Mit Kunst zurück ins Mittelalter?

Eine protestantische Farce

Andreas Mertin

In einem Kommentar der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift zeitzeichen hat deren Redakteur Jürgen Wandel ein Kunstprojekt in der rheinischen Landeskirche als „Blasphemie in Blau“ bezeichnet. Und er beschließt seinen Kommentar mit einigen Anfragen an Reformierte, Feministinnen, Evangelikale und Lutheraner:

Zur unierten Landeskirche des Rheinlandes gehören viele reformierte Gemeinden. Sie stehen in der Tradition des Genfer Reformators Johannes Calvin. Gerade die Reformierten haben das Bilderverbot des Alten Testamentes ernst genommen. Denn ihnen ist bewusst, dass der Mensch eine ‚Götzenbilderfabrik‘ ist, wie Calvin erkannte. Häufig beklagen die Re­formierten, dass sie als Minderheit im deutschen Protestantismus nicht wahr- und ernstgenommen werden. Dabei würde ihnen das Essener Kirchenfenster die Möglichkeit geben, ihr Anliegen und Profil deutlich zu machen. Genauso erstaunt, dass weder feministische Theologinnen protestiert haben, noch pietistisch-evangelikale Kreise, die sich gern als ‚bibeltreu‘ bezeichnen. Die EKD zeigt das Fenster auf ihrer Webseite – allerdings ohne den oberen Teil mit Gott, dem Vater. Aber die Überschrift ‚Superstar Jesus und der lachende Gott-Vater‘ hätte Theologen in der EKD auf den Plan rufen müssen. Eine Abbildung Gottes müsste auch Lutheraner empören, die Bilder und Figuren in Kirchen akzeptieren.

Jürgen Wandel hat vollkommen Recht. Jeder, der diese Bilder im Vorfeld kannte, hätte entschieden gegen sie protestieren müssen. Nicht etwa, weil sie zu progressiv, zu modern waren, sondern weil sie ein dezidiert mittelalterliches Bild von Theologie und von Gott vermitteln. Was Jürgen Wandel nicht wissen konnte, ist, dass reformierte Gemeindeglieder tatsächlich im Vorfeld gegen die Fenster protestiert haben, aber ziemlich herablassend „abgebügelt“ wurden. Die Gemeindevertreter hielten die Fensterentwürfe für solche, die man Reformierten zumuten kann, weil es ja „Moderne Kunst“ sei und Künstler „immer schon“ Gott dargestellt hätten.

Der Reformierte Bund bat mich seinerzeit um eine Einschätzung der Bilder, um auch fachlich ein Urteil fällen zu können. Ich habe im Oktober 2015 eine Stellungnahme geschrieben, die zu einem klaren Urteil kam: diese Fenster sollten unter keinen Umständen eingesetzt werden!

Wie aus dem Kommentar von Jürgen Wandel deutlich wird, hat die Gemeinde in Essen nicht auf die Proteste gehört, sie hat ihrem Drang nach dem Spiel mit scheinbar großen künstlerischen Namen nachgegeben und ihre „Blasphemie in Blau“, wie es Jürgen Wandel so schön formuliert hat, in der Kirche platziert.

Ich publiziere nun im Folgenden meine seinerzeitige Stellungnahme für den Reformierten Bund, weil es mir wichtig ist, dass allen Beteiligten deutlich wird, unter welchen Gesichtspunkten diese Fenster hoch problematisch in sich sind – aus künstlerischen, aus theologischen, aus lutherischen und aus reformierten Gründen. Wir müssen in der evangelischen Kirche eine auch qualitätsorientierte Gesprächskultur entwickeln, die derartige Betriebsunfälle verhindert.

Einerseits Luther zu feiern und andererseits seine theologischen Erkenntnisse mit Füßen zu treten sind zwei Dinge, die sich ausschließen.

Als der folgende Text entstand waren die Fenster noch nicht eingebaut.


Stellungnahme

In der Essener Kreuzeskirche sollen zwei Fenster nach Skizzen des amerikanischen Pop-Art-Künstlers James Rizzi eingebaut werden. Ihre inhaltliche Gestaltung hat zu Bedenken reformierter Gemeindeglieder geführt, die in der figürlichen Darstellung Gottvaters, zudem als alter Mann, und in der figürlichen Darstellung Jesu Christi in der Tradition des Gnadenstuhls eine Verletzung des 2. Gebotes (Bilderverbot) und einen Widerspruch zu Artikel 98 des Heidelberger Katechismus sehen. Das wirft die Frage auf, wie in einer unierten Gemeinde, die reformierte und lutherische Gläubige vereint, die Frage der Abbildbarkeit Gottes einvernehmlich geregelt werden kann. Ich möchte im Folgenden nicht auf die kirchenrechtliche / kirchenpolitische Frage eingehen, sondern einen „reformierten Blick“ auf die geplanten Bilder und das gesamte Vorhaben werfen. Dazu beschäftige ich mich zunächst mit dem Künstler, seinen Entwürfen und ihrem ikonographischen Programm und dessen theologischen Implikationen.

I - Der Künstler

James Rizzi ist ein amerikanischer Pop-Art-Künstler, der 1950 in New York geboren wurde und 2011 dort auch verstarb. Charakteristisch für die Arbeiten von Rizzi ist eine bestimmte Art der naiv-bunten Figuration, die sich im weitesten Sinne um seinen Geburts- und Lebensort New York dreht. Hochhäuserschluchten, Schnellstraßen, aber auch Märchenmotive sind ein häufiges Sujet. Alles ist bunt – könnte man als Motto seiner Arbeiten verstehen. Er schuf auch 3D-Bilder, die aus dem Versatz zweier Bildebenen bestehen. Mit vielen karitativen Organisationen, aber auch Werbeinstitutionen hat Rizzi erfolgreich zusammengearbeitet. Rizzi erweiterte, wie bei manchen Künstlern des 20. Jahrhunderts nicht unüblich, seinen Arbeitsbereich auch auf das „Design“ von Alltagsprodukten wie Salz- und Pfefferstreuer oder Schlüsselbretter. Damit war jedoch, anders als etwa bei Andy Warhol oder Keith Haring, keine programmatische Erweiterung des Kunstbereichs angezielt, sondern nur eine größere kommerzielle Verbreitung. Nicht zufällig wird James Rizzi in Deutschland u.a. von ars mundi vertrieben, die für eine Art gehobene Gebrauchskunst (und nicht für Kunst als ästhetisch-sinnlich-reflektierter Weltdeutung im Sinne Immanuel Kants oder Friedrich Schillers) einstehen.

Das internationale Kunstsystem hat daher äußerst zurückhaltend und skeptisch auf Rizzis Werk reagiert und es als Trivialkunst eingestuft. Das Kunstforum International, im deutschsprachigen Bereich das wichtigste Kunstmagazin für zeitgenössische Kunst, erwähnt ihn in keiner seiner Ausgaben. Die Künstler-Datenbank artfacts.net ordnet ihn unter „ferner liefen“ ein (Position 18.081). Namhafte internationale Museen, die über Werke von ihm verfügen, gibt es nicht. Das unterscheidet ihn von Künstlern wie Jean-Michel Basquiat (1960-1988; Position 201) oder Keith Haring (1958-1990; Position 183), die ebenfalls als Pop-Art-Künstler arbeiteten und populärkulturelles Material ins Zentrum ihrer Werke aufnahmen, und die vom Kunstsystem als avantgardistische Entwicklung heutigen künstlerischen Schaffens wahrgenommen wurden. Auch Haring hat sich mit religiösen Themen auseinandergesetzt (z.B. sein Zyklus zu den Zehn Geboten), dabei aber Oberfläche und Inhalt in ein fruchtbares dialektisches Verhältnis gesetzt. Die nur scheinbare Oberflächlichkeit der PopArt und die angemessene religiöse Darstellung schließen sich daher nicht grundsätzlich aus. Im Gegensatz etwa zu den Werken des mit Rizzi vergleichbaren deutschen Künstlers Otmar Alt sind Rizzis Werke eher trivial strukturiert. Nun kann man in der Banalität des Gewöhnlichen durchaus ein interessantes theologisches wie ästhetisches Thema sehen (im Sinne der Verklärung des Gewöhnlichen oder der Verse von Günter Eich: „Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!“), im vorliegenden Fall aber ist die Widerständigkeit der Kunst äußerst begrenzt.

II – Die Entwürfe

Die Kreuzkirche in Essen hat der Öffentlichkeit nun zwei Bilder als Entwürfe Rizzis für den Einbau als Kirchenfenster vorgestellt. Da James Rizzi nicht mehr lebt, werden seine Entwürfe von der renommierten Glaswerkstatt Derix umgesetzt. Derix ist für zahlreiche Realisierungen von Kirchenfenstern in ganz Deutschland bekannt, sowohl im evangelischen wie im katholischen Bereich. Ihre Kompetenz bezieht sich auf die materiale Qualität der werkgetreuen Umsetzung der Entwürfe, nicht aber auf ein eventuelles theologisches Programm. Dieses fällt in den Verantwortungsbereich des Künstlers bzw. des Auftraggebers, der entscheiden muss, ob die vorgelegten Entwürfe zur Theologie der in der Kreuzkirche Gottesdienst feiernden Gemeinde passen. Autonomie der Kunst bedeutet keinesfalls, dass eine Gemeinde jeden künstlerischen Entwurf eines Künstlers akzeptieren muss, sondern bedeutet, auf Augenhöhe in einen Dialog von Religion und Kunst einzutreten.

Bild 1

Das erste der beiden vorgelegten Bilder zeigt einen erhöhten Christus mit Kreuznimbus, der von zwei Engeln flankiert wird.

Der konzeptuelle Aufbau in der oberen Hälfte des Bildes erinnert am ehesten an Raffaels Verklärung Jesu bzw. an die Darstellung der Verklärung durch Fra Angelico. In Verbindung mit den begleitenden Engeln könnte man auch an barocke Auferstehungsbilder denken.

Im unteren Bereich sieht man eine Kombination von Einzelszenen, ein Fischerboot mit Menschen beim Fischfang, ein Schaf, ein Widder, zahlreiche Menschen mit farbigen Kreuzen, ein Mensch mit einem Fisch(symbol) und zweimal ein eucharistischer Kelch, von denen einer wie auf einer Ikone bzw. auf einem Stillleben besonders hervorgehoben ist.

Gerahmt wird das Ganze von Herzsymbolen am äußeren Rand und Blumenmotiven als zweiter Rahmung. Es gehört vermutlich zur bitteren Ironie dieses Bildes, dass es unmittelbar an den Tanz um das Goldene Kalb erinnert. Dazu später mehr.

Bild 2

Das zweite Bild zeigt uns eine Konstellation, die kunsthistorisch als Gnadenstuhl bekannt ist, die aber, wie noch zu erörtern sein wird, das Motiv des Gnadenstuhls ins eucharistische Geschehen nach katholischer Lesart einordnet.

Oben sehen wir Gottvater als bärtigen alten Mann dargestellt, darunter Jesus Christus als bärtigen jüngeren Mann mit kreuzartig ausgebreiteten Armen. Zu seinen Füßen ein mit Strahlen versehener Kelch, in dessen Inneren so etwas wie eine Hostie wahrnehmbar ist. Getragen wird dieser Kelch von zwei nimbusbekrönten Engeln. Auch Jesus selbst umkreisen vier nimbusbekrönte Engel, welche verzückt auf die Betrachter schauen.

Der Hintergrund des Bildes ist unspezifisch Blau, ein Horizont oder eine Verortung ist nicht erkennbar, was auf eine Einordnung als Glaubensbild schließen lässt. Es handelt sich also nicht um den Versuch einer Darstellung der Taufe Jesu oder der Verklärung Jesu.

Gerahmt wird das Bild von einer unspezifischen Motivik. Stilistisch erinnert es an eine Kinder- oder Karikaturenzeichnung.

III – Das ikonographische Programm

Nach Auskunft der Kreuzkirchengemeinde hat sich James Rizzi nach der Verabredung zu diesem Kirchenfenster intensiv mit der Gestaltungsfrage auseinandergesetzt. Das muss ernstgenommen werden. Es handelt sich also nicht um eine beiläufige Skizze, sondern um eine sinnlich-reflektierte und bewusst konzipierte Darstellung. In diesem Sinne ist das Bild als visuelle Theologie zu begreifen und zu erörtern. Werke der neueren Kunstgeschichte ordnen sich trotz aller Brüche an der Wende zur Moderne immer auch in den Fluss der Tradition und der Geschichte bestimmter Motive ein. Seriöse Künstler reflektieren das und machen es konzeptionell in ihren Werken deutlich. Auch eine Kreuzigung etwa von Joseph Beuys bezieht sich positiv wie negativ auf die Werke seiner Vorgänger. Das gilt selbst für Arbeiten abstrakter Künstler wie Barnett Newman (Stations of the cross) oder Marc Rothko (Houston-Kapelle). 

Bild 1

Betrachtet man unter dieser Voraussetzung die beiden Bilder von Rizzi, so kann das erste entweder der Verklärung Jesu zugeordnet werden, wie sie Raffael 1516-1520 oder Fra Angelico 1437-1446 gemalt haben;

oder aber der Himmelfahrt Christi, wie wir sie bei Andrea Mantegna (1460-1464), Garofalo (1510-1520) oder Pietro Perugino (1496-98) finden.

Alle diese Werke sind vorreformatorische Bezugspunkte. Mit Mühe könnte man Rembrandts Darstellung der Himmelfahrt (1636) aus dem Passionszyklus als weitere Referenz benennen, die jedoch völlig anders angelegt ist und eher negativ auf Rizzis Werk bezogen werden kann. Es ist nun nicht unangemessen, wenn man Rizzis Arbeiten mit denen seiner kunsthistorischen Vorgänger in Beziehung setzt. Erst dann werden seine Besonderheit und seine künstlerische Leistung deutlich.

Erkennbar ist, dass in der künstlerischen Tradition bei der Darstellung keine Rücksicht auf das zweite Gebot genommen wurde. Hier stimmen zumindest die Künstler der Vormoderne mit Martin Luther überein, der die figurative Wahrnehmung Christi für unvermeidbar hielt (ohne dabei zwischen gestalteten Bildern und inneren Bildern wirklich zu unterscheiden):

„So weiß ich auch gewiß, daß Gott haben will, man solle seine Werke hören und lesen, insbesondere das Leiden Christi. Soll ichs aber hören oder daran denken, so ist mirs unmöglich, daß ich nicht in meinem Herzen Bilder davon machen sollte. Denn ich wolle oder wolle nicht: wenn ich von Christus höre, so entwirft sich in meinem Herzen das Bild eines Mannes, der am Kreuze hänget, gleichwie sich mein Antlitz auf natürliche Weise im Wasser abzeichnet, wenn ich drein sehe. Ists nun nicht Sünde, sondern gut, daß ich Christi Bild im Herzen habe; warum sollts Sünde sein, wenn ichs vor Augen habe?“

Dem wäre jedoch mit Karl Barth entgegenzuhalten:

Die "entscheidende Aufgabe der Predigt im Gottesdienst läßt die Anwesenheit von figürlichen Darstellungen Jesu Christi im Versammlungsraum der Gemeinde als nicht wünschenswert erscheinen. Ist es nämlich vermeidlich, daß solche Kunstwerke das Auge und damit die bewußte oder unbewußte Aufmerksamkeit der hörenden Gemeinde in ihrer Statik beharrlich auf sich ziehen und auf eine bestimmte, dem betreffenden Künstler in guten Treuen vorschwebende Anschauung Jesu Christi fixieren? Dieser Vorgang ist aus zwei Gründen bedenklich: die Gemeinde soll eben nicht, wie es durch das figürliche Christusbild notwendig geschieht, bei einer bestimmten Vorstellung von ihm fest­gehalten, sondern durch die in ihrem Leben fortgehende, nach jedem vorläufigen Amen ein anderes Mal neu aufzunehmende Verkündigung seiner Geschichte als seiner Ge­schichte mit uns dazu angeleitet werden, seiner lebendigen Selbstbezeugung von einer Erkenntnis zur anderen zu folgen. Vor allem aber: Welche bildende Kunst, und wäre sie die vortrefflichste, verfügt über ein Mittel, Jesus Christus in seiner Wahrheit, nämlich in seiner Einheit als Gottes- und Menschensohn sichtbar zu machen? Sie wird notwendig, entweder (etwa mit den großen Italienern) abstrahierend auf seine Göttlichkeit bedacht, auf die doketistische, oder aber (etwa mit Rembrandt) ebenso abstrahierend auf seine Menschlichkeit ausgerichtet, auf die ebionitische Seite fallen, d.h. aber: sie wird notwendig (und das auch beim frömmsten Willen!) Irrlehre vortragen. Kann man es nun der Kunst bzw. den Künstlern sicher nicht verwehren, sich immer wieder gerade an diesem aufregenden Gegenstand zu versuchen, so sollte es doch der Gemeinde und schließlich auch den Künstlern einsichtig zu machen sein, daß es besser wäre, ihre Werke dieser Art nicht gerade mit dem Predigtdienst konkurrieren zu lassen." (Barth, KD IV.3, S. 995.)

Es ist klar, dass sich heutige Gemeinden kaum noch Gedanken über die theologischen Grundlagen der in ihren Kirchen gezeigten Kunst machen und ihre Entscheidung eher nach Geschmackskriterien (gefällt / gefällt nicht) als nach theologisch fundierten und ästhetisch reflektierten Urteilen fällen. Dennoch bleibt die Frage nach der Darstellbarkeit Christi im Rahmen der Bekenntnisformeln (Chalcedonense) ein notwendiger Stachel im Entscheidungsprozess einer Gemeinde. Es reicht keinesfalls der bloße Verweis auf den Umstand, dass vorreformatorisch und frühreformatorisch Künstler doch Gott oder Christus dargestellt hätten, es bleibt eine Verletzung des Bekenntnisses, wie man an der Argumentation Karl Barths leicht einsehen kann.

Bild 2

Das zweite Bild von James Rizzi ist nun ein Konglomerat verschiedener traditionell katholischer Bildmotive. Man erkennt Anspielungen auf den so genannten Gnadenstuhl, Elemente nach Johannes 15 und Versatzstücke aus dem Motiv ‚Christus in der Kelter‘, aber auch der Gregorsmesse. Aber es handelt sich jeweils nur um Versatzstücke: Zum Motiv des Gnadenstuhls (ein Begriff den Luther zur Vergegenwärtigung der Trinität geprägt hat) fehlt eigentlich die Taube als Darstellung des Hl. Geistes. Zur Darstellung von Joh 15 der Bezug auf die Gläubigen und zum Motiv ‚Christus in der Kelter‘ fehlt das Kreuz als Element des Opfers, zur Gregorsmesse der Priester. Qualifiziert wird das Bild aber durch den Kelch zu Füßen Christi, der das Gesamtmotiv in Darstellungen der eucharistischen Messe einordnet.

Denkbar wäre somit der Bezug zu Albrecht Dürers „Christus in der Kelter“ (1506) oder – mit größerer Ähnlichkeit – das analoge Motiv von Hieronymus Wierix (aus der Zeit vor 1619). Bei letzterem gibt es eine auffallende Übereinstimmung in der Konzeption von Gottvater, Christus und eucharistischem Kelch, der von zwei Engeln gehalten wird.

Bei diesen Bildern wird noch weniger als bei der vorherigen auf das Darstellungsverbot Gottes im Sinne des 2. Gebotes Rücksicht genommen, ja sie sind konzeptionell auf dessen Darstellung hin konzipiert. Jedes Mal taucht Gottvater als der bärtige alte Mann auf, der das Sühneopfer des bärtigen jüngeren Jesus steuert.

Dies sind für jeden erkennbar keine evangelischen Bilder, sie laufen zentralen Punkten der protestantischen Lehre zuwider. Nicht überraschend ist es daher, dass der Protestantismus, um sich davon abzugrenzen, Gegenbilder entworfen hat, die so genannten lutherischen Glaubensbilder. Der Grund dafür ist der Streit um den so genannten Schatz der Kirche, der schon Martin Luther in seinen 95 Thesen zentral bewegt. Kern der Auseinandersetzung ist die Ablasslehre: „Ablaß ist der Nachlaß zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.“ (Kath. Katechismus) Dagegen sagt Luther in der These 58: (Schatz der Kirche) ... „sind auch nicht die Verdienste Christi und der Heiligen; denn diese wirken allezeit, ohne des Papstes Zutun, Gnade des innerlichen Menschen und Kreuz, Tod und Hölle des äußerlichen Menschen ... Der rechte wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.“ Es war den Protestanten und vor allem den Lutheranern wichtig, in ihren lehrhaften Bildern deutlich zu machen, dass es nicht das Papsttum und nicht die Kleriker sind, die den Schatz der der Kirche kontrollieren, es ist vielmehr ein Schatz, der allen Gläubigen zukommt. Symbolisch macht sich dieser Streit an der Darstellung des Kelches fest, wie die lutherischen Glaubensbilder zeigen.

Lutherische Glaubensbilder

Mit der ab 1529 im Gespräch zwischen Luther und Cranach fortlaufend weiterentwickelten protestantischen Variante des Bildtyps „Gesetz und Evangelium“ wird deutlich, dass die Protestanten an entscheidender Stelle der bisherigen – nun katholisch werdenden – Bildlösung widersprechen: so wie auf dem Holzschnitt Cranachs der „Blutstrahl der Gnade“ unmittelbar auf den Körper des Menschen geht und so wie auf dem Altarbild der Weimarer Stadtkirche das Blut Christi unmittelbar auf Cranach selbst spritzt, so empfängt jeder Christ die Gnade und den Zuspruch Christi unmittelbar, ohne klerikale Vermittlung. Das visuelle Zeichen dafür ist das Weglassen des Kelches: In beiden Fällen verzichten Cranach und seine Werkstatt ostentativ und programmatisch auf die Darstellung des Kelches als Symbol der durch die Priester das Heil vermittelnden Kirche. Keine Engel, kein Papst, kein Priester fangen das Blut Christi im Kelch auf, es wird unmittelbar wirksam. Das ist kein Zufall, sondern konstitutiv in die protestantische Lehre eingeschrieben. Und ganz in diesem Sinn steht Martin Luther als Schriftausleger und Prediger im Talar neben und nicht vor Cranach.

Noch deutlicher wird dieses Motiv im Titelkupfer der 1641 erstmals erschienenen so genannten Kurfürstenbibel, der verbreitetsten Luther-Bibel des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Kurfürstenbibel wurde von Herzog Ernst dem Frommen von Sachsen-Gotha-Altenburg in Auftrag gegeben. An ihrer Realisierung arbeiteten führende lutherische Theologen mit. Sie wurde seinerzeit deshalb so sorgfältig konzipiert, um die Grundlagen der lutherischen Lehre in die breite Bevölkerung zu vermitteln. Und dabei erweiterte sie die Bildlösung noch einmal, die Cranach im Gespräch mit Luther erarbeitet hat, indem sie die Kreuzigung durch das alte Motiv des „Christus in der Kelter“ ersetzte und gegen die dazu gehörende konventionelle katholische Lösung Christi Blut unmittelbar zu allen(!) Gläubigen aus Geschichte und Gegenwart gelangen lässt. Dort aber, wo nach konventioneller Lösung Christi Blut von Engeln, vom Priester bzw. vom Papst in einem Kelch aufgefangen und dem Heilsschatz der Kirche zugeführt wird, dort sieht man nun die Heilige Schrift als Quell des Lebens, den die Kirche zu lehren und zu verkündigen hat. Deutlicher geht es kaum.

Die implizite Rückkehr zur Eucharistie

Vergleicht man nun die lutherischen Glaubensbilder mit den Darstellungen der vorreformatorischen Tradition und anschließend mit Rizzis zweitem Bild, dann fällt auf, dass sie sich theologisch völlig konträr zuein­ander verhalten. Dort, wo Martin Luther sehr viel Wert darauf legt den Eindruck zu vermeiden, es bedürfe einer heilsvermittelnden Instanz im Sinne eine besonderen Gruppe von Menschen, dort pflegen die katholischen Bilder seiner Zeit Engeln, den Papst (Gregorius) oder den Priester zu platzieren. In den betont antijudaistischen Bildern vom „lebenden Kreuz“ bzw. der Gegenüberstellung von Ecclesia und Synagoge ist das noch einmal besonders hervorgehoben.

Auf dem Bild aus dem Hortus Deliciarum (1175) empfängt Ecclesia das Blut Christi unmittelbar im Kelch, im lebenden Kreuz von Hans Fries (1506) wird die Rettung der Menschen unmittelbar an den die Eucharistie spendenden Priester gebunden. Die lutherischen Glaubensbilder wenden sich bewusst von dieser Darstellung ab und betonen, dass Christus selbst, ohne des Papstes Zuthun, die innere Gnade des Menschen wirkt. In allen Varianten der Cranach’schen Darstellung von Gesetz und Evangelium (über die man in anderer Hinsicht theologisch heute sicher streiten müsste) hat Luther daran festgehalten. Selbstverständlich kommt der Kelch auch auf evangelischen Bildern vor, dann aber als Teil der evangelischen Abendmahlsfeier.

Gott als alter Mann

In der Perspektive der Entwicklung der Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts kommt nun ein weiteres Element hinzu. Die Darstellung Gottes als bärtiger alter Mann lässt sich heutzutage auch nicht mehr als ironischer Rückgriff auf frei floatierende Klischeebilder der Vergangenheit rechtfertigen. Derartige Darstellungen schreiben eine Geschichte eines Missverständnisses fort, das die Gottesbilder – gegen die biblische Überlieferung – einseitig auf das männliche Geschlecht fixiert. Heute ist klar, dass es irreführend ist, Gott „einseitig mit grammatisch männlichen Bezeichnungen zu benennen. Israels Glaube an die Einheit und Einzigkeit Gottes – ‚Höre, Israel! Adonaj ist für uns Gott, einzig und allein Adonaj ist Gott‘ (Dtn 6,4) – musste bedeuten, dass dieser Gott nicht männlich, diese Gottheit nicht weiblich war. Obwohl von Gott grammatisch überwiegend männlich geredet wird, gibt es eine Fülle von Signalen und eindeutigen Formulierungen, dass Gott jenseits der Geschlechterpolarität steht. Das beginnt in Gen 1,26-28 und hat  Höhepunkte etwa in Dtn 4,16 und Hos 11,9.“ (Bibel in gerechter Sprache, Einleitung).

Gerade das macht Gottesbilder grundsätzlich so problematisch, sie führen dazu, dass eine bestimmte Vorstellung von Gott festgeschrieben wird.


IV - Zwischenbilanz

Überraschenderweise erweist sich zumindest das zweite Bild von James Rizzis nicht nur, aber vor allem in lutherischer Perspektive als außerordentlich problematisch, stellt es doch visuell alles infrage, wofür Luther und die Reformation eingetreten sind. Von daher müssten nicht nur Reformierte, in Fragen der Abbildbarkeit Gottes höchst sensibel und kritisch, sondern insbesondere auch Lutheraner, in Fragen der Funktion des Heilsschatzes der Kirche und des Ablasses historisch sensibilisiert, sich fragen, warum man Glasfenster neu(!) in eine Kirche einbauen will, wenn sie sowohl lutherischen wie reformierten Grundeinsichten so zuwiderlaufen – von der Frage ihrer künstlerischen Qualität einmal abgesehen. Nun kann eine Gemeinde durchaus sagen, die Grundlagen christlicher Lehre seien ihr im Blick auf die optische Gestaltung ihrer Räume gleichgültig. Sie muss dies dann aber auch so vertreten und sollte nicht so tun, als ob Rizzis Fensterentwürfe legitimer Ausdruck protestantischer Lehre seien. Das sind sie nicht.  

Der Heidelberger Katechismus und die Fragen 92-98

Der Heidelberger Katechismus beschäftigt sich ab Frage 92 mit den Zehn Geboten und ab Frage 96 mit dem Zweiten Gebot, dem Bilderverbot.

Frage 96: Was will Gott im zweiten Gebot?
Gott will, daß wir ihn in keiner Weise abbilden, noch ihn auf irgendeine andere Art verehren, als er es in seinem Wort befohlen hat.

Frage 97: Darf man denn gar kein Bild machen?
Gott kann und darf in keiner Weise abgebildet werden. Die Geschöpfe dürfen abgebildet werden, aber Gott verbietet, Bilder von ihnen zu machen und zu haben, um sie zu verehren oder ihm damit zu dienen.

Frage 98: Dürfen denn nicht die Bilder als »der Laien Bücher« in den Kirchen geduldet werden?
Nein; denn wir sollen uns nicht für weiser halten als Gott, der seine Christenheit nicht durch stumme Götzen, sondern durch die lebendige Predigt seines Wortes unterwiesen haben will.

Damit ist grundsätzlich der Darstellung Gottes im Versammlungsraum der Gemeinde eine Schranke gesetzt. Gott ist nicht darstellbar und soll nicht dargestellt werden. Diese – historisch bedingte – Einsicht durchzieht das gesamte Alte Testament und wird auch im Neuen Testament nicht in Frage gestellt. Mit der Chalcedonense beharrt das Christentum zudem darauf, dass Gottheit und Menschheit Jesu Christi sich nicht vonein­ander lösen lassen. Das verunmöglicht in der Sache Christusdarstellungen, die diesen ‚nur‘ nach seiner menschlichen Seite darstellen wollen. In der Kirche sind daher nicht nur dem Gottesbild, sondern auch dem Christusbild Schranken gesetzt (s. dazu die oben zitierten Argumente Karl Barths in der Kirchlichen Dogmatik).

Darüber hinaus sind entsprechend dem Heidelberger Katechismus solche Darstellungen verwehrt, die kultischen Charakter bekommen können. Die Beobachtung des konkreten Verhaltens der Menschen hat daher in der reformierten Tradition zu einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber Bildern im Versammlungsraum der Gemeinde geführt, denn Bilder fördern die Verdinglichung religiöser Vorstellungen.

Interessanterweise korrespondiert dies nicht zufällig mit der allgemeinen Tendenz in der Kunst der Moderne, die sich von der Abbildlichkeit  als zentralem Element der Kunst abgewendet und das Bilderverbot in sich aufgenommen hat. Der Philosoph Theodor W. Adorno hat dies in seiner Ästhetischen Theorie so zusammengefasst: Das „Bilderverbot hat neben einer theologischen Seite eine ästhetische. Dass man sich kein Bild, nämlich keines von etwas machen soll, sagt zugleich, kein solches Bild sei möglich“.

Der Heidelberger Katechismus weist in der Antwort auf Frage 98 das bis heute populäre Argument zurück, die Bilder in der Gemeinde dienten jenen, die nicht wortorientiert seien. Die Idee, Bilder seien – ganz ohne Wortverkündigung – eigenständiger Teil christlicher Verkündigung (die sich heute in der Rede von der Predigt der Steine in der Kirchenpädagogik fortsetzt), wird in der Regel auf Gregor den Großen zurückgeführt. „Denn was den Lesenden die Schrift, das stellt die Malerei den ungebildeten Sehenden (idiotis) vor Augen, weil die Unwissenden (ignorantes) in ihr das sehen, was sie befolgen sollen; und in ihr lesen jene, die die Buchstaben nicht kennen; deshalb nimmt die Malerei vor allem für die Heiden die Stelle der Lektüre ein.“ Unterschlagen wird dabei freilich, wie Gregor sein Argument fortsetzt: „So ist nämlich die Heilige Schrift in den Worten und den Bedeutungen, was die Malerei in den Farben und den Sachen ist: und der ist allzu dumm, der so an den Farben der Malerei klebt, dass er von den Sachen, die gemalt sind, nichts weiß. Wenn wir die Worte ... umfassen und den Sinn nicht wissen, wissen wir nämlich auch die Sachen, die gemalt sind, nicht, wenn wir sie allein für Farben halten.“ Wer sich nur an die Farben hält und von den dargestellten Inhalten nichts weiß, ist – so sagt es Gregor – schlichtweg dumm. Bilder können ihren Sinn also nur entfalten, nachdem das Wort Gottes zur Kenntnis gelangt ist. Und das Wort Gottes setzt den Bildern Grenzen. Aus reformierter Perspektive gibt es keine, wie auch immer geartete Rechtfertigung der Kirchenfenster in Essen. Man muss ihnen aus theologischen, aus ästhetischen und aus gemeindepädagogischen Gründen widersprechen.

Zur Reaktion des Pfarrers und der Gemeinde

Die Reaktionen und Argumente des Presbyteriums der Kreuzkirche Essen auf die Einwendungen eines reformierten Gemeindegliedes gegen die Bilder von Rizzi sind mehr als überraschend. Sie verweisen zunächst auf die sachliche Kompetenz der Glaswerkstatt Derix (die freilich keinen Unterschied macht, ob sie qualitativ gute Glasfenster in einer katholischen, lutherischen, reformierten Kirche, in einer Synagoge, einer Bank oder einer U-Bahnhaltestelle ausführt). Nun kann ein Handwerker einer Gemeinde kaum die theologische Beurteilung abnehmen. Verwiesen wird zum zweiten darauf, dass das Werk des Künstlers weltweit einmalig sei. Das mag ein Argument im Rahmen einer Event-Kultur sein, kaum aber ein zureichendes Motiv für den Einsatz eines Kunstwerkes in einer Kirche. Auch Gustav Courbets Werk „Der Ursprung der Welt“ ist einzigartig und steht deshalb noch keinesfalls als Altarbild in einer Kirche – auch wenn das dieser einen ungeheuren Publikumszulauf garantieren würde. Schließlich wird darauf verwiesen, dass auch andere Künstler Gott dargestellt hätten. Damit wird es aber ja nicht gerechtfertigt, sondern nur historisch kontextualisiert. Argumentiert wird mit dem angeblich unabweisbaren Wunsch der Künstler, sich auch in ihrem Medium Gott zu nähern. Abgesehen davon, dass dies im 20. und 21. Jahrhundert auch geht, ohne das Abbildungsverbot zu verletzen (wie nicht zuletzt Mark Rothko und Barnett Newman eindrücklich gezeigt haben), ist es ja das eine, ob ein Künstler sich Gott im Modus der Darstellung seiner Erscheinung nähern will, und das andere, ob eine dem Wort Gottes verpflichtete Gemeinde das programmatisch ausstellt – und Kirchenfenster sind immer programmatische visuelle Äußerungen einer Gemeinde (und nicht nur des Künstlers). Das Presbyterium interpretiert dann das erste Bild von Rizzi im Sinne einer Taufszene. Das ist wenig plausibel. Es gibt meines Wissens in der gesamten Kunstgeschichte kein Werk, bei dem bei der Darstellung der Taufszene auf Johannes den Täufer verzichtet wurde. Das macht angesichts des implizit damit verbundenen Themas von Verheißung und Erfüllung, alter und neuer Bund etc. auch gar keinen Sinn. Und es hat zudem das Problem, dass auf diese Weise der Kelch mit der Hostie unerklärlich wird (es sei denn, man habe eine Darstellung der beiden Sakramente Taufe und Abendmahl vor sich, wofür allerdings auch nichts spricht). Abschließend erfolgt in der Antwort der Gemeinde ein Hinweis auf einen Text bei „evangelisch.de“, der nun im Wesentlichen auf einem Text des reformierten Theologen Michael Weinrich basiert und das exakte Gegenteil dessen vertritt, was in Essen geplant ist. Schon im Beitrag auf evangelisch.de wird unter der Überschrift „Gott ist kein totes Bild“ auf die notwendige Differenz von Wort-Bild und Bild-Bild verwiesen und dann zur Erläuterung der Text von Weinrich genannt. Und Michael Weinrich schreibt dort:

„Es gibt nichts, was die Bedeutung des Bilderverbots prägnanter erhellt, als die bekannte Erzählung von dem goldenen Stierbild am Fuße des Sinai (Ex 32). Das aufgestellte Gottesbild sollte dazu beitragen, den Gottesdienst erlebnisreicher zu gestalten. Der Hingabe und Ganzheitlichkeit sollte im wahrsten Sinn des Wortes auf die Sprünge geholfen werden, aber was herauskam, war ganz-heidnisch. Es wurde ein prachtvolles Standbild errichtet, eine Art sichtbare Stellvertretung Gottes, und um dieses Standbild herum wird im Tanz fromme Fröhlichkeit inszeniert. Und so wird getanzt, gewiss nicht freudlos, aber wohl etwas leichtfüßig. Alles, was wertvoll ist, wird in dieses Stierbild eingeschmolzen, die goldenen Ringe und unsere Phantasie von Kraft und Stärke - ein Standbild mit Augen betörendem Glanz, ein Gott zum Anfassen, zusammengegossen aus der ganzen Herrlichkeit dieser Erde ... Doch da erscheint Mose, der Bilderstürmer, mit dem Gebot Gottes in der Hand und bereitet dem bunten Treiben ein jähes Ende. Erst liegt das Gebot Gottes in Scherben, dann aber der goldene Stier. Dieser mit hohen Investitionen mühsam errichtete Inbegriff menschlicher Werte und irdischer Schönheit liegt zerstört am Boden. Er sollte uns helfen, die ungastliche Wüste ein wenig genießbarer zu machen. Ein bisschen von dem gelobten Land, in das Gott uns zu führen versprochen hat, wollen wir doch schon jetzt erleben. Der goldene Stier hat uns eine Menge gekostet. Nicht nur uns selbst, sondern auch vielen anderen haben wir das Geld dafür abgepresst - für einen guten Zweck. Und wie gesagt: Das Glanzstück betört das Gemüt, so dass man die unübersehbare Wüste drum herum zu vergessen beginnt. In Las Vegas - diesem perfekten Vergnügungszentrum mitten in der Wüste - ist immer etwas los, eine ebenso betörende wie trügerische Glitzerwelt, in der sich im besten Fall genau das gewinnen lässt, was dort investiert wird, vielleicht auch etwas mehr, aber eben nichts anderes. Wahrscheinlicher aber ist, dass wir das, was wir in diesen Wüstenglimmer investieren, verlieren werden. Noch hat kein goldener Stier eine Wüste fruchtbar gemacht, um vom gelobten Land ganz zu schweigen.“ (http://www.imdialog.org/md2006/02/04.html)

Das könnte man als präzise fundamentale Kritik an den Arbeiten von James Rizzi und den Intentionen der Gemeinde in Essen begreifen. Folgte die Gemeinde dem Text, auf den sie selbst apologetisch verweist, würden die Fenster nicht eingesetzt. Das würde auch ich für eine theologisch wie ästhetisch sinnvolle Entscheidung halten.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/104/am567.htm
© Andreas Mertin, 2016