Meine Lieblings-Weihnachtsmusik

Harald Schroeter-Wittke

Es gibt so viel Musik, die ich liebe, dass ich für diesen Vortragstermin[1] kurz vor Weihnachten froh und dankbar bin, denn so kann ich heute meine Lieblingsmusik auf ein Thema fokussieren, welches mit meiner Profession als Theologe zu tun hat.

Dennoch gehe ich auch hier und heute einen Umweg. Seit Jahrzehnten steht auf meiner Hitliste derjenigen Stücke, die auf meiner Beerdigung gespielt werden sollen, ein Weihnachtsstück auf Platz 1, das ich heute abend aber nicht präsentieren werde: Der Schlusschoral des Bachschen Weihnachts­oratoriums. Er strahlt mit seinen drei Trompeten und trotzt dem Tode ab, was angesichts der Feier einer Geburt vielleicht merkwürdig anmutet, aber dennoch nicht abwegig ist:

Nun seid ihr wohlgerochen an eurer Feinde Schar.
Denn Christus hat zerbrochen, was euch zuwider war.
Tod, Teufel, Sünd und Hölle, sind ganz und gar geschwächt.
Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.

Welch ein Schluss! Ich habe ihn letzte Woche erstmals in der Version der King’s Singers mit der WDR-Big-Band[2] gehört: Einfach toll, wie eindrücklich sie diesen Schlusssatz in Szene setzen: Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht!

Ich bin musikalischer Liebhaber, Amateur und als solcher Pianist. Daher stelle ich Ihnen heute drei Weihnachtsmusiken meines Lieblingsinstruments vor, mit dem die ganze Welt zum Klingen gebracht werden kann. Meine Klavierstücke stammen aus drei Jahrhunderten: 1841, 1917 und 2010. Die letzten zwei Jahrhunderte sind musikalisch durch das Pianoforte und seine nachfolgenden Keyboards geprägt.[3] Der Flügel ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, Weihnachten auch. Vieles von dem, was heute als typisch weihnachtlich gilt, entstand erst im Laufe des 19. Jahrhunderts. Für die evangelische Theologie könnte man sagen: Aus der Kreuzestheologie der Reformation wurde mit dem emanzipierten Bürgertum eine Theologie, die die Geburtlichkeit und das göttliche Kind ins Zentrum stellt.[4]

Ich beginne mit einer Publikation aus dem Jahr 1806, der letzten ernsthaften theologischen Auseinandersetzung mit Weihnachten: mit dem Büchlein „Die Weihnachtsfeier. Ein Gespräch“[5] aus der Feder des sog. Kirchenvaters des 19. Jahrhunderts, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Mitbegründer der heute sog. Humboldt-Universität zu Berlin. In diesem Büchlein legt Schleiermacher eine neue Weihnachtstheologie vor, die nicht mehr aus dem Vorrang der Dogmatik oder der Bibel als alles normierender Quelle gespeist ist, sondern die die Dekonstruktionen der Aufklärung ernst nimmt und nun von der menschlichen Erfahrung ausgeht.[6] Schleiermachers Weihnachtsfeier beinhaltet ein Gespräch, das an einem häuslichen Weihnachtsabend mit einer bestimmten Weihnachtsfeststimmung stattfindet. Die Wahrheit der Weihnacht wird hier nicht dekretiert, sondern stellt sich im Hin und Her des Gesprächs heraus. Wer sich dabei an Sokrates erinnert fühlt, liegt richtig, gehört doch die Übersetzung der platonischen Dialoge zu den wissenschaftlichen Verdiensten Schleiermachers. Wie kann Weihnachten gedacht, gefühlt und gefeiert werden, wenn die dogmatischen Vorgaben nicht mehr einleuchten und die historische Kritik vieles ins Wanken gebracht oder gar zerstört hat? Das ist Schleiermachers Frage.

Seine Antwort lautet: Weihnachten, die Geburtsstunde des Christentums, findet seine Erfüllung nicht in der Kirche, sondern zu Hause im Kreis der Lieben. Hier findet eine Unterhaltung statt, ein Gespräch unter Gleichgesinnten. Darunter ist auch ein Pfarrer, aber der weiß es auch nicht besser. Überhaupt sind Worte zwar unumgänglich, wenn es um Religion geht, aber zugleich sind sie immer auch missverständlich. Und deshalb braucht es die Kunst, in diesem Falle die Musik, präziser noch: die Klaviermusik. Bis auf die von den Männern am Ende des Buches geführten theologischen Dispute wird während der gesamten Schleiermacherschen Weihnachtsfeier Klavier gespielt, teils als Gesangsbegleitung, teils als stimmungsvolle Unterhaltung, und zwar von Frauen. Diese spielen in der Weihnachtsfeier eine wichtige Rolle. Gegenüber traditionellen religiösen Mustern sind sie nicht vom Gespräch und auch nicht vom Theologisieren ausgeschlossen. Sie sind, was die Wahrheitsfindung angeht, gleichberechtigt. Aber sie vollziehen diese Wahrheitsfindung anders als die Männer. Sie halten keine Reden, sondern erzählen Geschichten, vom Klavier phantasierend untermalt. Am Ende der Schleiermacherschen Weihnachtsfeier taucht ein lange erwarteter Freund auf, die einzige Person dieser Gesprächsnovelle, die einen biblischen Namen hat: Joseph. Und dieser erklärt: „Ich bin nicht gekommen, Reden zu halten, sondern mich zu freuen mit euch.“ (214f., EA 132) Er tadelt die Reden schwingenden Männer und fährt fort: „Und die armen Frauen haben sich das so müssen gefallen lassen. Bedenkt nur, welche schöne Töne sie euch würden gesungen haben, in denen alle Frömmigkeit eurer Reden weit inniger gewohnt hätte, oder wie anmutig aus dem Herzen voll Liebe und Freude sie mit euch geplaudert hätten; was euch anders würde behagt und erquickt haben, als sie diese feierlichen Reden.“ (215, EA 132f.) Und so schließt Joseph mit einem Blick auf das bei der Weihnachtsfeier anwesende unschuldige, göttliche, selbstunmittelbare Kind Sophie, quasi die romantische Version der Hagia Sophia, der heiligen Weisheit: „Kommt denn, und das Kind vor allen Dingen mit, wenn es noch nicht schläft, und lasst mich Eure Herrlichkeiten sehn und lasst uns heiter sein und etwas Frommes und Fröhliches singen.“ (216, EA 133)

Ich unterbinde diese musikalische Spielanweisung und mache einen Sprung 35 Jahre später ins Jahr 1841, in dem Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy, ihren großen Klavierzyklus „Das Jahr“ komponiert. Dieser Sprung ist nicht allzu groß, denn die Schleiermachers und die Mendelssohns kannten sich aus den Salons Berlins.[7] Was in Schleiermachers Weihnachtsfeier an Problematik in Bezug auf die Gender-Frage schlummert, bestimmt Fanny Hensels Leben auf mitunter tragische Weise: Die Frauen sind zwar gleichberechtigt im Gespräch, aber es ist nicht vorgesehen, dass sie dabei ihre Rolle als Frau und Mutter verlassen. Fanny Hensel steht an dieser Schnittstelle der musikalischen Frauengeschichte. Sie leidet darunter, dass sie nicht als Komponistin öffentlich auftreten darf und so wahrgenommen wird wie ihr Bruder Felix. Es gelingt ihr ansatzweise, aus dieser Rolle zu fallen. Dabei transformiert sie die Tradition in unerhörter Weise.

Der Klavierzyklus „Das Jahr“[8] thematisiert zum ersten Mal in der Musikgeschichte das bürgerliche Jahr. Es enthält 13 Klavierstücke, 12 Monate als Charakterstücke und einen Choral als Nachspiel. Der Zyklus ist nicht mehr an der kirchlichen Dogmatik orientiert. Er beginnt nicht im Advent mit dem Kirchenjahr und läuft dann über Ostern auf das Sterben und die Ewigkeit zu. Stattdessen beginnt der Zyklus bürgerlich im Januar und stellt wie in einem Traum Motive des Jahres vor. Sein Zielpunkt ist der Dezember mit der Weihnachtsthematik. Hensel rekurriert dabei aber noch selbstverständlich auf christliche Traditionen, z.B. im März, in dem sie zunächst die Passionszeit anklingen lässt, bevor sie den Choral „Christ ist erstanden“ als Trauermusik inszeniert. Die Trauer der Frauen wird auch in der Zeichnung Wilhelm Hensels in der Reinschrift deutlich, die erst in den 1990er Jahren wiederentdeckt wurde.[9] Doch die Trauer ist nur Durchgangsstation zum triumphalen Cis-Dur, mit dem Hensel diesen Choral enden lässt. Enharmonisch hätte es auch Des-Dur mit 5 B sein können. Aber Hensel entschließt sich zu einem Choral in Cis-Dur mit 7 Kreuzen: mehr Kreuz geht nicht. Kreuzeserhöhung als Durchbruch zur ausgelassenen Freude.

Auch im Dezember spielt ein bekannter Choral eine wichtige Rolle: Das berühmte Kinderlied Martin Luthers: Vom Himmel hoch, da komm ich her. Hensel lässt dieses Kinderlied als Wiegenlied erklingen. Ein Kinderlied am Ende des Zyklus als Hoffnung für den Beginn einer neuen Welt, aber dennoch gebrochen durch das Nachspiel, welches wieder reichhaltig Tradition zitiert: den Choral „Das alte Jahr vergangen ist“, gerahmt durch Anklänge an den Beginn der Bachschen Matthäuspassion, deren Wiederentdeckung und –aufführung durch ihren Bruder Felix sie ja hautnah mitbekommen hatte: Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen![10] „Wie eine Kirche“ – so hatte Fanny Hensel 1829 zur Wiederaufführung der Matthäuspassion bemerkt.[11] Jetzt aber wiederhole ich erst einmal Schleiermachers Joseph: „Ich bin nicht gekommen, Reden zu halten, sondern mich zu freuen mit euch.“

  • Fanny Hensel (1805-1847): Januar – Februar – März / Dezember – Nachspiel; aus: Das Jahr (1841)

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Der bürgerlichen Weihnachtsfrömmigkeit wird oft vorgeworfen, sie sei unpolitisch und würde in Kitsch und Konsum verkommen. Daran ist sicherlich manchmal etwas Richtiges. Als pauschaler Vorwurf verkennt dies aber Weihnachten als popkulturelle Kraft der friedlichen Unterbrechung inmitten einer von Verunsicherungen gekennzeichneten Welt. Auch nimmt dieser Vorwurf nicht wahr, dass es seit dem 19. Jahrhundert stets eine politische Weihnacht gegeben hat, einerseits gekennzeichnet vom Missbrauch, etwa bei den Nationalsozialisten,[12] andererseits als Versuch, auch in aussichtsloser Situation „ein bisschen Frieden“ wahr werden zu lassen als Vorgeschmack auf die Botschaft der himmlischen Heerscharen „et in terra pax“. Ich liebe solche Weihnachtsmusik, die diesen Versuch in der der Musik eigenen Ohnmacht wagt.

Etwas davon wird deutlich in dem auf einer wahren Geschichte basierenden Film „Merry Christmas“, der vor 10 Jahren in den Kinos lief.[13] Weihnachten 1914 singen sich feindliche Soldatengruppen an der Westfront gegenseitig Weihnachtslieder. Stille Nacht[14] erklingt auf der einen, Adeste Fideles auf der anderen Seite. Die Soldaten trauen sich, ihre Schützengräben zu verlassen. Für einen Tag lang lassen sie die Waffen schweigen und feiern mitten in der Nacht gemeinsam Weihnachten im sonst tödlichen Kampfgebiet. Als die jeweiligen Befehlshaber im sicheren Hinterland dies mitbekommen, lassen sie ihre Soldaten hart bestrafen.

Weihnachten im Krieg – das ist auch das Thema der Sonatina No. IV von Ferruccio Busoni mit dem Untertitel: in diem nativitatis Christi MCMXVII.[15] Busoni gehört zu den Künstlern der klassischen Moderne, die sich am schwersten einordnen lassen. Die Musik dieses gefeierten Pianisten war weder italienisch noch deutsch noch finnisch noch amerikanisch, obwohl er aus all diesen Musikkulturen intensiv geschöpft hat. „Immer behält seine Musik den Ausdruck kosmopolitischer Ungebundenheit“, so Heinz Meyer in seiner stilkritischen Untersuchung der Klaviermusik Busonis. Und er fügt hinzu: „ja Unverbindlichkeit“.[16] Dieser Zusatz kann missverständlich sein, wenn er als unverbindliches Geplänkel verstanden wird. Stattdessen zeigt sich gerade in der Sonatina No. IV, die für Busoni die Quintessenz seiner späten Sonatinen darstellt, eine unglaublich dichte thematische und kontrapunktische Kompositionsweise, deren spielerische Auseinandersetzung mit der erweiterten Tonalität Klanglandschaften mit traumwandlerischer Sicherheit erzeugt. Obwohl er als einer der ersten Komponisten dabei den Septakkord „zum Substrat und zum Angelpunkt polyphoner Denkvorgänge“[17] macht, entwickelt er daraus kein harmonisches Lehrsystem, sondern „eine Art Kunstausübung, bei welcher jeder Fall ein neuer, eine Ausnahme“[18] ist.

Die Sonatina No. IV ist nicht nur eine Quintessenz des auf den ersten Blick unspektakulären pianistischen Spätwerks Busonis. Sie ist auch ein zum Klingen-Bringen jener Ratlosigkeit, die Busoni seit Ausbruch des 1. Weltkrieges befallen hatte, gehörte er doch zu den ganz wenigen Persönlichkeiten, die nicht dem Taumel der Kriegsbegeisterung anheimfielen. Nach einer überstürzten Amerika-Tournee 1915, findet er sein Asyl in Zürich, bevor er dann in den 1920er Jahren wieder nach Berlin geht, wo u.a. Kurt Weill zu seinen Schülern gehört. Als Busoni seine Sonatina No. IV zwischen dem 19. und 22. Dezember 1917 komponiert, hatte der nationalistische Antidemokrat Hans Pfitzner soeben versucht, ihn geistig und politisch aus Deutschland auszubürgern. Busoni war tief getroffen, entgegnete Pfitzner aber „zurückhaltend, elegant“ mit einer Begründung, die er 1917 Hans Huber mitteilte: „Wohl hätte ich in ganz anderem Tone erwidern können, aber um ihn mit den Waffen der Grobheit zu schlagen, hätte ich gemein werden müssen, was wiederum sein Sieg gewesen wäre.“[19] (Ermen, 99) Busonis Weihnachts-Sonatina lässt in genau diesem Ton auch die Schrecken und die Hoffnungen des Jahres 1917 erklingen: Der Klang der Kriegsgeschütze und der Klang der Weihnachtsglocken verschmelzen, bleiben ununterscheidbar, gehen ineinander über und führen mit den beiden Schlussakkorden in eine Leere, die unheimlich ist und genau in dieser Un-Heimlichkeit, in dieser Transfiguration von Heim und Heimat einen Anfangspunkt markiert: „quasi trasfigurato“ ist Busonis Spielanweisung für die letzte Sequenz, in der die Mittelstimme den Anfang des Chorals „Vom Himmel hoch“ anspielt.[20]

Busonis Weihnachtsklänge sind ohnmächtig – und gerade in ihrer Schwachheit stark. Beim Einüben dieser Sonatina ist mir diese Musik angesichts unserer gegenwärtigen Situation immer stärker ans Herz gewachsen. Sie fängt das, was im Schwange und in der Schwebe ist, das Unentschiedene, in kompositorischer Strenge klanglich ein und verbindet dies mit schwachen Herz- und Hoffnungstönen einer bevorstehenden Geburt. Dabei bleibt offen, ob sich Hoffnung erfüllt oder leer bleibt, vielleicht sogar leer bleiben muss, damit Advent, das auf uns Zukommende, das Neue Gestalt werden kann.

  • Ferruccio Busoni (1866-1924): Sonatina No. IV in diem nativitatis Christi MCMXVII

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Aller guten Dinge sind drei – auch bei Weihnachtsmusiken. Ich hatte Ihnen Olivier Messiaen angekündigt und wollte den achten und letzten Satz für Violine und Klavier aus seinem Quatuor pour la Fin du Temps spielen. Diese Besetzung haben wir aber leider nicht zustande gebracht. Dennoch will ich ein paar Takte über dieses Stück sagen: Dieses Quartett über das Ende der Zeit vollendete Messiaen über Weihnachten 1940 im deutschen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A in Görlitz. Es wurde dort in klirrender Kälte am 15. Januar 1941 uraufgeführt.[21] Der letzte Satz trägt den Titel „Louange à l’Immortalité de Jésus“: Lob an die Unsterblichkeit Jesu. Ein Stück, das weihnachtlich in himmlische Sphären führt.

Stattdessen spiele ich Ihnen nun ein weiteres Weihnachtsstück, das den Krieg als Hintergrund anklingen lässt. Es steht gewissermaßen in der Nachfolge Messiaens und stammt von Naji Hakim[22], der 1955 in Beirut geboren wurde und seit den 1970er Jahren in Paris lebt, wo er u.a. bei Jean Langlais (1907-1991) studierte. 1985 wird Hakim Titularorganist an Sacre Coeur und 1993 Nachfolger von Olivier Messiaen (1908-1992) an St. Trinité in Paris. Er spielte dort u.a. das Gesamtwerk Messiaens für Orgel ein. 2007 wurde er von Benedikt XVI. mit dem Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ geehrt. Seit 2008 arbeitet Hakim als frei schaffender Musiker. Seine Musik hat oftmals einen unterhaltenden Charakter und erschließt sich auch für Ohren, die popkulturell geprägt sind.

Hakims Unterhaltungsmusik bringt für mich ein theologisches Qualitätsmerkmal in der dreifachen Bedeutung des deutschen Wortes Unterhaltung[23] zum Klingen: Unterhaltung ist zunächst ein alter theologischer Begriff: Gott unterhält die Welt. He’s got the whole world in his hand. Unterhaltung ist zweitens das einzig angemessene Medium der Wahrheitsfindung in der Moderne: Wahrheit wird nicht von oben dekretiert, sondern Wahrheit entsteht im Gespräch, in der Unterhaltung als einer Begegnung verschiedener Menschen auf Augenhöhe. Schleiermachers Weihnachtsfeier ist dafür exemplarisch. Und Unterhaltung führt uns als Amusement drittens in eine Leichtigkeit, ohne die unser Leben nicht lebenswert wäre: La vita è bella.[24]

All dies kommt auch in der Komposition Hakims zur Geltung, die ich Ihnen als Weihnachtsmusik präsentiere: Aalaiki’ssalaam. Variationen über ein libanesisches Thema. Angesichts des zweiten Libanonkriegs 2006 komponierte Hakim diese Variationen für Orgel als seinen Kommentar zu seiner unter Kriegsschutt begrabenen Heimat. 2010 erschienen seine Variationen als Klavierfassung in der Edition Schott, die einen Großteil seiner Werke verlegt.

Aalaiki’ssalaam bringt mit dem cantus firmus eines Volkslieds Kriegserfahrung und Friedenswunsch zusammen. Hakims Musik klingt dabei menschlich, ökumenisch und universal. Sie atmet die Erfahrungen einer durch Kriege geschüttelten Region und wirbt für den Frieden als der zentralen Botschaft der drei abrahamitischen Religionen. Sie bringt den musikalischen Höhepunkt der himmlischen Heerscharen in der lukanischen Weihnachtsgeschichte zum Klingen: et in terra pax! Meine Lieblings-Weihnachtsmusik schließt sich diesem englischen Wunsch an: Aalaiki’ssalaam!

  • Naji Hakim (*1955): Aalaiki’ssalaam. Variationen über ein libanesisches Thema (2006/2010).

Anmerkungen

[1]    Vortrag in der Hochschule für Musik, Detmold, am 16.12.2015, im Rahmen der Vortragsreihe „Meine Lieblingsmusik“.

[2]    The King’s Singers / WDR Big Band, J.S. Bach, Christmas Oratorio, arranged and conducted by Bill Dobbins, Signum Records 2010.

[3]    Vgl. Dieter Hildebrandt, Pianoforte oder Der Roman des Klaviers im 19. Jahrhundert, München 1988.

[4]    Vgl. dazu Matthias Morgenroth, Heiligabend-Religion, München 2003.

[5]    Zitate entstammen der Ausgabe von Martin Rade (Hg.), Monologen – Weihnachtsfeier, Berlin 1925, mit Verweis auf die Seitenzahlen der Erstausgabe (EA).

[6]    Zum Folgenden vgl. Dieter Schellong, Schleiermachers „Weihnachtsfeier“. Ein Dokument des evangelischen Bürgertums zum Anfang des 19. Jahrhunderts, in: Richard Faber / Esther Gajek (Hg), Politische Weihnacht in Antike und Moderne. Zur ideologischen Durchdringung des Fests der Feste, Würzburg 1997, 75-85; sowie Matthias Morgenroth, Weihnachts-Christentum. Moderner Religiosität auf der Spur, Gütersloh 2002, 93-107.

[7]    Wie stark Hensels Musik aus dem Gespräch, der Korrespondenz erwachsen ist, zeigt Cornelia Bartsch, Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy. Musik als Korrespondenz, Kassel 2007.

[8]    Vgl. dazu Annette Nubbemeyer, Italienerinnerungen im Klavieroeuvre Fanny Hensels: Das verschwiegene Programm im Klavierzyklus Das Jahr, in: Martina Helmig (Hg), Fanny Hensel, geb. Mendelssohn Bartholdy. Das Werk, München 1997, 68-80; sowie Peter Schleuning, Fanny Hensel geb. Mendelssohn. Musikerin der Romantik, Köln u.a. 2007, 292f., der die These vom Italienerinnerungsprogramm dieses Zyklus mit guten Gründen für nicht zwingend hält.

[9]    Vgl. den Bericht von Beatrix Borchard über die Entdeckung dieser Handschrift (PDF)

[10]   Vgl. Harald Schroeter-Wittke, „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“. Bach als Religionspädagoge, in: Ders., Musik als Theologie. Studien zur musikalischen Laientheologie in Geschichte und Gegenwart, Leipzig 2010, 98-120.

[11]   Vgl. Harald Schroeter-Wittke, Religionspädagogik als Kulturwissenschaft. Vorspiel einer musikalischen Religionspädagogik, in: Ders., Musik, a.a.O., 18-33, bes. 26-29.

[12]   Vgl. Esther Gajek, Nationalsozialistische Weihnacht. Die Ideologisierung eines Familienfestes durch Volkskundler, in: Faber / Gajek, Weihnacht, a.a.O., 183-215.

[13]   Vgl. http://www.lehrer-online.de/merry-christmas-film.php

[14]   Vgl. dazu Wolfgang Herbst, Stille Nacht! Heilige Nacht! Die Erfolgsgeschichte eines Weihnachtsliedes, Zürich 2002.

[15]   Vgl. Jürgen Kindermann, Thematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke von Ferruccio Busoni, Regensburg 1980, 331f.

[16]   Heinz Meyer, Die Klaviermusik Ferruccio Busonis. Eine stilkritische Untersuchung, Wolfenbüttel/Zürich 1969, 196.

[17]   Meyer, Klaviermusik, a.a.O., 219.

[18]   Ferruccio Busoni, Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst, 2. erweiterte Auflage Leipzig 1916, 32; vgl. dazu Harald Schroeter-Wittke, Wittenberg als Opernort. Zum 150. Geburtstag von Ferruccio Busoni, in: Praktische Theologie 51 (2016), Heft 3.

[19]   Zit. Nach Reinhard Ermen, Ferruccio Busoni, Reinbek 1996, 99.

[20]   Vgl. Hans Heinz Stuckenschmidt, Ferruccio Busoni. Zeittafel eines Europäers, Zürich/Freiburg 1967, 96f.

[21]   Vgl. dazu Peter Hill / Nigel Simeone, Messiaen, Mainz 2007, 100-152 (Messiaen im Krieg)

[22]   Vgl. Harald Schroeter-Wittke, Aalaiki’ssalaam. Zum 60. Geburtstag von Naji Hakim, in: Praktische Theologie 50 (2015), 126-128.

[23]   Vgl. dazu Harald Schroeter-Wittke, Art. Unterhaltung, in: TRE 34 (2002), 397-403.

[24]   Vgl. http://www.film-kultur.de/filme/das_leben_ist_schoen.html

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/103/hsw19.htm
© Harald Schroeter-Wittke, 2016