01. Dezember 2016

Liebe Leserinnen und Leser,

kurz vor dem Erscheinen dieser Ausgabe des Magazins erreicht uns die Nachricht, dass Hans Werner Dannowski, der frühere Stadtsuperintendent von Hannover, in der Nacht zum 28. November 2016 im Alter von 83 Jahren verstorben ist. Dannowski ist allen bekannt, die im Bereich von Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik tätig sind. Er war Filmbeauftragter der Evangelischen Kirche, initiierte und begleitete seit 30 Jahren die Kunst-Gottesdienste im Sprengel-Museum. Hans Werner Dannowski schrieb auch für unser Magazin (vgl. "Erneuerung der Schöpfung" im und durch das Kino) und wurde dort mit seinen Büchern vorgestellt (vgl. Klöster). Die evangelische Kirche verliert mit ihm einen wichtigen Gesprächspartner. Hans Werner Dannowski sei dieses Heft gewidmet.


Nun hat es also begonnen - das Reformationsjubiläum, das in Wirklichkeit kein Reformationsjubiläum ist, sondern unter der Hand ein geradezu unerträglicher Personenkult. Statt der Tribute von Panem jetzt also als dystopische Steigerung: A tribute to Martin Luther. Und man kann sich fragen, ob nicht auch hier der Zyklus parallel verläuft: Tödliche Spiele - Gefährliche Liebe - Flammender Zorn.

Und diese fatale Entwicklung hängt nicht nur an der simplifizierenden Medienkultur unserer Tage, die alles mit Ähnlichkeit schlägt, sondern sie wird gezielt von den Verantwortlichen der EKD befördert. Dieser Personenkult ist zugleich aber ein Symptom einer neuen Krankheit des Neo-Protestantismus: seiner Neigung, sich dem Prominentenkult zu ergeben, statt das Priestertum aller Gläubigen zu pflegen. Mit und durch Prominente wird Reklame für (nein: nicht das Evangelium), sondern eine narzistische Eventkultur des Neo-Protestantismus gemacht.

Wer ist nur auf die hirnrissige Idee gekommen, Schmuckschuber für die Lutherbibel 2017 von irgendwelchen Promis entwerfen zu lassen, um diese in sogenannten Kulturkirchen (die spätestens dann keine mehr sind) durch Event-Agenturen vorzustellen? Reicht der Inhalt nicht? Oder geschieht das, wie der Sprecher der Bibelgesellschaft kundtat, weil diese Promis mehr Menschen anziehen? Wirklich? Mehr Menschen als Gottes Wort selbst? Das tut der Teufel freilich auch. Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Engagieren wir diesen Werbe-Profi doch für ein bisschen Werbung (sozusagen in eigener Sache). Lassen wir ihn flankiert von Schlangen sprechen: Eritis sicut deus scientes bonum et malum.

So geht es nicht. Dieser stete Blick des Neo-Protestantismus auf alles, was scheinbar Rang und Namen hat, diese Orientierung an den It-Boys und It-Girls der medialen High-Society-Szene verfehlt den Kern protestantischer Ethik und Ästhetik ganz und gar.

Deshalb an dieser Stelle ein längeres Zitat aus einem Text von Edgar Thaidigsmann über Gottes schöpferisches Sehen, entwickelt im Anschluss an Luthers Auslegung des Magnificat:

"Am Leitfaden des Sehens, ausgehend vom Sehen Gottes, entwickelt Luther in diesen Aussagen eine kritische Anthropologie und Ontologie des gesellschaftlichen Seins in nuce. Die Wurzel der für das gesellschaftliche Sein der Menschen konstitutiven Macht des Sehens liegt in deren Seinsmangel und dem darin begründeten Seinshunger. Aus ihrem Seinsmangel heraus streben Menschen nach Teilhabe an dem, was den Mangel auszufüllen verspricht. Mit den Augen gehen die seinshungrigen Menschen aus sich heraus, dahin, wo die Güter sind, die den Hunger zu stillen versprechen. »Das erfaren wir teglich, wie yderman nur über sich zur ehre, zur gewalt, zum reichtumb, zur kunst, zu gutem leben, und allem, was grosz und hoch ist, sich bemühet.« Es sind die allgemeinen Mächte und Güter des Lebens, die, von Menschen repräsentiert, Ansehen haben und durch Teilhabe Ansehen verleihen und auf diese Weise Sein im gesellschaftlichen Lebenszusammenhang konstituieren: »da wil ydermann sein und der hohe teilhafftig werden« In solcher Teilhabe an diesen allgemeinen Gütern und Mächten überschreiten die Menschen ihr eigenes kleines und begrenztes Sein und werden über sich selbst erhoben. Wie in der platonischen Ideenlehre das einzelne nur dadurch etwas ist, daß es im Licht der Idee steht und an ihr teilhat, so verhält es sich nach Luthers Einsicht mit dem Sein der Menschen. Nur dann ist ein Mensch etwas, wenn er in einer gewissen Nähe zu diesen allgemeinen Mächten und Gütern steht, wenn ihr Licht auf ihn fällt und er an ihnen teilhat. Auf diese Weise üben sie wiederum Macht über Menschen aus, und in ihrem Namen herrschen die Menschen, die diese allgemeinen Mächte und Güter besitzen oder repräsentieren. Im Bann solcher Macht aber wird übersehen, was nicht an diesen allgemeinen Gütern teilhat oder sie repräsentiert. Richtet sich doch der Blick nicht auf den andern in seiner Individualität und Besonderheit. Die ist dem Auge vielmehr blaß und bleibt im Schatten. Gesellschaftlich wahrnehmbar ist er, sofern er an den allgemeinen Gütern und Mächten teilhat. Darin aber bleibt der einzelne prinzipiell austauschbarer Repräsentant und Träger eines allgemeinen Wertes und Gutes."
(Thaidigsmann, Edgar (1987): Gottes schöpferisches Sehen. Elemente einer theologischen Sehschule im Anschluss an Luthers Auslegung des Magnificat. In: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie (NZSTh) (29), S. 19–38.)

Der Neo-Protestantismus will sich aber mit diesem Blickwinkel zufrieden geben, will sich einrichten in der Mondscheintheologie: Nur dann ist ein Mensch etwas, wenn er in einer gewissen Nähe zu diesen allgemeinen Mächten und Gütern steht, wenn ihr Licht auf ihn fällt und er an ihnen teilhat. Teilhabe an der Promi-Kultur - darum geht es der EKD und der Bibelgesellschaft.

Anders die Art und Weise, wie Gott sieht. Auch er geht in seinem Sehen aus sich heraus. Die Fülle und Vollkommenheit seines Seins erweist sich aber darin, daß er gerade das entdeckt, in den Blick nimmt und im Hinsehen dem standhält, was von den Menschen übersehen wird. Gottes Teilnahme geschieht nicht zu dem Zweck, den eigenen Seinsmangel auszufüllen. Vielmehr schenkt sein Hinsehen dem Geringen und Nichtigen Sein. Darin ist sein Blick seinsgründend und schöpferisch. »Es ist hie kein schepffer unter den menschen, der ausz dem nicht wolle etwas machen ... Darumb bleibt got allein solchs ansehen, das ynn die tieffe, not und jamer sihet, Und ist nah allen den, die ynn der tieffe sein.« (Ebd.)


Nun aber zum aktuellen Heft: "Mit Kunst ..." wird in der Gegenwart vieles durchgeführt. Ganz so, als habe die Gesellschaft die neuzeitliche Präzisierung des Kunstbegriffs überhaupt nicht zur Kenntnis genommen, wird am Ende alles zur Kunst: Kochkunst - Lebenskunst - Predigtkunst - Kriegskunst - Liebeskunst - die Kunst des Sterbens usw. usf. Natürlich kommt das daher, weil Kunst als etwas ganz Besonders geschätzt wird und diese Wertschätzung auf andere Bereiche des Lebens übertragen werden soll. Mit Kunst wird sozusagen alles besser. Dabei wird der ursprünglich präzise Begriff aber zunehmend verunklart und Kunst wieder in die vorneuzeitliche Bedeutung des "Könnens" und der "Kunstfertigkeit" zurückgeführt. Statt einen Begriff für eine gelingende Predigt zu entwickeln, klatscht man das Etikett "Kunst der Predigt" darauf und meint, damit der Predigt Gutes getan und sie unter einen Anspruch gestellt zu haben. Man meint aber in der Sache nur, dass der Prediger wie ein antiker Redner schlichtweg seine Arbeit tun und gut predigen soll. Mit Kunst hat das - allen Beteuerungen zum Trotz - wenig zu tun. Noch problematischer wird es, wenn man am modernen Kunstbegriff festhält und nun meint, die darunter versammelten Gegenstände im Interesse von Religion "nutzen" zu können. Hier kollidieren unmittelbar "Zweckfreiheit" der Kunst und Zweckorientierung des religiösen Denkens. Sicher wäre es schön, wenn die Zweckfreiheit der Kunst auch in den pastoraltheologischen / kirchlichen Handlungsfeldern zum Tragen käme, aber so einfach ist das nicht. Darum drehen sich die Mehrzahl der Beiträge in der aktuellen Ausgabe des Magazins.

"Mit Kunst ..." zu unterrichten, zu predigen, Erkenntnisse zu vermitteln, das ist eben nicht so einfach, wie es sich anhört - ja, es ist im strengen Sinne unmöglich.

Der Hauptteil VIEW versammelt dazu verschiedene Beiträge: Bernhard Dressler fragt, kann man "Mit Kunst lernen? und bietet religionsdidaktische Überlegungen mit Blick auf neue Publikationen; Karin Wendt kommentiert eine kunstpädagogische Debatte über den Stellenwert der Kunst im Kunstunterricht; Andreas Mertin fragt, kann man "Mit Kunst predigen?" und vermutet einen homiletischen Raubzug im Land der schönen Künste. Wie das Setzen auf die Kunst ins Entsetzen umschlagen kann, zeigt ein zweiter Beitrag. Und ein dritter Text fragt, ob und wie man anhand von Kunstwerken Kirchenbilder erkunden kann.

Speziell für die Vorweihnachtszeit gibt es für die Krimifans unter den Leserinnen und Lesern des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik eine "Spurensicherung zu Erzähltheorie und Theologie des Krimis in sechsundvierzig Indizien" von Wolfgang Vögele.

Unter RE-VIEW finden Sie Vorstellungen verschiedener Publikationen durch Andreas Mertin und Wolfgang Vögele sowie eine Ausstellungsbesprechung von Barbara Wucherer-Staar.

Unter POST finden Sie wie gewohnt die Notizen von Andreas Mertin zu Themen der letzten zwei Monate und Vorstellungen von Videoclips bzw. Kurzfilmen.

Wir wünschen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Jörg Herrmann, Horst Schwebel und Wolfgang Vögele