dazugekommen. Ich kann in einem Umkreis von weniger als 50 Kilometern über 20 Museen für moderne und zeitgenössische Kunst aufsuchen. Zwei Museen in meiner Heimatstadt (Karl-Ernst-Osthaus-Museum, Emil Schumacher-Museum), die anderen in Hamm, Unna, Dortmund, Bochum, Essen, Wuppertal usw.

Walter Grasskamp fragt nun, was machen wir da eigentlich, wenn wir doch seit langem wissen, dass die Kosten für den Bau des Museums und den Erwerb der Kunstwerke verschwindend gering sind, wenn man sie mit den laufenden Kosten vergleicht. Und kann man nicht jene Stadtkämmerer verstehen, die, wenn sie die im Museum gehorteten Werte (= stillgestelltes Kapital) addieren, davon träumen, einiges davon zu verflüssigen und dem Kapitalfluss, sprich dem städtischen Haushalt wieder zuzuführen. Wenn also ein Agent eines internationalen Auktionshauses vorbeischaut und erläutert, der doch selten betrachtete Hodler an der Wand würde aber auf der nächsten Auktion in London einige Millionen bringen. Das würde vielleicht sogar den Kulturetat entlasten. Und was ist eigentlich die Aufgabe eines städtischen oder staatlichen Kunstmuseums? Den Wert der dort ausgestellten Leihgaben von Privatsammlern zu steigern? Oder doch nicht eher den Besuchern einen Vorschlag zu unterbreiten, welche Kunst zur Kunstgeschichte werden könnte? Aber welchen Sinn machen dann Museen mit zeitgenössischer Kunst – mit Werken zumal, die gleich für die Museumswand geschaffen wurden? Und was ist mit all den Nachlässen, die inzwischen Museen zur Verwaltung und Pflege übereignet werden? Kollabiert das System nicht irgendwann an seinem Erfolg ebenso wie an seiner Widersprüchlichkeit? Fragen über Fragen, die Walter Grasskamp geduldig Schritt für Schritt erörtert.

Die Schlussfolgerung, die man aus all dem zieht, muss nicht notwendig die Abwendung vom Gedanken eines Museums mit zeitgenössischer Kunst bedeuten. Aber man muss sich doch der Frage stellen, ob es kulturpolitisch Sinn macht, einen derartigen Betrieb zu unterhalten. Es gelingt Grasskamp mit seinem Buch, die abstrakte kulturpolitische Frage „Wie viel zeitgenössische Kunst können wir uns leisten?“ zu überschreiten und den Leser zur persönlichen Stellungnahme herauszufordern. Mir jedenfalls ging es bei der Lektüre so. Bei jedem von Grasskamp geschilderten „Fall“ kann man sich fragen, wie man selber als Verantwortlicher damit umgegangen wäre. Und wie man das grundsätzliche Problem von Zeitgenossenschaft und Geschichtsbildung lösen würde. Persönlich fand ich die alte Aufgliederung von Kunstverein – Kunsthalle – Kunstmuseum – Landesmuseum sinnvoll und bewährt. Dass immer mehr Museen die Funktion von Kunsthallen übernommen haben, finde ich bedauerlich und einen Irrweg. Aber man kann das auch anders sehen.


Diözesanmuseen

Knacker, Katharina (2016): Mission Museion. Museen der katholischen Kirche im deutschsprachigen Raum. Bielefeld: transcript (Edition Museum).

Ein Buch wie dieses war schon lange fällig. Wer es wie der Rezensent sich zur Gewohnheit gemacht hat, bei den Besuchen verschiedener Großstädte in Deutschland immer auch die Diözesanmuseen aufzusuchen, weil sie – bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Konzepte – immer auch ganz besondere Entdeckungen und Wahrnehmungen ermöglichen, der möchte schon auch gerne wissen, was die ‚Macher‘ dieser besonderen Form des Museums antreibt.

Deutschland verfügt über eine einzigartige Landschaft von derartigen Museen. Manche sind – zu Recht – außerordentlich berühmt (wie das Kolumba in Köln), andere schlummern noch etwas im Dornröschenschlaf (wie etwa das Dommuseum in Trier, das mehr Aufmerksamkeit verdient). Oft stehen die Diözesan- bzw. Dommuseen auch etwas im Schatten des Doms, dem sie zugesellt sind, so dass die Publikumsströme sich eher dem Dom als dem Museum zuwenden.

Katharina Knacker geht in ihrer Untersuchung zunächst dem Beziehungsverhältnis von katholischer Kirche und Vormoderne nach (Teil I), stellt die Zuwendung zur autonomen Kunst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts vor (Teil II) und untersucht dann vier konkrete Museen nach der Jahrtausendwende (Würzburg, Freising, Admont, Köln) (Teil III). Letzteres basiert vor allem auf diversen Interviews, die die Autorin mit den Museumsbetreibern geführt hat. Daneben stellt das Buch immer wieder auch die theoretischen theologischen Reflexionen zur Kunst vor.

TEIL I      Die ersten Museen der katholischen Kirche und die Entfremdung von Kunst und Kirche (von 1733 bis 1962)

TEIL II     Besinnung der katholischen Kirche auf den Nutzen von Kunst und ihr Konflikt mit der Anerkennung der künstlerischen Autonomie (von 1962 bis 2001)

TEIL III    Museen der katholischen Kirche nach der Jahrtausendwende – vier Fallbeispiele (von 2001 bis 2010)

Zugleich ist das Buch aber auch eine Bestandsaufnahme und Bilanz, denn nach 2010 stellt sich den Diözesanmuseen auch die Frage nach dem eigenen Profil. War bis dahin der Kontrast von Alt und Neu besonders reizvoll, so machen das nun nahezu alle Museen Europas, was die Frage nach dem neuen Beitrag der Diözesanmuseen zur Museumskultur aufkommen lässt. Jetzt aber wissen wir Dank der Studie von Katharina Knacker wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass sich eines der klarsten Differenzmerkmale zwischen evangelischer und katholischer Kirche und Deutschland ausprägen konnte. Das Buch sei allen im Bereich von Kunst und Kirche Tätigen zur Lektüre empfohlen!

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/102/am549.htm
© Andreas Mertin, 2016