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Notizen zur Berliner Luther-Posse

Andreas Mertin

Das Luthertum kann seit seinen Anfängen ohne Luther-Spiegelungen nicht leben. Kaum eine Religion bzw. Konfession hat einen derartigen personalen Narzissmus entwickelt, wie gerade die Lutheraner. Das beginnt schon mit dem schier unentrinnbaren Lukas Cranach und setzt sich über die Jahrhunderte fort. Es muss ein tief sitzendes Bedürfnis der deutschen Protestanten nach Heldenfiguren geben, so dass von Generation zu Generation fortschreitend neue Luther-Denkmäler entworfen werden. Eine Springflut an unsäglichen Ergüssen brachte die Vorbereitung zum Reformationsjubiläum. Da konnte der Luther 2.0 nicht grauslich genug gestaltet werden. Platt. Platter. Am plattesten. Wo immer jedoch ein Künstler einmal über den Tellerrand des Illustrativen und Heldenmythischen hinausblickte, bekam er sofort Ärger mit den wahren Luther-Kennern. Die Lutheraner sind es nicht anders gewohnt. Martin Luther hatte schon das Können des Humanisten Lukas Cranach auf das eines Illustrators der neuen Lehre beschnitten. Eigenständig konnte und durfte die Kunst im Kontext des Protestantismus nie sein. Wo sie es war, waren es Randgänger (Caspar David Friedrich) oder Reformierte (Vincent van Gogh).

Eine eigenständige Kunst, an deren Handschrift man die Autonomie ablesen kann, hat das Luthertum nie zugelassen (allen freundlichen Zuschreibungen eines Werner Hofmann zum Trotz). Man maß alles an der Schrift bzw. am eigenen Lutherbild. Dagegen können die als bilderkritisch denunzierten Reformierten auf veritable Kunstpositionen verweisen, etwa in der Gestalt der Künstlerin Louise Moillon (1610-1696), die nicht illustrierte, was reformiert zu denken war, sondern in deren klaren, ästhetischen Bildgestaltungen schlicht Reformiertes zur Geltung kam.

Als aber Otmar Hörl für Wittenberg einen seriellen Luther als Kopie der Kopie der Kopie entwarf, da jaulte das Luthertum auf: so sei Luther nie gewesen. Und: man könne es besser, kenne da einen Künstler, der würde für das gleiche Geld es viel besser machen – oder was man an kleinbürgerlichen Phrasen sonst noch so kennt. Wie soll ein Bild-ungebildeter Protestantismus es auch besser wissen.

Als man dann mit Playmobil sich an die populärkulturelle Variante machte, hatte man nichts Besseres zu tun, als ausgerechnet die antijudaistischen Motive zu verstärken. Schluss mit dem Alten Testament konnte der Beobachter da lesen. War aber nicht so gemeint, wie man sofort versicherte.

Die neueste Posse ist nun das geplante Luther-Denkmal in Berlin. Man kann sich fragen, warum man 2017 überhaupt ein neues Luther-Denkmal braucht und gerät bei der Antwort sofort in eine interessante Gemengelage der in Berlin ja nicht fernliegenden Verquickung von Thron und Altar – sprich Staat und Kirche. Der Staat / die Stadt hat ein Interesse an der Gestaltung der öffentlichen Räume, die Kirche möchte sich angemessen repräsentiert sehen. Also stellt man eine Statue auf – modern natürlich. Dürfte die Kirche allein darüber entscheiden, wäre es wieder einer aus der Liste der binnenkirchlich Gottbegnadeten geworden. Jedes kirchliche Bauamt verfügt über eine derartige – heute aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr so genannte – Liste, auf der bewährte Kunstschaffende stehen, die die Landeskirchen landauf-, landab beglücken, sonst aber im Betriebssystem Kunst mit Schweigen bedacht werden. Das ist die gelebte Anästhesie des Protestantismus 2017. Ausnahmen gibt es nur dort, wo ein Mäzen die Finger mit im Spiel hat und darauf beharrt, dass auch veritable Künstler mit in Betracht gezogen werden (wie bei der Turrell-Installation auf dem Dorotheenstädter-Friedhof – aber selbst dort hat die Kirchengemeinde werkwidrig auf einer Platzierung von Kreuzen auf dem Kunstwerk bestanden). Einen Mäzen gibt es in einem weiteren Sinne auch im aktuellen Fall, denn das geplante Luther-Denkmal an der Berliner Marienkirche unter dem Funkturm konnte nur mit Unterstützung der Stadt angegangen werden – die zudem den öffentlichen Raum zur Verfügung stellte. Und die natürlich im Gegenzug auf einem Verfahren bestand, wie es in einer demokratischen, von Experten beratenen Gesellschaft üblich ist. Also eine mit Fachleuten und Betroffenen besetzte Jury. Wer jemals in einer solchen Kunst-Jury gesessen hat, weiß wie das abläuft. Die dort angelegten Kriterien könnten gegensätzlicher nicht sein. Die einen interessieren sich schlichtweg nicht für Kunst, allenfalls haben sie Geschmack (aber eher selten) und achten nur auf die Illustration des von ihnen Intendierten. Die anderen haben wenig Interesse an religiösen oder theologischen Fragestellungen, sondern schwimmen im Kunstsystem und urteilen nach dessen Kriterien. Das ist ein Ergebnis des über Jahrhunderte sich immer breiter auftuenden Grabens von Kunst und Kirche (nicht nur in der Evangelischen Kirche wie mir Künstler berichten). Man bräuchte Menschen, die in beiden Bereichen „zu Hause“ sind. Seit dem viel zu früh verstorbenen Künstler, Theologen und Philosophen Thomas Lehnerer gibt es die aber in der Evangelischen Kirche nicht mehr. Hier herrscht im brutalsten Sinne tabula rasa.

Und dann kommt es, wie es kommen muss. Man trifft sich, wertet die eingegangenen, auch qualitativ höchst unterschiedlichen Entwürfe aus und einigt sich auf eine engere Auswahl von sechs, später dann vier Entwürfen. Und schlussendlich setzt sich ein Entwurf als prämierter durch. Das ist so, man kann in diesen Jurysitzungen mal zu den Gewinnern gehören, mal zu den Verlierern. Damit muss man leben. Nicht so im Protestantismus. Denn Luther gehört ja uns Protestanten – und was wissen Künstler und Architekten schon von Luther? Und man hat ja schließlich noch die berühmte Liste der der Kirche kommoden Künstlerinnen und Künstler. Könnte man sich nicht an allen vernünftigen Kriterien vorbei mogeln und den Kirchenkünstler doch das Denkmal realisieren lassen? Hier atmet man noch etwas von der Luft des Feudalismus, bei dem Experten auch nur Ratgeber waren und der (Kirchen-)Fürst entschied. Im vorliegenden Fall setzte sich ein Entwurf durch, den man als ästhetisch-kulturell-künstlerisch reflektiert im besten Sinne nennen kann. Er ist nicht nur architektonisch von allen eingereichten Entwürfen der durchdachteste, sondern bringt auch das für Berlin notwendige Maß an künstlerischer Ironie mit. Albert Weis, der Künstler, der von der Jury mit dem ersten Platz ausgezeichnet wurde, hat die historische Lutherfigur genommen, sie in Zusammenarbeit mit den Architekten Zeller & Moye moderat, aber wahrnehmbar depotenziert und in einen Kontext mit Reflexion (Spiegel) und Wirkungsgeschichte (D. Bonhoeffer/M.L. King) gestellt. Ich halte diesen Entwurf für rundherum gelungen. Natürlich auch, weil er das historisch ja nun reich belegte Selbstdarstellungsverhalten des Luthertums mit auf den Punkt bringt. Wer sich dessen ungewiss ist und sich quälen will, kann ja in der Wikipedia unter Lutherdenkmal nachschlagen.


Denkmal-Entwurf von Albert Weis in Zusammenarbeit mit den Architekten Zeller & Moye

Den Kirchenvertretern und den in kirchlichen Kommissionen Sitzenden war dieser Entwurf aber – wer hätte es auch anders erwartet – nicht illustrativ genug. Das sei nicht Luther, der würde sich nicht selbst bespiegeln, der würde den um sich kreisenden Menschen als Abgrund ansehen. Der Mensch müsse sich nach Luther an Gott orientieren! Aber warum gibt es dann nur so viele Luther-Statuen?

Der Luther-Biograf Heinz Schilling wirft Weis vor, ein mit sich selbst disputierender Luther laufe der reformatorischen Befreiungsidee völlig zuwider. Diese sehe den Menschen ja gerade aus seiner um sich selbst kreisenden Sündenangst befreit und öffne ihn für die Welt. Gerade zum Luther-Jubiläum sende solch eine Figur das völlig falsche Signal. Ja, so verstehen manche Menschen die Kunst: als pure Ideologie-Schleuder. Also nicht die Frage: was eröffnet sich mir in dieser Kunst, in dieser Für-wahr-Nehmung Luthers, sondern stattdessen die Kontrolle, ob es sich hier auch um eine Übereinstimmung mit Luthers Lehre handelt. Dann hätte man aber keinen Künstler fragen dürfen, sondern einen Designer beauftragen müssen. Aber selbst die sehen ihre Aufgabe heute nicht mehr in der stumpfen Wiedergabe des Inhalts. Sagen wir es klar: die kirchlichen Vertreter haben vom Sinn der Kunst nichts verstanden. Sie wollten einfach das Etikett ‚moderne Kunst‘ auf einem ihrer Lutherpodeste haben. So geht aber das nicht, das ist Etikettenschwindel.

Nun überlegt man, alternativ andere nicht zum Zuge gekommene Lösungen zu realisieren. Sachlich ist das immer möglich. Es kann tausend Gründe geben, warum ein ursprünglich ausgezeichneter Entwurf nicht realisiert wird. Was überhaupt nicht geht, es deshalb zu machen, weil einem der prämierte Entwurf nicht in das binnenkirchliche Konzept passt. Dann hätte man gleich das Ganze so ausschreiben sollen, dass deutlich wird, dass nur minderwertige Illustrations-Ware erwartet wird. Und es hat auch mehr als ein Geschmäckle, wenn nun ausgerechnet derjenige zum Zuge kommen soll, der schon oft auf binnenkirchlichen Listen gestanden hat. Das wirkt ganz so wie die ekklesiologische Variante des „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Wie in vielen anderen Fällen, wird die Evangelische Kirche erst 20 Jahre später merken, dass sie auf dem falschen Dampfer war (Stichwort Heidelberg, Luttrum, Kassel).

Glücklicherweise ist im Berliner Fall noch die Stadt beteiligt. Und es steht zu hoffen, dass sie standhaft bleibt, der binnenkirchlichen Wagenburgmentalität nicht nachgibt. Der Entwurf von Albert Weis ist eindeutig der beste Entwurf. Er passt zu Berlin und er passt in eine Gesellschaft, in der der Spiegel ein wichtiges Argument ist. Denn wie heißt es so schön in 2. Korinther 3, 18 nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache: Wir alle spiegeln mit unverdecktem Angesicht das Strahlen der Gegenwart des ewigen Gottes wider. Vielleicht sollte man das noch in die Sprüche zu Fuße der beiden Lutherstatuen aufnehmen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/103/am556.htm
© Andreas Mertin, 2016