E.N.D.E.

Zur aktuellen Ikonographie des Religiösen IX

Andreas Mertin

Der Verein „Bibel in gerechter Sprache“ hat die Luther-Playmobilfigur als eine solche kritisiert, die Antijudaismus fördern könne. Die Figur „transportiert die Behauptung, dass im Protestantismus das Alte Testament in seiner Gültigkeit abgelöst sei“. Den Grund dafür sieht der Verein darin, dass auf der linken Seite des Buches, das die Figur in Händen hält, unter den Worten „Bücher des Alten Testaments“ deutlich erkennbar die Buchstaben ENDE stehen, bevor es dann auf der rechten Seite weitergeht mit „Das Neue Testament übersetzt von Doktor Martin Luther“. Die Kritik nimmt Bezug auf kritische Äußerungen von Micha Brumlik, der in der taz geschrieben hatte: „Theologisch dürfte es dafür kaum einen anderen Grund geben als den, das ‚Alte Testament‘ und mit ihm seine Gültigkeit für beendet anzusehen – ein Thema, das die Geschichte der Kirche seit der späten Antike bis in die Gegenwart immer wieder beschäftigt hat und noch heute umtreibt.“ Er meinte, angesichts der Wirkungsgeschichte der Judenkritik Luthers sei es angebracht, das Wort entweder wegzulassen oder doch so zu gestalten, dass es nicht wie bei der Playmobil-Figur als erstes ins Auge fällt. Dem schließt sich der Verein der Bibel in gerechter Sprache an, nicht ohne hervorzuheben, dass die „Darstellung Luthers als Playmobilfigur keine antijüdischen Hintergründe habe“. Vielmehr gelte es den aktuellen gesellschaftlichen Kontext zu bedenken.

Das evangelikale Nachrichtenportal idea, das diese Meldung mehr als tendenziös verbreitet (in der Meldung spricht idea von der „umstrittenen feministischen Bibel“ und bezeichnet die taz als „atheistisch-linke“ Tageszeitung), befragt nun den Koordinator der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für das 500. Reformationsjubiläum 2017, was er von der Kritik des Vereins der Bibel in gerechter Sprache hält. Nun weiß man nicht, was dieser wirklich gesagt hat, sondern erfährt wie immer nur, was idea in den Kram passt. Der Koordinator weist jedenfalls die Vorwürfe zurück: „Irgendein antijudaistischer Hintergedanke war niemals beabsichtigt und wäre auch theologisch unhaltbar und eine Fehlinterpretation“. Wenn ich es recht sehe, ist dafür das zentrale Argument, dass die Playmobilfigur sich an Johann Gottfried Schadows klassizistischer Lutherstatue auf dem Marktplatz von Wittenberg orientiere. Mir ist nicht ganz klar, was dabei das Argument soll. Denn es könnte ja durchaus sein, dass auch Schadows Statue antijudaistisch ist. Nur weil etwas wiederholt wird, ist es ja nicht schon gut. In der Sache ergänzt der Koordinator: Bei Schadows Statue ist genau beim Alten Testament der Vermerk ‚Ende’ in Großbuchstaben aufgeführt. Dargestellt sei eine Wechselseite zwischen Altem und Neuem Testament. Das stehe aber nicht für das Ende oder die Überwindung des Alten Testaments. Es sei nur als Trennseite gedacht und zeige besonders, dass das Alte und das Neue Testament von Luther übersetzt wurden und beides zusammen die Bibel bilde. Also sei Playmobil nur Schadow und dieser Martin Luther gefolgt. Das scheint auf den ersten Blick plausibel.

Ist es aber nicht, vor allem wenn man dann die Lutherbibel von 1534 bzw. 1545 aufschlägt. Es gibt keine Trennseite zwischen dem Alten und dem Neuen Testament. Vielmehr endet der Text des Alten Testaments mit dem Gebet Manasses, dessen letzte Zeilen bei Luther lauten: „Denn dich lobet alles himels heer / vnd dich sol man preisen imer vnd ewiglich / AMEN.“ Und dann folgt unten auf der Seite: „Ende der bucher des alten Testaments.“

Blättert man um, folgt das ‚Cover‘ des Neuen Testaments und eine Seite weiter Luthers „Vorrhede auff das Newe Testament.“, die mit den Worten beginnt: „Gleich wie das Alte Testament ist ein Buch / darinnen Gottes Gesetz vnd Gebot / daneben die Geschichte / beide dere / die dieselbige gehalten vnd nicht gehalten haben / geschrieben sind / Also ist das Newe Testament ein Buch / darinnen das Evangelion vnd Gottes Verheissung / daneben auch Geschichte / beide dere / die daran glauben vnd nicht glauben / geschrieben sind.“

Halten wir zunächst einmal fest: Zwar folgt Luther dem Verheißung-Erfüllung-Schema. Anders als Schadow es nahelegt, heißt es bei Luther (zumindest 1534 und 1545) aber nicht: „Bücher des Alten Testaments. ENDE ...“ – Es heißt vielmehr „Ende der bucher des alten Testaments“. Mancher mag diesen Unterschied für marginal halten, er ist es aber nicht. Das herausgestellte ENDE im Gegenüber zum folgenden Neuen Testament sagt etwas anderes aus, als wenn ich etwa schreibe „Ende des Buches Hiob“. Das muss jedem einsichtig sein, der nur etwas Gefühl für die deutsche Sprache hat. Also, etwas Problematisches steckt bereits in der Konzeption der Lutherstatue von Schadow – Klassizismus hin oder her. Der Einfachheit halber bringt Schadow eine Verkürzung in die Gestaltung, die zu Missverständnissen mehr als Anlass gibt.

Nun wird aber darüber hinaus behauptet, die Playmobilfigur sei eine Kopie der Statue von Schadow, weshalb überhaupt kein Spielraum bestanden habe, das Wort ENDE wegzulassen. Schauen wir diese Kopie und das Original einmal genau an:

Da schluckt man doch etwas erschrocken und betreten, denn genau genommen hat Playmobil nur(!) die Bibel von der Schadowschen Vorlage übernommen. Das ist schon dreist! Weder der Federkiel, noch das Luther-Barrett, noch die weißen Armstulpen, noch den übergelegten offenen Um­hang, noch das Playmobileigene Lächeln, noch die eigentümlichen Haare gibt es in der Vorlage. Allenfalls die Schuhe haben noch eine entfernte Ähnlichkeit.

Nein, das einzige, was übernommen wurde, war das zu antijudaistischen Lesarten führende angebliche ‚Trennblatt‘ zwischen Alt und Neu. Warum hat man dann nicht die Wormser Statue als Vorbild genommen? Warum nicht die Statue aus Eisleben? Warum nicht Rudolf Uffrechts Statue? Alles Statuen mit einer ‚ganzen‘, ungeteilten Bibel. Es ist ja nicht so, als ob das durchaus narzisstische Luthertum arm wäre an Lutherstatuen oder Lutherbildern. Man kann wirklich aus dem Vollen schöpfen, wenn man ein Luther-Idol kreieren will.

Halten wir also fest: Erstens ist die Formulierung mit dem ENDE eher Schadow als Luther. Und zweitens ist genau das auch das Einzige was Playmobil von Schadow übernimmt. Wenn das so ist, gibt es gute Gründe zu fragen: Warum habt ihr das gemacht? Das kann doch kein Zufall sein! Es war eben nicht alternativlos. Selbst wenn man der Meme folgen würde, Playmobil hätte sich an der Wittenberger Statue orientiert, so wäre gerade die Abweichung an dieser Stelle theologisch umso bedeutungsvoller gewesen. Man hätte sich gefragt, warum man anders als beim Vorbild eben nicht dem herausgestellten ENDE gefolgt ist, sondern eine andere Lösung gewählt hat. Eine verpatzte Chance.


Ein ganz anderer Fall ist übrigens die Lutherfigur von Otmar Hörl. Zum einen ist sie wirklich eine Kopie des Vorbildes von Schadow und sollte dessen Skulptur in einer ortsbezogenen Installation während der Renovierung ersetzen und an sie erinnern. Zum anderen übernimmt Hörl zwar die Großbuchstaben ENDE aus der Schadowschen Vorlage, aber in der Dramaturgie der Hände und der Ton-in-Ton-Gestaltung der Figuren entfällt alle Aufmerksamkeit für das großgeschriebene Wort. Es wird in der Adaption von Hörl geradezu ornamental. Daher ist seinerzeit eben nicht der Vorwurf laut geworden, hier würde der Antijudaismus gefördert.

Die Konzeption der Playmobil-Figur ist dagegen gänzlich anders. Sie setzt einen Fokus auf das Wort ENDE.


Postskriptum

Und daher zum ENDE noch ein Hinweis für Psychologen – die Leserkommentarspalte bei Idea:

  • „Wer nimmt denn diesen Verein ernst? Wahrscheinlich will er nur davon ablenken, was für ein Unsinn in der „Bibel in gerechter Sprache“ so alles drin steht! Dort wimmelt es meiner Meinung doch nur so von feministisch-unbiblischen bis ketzerischen Kram!“   
  • „Mit diesen Überinterpretationen kann man es auch übertreiben. Allerdings heiligt bei manchen Leuten ja der Zweck die Mittel, insbesondere bei ideologiebesetzten Personen, die ihre eigene Auffassung in der Gesellschaft durchgedrückt wissen wollen.“
  • „Da scheint jemand Luthers Schrift ‚Von den Juden und ihren Lügen‘ nicht gelesen zu haben, sonst wüsste derjenige, dass Luther nicht die Juden sich bekämpfte, sondern die Werkgerechtigkeit, die Luther im jüdischen Glauben sah.“
  • „Wenn das eine Nachbildung des Lutherdenkmals ist, dann sollte man es so lassen. Einige Leute suchen immer nach Problemen, um die tatsächlichen zu übergehen.“
  • „Luther war Doktor mit einer Arbeit über das Alte Testament. Luther mit der letzten Seite des Alten und der ersten des Neuen Testament - das passt zu ihm und zu unserer gegenwärtigen Christenheit. Insofern ist die Kritik des Vereins abwegig.“
  • „ENDE ist nur ein Kürzel für ‚Endlich Naht Der Eine‘. Es kein Wort der Abschieds vom Alten, sondern der Erfüllung des Alten im Kommenden. Luther hat dies eindeutig so verstanden, darum wurde ENDE eben auch in Großbuchstaben geschrieben als Verweis darauf, dass es sich um die Initialen eines Satzes handelt.“

Beim letzten Kommentar handelt es sich vermutlich um den eines apokalyptischen Komikers.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/102/am550.htm
© Andreas Mertin, 2016