Vita brevis ars longa |
Steve Jobs und AppleGedanken zu einem religiösen? Phänomen unserer ZeitThomas O.H. Kaiser „Three apples changed the world, Am 12. November 2015 kam ein Film[2] in die deutschen Kinos, der bei seinem Start die Kritiker begeisterte: Steve Jobs[3] ein Film über den Gründer des Technologiekonzerns Apple[4]. Kein anderer stand so für Apple wie der am 5. Oktober 2011 verstorbene Visionär, Revolutionär, Nonkonformist und Marketing-Stratege. Seine bahnbrechenden Erfindungen der letzten zehn Jahre der iPod[5], das iPhone[6] und das iPad[7] revolutionierten den Telefon- und Computermarkt![8] Steve Jobs ist auch ein religiöses Phänomen. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Zeit der konfessionellen Glaubenskriege zwar vorbei, aber der Kampf der Ideologien vom Clash of Technologies abgelöst worden ist: Die Grenze scheint heute nicht mehr zwischen evangelisch und katholisch zu verlaufen, sondern zwischen Microsoft- und Bill Gates- Anhängern auf der einen und Mac- und iPhone-Usern und Steve Jobs-Anhängern auf der anderen Seite![9] Kommt die Rede auf Steve Jobs und Apple, geht es nicht mehr nur um Computertechnik, sondern auch um grundsätzliche Einstellungen der Gesprächspartnerinnen und -partner um Weltanschauungen, Lebenshaltungen und um religiöse Sinnstiftung.[10] Deshalb: Um das Phänomen Steve Jobs besser verstehen zu können, schauen wir uns im Folgenden erstens, an, wer Steve Jobs gewesen ist und was seine Firma Apple ausmacht. Werfen wir danach, zweitens, einen Blick auf die Weltanschauung und das Wertesystem des Kultstars sowie auf das religiöse resp. philosophische System, das mit Steve Jobs in Verbindung gebracht wird. Und ziehen wir, drittens, eine Verbindungslinie von ihm zu Martin Luther und der Reformation, deren Beginn sich 2017 zum fünfhundertsten Mal jähren wird. I.Geboren wurde Steve Jobs am 24. Februar 1955 im kalifornischen San Francisco.[11] Seine leiblichen Eltern, der syrische Politikstudent Abdulfattah Jandali[12] und die Amerikanerin deutscher Herkunft, Joanne Carole Schieble, damals 23 Jahre alt, gaben ihr Neugeborenes zur Adoption frei. So wuchs der kleine Steven Paul als Adoptivkind von Paul und Clara Jobs, einem Mechaniker und einer Buchhalterin, in amerikanischen Mittelstandsverhältnissen in einer kalifornischen Trabantensiedlung, auf.[13] Jobs war anfangs alles andere als ein Erfolgstyp: Nach der High-School in Cupertino begann er 1972 ein Studium, brach es aber nach einem Semester ab. Er konsumierte, wie viele seiner Kommilitoninnen und Kommilitonen der `68er Generation, Marihuana und LSD, lebte von dem Pfand leerer, aufgesammelter Cola-Flaschen, lief barfuß umher, schlief bei Freunden auf dem Boden, fastete, meditierte und kam einmal wöchentlich im örtlichen Hare-Krishna-Tempel zu einer kostenlosen warmen vegetarischen Mahlzeit. Schon damals interessierte er sich für Computer. Mit seinem Freund Steve Wozniak[14] entwickelte er Computerspiele. Er kam dadurch zu Geld, sparte etwas an und bereiste 1974 Indien.[15] Nach seiner Rückkehr in die USA braungebrannt, in baumwollene safrangelbe indische Gewänder gekleidet und den Kopf rasiert suchte er nach einer Auszeit bei befreundeten Hippies, die biologischen Apfelsaft herstellten, auf einer Apfelplantage [sic!] Erleuchtung. Er verkaufte seinen alten VW-Bus und gründete mit dem Erlös von 1000 US-Dollar in einer Garage in Palo Alto/Kalifornien mit Steve Wozniak und einem Dritten[16] 1976 eine Firma: die Apple Computer Company da war er 21 Jahre alt! Das Logo der Firma wurde ein Apfel mit Biss (von to bite). Der Apple I, den sie bauten, war wesentlich kleiner als andere Computer und steckte in einem selbst gebauten Holzgehäuse.[17] 1977 erschien die Weiterentwicklung, der Apple II der erste Computer in Massenproduktion. Er brachte seinen Entwicklern richtig Geld ein: Denn Apple II war der erste Computer, der Farben darstellen und Töne ausgeben konnte! Apple wurde zum Markführer. Drei Jahre später kam dann der Apple III auf den Markt und 1983 schließlich folgte ein Computer namens Lisa, bevor am 24. Januar 1984 der erste Macintosh[18] das Licht der Welt erblickte. Der Macintosh war der erste Computer mit einer grafischen Benutzeroberfläche, also mit anklickbaren Symbolen auf dem Bildschirm und der seit Lisa unverzichtbaren Maus, die Jobs entwickelt hatte, um auch Laien die Arbeit am Computer zu ermöglichen. Außerdem konnte der Mac sprechen ein Novum damals! Interne Machtkämpfe bei Apple brachten Steve Jobs aber 1985 dazu, das Unternehmen zu verlassen.[19] Er verkaufte alle seine Apple-Aktien und war auf einen Schlag um 100 Millionen Dollar reicher! Jobs gründete dann, 1986, eine neue Computerfirma namens NeXT, wurde aber von Apple verklagt, interne Geheimnisse mitgenommen zu haben und gerichtlich dazu verpflichtet, bis 1987 keine eigenen Computer auf den Markt zu bringen.[20] 1986 gelang ihm ein anderer Coup: Er kaufte die Trickfilmstudios PIXAR und revolutionierte den Zeichentrickfilm: Toy Story 1-3, Die Monster AG, Die Unglaublichen, Cars, Ratatouille usw. das sind die animierten Filme, die PIXARs Publikumserfolge ausmachten.[21] 1997 holte Apple Steve Jobs zurück das Unternehmen hatte innerhalb kurzer Zeit eine Milliarde Dollar Schulden angehäuft und stand vor dem Konkurs. Jobs brachte den angeschlagenen Konzern zurück in die Gewinnzone. 1998 führte er bei Apple den iMac ein, drei Jahre später den iPod, dann das Multimedia-Verwaltungsprogramm iTunes und danach die Internet-Handelsplattform iTunes-Store mit Musik, Musikvideos und Filmen.[22] Schließlich revolutionierte Steve Jobs den Handy-Markt: Das iPhone und das iPad machten Apple unter seiner Geschäftsführung zum wertvollsten Technologie- und Trendkonzern dieser Welt fünfmal mehr Wert als Siemens! Seither ist Apple Marktführer der sog. Digital Lifestyle-Produkte, genießt als Marke Kultstatus und ist beliebt bei allen, die sich gerne des IT-Mediums bedienen, ohne sich um viel Technik kümmern zu müssen.[23] Steve Jobs ist darüber ein sehr reicher Mann geworden: Im März 2011 wurde sein Vermögen vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf die unvorstellbare Summe von über 8, 3 Milliarden US-Dollar beziffert.[24] Was wissen wir über das Privatleben des Apfelmanns? Am 18. März 1991 hatte Steve Jobs die US-Amerikanerin Laurene Powell[25] in einer zen-buddhistischen Zeremonie im Yosemite Nationalpark geheiratet und mit ihr eine Familie gegründet. Gemeinsam mit ihr erzog er drei Kinder, mit denen er in Palo Alto lebte .[26] Nach all dem, was wir heute über ihn wissen, lebte Jobs im Kreise der Familie persönlich bescheiden, stand politisch den Democrats nahe und pflegte freundschaftliche Beziehungen zum ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Weggefährten berichteten von Problemen im direkten Umgang mit Jobs.[27] Seit Jugendtagen ernährte er sich vegan, d. h., er aß kein Fleisch, ließ aber Fisch wie z. B. Sushi auf dem Speiseplan zu.[28] Musikalisch war er ein großer Fan von Bob Dylan, den Beatles und der psychedelischen Rockband Greatful Dead.[29] Konnte man ihn in früheren Jahren noch in 5000 US-Dollar teuren Brioni-Anzügen sehen, so kleidete sich Jobs mit der Zeit immer häufiger minimalistisch als bewusste Gegenreaktion auf das Establishment, wie es für ihn, wie er meinte, die Herren in den grauen Anzügen der Konkurrenz von IBM repräsentierten:[30] Bei den heute legendären Apple-Produkt-Präsentationen, deren Höhepunkt mit dem saloppen Satz von Steve Jobs, „One more thing“, eingeleitet wurden, trat er in legerem Outfit, in einer Blue Jeans und dem zwischenzeitlich Kult gewordenen schwarzen Rollkragenpulli auf.[31] Im Oktober 2003 wurde bei Steve Jobs Krebs diagnostiziert und am 31. Juli 2004 ein seltener neuroendokriner Tumor in der Bauchspeicheldrüse entfernt. Vielleicht wäre sein Tod zu verhindern gewesen, wenn er es anfangs nicht abgelehnt hätte, sich einer Operation zu unterziehen und stattdessen den Krebs alternativmedizinisch, mit speziellen Diäten und Kräutern, behandelte.[32] Krankheitsbedingt zog er sich als CEO als Chief Executive Officer, wie das geschäftsführende Vorstandsmitglied in Amerika genannt wird aus dem operativen Geschäft bei Apple zurück.[33] 2009 unterzog er sich einer Lebertransplantation, doch der Krebs hatte gestreut. Am 5. Oktober 2011 starb eines der größten Genies der Gegenwart im Alter von 56 Jahren an den Folgen von Bauchspeicheldrüsenkrebs.[34] Steve Jobs wurde am 7. Oktober 2011 auf dem Friedhof Alta Mesa Memorial Park[35] in Palo Alto, Kalifornien bestattet. Am 19. Oktober 2011 gedachte Apple des Verstorbenen in einer weltweit übertragenen Gedenkveranstaltung. Alle Filialen der Computerfirma aus Cupertino blieben zu diesem Zeitpunkt geschlossen, damit deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zu den „wertvollsten Marken der Welt“[36] gehörend, die Gelegenheit erhielten, an der Trauerfeier teilzunehmen oder sie live mit zu verfolgen. Es sprachen u. a. Tim Cook[37], Jobs Nachfolger, und Al Gore[38], Friedensnobelpreisträger und Freund des Verstorbenen. Für die Musik sorgten die Sängerin Norah Jones und die Pop-Rock-Band Coldplay. Zu Beginn der Feier wurde die Stimme des Verstorbenen vom Band eingespielt und die berühmten Worte erklangen: „Here’s to the crazy ones./The misfits./The rebels./The troublemakers./The round pegs in the square holes./The ones who see things differently./They’re not fond of rules./And they have no respect for the status quo./You can quote them, disagree with them, glorify or vilify them./About the only thing you can’t do is ignore them./Because they change things./They push the human race forward./And while some may see them as the crazy ones,/We see genius./Because the people who are crazy enough to think/they can change the world,/Are the ones who do.“[39] Einen Tag später, am 20. Oktober 2011, schaltete Apple auf seiner Homepage eine virtuelle Gedenkseite frei, auf die sich die Trauernden via E-mail eintragen konnten.[40] II.Apple: Das ist nicht einfach nur eine Computerfirma, sondern eine Weltanschauung mit religiösen Zügen. Ihr Impulsgeber war die charismatische[41] Gestalt Steve Jobs, in dessen Leben und Denken: a.) der Zen-Buddhismus; b.) der Minimalismus; c.) die Werbung und d.) die Ästhetik eine große Bedeutung spielten. a.) Steve Jobs war ohne Zweifel ein religiöser Mensch. Er hatte ein Bewusstsein für die religiöse Sphäre. Gerne spielte er mit christlichen Symbolen: So wird mit dem angebissenen Apfel von Apple im christlichen Amerika natürlich der Sündenfall assoziiert oder die Zahl 666,66, für die in einer entsprechenden Anzahl diabolischer Dollars der Apple I symbolisch über die Ladentheke ging, mit Satan himself. Der Individualist Jobs fühlte sich erwählt, er wuchs auf „in dem Bewusstsein, etwas Besonderes zu sein.“[42] Aus einem christlichen Elternhaus stammend, konvertierte er später zum Zen-Buddhismus. Erstaunlich: Denn Jobs leiblicher Vater war Muslim, seine leibliche Mutter Katholikin und seine Adoptiveltern waren Protestanten. Die Antwort auf die Frage nach dem Grund seiner Konversion findet man in Jobs´ Biografie: Nachdem der Dreizehnjährige im Juli 1968 in einer Illustrierten verhungernde Kinder aus Biafra gesehen und in der Sonntagsschule den Pastor damit konfrontiert hatte, entspann sich folgender Disput: „Wenn ich den Finger hebe, wird Gott dann wissen, welchen ich heben werde, noch bevor ich es tue? Der Pastor antwortete: Ja, Gott ist allwissend. Jobs zog daraufhin die Zeitschrift heraus und fragte: Weiß Gott auch Bescheid hierüber, und was mit diesen Kindern geschehen wird? Steve, ich weiß, du verstehst das nicht, aber ja, Gott weiß darüber Bescheid. Jobs verkündete, dass er keine Lust habe, einen solchen Gott anzubeten, und setzte nie wieder einen Fuß in die Kirche.“[43] Statt dessen beschäftigte er sich mit dem Zen-Buddhismus und versuchte, nach dessen Geboten zu leben. Er meinte später, „dass die Religion dann optimal gelebt werde, wenn sie spirituelle Erfahrungen über die Dogmen stelle. Das Christentum verliert an Kraft, wenn es sich zu sehr auf den Glauben stützt, statt nach dem Vorbild von Jesus zu leben oder die Welt mit dessen Augen zu sehen, erklärte er. Ich glaube, verschiedene Religionen öffnen unterschiedliche Türen desselben Hauses. Manchmal glaube ich, dass es dieses Haus gibt, dann wieder nicht. Das ist das große Mysterium.“[44] Der Zen-Buddhismus, zu dem innere Ruhe, Seelenfrieden und Sanftheit gehören, war nicht bloß ein vorübergehendes Phänomen, sondern verankerte sich in seiner Persönlichkeit und in seinem Denken. Dabei war der Ausgangspunkt für ihn die Liebe. In seiner berühmten Rede an der Stanford-University aus dem Jahr 2005[45] sagte er: „Mit 17 las ich, dass man jeden Tag so leben solle, als wäre er der letzte denn irgendwann stimmt es! Das beeindruckte mich. Und seit damals schaue ich jeden Morgen in den Spiegel und frage mich: Wenn heute der letzte Tag meines Lebens wäre, würde ich wirklich das tun, was ich heute vorhabe? Und wann immer die Antwort `Nein´ war, wusste ich, ich musste etwas ändern. Manchmal knallt dir das Leben einen Backstein gegen den Kopf. Ich bin überzeugt davon: Das einzige, was mich hat weiter gehen lassen war, dass ich liebte, was immer ich tat. Das müsst ihr finden. Eure Arbeit füllt einen großen Teil eures Lebens. Der einzige Weg damit wirklich zufrieden zu sein ist der, das zu tun, was ihr selbst großartig findet. Wenn ihr das noch nicht gefunden habt, sucht weiter! Wie bei allem, was man liebt, wisst ihr es erst, wenn ihr es gefunden habt. Danach wird es besser von Jahr zu Jahr. Gebt nicht auf! So keep looking don´t settle!“[46] Steve Jobs glaubte nicht daran, dass alles im Leben determiniert sei, sondern favorisierte vielmehr den freien Willen.[47] „Diese Einstellung stimmte mit seinem Glauben an die Macht des Willens, der die Realität formen könne, überein.“[48] Zeit seines Lebens war er auf der Suche nach Grundsätzen der östlichen Religionen, die ihm Halt geben konnten. Betont hat er dabei gegenüber der westlichen Kultur und dem Christentum vor allem die Kategorie der Intuition, die er in den östlichen Weisheitslehren fand und die er gegen die erlernte westliche Ratio setzte: „In Indien setzen die Menschen... nicht wie wir ihren Intellekt ein, sondern benutzen stattdessen ihre Intuition... Die Intuition ist ein sehr mächtiges Instrument, meines Erachtens viel mächtiger als der Intellekt. Dies hat bis heute einen großen Einfluss auf meine Arbeit.“[49] Mittels der Kraft der Intuition, so Jobs, sehe man die Dinge klarer und sei mehr in der Gegenwart verhaftet. „Der Geist arbeitet langsamer und man erkennt eine enorme Weite im Augenblick. Man sieht so viel, was man bereits hätte sehen können. Das ist eine Disziplin, in der man sich üben muss. Seit damals hat der Zen-Buddhismus einen starken Einfluss auf mein Leben.“[50] Jobs fand in der Nachbarschaft einen Zen-Lehrer, bei dem er lernte und mit dem er meditierte. Danach unterzog er sich, ähnlich wie einst John Lennon, einer Urschrei-Therapie nach Arthur Janov[51], „weil sie Intuition und emotionales Handeln mit einschloss und sich nicht nur auf die rationale Analyse beschränkte.“[52] Zentral für das Verständnis im Denken von Jobs war also die Kategorie der Intuition, die in engem Verhältnis steht zur Ahnung, zur Spontaneität und zur Kreativität. „Ich begann zu erkennen, dass intuitives Verständnis und Bewusstsein bedeutungsvoller waren als abstraktes Denken und intellektuelle logische Analyse“[53], meinte er einmal. Nachdem Jobs von seinen Ärzten die Diagnose Krebs erhalten und gewusst hatte, dass er sterben würde, sagte er sinngemäß im Blick auf den Gang allen Fleisches: „Der Gedanke, dass ich bald tot sein werde, ist die wichtigste Entscheidungshilfe für die großen Fragen des Lebens. Weil fast alles alle äußeren Erwartungen, aller Stolz, alle Versagensangst im Angesicht des Todes bedeutungslos wird, bleibt nur das wirklich Bedeutsame übrig. Sich vor Augen halten, dass man sterben wird, ist die beste Methode, die ich kenne, um nicht in die Falle zu tappen, sich selbst vorzumachen, man habe etwas zu verlieren. Wir alle sind bereits nackt. Es gibt keinen Grund, nicht seinem Herzen zu folgen.“[54] Am Ende seines Lebens äußerte er sich auch direkt zu seinem Glauben: „Mit meinem Glauben an Gott steht es fifty-fifty“, sagte er, als er über den Tod, Wiedergeburt und Transzendenz und den Buddhismus im allgemeinen nachdachte. „Die meiste Zeit meines Lebens war ich der Meinung, dass unsere Existenz aus mehr bestehen müsse als aus dem, was man mit den Augen sehen kann.“[55] Und im Blick auf die Auferstehung meinte er: „Ich mag den Gedanken, dass etwas von dir überlebt, wenn du stirbst... Es erscheint seltsam, daran zu denken, dass man all diese Erfahrung angehäuft hat und vielleicht sogar ein wenig Weisheit, und dass all dies einfach so vergeht. Ich möchte wirklich daran glauben, dass etwas überlebt, das möglicherweise dein Bewusstsein überdauert.“[56] Nachdem er weiter nachgedacht hatte, meinte er: „Aber vielleicht ist es andererseits wie ein Ein- und Ausschaltknopf... Klick! Und du bist weg. (...) Vielleicht habe ich es deshalb nie gemocht, Ein- und Ausschaltknopf in Apple-Geräte einzubauen.“[57] b.) Steve Jobs ist Minimalist gewesen. Er pflegte einen für einen wohlhabenden US-Amerikaner verhältnismäßig einfachen alltäglichen Lebensstil. Sein Haus in Palo Alto war spärlich möbliert, rund ums Haus hatten seine Frau und er einen Kräuter- und Gemüsegarten angelegt. Jobs erinnerte darin an einen Alternativen der ersten Stunde. Die gesamte Apple-Philosophie beruht auf diesem Minimalismus es geht um die Konzentration auf wenige, hochwertige und einfach zu bedienende Produkte, um Einfachheit in ihrer Reinform, es geht um ästhetisch-moderne Schlichtheit an der Schnittstelle von Technologie und den freien Künsten. Jobs´ führte die Dinge auf ihre Grundstruktur zurück und machte sie dadurch für die Verbraucher, die sich zuvor durch Computer-Fachchinesisch und schwer verständliche Gebrauchsanweisungen technischer Geräte quälen mussten, attraktiv.[58] Man kann sagen, dass der perfektionistische Jobs dadurch ein stückweit die Technologie demokratisiert hat: Technik zu verstehen und Smartphones zu bedienen, war von nun an nicht nur Computer-Freaks vorbehalten, sondern jeder durchschnittliche Computeruser konnte von nun an damit umgehen! Ein wichtiges Anliegen war dem hageren Mann mit der Aura, der zum Schluss bei jedem öffentlichen Auftritt wie ein Star mit Standing Ovations gefeiert worden war, die Präsentation: Jobs legte persönlich Wert darauf selbst, als er schwer krank und bereits dem Tode geweiht war , die technischen Apple-Neuerungen der Öffentlichkeit vorzustellen. Seine Keynotes, bei denen er die Funktionsweise der neuen Produkte selbst demonstrierte, sind legendär. c.) Auffallend bei Apple war und ist Qualität der Werbung. Anlässlich der Einführung des Macintosh 1984 startete die Firma eine Werbekampagne, die Motive von George Orwell aufnahm: In einem 30sekundigen Werbespot sind armeeartig endlose Reihen von Arbeitern und ein Wesen wie Orwells Big Brother zu sehen, das sie anpeitscht. Eine sportliche junge Frau, von bewaffneten Polizisten verfolgt, stürmt ins Bild und zerschmettert mit einem Hammerwurf Big Brother, dann befreit sie die versklavten Menschen. Aus dem Off spricht eine Stimme: Am 24. Januar stellt Apple Computer den Macintosh vor. Und Sie werden sehen, warum 1984 nicht wie `1984´ sein wird.[59] Dieser Spot, von Hollywood-Regisseur Ridley Scott (geb. 1937) ins Bild gesetzt, gilt unter Werbefachleuten als bester Werbespot aller Zeiten! Einige Jahre später, im Jahr 1997, startete Apple eine weitere Werbekampagne mit dem Slogan Think different Denke anders.[60] Wer zu den Kunden von Apple zählte so das Marketing assoziierend war jung, kreativ, revolutionär und cool! Die Apple-Kunden wurden zu Verbündeten im Kampf gegen den Mainstream, zunächst gegen IBM, später gegen Microsoft[61]. Dabei wurde mit der eigenen Individualität gespielt, getreu der Devise: Wer einen Mac oder ein anderes Produkt von Apple besaß, der musste ein Individualist oder ein Nonkonformist sein. Diese Kampagne, im Zuge derer sich Steve Jobs selbst immer mehr vermarktete, dauerte bis 2002. Sie blieb im Wesentlichen für das bis heute bestehende Image von Apple prägend.[62] d.) Kritiker sagten, Apple hätte keine Kunden, sondern Jünger.[63] Die Apple-Jünger würden kritiklos ihren Guru verklären. Sie würden überteuerte Produkte kaufen und ignorieren, dass diese unter katastrophalen Bedingungen produziert werden würden.[64] Sie würden in Tempel aus Glas pilgern und alles dafür geben, um dazuzugehören. Zum einen stimmt das natürlich: Steve Jobs und Apple stehen für den uneingeschränkten internationalen Kapitalismus; aber auch dafür, als Konzern innovativ gewesen zu sein, in technologischen Fortschritt investiert zu haben und mittels des Mediums Geld viel erreicht zu haben.[65] Der Konzern hat die Entwicklung vorangetrieben und wurde dadurch für die IT-Branche wegweisend. Seit einiger Zeit stellte er das Profitdenken nicht über alles, sondern nahm zunehmend soziale Verantwortung wahr, setzte sich für den Umweltschutz ein, engagierte sich gegen Diskriminierung und betätigte sich auch karitativ: Apple engagiert sich für die AIDS-Forschung und spendet mit seinem `Product Red´ für den `Global Fund´.[66] Auch die Musikbranche wurde übrigens durch Steve Jobs revolutioniert: Die CD und die DVD sind heute mehr oder weniger out, Filme werden jetzt und künftig noch viel mehr via iTunes oder andere Dienste gestreamt. Nachrichten wurden zunächst über iChat[67] gesendet, dann über Messages; Telefonate sind über Facetime ähnlich wie Skype von Microsoft kostenlos. Steve Jobs legte persönlich sehr viel Wert auf die Ästhetik.[68] Was ihm daher auch zu verdanken ist, ist neben der Bedienungsfreundlichkeit der Computer ein neues Bewusstsein für deren Ästhetik.[69] III.Von Anfang an tauchten religiöse Vergleiche auf.[70] So ist das iPhone, noch bevor es im Handel erhältlich war, als Jesus-Phone[71] bekannt geworden. Das iPad taufte man sofort Jesus-Tablet[72], Steves Jobs wurde als Heiliger[73] bezeichnet, mit dem Messias[74] verglichen oder kurzerhand als iGod[75] tituliert. Apple-Verkaufszentralen wurden zu „Kathedralen des elektronischen Konsums“ oder man nannte sie schlichtweg „Tempel“[76]. Auch Vergleiche mit den Psalmen[77] wurden nicht gescheut. Die Presse sprach von der „Mac-Sekte“[78]. Es war also von Anfang an viel Religion und viel Religiöses, auch viel Christliches, mit im Spiel, wenn es um diese Computertechnologie ging. Es ist klar: Steve Jobs war weder Gott noch der Messias, sondern ein herausragender, innovativ-charismatischer Mensch. Und das iPhone ist sicher auch nicht das Jesusphone ein Telefon, das Wunder vollbringen kann und die Menschen vom IT-Wahn erlöst , sondern ein technisch herausgehobener Gebrauchsgegenstand im ICT-Bereich.[79] Die Medien wollten durch diese asynchronen Vergleiche hervorheben, dass auf kommunikationstechnologischem Sektor in der letzten Zeit etwas ganz Besonderes geschehen ist und dass wir alle zu Augenzeugen einer Revolution geworden sind! Wie die Menschen im Zeitalter der Reformation an einer weltweiten kirchlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und medialen Situation des Umbruchs Anteil hatten, so sind wir heute Augenzeugen einer technologisch-kommunikativen Entwicklung geworden, die alles Bisherige, das wir zuvor auf diesem Sektor gekannt haben, in den Schatten stellt. Deshalb kann Steve Jobs meines Erachtens mit bedeutenden Persönlichkeiten der Weltgeschichte auf eine Stufe gestellt werden. Er kann, wie es geschah, gut verglichen werden mit Johannes Gutenberg, Isaac Newton, James Watt, Thomas Alpha Edison oder Walt Disney[80] geniale Köpfe von historischer Bedeutung, die mit ihren Erfindungen und Erkenntnissen die Welt nachhaltig verändert und ein Stückweit lebenswerter gemacht haben.[81] Ich möchte die Reihe der Vergleiche von Steve Jobs mit den Großen der Weltgeschichte um einen weiteren ergänzen: Martin Luther (1483-1546). Denn Steve Jobs hat die Welt der Technologie in der Moderne mit seiner Computertechnologie ähnlich verändert wie Martin Luther einst mit seiner Theologie. Zum einen hat Luther angesichts einer korrupten mittelalterlichen römisch-katholischen Kirche die Frage bewegt, wie er vor Gott gerecht werden könne wie er als sündiger Mensch einen gnädigen Gott bekäme (Rechtfertigung allein aus Gnade). Die entscheidende Instanz, die er im Nachdenkprozess über diese Frage für sich selbst entdeckte, war nicht nur das vierfache reformatorische Prinzip, sondern vor allem die Instanz des Gewissens.[82] Mit dem Gewissen unlösbar verbunden ist die hervorgehobene Stellung des Individuums. Denn das Individuum hat nur aufgrund seines Gewissens die Kraft, um, falls nötig, auch gegen die Mehrheitsmeinung Stellung zu beziehen und für die Folgen einzustehen.[83] Die hervorgehobene Position des Gewissens und des Individuums gehören seit Luther zur Kernsubstanz evangelischen Glaubens. An dieser Stelle treffen sich Steve Jobs und Martin Luther, obwohl wir es bei näherer Betrachtung bei Steve Jobs mit einem technologisch-kommunikativen Revolutionär und bei Martin Luther mit einem theologisch-kommunikativen Reformator zu tun haben. Das zeigt schon die technische Begrifflichkeit bei den Kunstwörtern iMac, iPod, iPhone, iPad: Stand das i einst als Kürzel für das Internet, also den freien und weltweiten Zugang zu Informationen, so steht es heute für das Ich als Synonym für Individuum! Beide, der mittelalterliche Deutsche wie der moderne US-Amerikaner, stehen dafür, wie sich Ideen in der Welt durchsetzen und alle Bereiche des Lebens durchdringen können. Jobs und Luther waren Rebellen und ihrer Zeit ein stückweit voraus.[84] Ohne Luther hätte es nicht nur keine Bibelübersetzung ins Deutsche, sondern wohl kaum auch keinen Siegeszug des emanzipatorischen Bürgertums gegenüber einem einengenden Adel und einem korrupten Klerus gegeben sicher auch keine Emanzipation der deutschen Fürsten vom Papst, was bekanntlich in historischer Hinsicht zu einer Loslösung von Rom und zu einer Stärkung des deutschen Nationalstaates geführt hat. Mit Luther, der in Reaktion auf sein Nachdenken über Gottes Gerechtigkeit und seiner Gnade ein zweites theologisches System neben der schier allmächtigen Wahrheit Roms etabliert hat, ist, so kann man sagen, die Zweitmeinung in Deutschland zur Welt gekommen! Auch das verbindet Steve Jobs, der eine Zweitmeinung gegenüber der des herrschenden Bill Gates und dessen Microsoft-Systems zur Macht brachte, mit dem Reformator dem wir es bekanntlich zu verdanken haben, dass wir Protestanten heute in gleicher Augenhöhe mit der katholischen Kirche reden können. Steve Jobs hat wie Martin Luther durch seine Kritik am Bestehenden den Menschen seiner Zeit eine Wahlmöglichkeit geboten und viele dadurch von der Macht der herrschenden Einheitsmeinung befreit. Wie Luther, so war auch Jobs je nach Betrachtungsweise Nerd oder Hippie mit einer prophetischen Gabe gesegnet: Er hatte die Vision, dass die Welt mit technischen und kommunikativen Mitteln verbessert werden kann. Schon früh hat er die Prognose gewagt, dass der Computer einst bestimmend für unser aller Leben sein wird.[85] So ist es gekommen: Gegenwärtig durchdringt der Computer alle Bereiche unseres Lebens, in letzter Zeit besonders auch unser alltägliches Kommunikationsverhalten.[86] Luther wie Jobs haben im Bereich von Sprache und Kommunikation eine schier unglaubliche Dynamik in Gang gesetzt! Die durch Jobs angestoßene Entwicklung im Bereich der Schnittstelle von Technik und Kommunikation ist deshalb mit der sich damals weltweit ausbreitenden Reformation Luthers durchaus vergleichbar.[87] Ähnlichkeiten ergeben sich auch im Blick auf einen Vergleich des persönlichen Lebensstils der beiden: Wie Martin Luther ist Steve Jobs vom Leben und im Sturm der Zeit hin- und her gewirbelt worden und dennoch seiner Sache treu geblieben. Was wäre geschehen, hätte Luther auf dem Reichstag zu Worms 1521 widerrufen? Was wäre geschehen, wäre Jobs nach seinem Rauswurf bei Apple später nicht mehr zu seiner alten Firma zurückgekehrt? Die Idee war für beide leitend und beide haben sie sie gegen alle Widrigkeiten durchsetzen und mit der Unterstützung Gleichgesinnter verbreiten können. Ähnlich wie Luther, wurde Steve Jobs Zeit seines Lebens von Zweifeln geplagt, was beispielsweise in seinen lebenslangen Essstörungen zum Ausdruck kam, und war zeitweise psychisch instabil. Beide mussten sich vielfach mit dem Teufel auseinandersetzen, dem Geist, der stets verneint den Luther mit Tinte bekämpfte und der in der IT-Branche bekanntlich im Detail steckt und verhindert, dass etwas so funktioniert, wie man will. Schließlich bietet sich ein Vergleich zwischen Luther und Jobs an, schaut man auf das Privatleben der beiden jedenfalls, soweit es öffentlich geworden ist: Der katholische Priester Luther hat mit dem Zölibat gebrochen, geheiratet und das protestantische Pfarrhaus begründet. Als Mönch, der auf Eigentum verzichtet hat, ist aus ihm nach seiner reformatorischen Entdeckung aus eigener Kraft und letztlich durch Gottes Gnade ein wohlhabender Mann geworden.[88] Das Leben von Steve Jobs klingt wie die Verwirklichung des American Dream, wie eine klischeehafte amerikanische Bilderbuch-Geschichte vom Tellerwäscher zum Millionär: Das syrische Adoptivkind aus armen Verhältnissen schenkt, allein mit seinem Geist und seiner Intuition begabt, der Menschheit technische Dinge, die das Leben einfacher machen und wird im Gegenzug dazu steinreich[89] von der Garagenfirma zum weltweiten Marktführer[90]! Abschließend ist festzuhalten: Steve Jobs hat mit seinen Ideen, seiner Firma und ihren innovativen Produkten sehr viel dazu beigetragen, dass unsere Welt auch für kommende Generationen einfacher sein wird.[91] Für Kinder und Jugendliche ist der technologische Fortschritt der letzten Jahre längst selbstverständlich geworden. Mails, SMS, iMessage, Whatsapp, Facebook, Skype, Facetime, Instagram, Snapshot und die AppleWatch[92] sind inzwischen nicht mehr wegzudenken aus unserem Alltag.[93] Die evangelische Kirche in Deutschland hat schon früh darauf reagiert. Die anfängliche Klage über die Omnipräsenz des Computers, die Unkenrufe und die Kritik daran, besonders oft und gerne in kirchlichen Kreisen geäußert[94], ist der Faszination über die technische Machbarkeit des Möglichen, gerade angesichts des Internets und der kommunikativen Vielfalt, gewichen.[95] Es ist heute undenkbar, dass die Landeskirchen und die EKD nicht im Internet präsent wären. Viele Pfarrerinnen und Pfarrer, darunter auch Bischöfinnen und Bischöfe, sind heute in den sozialen Netzwerken vertreten.[96] Schließlich gibt es nicht nur unter den kirchlichen Ehrenamtlichen, sondern auch unter den Hauptamtlichen jede Menge Mac-User.[97] Nachdem Steve Jobs am 5. Oktober 2011 seiner Krebserkrankung erlegen war, hatte er „sechs Industriezweige revolutioniert: Heimcomputer, Animationsfilme, Musik, Telefone, Tablet-Geräte und Digital Publishing.“[98] Mit auf den Weg gibt uns der „Visionär Steve Jobs“[99], so US-Präsident Barack Obama über den Weltverbesserer und „Archetyp des Charismatikers in der Wirtschaft“[100], eine Weisheit, die evangelischer nicht sein könnte: „Eure Zeit ist begrenzt. Vergeudet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben. Lasst euch nicht von Dogmen einengen dem Resultat des Denkens anderer. Lasst den Lärm der Stimmen anderer nicht eure innere Stimme ersticken. Das Wichtigste: Folgt eurem Herzen und eurer Intuition. Sie wissen bereits, was ihr wirklich werden wollt.... Bleibt hungrig. Bleibt tollkühn.“[101] Die Frage, ob Apple eine Religion ist oder nicht, muss derzeit vorerst noch unbeantwortet bleiben denn schließlich sind sich selbst die Experten nicht ganz einig, was genau unter Religion zu verstehen ist.[102] Bleibt, die Entwicklung des Unternehmens Apple[103] weiterhin zu beobachten: Sollte am Ende dabei wirklich noch, wie Kritiker meinen, eine neue Kirche dabei herauskommen vielleicht die iChurch, die Kirche des angebissenen Apfels?[104] Wir werden sehen... Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/102/tka01.htm |