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Freiheit und NaturgewaltEine RezensionHans-Jürgen Benedict Jürgen Goldstein: Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt, Berlin 2015 Es ist heute kein Problem mehr die Welt zu umsegeln. Einige Wagemutige haben sich damit in McGuiness Buch der Rekorde eingetragen. Der Normalbürger kann für viel Geld mit dem Kreuzfahrtschiff die Welt umfahren, sogar bis ins Eis der Antarktis vordringen, vor Tahiti ankern; Neuseeland ansteuern und Kap Horn umschiffen. Als der 19 jährige Georg Forster zusammen mit seinem Vater Reinhold im Juli 1772 Captain James Cook als botanischer Zeichner auf dessen zweiter Weltumseglung auf der ‚HMS Resolution‘ begleitete, sollte diese Reise um die Welt 3 Jahre und 18 Tage dauern, sie war mit vielen Gefahren und Entbehrungen verbunden. Als die ‚Resolution‘ am 30. Juli 1775 nach England zurückkehrt, hatte sie, alle Kurslinien zusammengenommen, eine Strecke von mehr als drei Umrundungen der Erde zurückgelegt. Vier Seeleute starben während dieser Reise, zehn wurden in Neuseeland getötet. 1777 erscheint in London Forsters ‚Voyage round the world‘. 1770 und 1780 erscheint die deutsche Übersetzung ‚Reise um die Welt‘ in zwei Bänden und macht Georg Forster als Schriftsteller und Naturforscher berühmt. Jürgen Goldstein 2015 erschienene und im März 2016 mit dem Leipziger Sachbuchpreis ausgezeichnete Monographie ist nun keine übliche Biographie, die ein Leben schlicht nacherzählt. Goldstein versucht vielmehr angesichts von fünf Lebensabschnitten Forsters das Verhältnis von Freiheit und Naturzwang im Schreiben und Handeln Georg Forsters genauer zu erfassen. Das ist das Neue an diesem Ansatz, dass er am Ende des Zeitalters der Aufklärung mit ihrer Vernunftherrschaft in Forster einen Autor entdeckt, der versucht, die Natur mit dem Politischen kurzuschließen. So nähert er sich der Französischen Revolution als einem Naturgeschehen der Freiheitsdurchsetzung, bei dem es wie bei einem Gewitter oder Vulkanausbruch gewaltsam zugeht. Forster wird schließlich selbst als Revolutionär tätig bei der Ausrufung der Mainzer Republik 1793, der ersten wenn auch nur kurzlebigen Republik auf deutschem Boden Das Begriffspaar Freiheit und Naturgewalt wird zum Ariadnefaden, mit dessen Hilfe Goldstein das unstete Leben Forsters darstellt. Zunächst: Der Weltumsegler, der auf dieser Reise eine unfassbar reiche Anschauung der Natur gefunden hat (etwas, was er gegenüber bloßen Theoretikern wie Kant, dann auch betont), bleibt sozusagen nicht in dieser Vielfalt und Exotik der Erlebnisse stecken, sondern wendet sie auf die Gesellschaft an. Die Kulturen, die er kennenlernt, sind für ihn nicht nur durchgängig „edle Wilde“ im Sinne Rousseaus, er teilt nicht die Anschauung von einem ursprünglich guten Naturzustand, es gibt auch unansehnliche Stämme wie in Madeira und auf Feuerland, die Feuerländer boten „das vollständigste und redendste Bild von dem tiefen Elend, worin dies unglückliche Geschlecht von Menschen dahinlebt.“ Ganz im Gegensatz zu den Tahitianern, die Forster als Menschen von antiker Schönheit und Grazie erscheinen. Wie überhaupt bei ihm Tahiti als neues Arkadien, als Inbegriff des Friedens und der Glückseligkeit figuriert. Schwärmerisch beschreibt Forster, wie Landschaft und Botanik den Menschen entsprechen. Ums so schlimmer hier der Sündenfall der Gewaltanwendung durch die Europäer, die einen Einheimischen erschießen, der am Strand eine von ihnen gezogene Grenze überschritten hatte und der nun anklagend wie auf einer Pieta von zwei Freunden gehalten wird. Mord im Paradies Tahiti. Forster befürchtet, dass die Eroberung durch die Europäer friedliche Gesellschaften zerstören wird. Selbst die Menschenfresserei der Neuseeländer verurteilt er nicht generell, sondern beschreibt zunächst die verschiedenen Reaktionsweisen. Um dann anzumerken: Wir sind zwar keine Kannibalen, töten aber in Kriegen, die den Ehrgeiz eines Fürsten oder eine Laune seiner Mätresse befriedigen, bedenkenlos: „ Ist es aber nicht ein Vorurtheil, daß wir vor dem Fleisch eines Erschlagenen Abscheu haben, da wir uns doch kein Gewissen daraus machen, ihm das Leben zu nehmen?“ Vor allem entdeckt er anders als in Europa auf Tahiti eine Gemeinschaft von Gleichen trotz Funktionsunterschieden. Der König bleibt Teil des Volkes. Es ist eine Herrschaft auf Abruf. Forster hofft: „Endlich wird das gemeine Volk diesen Druck (der Ungleichheit HJB) empfinden und die Ursachen desselben gewahr werden, alsdenn wird aber auch das Gefühl der gekränkten Rechte der Menschheit in ihnen erwachen und eine Revolution veranlassen.“ Gezeichnet von den Entbehrungen der Reise kehrt Forster nach Europa zurück, wird nie wieder ganz gesund werden, schlägt sich mit verschiedenen Uniprofessuren durch, zuletzt in Wilna, streitet sich mit Kant über die Menschenrassen, schreibt nach dem gewaltsamen Tod Cooks auf seiner dritten Weltumseglung einen Artikel „Cook, der Entdecker“, in dem er diesen als einen Offizier, der die Rechte der Menschheit achtet, charakterisiert und damit als Vorbild eines Staatsmanns, der die Menschen erhalten und glücklich machen will. Er unternimmt mit Wilhelm von Humboldt eine Reise an den Niederrhein, in dem Buch „Ansichten vom Niederrhein“ wendet er sein Naturverständnis zum ersten Mal auf die Politik an, indem er die Fremdbestimmung der Vernunft durch die natürlichen Kräfte in den Blick nimmt. An den Vorgängen in Lüttich, wo der Fürstbischof vertrieben wird, sieht er seine These von den Revolutionen als Naturereignisse bestätigt. Revolutionen brechen wie Vulkane unvorhersehbar hervor. Mit diesem Naturbild will Forster dem Eruptiven politischer Umwälzungen einen Platz in der Weltgeschichte zuweisen. Gesellschaftliche Gärungsprozesse sind die Treibkraft politischen Wandels. Forster, inzwischen (unglücklich) verheiratet, landet schließlich als Bibliothekar in Kurfürstentum Mainz und gerät damit auch persönlich in den Ausstrahlungskreis der französischen Revolution. Als Preußen und Österreich gegen das revolutionäre Frankreich vorgehen wollen, wird Mainz im Oktober 1792 von französischen Truppen eingenommen. Forster setzt alles auf eine Karte und unterstützt den revolutionären Umbruch in Mainz. Er wird Präsident des Jakobinerclubs. Am 18. März 1793 wird Mainz zur Republik erklärt. Am 21. März hält Forster eine apokalyptisch getönte Rede: der Tag des Gericht sei gekommen, „die Menschheit tritt in den vollen Besitz ihrer Rechte.“ Forster bekommt den Auftrag, die Bitte um den Anschluss von Mainz an Frankreich in der Pariser Nationalversammlung vorzutragen. Doch während Forsters Aufenthalt in Paris wird Mainz von preußischen Truppen belagert und kapituliert am 23. Juli 1793. Forster entwickelt in Mainz seine Anschauung von der Revolution als Naturgeschehen weiter und nähert sich hier Goethe an, der dies Geschehen von der anderen Seite als Teilnehmer der gegenrevolutionären Belagerung von Mainz betrachtet. Nicht nur dass Goethe Forster trotz seiner Abneigung gegen alles Revolutionäre als Naturforscher und Philosoph achtet, nein er gebraucht in einem Brief an Schiller über die Französische Revolution das Bild von den Bächen und Strömen, die zusammenschießend endlich das Übersteigen des Flusses und eine Überschwemmung veranlassen. „Man sieht in dieser ungeheuren Empirie nichts als Natur und nichts von dem, was wir Philosophen so gern Freyheit nennen möchten.“ Die politischen Zeitläufte als Naturereignis Goethe und Forster waren sich da näher als sie bei ihren Begegnungen zugeben wollten, beide nehmen die Schattenseite der Vernunft in den Blick, die Rückseite der Aufklärung. Und wenn Goethe auch die Revolution ablehnt, weil ihm „jedes Gewaltsame und Sprunghafte zuwider ist“, sind sie sich in ihrem Verständnis der dunklen unterirdischen Kräfte des Politischen einig. Fasziniert betrachtet Goethe die Bombardierung von Mainz in Bildern eines gewaltigen Naturgeschehens. Während Forster das Fieber der Revolution empfindet, erliegt Goethe dem Fieber des Kriegs zur Niederschlagung der Republik. Diese kontradiktorische Nähe zwischen Goethe und Forster ist eine aufschlussreiche und faszinierende Entdeckung Goldsteins. Das letzte Kapitel seiner Monographie nennt er „Das Ende. Die große Ratlosigkeit.“ Forster in Paris. Der Antrag ist angenommen, doch die Republik gibt es nicht mehr. Forster ohne Mittel, krank, getrennt von seiner Familie, fast ohne Freunde erlebt den Terreur der Revolution. Tausende von politischen Gegnern und vermeintlichen gegenrevolutionären Aktivisten werden guillotiniert, darunter auch der Mainzer Adam Lux, der die Mörderin Marats, Charlotte Corday verteidigte und sich selbst anzeigte. Forster aber unternimmt einen letzten Versuch die Revolution zu verstehen. Er ist zutiefst erschrocken angesichts der Despotie der Revolutionäre, die noch schlimmer scheint als die des Ancien regime. Und doch verteidigt er in seiner letzten Schrift „Parisische Umrisse“ den Terror der Revolution, sie unterliegt dem Gesetz der Notwendigkeit. Er unternimmt damit eine „Theodicee der Revolution“, die in dem Satz gipfelt „Die Revolution ist - die Revolution.“ Sie ist kolossalisch, sie lässt sich nicht begreifen, sie ist wie eine Gottesoffenbarung (die Formel gleicht der von Ex 3). „Eine Naturerscheinung, die zu selten ist, als daß wir ihre eigenthümlichen Gesetze kennen sollten, läßt sich nicht nach Vernunftregeln einschränken sondern muß ihren freien Lauf behalten.“ Forster stirbt entkräftet und verzweifelt am 10. Januar 1794 in einer Pariser Dachkammer, keine vierzig Jahre alt. Es ist das außerordentliche Verdienst dieses Buchs, den politischen Forster deutlicher als bisher in Blick genommen zu haben, mit der für ihn kennzeichnenden Verbindung von Freiheit und Naturgewalt. Zwar hält Forster gegenüber den konservativen Verdammungen der Revolution wie etwa Edmund Burke sie 1790 äußerte, an ihrem Recht fest. Aber, und das ist interessant zu beobachten durch seine Heranziehung apokalyptischer Bilder zur Erklärung ihrer Gewalttätigkeit wird bei Wegfall des zustimmenden Moments in der deutschen Einschätzung der Revolution jene totale Ablehnung und Perhorreszierung, wie sie beispielweise bei dem konservativen Staatstheoretiker Friedrich Julius Stahl auftritt. Er sieht in der Revolution „die Gründung des ganzen öffentlichen Zustandes auf den Willen des Menschen statt auf Gottes Ordnung und Fügung.“ Eine Einschätzung, die der sozial engagierte Theologe Johann Hinrich Wichern 1848 bei der Verdammung der März-Revolution übernahm. Zwar ist die Revolution ein Gericht über die Sünden von Kirche und Adel. Doch das Widergöttliche der Revolution bringt für Stahl und Wichern die Zeit ebenso aus den Fugen wie die von Forster angenommene Naturgewalt des Politischen. Schließlich ist anzumerken, dass Forster in der Einschätzung der treibenden poltischen und sozialen Kräfte, die dann das 19.Jahrhundert bestimmen sollten, nur kurz jene neue ökonomische Kraft streifen sollte, die die „Verwandlung der Welt“ (Osterhammel) zur Folge hatte die technisch-industriellen Fortschritte (er erwähnt holländische Fabriken) und die kapitalistische Entwicklung der Produktivkräfte. Es war 50 Jahre später Karl Marx, der im Kommunistischen Manifest zusammen mit Engels das revolutionäre Potential dieser großen Industrie mit Naturbegriffen beschreibt: „Alles Stehende und Ständische verdampft, alles Heilige wird entweiht (…) ihre Waren sind die Artillerie, mit er sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt. Die Bourgeoisie gleicht dem Hexenmeister, der die unteririschen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag usw.“ Es waren die ökonomischen Kräfte, die im 19. Jahrhundert wie ein mächtiger kaum beherrschbarer Strom die Verhältnisse veränderten. Marx Charakterisierung des Wandels als Geschichte von Klassenkämpfen versucht dann wieder ein rationales Moment festzumachen und hält doch an der Revolution als „gewaltsamen Umsturz aller Gesellschaftsordnung“ fest. Anders Heine, der 1848 in Paris die Revolution mit ihren Blutbädern erlebt und kommentiert: „Das ist Universalanarchie, Weltkuddelmuddel, sichtbar gewordener Gotteswahnsinn. Der Alte muß eingesperrt werden.“ Forsters Gedanke einer natürlichen Revolution, die sozusagen wie ein Naturereignis die gekränkten Rechte der Menschheit realisiert, bleibt ein Traum. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/103/hjb51.htm |