Was ich noch zu sagen hätte

Mein Blogsurrogatextrakt XXI

Andreas Mertin


Hinweis: Dies ist die Zusammenfassung meiner Blognotizen der letzten Monate. Wer die Notizen tagesaktuell verfolgen will, kann dies in meinem Blog http://blogsurrogatextrakt.blogspot.de/ tun. Nach zwei Monaten werden diese dann gebündelt im Magazin publiziert.


  1. Relativismus
  2. Dolchstoß-Legenden
  3. Scheidung - einmal anders
  4. Unbefleckte Empfängnis
  5. Würde der Frauen
  6. Und schon wieder: Luther
  7. Reaktionäre Katholiken imitieren Luther
  8. Genderfragen historisch
  9. Verschwörungstheorie
  10. Reaktionäre Kunstbetrachtungen
  11. Grandios seifig
  12. Schutthaufensprüche
  13. Humours of an election
  14. quod licet iovi nin licet bovi
  15. Totengräber unserer Rechtskultur
  16. Methodistische Satire?
  17. Superlativ
  18. Schaut nach Schweden
  19. Doofenschmirtz
  20. Avantgarde
  21. Lesen müsste man können
  22. Mangelnde Zu(g)verlässigkeit
  23. Gestörte Wahrnehmung
  24. Kondome - ohne Kommentar
  25. Keine Wechselstimmung
  26. Gefährder
  27. Einfach nur lustig

01.02.2017 - Relativismus

Verdächtige sind keine Täter, sondern nur einer Tat verdächtig. Das muss man als erstes bedenken, wenn man irgendwo liest, die Verhältnisse in Deutschland seien aus den Fugen geraten, weil drei Terrorverdächtige verhaftet worden seien. Der bürgerliche Herausgeber der Online-Zeitschrift The GermanZ sieht angesichts der exorbitanten Verdrängungsleistungen der Deutschen nun eine große Gefährdung der bürgerlichen Existenz, weil wir (also nicht er) ja diese Gefahren alle relativieren würden. Relativierer wie wir würden eher auf die Gefahren im Straßenverkehr verweisen als auf die Gefahren durch Terrorismus. Verhaftet wurden die drei Terrorverdächtigen übrigens, weil sie planten, aus Deutschland auszureisen und den Daesch in Syrien zu unterstützen. Inwiefern das für den bundesdeutschen Bürger gefährlicher ist als der Straßenverkehr, der allein im November 2016 243 Menschenleben gekostet hat, erschließt sich mir nicht. 2016 starben wahrscheinlich 3260 Menschen in Deutschland im Straßenverkehr, 2015 gab es 305.897 Straßenverkehrsunfälle mit Personenschäden. Wie korrelieren wir dies mit der Gefährdungslage durch islamistischen Terrorismus? Zumal wenn diese schon dann besteht, wenn die Unterstützer bloß ausreisen wollen? Hilfe, ich bin gefährdet, da will einer nach Syrien reisen! An dieser Stelle bin ich genau das, was Klaus Kelle meinesgleichen vorwirft: ein Relativist. Ich setze Ereignisse in Relation zu anderen Ereignissen und überlege, wie groß wohl das objektive Risiko des Einzelnen ist. Kelle nennt es beschwichtigen, wenn man darauf verweist, dass die Zahl der Terroropfer in Westeuropa dramatisch zurückgegangen(!) ist. 1974 starben in ganz Westeuropa 403 Menschen aufgrund von Terroranschlägen, 1988 437 Menschen, 2015 160 Menschen, 2016 vielleicht 140 Menschen. Ohne Frage – jeder einzelne dieser Toten ist einer zu viel. Aber es ist legitim und notwendig, dies mit anderen Gefährdungsfaktoren in Beziehung zu setzen. 2015 starben in der gesamten EU 26.000 Menschen durch Verkehrsunfälle und 160 durch Terrorakte! Die Zahl der Bewohner der EU lässt sich in dieser Zeit auf 510 Millionen Menschen beziffern. Ist es nicht eine moralische Verpflichtung von Journalisten und Herausgebern einer Zeitschrift, den Menschen diese Relationen vor Augen zu führen?

  • 1 Toter  auf 3.187.500 Bürger (Terrorismus)
  • 1 Toter auf      19.650 Bürger (Straßenverkehr)

Wer so tut, als wären wir – in Deutschland zumal – durch Terrorismus in unserer Existenz gefährdet, verdummt die Menschen. Aber das ist vermutlich genau das Ziel dieser Interventionen. Nur verängstigte und dumme Leute lassen sich gut manipulieren. Und ich unterstelle mal: genau daran hat The GermanZ ein Interesse.


01.02.2017 – Dolchstoß-Legenden

In schwindelerregender Weise nähert sich der Rechtskatholizismus dem Faschismus an. Ein Mitglied des Forums der Deutschen Katholiken schwafelt auf dem Blog des Forums vom „Dolchstoß gegen den politischen Katholizismus“, den das Ruhr-Bistum und die EKvW und EKiR vollzogen haben, weil sie gemeinsame Ziele und Interventionen ankündigten. Allein die Idee, dass Katholiken mit „Linksprotestanten“ gemeinsam etwas unternehmen, ist demnach schon ein Dolchstoß mitten in die Brust. Nun ist die anachronistische Rede vom Dolchstoß (wer benutzt heute noch einen Dolch?) nicht harmlos. Die Parallelen, die hier aufgetan werden, sind schon atemberaubend. Da gibt es ein politisches Subjekt (in der Vergangenheit war das das Deutsche Heer, in der Gegenwart der Politische Katholizismus), das von dubiosen Kräften (historisch: der Sozialdemokratie und dem internationalen Judentum; aktuell vom Linksprotestantismus) gemeuchelt wird. Die Folgen des historischen Vorwurfs sind für jeden leicht erkennbar: sie führen zu Adolf Hitler als dem „Retter des deutschen Volkes“ aus der Schmach von Versailles. Ich weiß nicht, was jene sich erträumen, die heute an der Wiederauflage einer Dolchstoß-Legende basteln und spekuliere mal wild, sie träumen vom Klerikal-Faschismus. Dass es heute schon reicht, für die Umwelt einzutreten, um in den Augen der Reaktionäre ein Antichrist zu sein, macht einen dann doch fassungslos. Der Katholizismus war lange Zeit stolz darauf, dem Katholiken Hitler Widerstand geleistet zu haben. Der Rechtskatholizismus zeigt, dass es auch anders hätte kommen können, wenn die Programmatik nur leicht variiert gewesen wäre. Heute stürzen sich manche Rechtskatholiken besinnungslos in die Arme des Rechtspopulismus, nur weil dieser ihnen schöne Augen macht. Gegen „die Bevormundung im Geist der Aufklärung“ möchte man zurück ins Mittelalter. Ich glaube kaum, dass dies in Europa, in Deutschland, unter Christen oder im Katholizismus auch nur ansatzweise konsensfähig ist. Es ist das Denken von Sektierern am rechten Rand der Gesellschaft. Dass es das bleibt, ist unser aller Aufgabe.


02.02.2017 – Scheidung – mal ganz einfach

Dass die Welt am Rande des Abgrunds steht, dass neu gewählte Regierungschefs die Regierungschefs von Nachbarstaaten anschnauzen, man werde mal eben das Militär rüberschicken, um die Lage zu klären, als das ficht einen aufrechten katholischen Sektierer nicht an. Nein, seine Meinungskolumne in TheGermanZ, dem Magazin für Nicht-Denker, beschäftigt sich heute morgen mit dem Papier der deutschen Bischofskonferenz zu evtl. Zulassung Wiederverheirateter zur Kommunion.

Nun ist noch gar nichts klar, das Papier bleibt in dieser Frage durchaus offen, aber für einen Fundamentalisten bricht die Welt schon zusammen, wenn auch nur über etwas nachgedacht wird. Ah, baah! Darf man nicht. Denken lassen wir doch lieber sein. Und das nennt unser Meinungsstarker dann: einmal richtig protestantisch sein. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: der Protestantismus war immer eine Bildungsreligion, darin dem Judentum nicht unähnlich. Vernunft und Bildung war dort immer eine zentrale Voraussetzung.

Nun gut, unser guter Katholik weiß sich nun nicht besser zu helfen, als eine durch und durch protestantische Tugend zu empfehlen: „Deshalb habe ich eben noch mal unsere Hausbibel zur Hand genommen und nachgelesen.“ Mmmmh? Hausbibel in die Hand genommen? Darf ein guter gläubiger Katholik, der sich in vorreformatorische Zeiten zurückträumt, das denn? Hat nicht 1199 Papst Innozenz III. die private Lektüre der Bibel verboten? Gibt es nicht einen Synodenbeschluss, der wie folgt lautet:

„Wir verbieten auch den Laien den Besitz von Büchern des Alten oder des Neuen Testaments, es sei denn einer möchte gerne ein Psalterium oder ein Brevier für das Heilige Officium oder das Stundengebet der Seligen Maria zur Andacht haben. Aber dass sie die vorgenannten Bücher in einer volkssprachlichen Übersetzung besitzen dürfen, das verbieten wir aufs Grundsätzlichste.“

Waren es nicht erst die ketzerischen und dann reformatorischen Aufbruchsbewegungen, die uns die Hausbibeln bescherten? Gibt es nicht auch andere Beschlüsse wie diese:

„Niemand darf im Besitz der alt- oder neutestamentlichen Bücher in der Muttersprache sein. Wenn jemand solche Bücher hat, muss er sie innerhalb von acht Tagen nach Bekanntmachung dieser Verordnung an den örtlichen Bischof abgeben, damit sie verbrannt werden können.“

Gut, daran hält sich heute kein guter Katholik, er liest einfach in der Bibel nach. Chapeau! Genauer: „unter Matthäus 19 Vers 6 finde ich die folgende Aussage über Ehepaare – liebe Progressive, unter Ehe versteht man einen aus möglichst das ganze Leben ausgelegte Verbindung von einem Mann und einer Frau – ...“ (gut, an dieser Stelle wird man ob der fehlenden Sprachmächtigkeit unseres Autoren, derer er sich gerade noch gerühmt hatte, unangenehm berührt). Und dann zitiert er seine Hausbibel:

„Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“

Ja, so könnte man das machen. Das finde ich empfehlenswert. Das mache ich auch mal, die Bibel ist ja voller Stellen zur „Ehe“ und Gott gibt immer klare Anweisungen. Ich versuche es alternativ mit Deuteronomium 24, 1-4:

 „Wenn jemand eine Frau zur Ehe nimmt und sie nicht Gnade findet vor seinen Augen, weil er etwas Schändliches an ihr gefunden hat, und er einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt und wenn sie dann aus seinem Hause gegangen ist und hingeht und wird eines andern Frau und dieser andere Mann ihrer auch überdrüssig wird und einen Scheidebrief schreibt und ihr in die Hand gibt und sie aus seinem Hause entlässt oder wenn dieser andere Mann stirbt, der sie sich zur Frau genommen hatte, so kann sie ihr erster Mann, der sie entließ, nicht wieder zur Frau nehmen, nachdem sie unrein geworden ist – denn solches ist ein Gräuel vor dem HERRN –, damit du nicht Sünde über das Land bringst, das dir der HERR, dein Gott, zum Erbe gegeben hat.“

So einfach ist das. Frau gefällt nicht – Scheidebrief – Frau heiratet erneut einen anderen Mann – Frau gefällt nicht – Scheidebrief ... So steht es in der Bibel, ich habe es gerade nachgeschlagen. Denn wie schreibt doch unserer meinungsstarker Katholik: „Einfach in der Bibel nachlesen, dann wird es ganz klar“. Klar wie Klosterbrühe könnte man ironisch sagen. Oder auch: so klar wiederum auch nicht.

Nur einen Bibelvers in die Hand zu nehmen und ihn wie einen Blitz auf Bischofskonferenzen zu schleudern, reicht offenkundig nicht aus! Denn Gott ist durchaus lernfähig. Was 500 vor Christus gültige Norm ist, muss es 500 Jahre später nicht mehr sein. Und was 90 nach Christus von Christus erzählt wurde, muss auch im Blick darauf untersucht werden, ob es nur konventionelle moralische Norm oder bindende theologische Einsicht ist. Aber dieses: Vers x in biblischen Buch y sagt ... und dann müssen alle folgen, das kenne ich nur aus evangelikalen Kreisen. Insofern arbeitet auch Klaus Kelle an der Protestantisierung der katholischen Kirche.


03.02.2017 – Unbefleckte Empfängnis

Manchmal möchte man ob der minimalen Standards des deutschen Feuilletons doch verzweifeln. Heute meldet die Süddeutsche, die Sängerin Beyoncé habe mit einem Foto auf Instagram einen Hit gelandet. Mit dem überaus kitschigen Bild, das gut zur bisherigen Ikonographie vom Beyoncé passt, kündigt sie an, dass sie mit Zwillingen schwanger ist. Stilistisch ist das Bild an Pierre et Gilles oder David LaChapelle orientiert.

Wie aber kommt die Süddeutsche Zeitung auf die Idee, dieses Instagrambild würde

  1. die Ikonographie der Maria adaptieren,
  2. die unbefleckte Empfängnis symbolisieren,
  3. Empowerment ausdrücken oder gar
  4. den Messias ankündigen?

1. Schwangere Frau mit Schleier vor Blumen = Maria? Wie kommt man darauf? Maria im Rosenhag funktioniert nur nach der Geburt des Christuskindes. Und für eine Madonna del Parto fehlen entscheidende Charakteristika wie das Buch.

2. Inwiefern wurde Beyoncé von ihren Eltern ohne Sünde geboren? Ich habe keine Nachrichten darüber gefunden. Oder hat da jemand die Jungfrauengeburt mit der unbefleckten Empfängnis verwechselt? Aber da Beyoncé schon eine fünfjährige Tochter hat, ist auch das kaum möglich.

3. Inwiefern ist die Stilisierung im kitschigen Stil des 19. Jahrhunderts ein Zeichen für Empowerment? Und inwiefern ist jene Sängerin, die erst den Ehering fordert, bevor etwas läuft (Single Ladies), ein Symbol des Empowerment?

4. Wie könnte eine Nichtjüdin, die sicher nicht aus der Linie König Davids stammt, den Messias gebären? Das widerspricht der jüdischen wie der christlichen Erzählung. Und inwiefern könnte der Messias als Zwilling zur Welt kommen? Und für wen sollte er dann das Heil bringen?

Beyoncés Ikonographie ist – wie bei den meisten Popstars – durch und durch an Oberflächen orientiert. Man braucht dazu nur in der Google Bildersuche den Namen Beyoncé eingeben. Sie inszeniert immer wieder derartige Abziehbilder – ohne sich mit diesen zu identifizieren. Das sollte man bedenken. Nun hat Beyoncé im konkreten Fall ihre ikonographische Inspirationen durchaus benannt und diese passen auch besser zu den zeitgleich veröffentlichten Fotos. Sie bezieht sich auf die so genannte Geburt der Venus von Sandro Botticelli. Und selbst eine Odaliske hat sie im Programm:


03.02.2017 – Würde der Frauen

Schön gesprochen ist noch lange nicht wahr gesprochen. Sich selbst den Namen BeneDikta zuzulegen, bedeutet zwar, einen Anspruch zu erheben, aber er will auch eingelöst sein. Damit tut sich die gleichnamige Kolumnistin auf kath.net ziemlich schwer.

Sie bestreitet den Frauen, die in Amerika lautstark und symbolreich gegen Trump protestiert haben, ihre Würde (u.a. weil sie Vagina-Symbole auf dem Kopf getragen haben). Und sie verweist im Gegenzug auf die traditionelle Frauenrolle, die Gott den Frauen im AT zugewiesen habe. Königin Esther ist ihr biblischer Bezugspunkt. Und Sprüche 14,1: ‚Eine weise Frau baut ihr Haus, eine unvernünftige reißt es mit ihren eigenen Händen nieder.‘ Gut, was das mit den Protestantinnen in Washington zu tun hat, ist nur ihr ersichtlich. Sie schreibt:

"Ich denke an all die mutigen, herausragenden Frauen der Bibel, die ja zum Leben sagten und ihre Welt veränderten. Die andere retteten, weil sie sich nicht zu schade waren. Die ihrem Gott hingegeben waren mit Haut und Haar – was für eine Würde!"

Ob Judith uneingeschränkt Ja zum Leben sagte (auch zu dem von Holofernes?), wird man wohl noch fragen dürfen. Aber das mit der Würde ist interessant. Ich wäre vorsichtig, die Würde so umstandslos mit einer naturrechtlich begründeten Stellung der Frau zu verknüpfen. Der Einfachheit habe begnüge ich mich Zitaten aus der Wikipedia:

Das Christentum interpretiert die alttestamentliche Rede vom Menschen als Ebenbild Gottes und von seiner Vorrangstellung unter Gottes Geschöpfen traditionell dahingehend, dass seine Würde gottgegeben und nicht verlierbar ist. Sie komme jedem Menschen als solchem zu und sei mithin unabhängig von Lebensumständen oder Verhalten.

Das ist schon bemerkenswert. Sollte die säkulare Wikipedia hier christlicher und humaner zugleich sein als die fromme BeneDikta, die die Würde an konkretes Verhalten bindet – sie mit anderen Worten kleinbürgerlich moralisiert? Mir zumindest erscheint das so. Ich zitiere noch einmal die Wikipedia:

Derjenige, der den Begriff der Würde des Menschen (lat. dignitas hominis) als erster formuliert, ist der Renaissance-Philosoph Giovanni Pico della Mirandola. Die Würde des Menschen gründet nach Pico della Mirandola darauf, dass, zugespitzt formuliert, die Natur des Menschen darin liegt, dass er keine (festgelegte) Natur hat, dass, mit anderen Worten, er die Freiheit hat, sein Wesen selbst zu schaffen. Den Schöpfer lässt Pico zu Adam sagen: „Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen.“ Diese Selbstbestimmung des Menschen macht, nach Pico, seine Würde aus.

Ist das nicht genau das, was die Gender-Theorie immer formuliert hat, gegen die Portale wie kath.net so vehement und bösartig ankämpfen? Ja, genau das ist es. Es ist die spezifische Würde des Menschen, sich selbst entwerfen zu können, den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die er sich selber wünscht, nach eigenen Willen und Entschluss zu erhalten und zu besitzen. Besser hätte es Judith Butler auch nicht formulieren können.


04.02.2017 – Und schon wieder: Luther

Was soll man von der Rezension und dem Rezensenten eines Buches halten, die vorgeblich objektiv über Martin Luther und die Reformation berichten möchten und dann so enden:

Die Tragik der „Reformation“ besteht darin, dass den falschen Ideen eines Einzelnen in den letzten 500 Jahren so viele Menschen – wissentlich oder unwissentlich – gefolgt sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Anhänger protestantischer Gemeinschaften, wenn sie sich anlässlich des „Reformationsjubiläums“ mehr mit ihrer wohl wichtigsten Gründungsfigur beschäftigen, die Wahrheit erkennen und in den Schoß der heiligen Mutter Kirche zurückkehren.

Das ist die Kampfes-Brachial-Lyrik des noch unaufgeklärten Katholizismus aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Dass es heute noch Menschen gibt, die einen derartigen Schwachsinn von sich geben (außer im einschlägigen Pius-Lager), war mir nicht so deutlich. Schon das besinnungslose Nachplappern der Formel von den "protestantischen Gemeinschaften" spricht dafür, dass hier jemand nicht in der Gegenwart angekommen ist. Und wer 2017 ernsthaft meint, das Wort Reformation in Anführungsstriche setzen zu müssen, den erkläre ich für geistig ziemlich beschränkt.

Vielleicht sollte man einfach mal einen Katholiken aus den 80er-Jahren zitieren, einen ausgewiesenen Luther-Kenner:

„Wer Luther intensiv studiert und dabei nie die Versuchung verspürt hat: Hier weht die reine Luft des Evangeliums, ich muß zur lutherischen Kirche übertreten, der hat Luther nicht wirklich verstanden.“

Und wer noch mehr lesen möchte, den verweise ich auf einen Artikel aus der ZEIT, der vor 34 Jahren zum Luther-Jubiläum 1983 erschienen ist. Das sollte doch wenigstens gemeinsamer Erkenntnisstand sein: Luther ist der bessere Katholik.


04.02.2017 – Reaktionäre Katholiken imitieren Luther

Heute haben reaktionäre Katholiken Rom mit papstfeindlichen Plakaten gepflastert. Darauf steht:

„Du hast die Kongregationen unter Aufsicht gestellt, Priester entfernt, den Malteserorden und die Franziskaner der Immakulata enthauptet, Kardinäle ignoriert ... Aber wo ist deine Barmherzigkeit?“

Selbst wenn man die Protestanten bis auf den Tod hasst, kann man offenkundig zumindest ihre legendären Zeichenhandlungen übernehmen. Ist ja auch zu verführerisch, im Jahr 2017 in Rom einen Thesenanschlag zu probieren. Aber so richtig theologische Substanz wie seinerzeit bei Luther scheint der neue Anschlag nicht zu haben.


05.02.2017 - Genderfragen historisch

Da der fromme Publizist Peter Hahne im Forum Pietismus gerade dazu aufgefordert hat, dass Pietisten auch mit Vertretern der angeblich umstrittenen Gendertheorie ohne Redeverbote diskutieren, um ihnen das Evangelium zu verkünden (was sonst?), schlage ich mal vor, an einem Gemeindeabend im Pietistenkreise über das folgende Bild des berühmten spanischen Malers Jusepe de Ribera (1591-1652) zu sprechen. Das Bild stammt aus dem Jahr 1631 und trägt den einfachen Titel:

Magdalena Ventura
mit ihrem Mann
und ihrem Sohn.

Alles Weitere ist Interpretation und dürfte einen munteren Gemeindeabend ergeben. (Ich weiß freilich nicht, ob Pietisten sich mit gegenreformatorischer spanischer Kunst abgeben. Aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben.)

Wer das Bild im Original betrachten will, muss nach Toledo reisen, dort hängt es im Museum Hospital Tavera


07.02.2017 – Verschwörungstheorie

Wollen Sie mal Geisteskranke raunen hören? Dann können Sie sich schnell sachkundig machen. Die Catholics 4 Trump haben neue Verschwörungstheorien über die Wahl des aktuellen Papstes. Alles von Hillary Clinton gesteuert. (Specifically, we have reason to believe that a Vatican “regime change” was engineered by the Obama administration.) Wie krank kann man eigentlich sein? Hier finden Sie die Antwort! Und das Lustigste ist: Jetzt bitten sie den postfaktischen Trump um Antwort. Aber was kann der schon sagen? Hilfe die Aliens haben mir mein Spielzeug geklaut!


08.02.2017 - Reaktionäre Kunstbetrachtungen

Ein Thomas Paulwitz, der sich ansonsten anscheinend vor allem um die deutsche Sprache sorgt, aber nicht kümmert, schreibt Reaktionäres über eine temporäre Kunstinstallation in Dresden. Nun gut, man kann von einem Sprachpfleger nicht erwarten, dass er sich mit Bildender Kunst auskennt, da ist er so qualifiziert, wie ein Bildhauer, der die deutsche Sprache pflegen wollte. An seinem Artikel in The GermanZ fällt aber nicht nur seine völlige Ahnungslosigkeit bezüglich der Kunst seit 1933 auf, sondern auch sein gespaltenes Verhältnis zur deutschen Sprache. Wenn das unsere Sprachpfleger sind, dann Gnade uns Gott. Der Tatbestand ist ganz simpel: für eine temporäre Kunstinstallation hat Manaf Halbouni drei außer Gebrauch befindliche Linienbusse senkrecht aufgestellt. Er stellt damit eine Verknüpfung zu Aleppo her, wo zerstörte Busse zur Abwehr durch die Oppositionellen als Barrikaden aufgerichtet wurden. Da Dresden aber nicht Aleppo ist, hat der Künstler in Dresden bewusst keine Schrottbusse aufgerichtet, sondern gerade außer Gebrauch gestellte. Ein besonderer Akzent ergibt sich dadurch, dass die Busse im Sichtfeld der wiedererbauten Dresdner Frauenkirche errichtet wurden. Wer nur ein wenig Ahnung von den Bewegungen der Gegenwartskunst und ihren Motivationen hat, wird diese Arbeit als durchaus passend empfinden. Ähnliches werden wir dieses Jahr auch auf der documenta 14 in Kassel oder auf der Skulpturen-Ausstellung in Münster oder der Biennale in Venedig wahrnehmen können.

Wie gesagt: es ist eine temporäre Installation. Unser Streiter für reaktionäre Correctness eröffnet seine Philippika mit folgenden Worten: „Dresden hat Berlin abgelöst: Die Stadt an der Elbe ist eine geteilte Stadt. Dort stehen auf der einen Seite Gutmenschen, auf der anderen Seite Wutmenschen.“ Abgesehen davon – auch das müsste ein Sprachpfleger wissen – dass die Rede von den ‚Gutmenschen‘ durch und durch rechte menschenverachtende Sprache ist, ist der geschilderte Sachverhalt absoluter Quatsch, durch und durch besinnungsloser Medienjargon. Weil für einen Monat drei Busse in Dresden stehen, hat die Stadt Berlin abgelöst, jene Stadt in der 28 Jahre lang ein menschenverachtendes Grenzbefestigungssystem bestand, an dem etwa 100 Menschen ermordet wurden? Wie kann man es wagen, so etwas zu sagen? Das ist ein Hohn auf alle Opfer.

Kocht man die Sache ein wenig herunter und meint nur, in der Stadt Dresden stünden sich zwei Gruppen gegenüber, dann ist auch diese Darstellung in einem gewissen Sinne Demagogie. 2014 gab es Kommunalwahlen in Dresden. 7% der Bürger wählten AFD und stehen in einem gewissen Sinne den 93% Nicht-AFD-Wählern gegenüber. Daraus folgt aber nicht, dass Dresden eine geteilte Stadt ist, ganz im Gegenteil. Sie ist eine einige Stadt. Nur weil ein paar Trampel durch die Gegend laufen, die nicht bis drei zählen können (und wollen), ist eine Stadt noch lange nicht geteilt.

Eine der nächsten Wendungen unseres Sprachpflegers lautet: „Das neue Denkmal hat den Steuerzahler ein hübsches Sümmchen gekostet. Offenbar waren die Kosten nicht gerade gering, denn die Verantwortlichen weigern sich, genaue Zahlen zu nennen.“ Das ist gedanklich schon sehr bescheiden, ja man muss wieder sagen: demagogisch. Man könnte diese Argumentation (Hat den Steuerzahler ein hübsches Sümmchen gekostet) übrigens durch die letzten 100 Jahre verfolgen und würde nicht zuletzt zwischen 1933 und 1945 fündig. Dass die expressionistische Kunst als hässliche Kunst vom Staat und damit von den Steuerzahlern bezahlt würde, war ein zentrales Argument der Kunstpfleger nach 1933. Ich kann diesen Sch... nicht mehr hören. Er ist die pure Kulturverachtung.

Der nächste Satz ist dann wirklich der Gipfel: „Schönheit sieht anders aus.“ Da meint jemand doch nicht wirklich, ein Kunstwerk, das an die Massenvernichtung von Menschen in Syrien erinnern soll, müsse schön und gefällig sein? Das ist barbarisch. Schaffen Sie mir eine nette Erinnerung an die Erschießung  der Aufständischen von 1808? Hätte Picasso Guernica nicht etwas schöner machen können? Und Otto Dix seine Darstellung des Krieges? Das alles offenbart, dass unser Sprachpfleger dem 17. Jahrhundert entstammt. Da glaubt ernsthaft jemand, der philosophische Begriff der Schönheit (der die stimmige Darstellung des Schrecklichen und Häßlichen umfasst) und der sensus-communis-Begriff des Schönen (das vor allem aufs Angenehme zielt) seien deckungsgleich. Und der gleiche Mensch wird ernst genommen, wenn er über deutsche Sprache spricht? Sein Satz am Ende des Artikels „Nach dem Schlachtruf ‚Wir sind das Volk‘ kommt in Dresden nun auch noch die Parole ‚Die Mauer muß weg!‘ hinzu“ erweist den Sprachpfleger als Sprachrohr der Pegida. ‚Wir sind das Volk‘ ist der kontrafaktische Schrei derer, die sich selbst ermächtigen, gegen 90% der Bevölkerung die Verhältnisse ändern zu wollen. „Die Mauer muss weg“ ist gestrickt nach demselben Irrwitz. Eine Mauer soll weg, obwohl keine da ist. Darauf muss man erst mal kommen.


09.02.2017 – Grandios seifig

Ehrlich gesagt, mir geht Sibylle Lewitscharoff schon seit längerem auf den Geist. Mir ist nicht ganz klar, woher ihre Kompetenz herrühren sollte, mit der sie sich über viele Dinge äußert. Gerade wieder bekundet sie ihre Meinung über Bibelübersetzungen. Sie meint, man täte der Bibel Unrecht, „wenn man sie in das Reich der Literatur schickt und literarisch idealisiert“. Nun ist mir so gut wie keiner bekannt, der das täte. Allenfalls sagen manche Atheisten, zumindest als Literatur (wenn schon nicht als religiösen Text) müsse man die Bibel ernst nehmen. Das wird niemand bestreiten können. Religiöse Menschen werden mehr in ihr sehen, eben eine Heilige Schrift.

Die Bibel selbst ist natürlich über weite Strecken literarisch komponiert. Für Gott selbst benutzt die Hebräische Bibel sogar ästhetische Begriffe: Kabod / Herrlichkeit ist genau so ein Wort.

Ob allerdings nicht auch alle große Literatur notwendig ethische Grundgerüste hat, darüber müsste man reden. So umstandslos jedenfalls, wie Lewitscharoff eine Differenz von Heiligen Schriften und Literatur anhand der Ethik aufmacht, funktioniert es nicht. Lessings Ringparabel ist ein solches literarisches Stück, das einen sofort einfiele. Alle Bildungsromane auch.

Dann wird es witzig. Gerade noch verurteilte Lewitscharoff die Literarisierung der Heiligen Schrift, um dann die Luther-Übersetzung doch in ästhetischen Begriffen zu loben: geradezu grandios sei diese. Grandios, das kann man schnell im Grimmschen Wörterbuch nachschlagen, kommt aus der Beschreibungssprache Bildender Kunst und wurde erst später für alles mögliche trivialisiert. Wer sich also zurücklehnt und genießerisch die Lutherbibel als grandios bezeichnet, ästhetisiert sie.

Abgelehnt wird von Frau Lewitscharoff die Bibel in gerechter Sprache, denn diese pflege eine "seifige Sprache". Nun gut, das ist eine Privatoffenbarung von Sibylle Lewitscharoff, denen der Anna Katharina Emmerick nicht unähnlich. Ich sehe nicht, dass sie der Lektüre der Bibel in gerechter Sprache entsprungen sein könnte. Wer will, kann es ja anhand der Lektüre überprüfen: hier ist schon einmal der Anfang:


12.02.2017 – Schutthaufensprüche

Was ist eigentlich Doppelmoral? Wenn ein katholischer Autor einen Teil seines Schreibens damit verbringt, gegen Abtreibung und für Lebensschutz einzutreten, dabei andere verächtlich macht, die nicht so denken, sich immer wieder auf den katholischen Katechismus bezieht (2271ff.), und dann, wenn eine ideologisch nahestehende Autorin Suizid begeht, diese über den grünen Klee für ihr (nun wirklich erschreckendes ideologisches) Lebenswerk lobt ohne auch nur mit einem Wort zu erwähnen, dass derselbe Katholische Katechismus nur wenige Zeilen später (2280ff.) den Selbstmord ein "schweres Ärgernis" nennt, dann nenne ich das praktizierte Doppelmoral. Ich teile die Perspektive des Katholischen Katechismus nicht, finde es aber widersprüchlich, dass ein katholischer Autor, der sich wiederholt affirmativ auf ihn beruft, dann von ihm schweigt, wenn die eigene Klientel betroffen ist. In seinem Nachruf schreibt der katholische Kollege: "Wir hatten so viele gemeinsame Überzeugungen, fühlten uns beengt durch diesen Staat, der in die Lebensbereiche eines jeden Bürgers immer stärker eingreift." Und er bezieht sich einleitend auf den letzten Text, den die Betreffende unter der Überschrift "Dieses Land ist unrettbar verloren" geschrieben hatte und in dem sie sich mit dem "Schuldkult" der Deutschen auseinandersetzt. Dort findet man folgende Sätze: "Inzwischen sind die Menschen in diesem Land schon so verzweifelt, dass sie sich an einen Martin Schulz klammern. Doch wie geistig degeneriert muss man sein, um so etwas zu tun? Wie tief muss man gesunken sein?" Und kurz darauf über den Berliner Bürgermeister Michael Müller: "Ein absoluter Vollversager, der in seinem gesamten Leben noch keinen Tag wertschöpfend gearbeitet hat und nur aufgrund einer Koalition mit Grünfaschisten und Mauermördern die pleiteste Dreckskloake Deutschlands endgültig ruinieren darf."

Sind das die gemeinsamen Überzeugungen, die Klaus Kelle mit Susanne Kablitz teilt? Eine Autorin, die als Vermächtnis die Rede von geistig Degenerierten, den Vollversagern und den Grünfaschisten und Mauermördern (=Linke) kultiviert? Das ist nur noch abstoßend und widerlich. Libertär ist es sicher nicht. Vielleicht kann und sollte man dazu nur die Bibel zitieren (Hiob 13, 4ff.)

Doch ihr, ihr seid Lügenkleisterer, Götzenheiler seid ihr allesamt. Wer gäbe es, dass ihr endlich den Mund hieltet und dass das eure Weisheit wäre! Hört doch meine Zurechtweisung und vernehmt die Prozessreden meiner Lippen! Wollt ihr für Gott Verkehrtes reden und zu Gottes Gunsten Trug vorbringen? Wollt ihr Gottes Ansehen heben oder an Gottes Stelle den Prozess führen? Wäre es gut, wenn Gott euch erforschte, oder meint ihr, ihr könntet Gott täuschen, wie man einen Menschen täuschen kann? Euch, ja euch wird Gott zeigen, was recht ist, wenn ihr insgeheim das Gesicht hoch tragt. Wird es euch nicht erbeben lassen, wenn Gott sich erhebt, und wird nicht Gottes Schrecken auf euch fallen? Eure Merksätze sind Schutthaufensprüche, ja tönerne Sockel sind eure Sockel.


13.02.2017 - Humours of an Election

Der Chefredakteur eines kirchlichen Online-Auftritts hat gerüchteweise auf seinem Twitter-Account die Wähler der AFD als Arschlöcher bezeichnet. Das ist gewiss nicht nett, aber auch keine wirkliche Beleidigung, da es unspezifisch ist. Geschickter wäre es freilich gewesen, sie als Idioten zu bezeichnen, weil der Ursprungssinn des Wortes Idiot ja mit dem Eigensinn der Menschen (idiotes) zusammenhängt. Ein Idiot kann je nach Bildungsgrad des Äußernden ein Eigenbrötler oder ein Trottel sein. Im Falle der AFD stimmt vermutlich beides. Die religiösen AFD-Wähler sind nun entsetzt und fordern Konsequenzen. So etwas darf man doch nicht sagen. Und im Gegenzug teilen sie dann aus: der Chefredakteur sei ein Faschist, ein Hassprediger, die AFD dagegen eine wählbare Partei mit gesundem Menschenverstand. Sie hetzen gegen "den Eurokraten-Schulz, diesen Schmarotzertypen" (das freilich erfüllt den Tatbestand der Beleidigung) und kündigen an, nun erst recht AFD wählen zu wollen. Aber wie schrieb Bundesrichter Fischer wiederholt: Dummheit ist nicht strafbar.


14.02.2017 – quod licet iovi non licet bovi

Vor einer Woche jammerte ein Mitglied des Forums der Deutschen Katholiken darüber, dass der politische Katholizismus in Deutschland nicht zu seinen Rechten komme, weil der offizielle Katholizismus lieber in der Ökumene mit anderen zusammenarbeite. Dolchstoß nannte der Betreffende das. Heute möchte ein Jungsporn der CDU auf The GermanZ mal ein bisschen Dolchstoß ausprobieren und meint, der politische Islam dürfe nicht zugelassen werden. Nur der unpolitische. Da fragt man sich doch: gilt hier das berühmte quod licet iovi non licet bovi?


15.02.2017 - Totengräber unserer Rechtskultur

Ein meinungsstarker konservativer Journalistenkollege echauffiert sich über ein Urteil in einem Berliner Prozess. Der Angeklagte kam mit einer Bewährungsstrafe davon, obwohl er nachweislich ein Mädchen missbraucht hat. Zur Bewährungsstrafe führte, dass es sich zum einen "nur" um Berührungen handelte, der Täter geständig war und dem Mädchen einen Auftritt vor Gericht ersparte. Der meinungsstarke Kommentator verschweigt letzteres den Leserinnen und Lesern und klärt nicht einmal auf, dass eine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe keinesfalls ein Freispruch, sondern dessen Gegenteil ist. Dann aber betätigt sich unser Kommentator als Totengräber unserer Rechtskultur. Er schreibt:

Dass ein 27-Jähriger, der ein sechsjähriges Mädchen sexuell missbraucht, mit einer Bewährungsstrafe davon kommt, ist ein erneuter Skandal der deutschen Justiz. Ja, die Gesetze sind so, werden mir heute wieder zahlreiche Juristen schreiben. Und denen sage ich: Dann müssen die Gesetze eben geändert werden! Solche Urteile wie gestern in Berlin untergraben das Vertrauen der Bürger in ihren Rechtsstaat.

So einfach ist das. Ein Urteil passt mir nicht, dann ändern wir doch die Gesetze. Exakt das bedeutet das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat zu untergraben. Statt aufzuklären, warum das Gericht zu seinem Urteil gekommen ist, wird wie in der Weimarer Republik gegen den Rechtsstaat gehetzt. XYZ läuft noch frei herum? Dann müssen die Gesetze eben geändert werden, damit er das nicht mehr tut. Urteile nicht mehr von der Einzelfallwürdigung abhängig zu machen, sondern sie so zu konstruieren, dass auf jeden Fall das gewünschte Ergebnis herauskommt (Hauptsache weggesperrt), genau das ist das typische Kennzeichen eines Unrechtsstaates. 

Unser Kommentator aber möchte in Wirklichkeit nur eines: Stimmung für die AFD machen. Deshalb beschließt er seine Totenrede folgendermaßen: "Und genau Vorgänge wie diese werden sich im September in den Wahlkabinen niederschlagen."

Ja, so sieht es aus, aber vielleicht auch nicht. Die aktuelle Sonntagsfrage des Instituts INSA am 13.2.2017 ergibt: SPD 31% - CDU 30% - Grüne 7% - FDP 5% - Linke 10% und damit mindestens 83% bei der demokratischen Kultur. Es bleiben für die systemverändernde AFD 12%.


20.02.2017 – Methodistische Satire?

S.M., ein methodistischer Spaßmacher aus dem Lande Fern von hier, macht sich gerne über andere lustig. In der Regel so, dass er fett „Satire“ darüber schreibt, damit er keine Verantwortung für seine Äußerungen übernehmen muss. Da greift er Dinge auf, die er irgendwo gelesen hat, dreht und wendet sie so lange, bis er sie gegen die ihm Unliebsamen nutzen kann. Häufig ist das die Evangelische Kirche in Deutschland oder eine ihrer Vertreterinnen. Selbst wenn es um Dinge geht, die erkennbar unsinnig sind, macht nichts, Hauptsache unser Spaßvogel findet es lustig.

Seine neueste „Satire“ setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: Aus der Meme, eine Veganerin in Limburg habe dezidiert verlangt, ein Lied (Fuchs du hast die Gans gestohlen) aus einem Glockenspiel zu entfernen, weil es gegen ihre veganen Grundsätze verstoße (... nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb). Gut, diese Nachricht haben auch andere wie der SPIEGEL verbreitet und dabei übersehen, dass sie aus einer Büttenrede des Bürgermeisters stammt und als bewusster Witz konstruiert war.

Aber es ist schon peinlich, wenn nicht einmal mehr Satiriker etwas von Satire verstehen. Das Problem bei dieser Meme für unseren Spaßmacher ist, dass hier weder die EKD noch deren Vertreterinnen vorkommen. Das kann man ändern, dachte unser methodistischer Freizeit-Satiriker, und erfand als zweiten Bestandteil seiner kunstlosen Satire die Meme, dass eine EKD-Frau (mit Doppelnamen natürlich – oh, wie primitiv können Satiriker sein) die Entfernung des Agnus Dei vom Isenheimer Altar verlangt habe, weil es veganen Grundsätzen widerspreche und der dem Lamm beigesellte Johannes der Täufer auch kein Veganer gewesen sei, weil er sich von Heuschrecken ernährt habe. Selten so gelacht. Selbst als überspitzte Darstellung ist es auf den ersten Blick durch und durch Quatsch (aber eben nicht Comedy).

Wie man von „vegan“ auf EKD kommt, wäre vermutlich nur psychoanalytisch zu erklären. Das passt nur in das Weltbild eines Menschen, der alles Verwerfliche von der EKD erwartet. Plausibler wären ja an sich die antike christliche Mönchskultur und der spätere Katholizismus mit ihrem periodischen Verzicht auf das Fleisch-Essen. Protestanten haben dagegen sogar demonstrativ Fleisch gegessen. Aber klar, für einen Satiriker aus dem Lande Fern von hier ist immer die EKD schuld.

Zeitlich kommt der Satiriker etwas durcheinander, keinesfalls verliert Johannes in der Folge der Kreuzigung seinen Kopf. Der Isenheimer Altar stellt ja nicht eine historische Szene dar, sondern ist durch und durch ein Glaubensbild, wie jeder sieht, denn zum Zeitpunkt der Kreuzigung ist Johannes schon tot. Die Täufer-Darstellung auf einem Kreuzigungsbild folgt anderen Logiken: Verheißung-Erfüllung-Schema, Johannes als Prototyp des protestantischen Predigers usw. Eine Veganerin müsste zudem natürlich die realpräsentisch verstandene Eucharistie ablehnen, weil sie Kannibalismus ist, und das Verzehren eines Wesens durch ein anderes Wesen impliziert. Das wollte unser Spaßvogel aber nicht schreiben, vielleicht war es ihm zu heikel.

Die satirische Unterstellung, eine evangelische Pfarrerin würde Johannes den Täufer aus einem Bild entfernen lassen wollen, ist deshalb bösartig, weil dem Protestantismus Johannes der Täufer als Vorbild des evangelischen Predigers immer besonders wichtig war. Man kann das unschwer an der protestantischen Bilderkultur studieren – eine Fähigkeit, die einem in evangelischer Theologie Promovierten nicht unbekannt sein sollte. Andererseits, das sollte man einräumen, ist einem Protestanten der zwischen 1506 und 1515 (also vorreformatorisch) entstandene Isenheimer Altar tatsächlich an einer Stelle anstößig, freilich aus einem anderen Grunde, als dem, aus dem der Methodist S.M. daraus einen Witz macht.

Vergleicht man das Agnus Dei des Isenheimer Altars mit dem des Altarbildes von Cranach in der Stadtkirche von Weimar, dann fällt eine kleine Differenz auf. Es geht nicht um das Blut, das fließt. Das ist auf Cranachs Altarbild, wie jeder Theologe weiß, viel dramatischer und pointierter dargestellt. Nein, es geht um den Kelch vor dem Agnus Dei, in den das Blut Christi fließt. Die protestantische Bewegung hat diese programmatische Bild-Differenz so verstanden, dass das Blut Christi unmittelbar auf die Gläubigen fließt und keinesfalls zwingend klerikaler Vermittlung (symbolisiert durch den Kelch) bedarf.

Sehr gut kann man das auf dem Titelbild der Kurfürstenbibel von 1662 erkennen. Der Methodist, der hier mit seiner Satire ansetzt, spielt ein interessantes Spiel. Unter der Hand geht es nämlich nicht mehr um den eher kleinbürgerlichen Streit um die vegane Kultur (die eine überaus veritable religiöse und philosophische Tradition bis in die Zeiten Homers hat), sondern um Kirchenpolitik.

Anstößig ist für einen Protestanten nämlich nicht der unvegane Aspekt des Bildes von Grünewald, sondern der klerikale. Und darüber können wir gerne in eine satirische Auseinandersetzung treten. Ist es nicht interessant, dass wir genau nach 500 Jahren darüber immer noch streiten? Und würde es nicht manchen sehr verstören, wenn Protestanten tatsächlich verlangten, den Kelch auf den mittelalterlichen Bildern zu entfernen und – vice versa – Katholiken, die Protestanten sollten einen solchen Kelch bei ihren Bildern hinzufügen? Nur müsste man dann Bilder auch lesen können, was definitiv nicht zu den Stärken von S.M. gehört. Und man könnte sich nicht mehr über die EKD lustig machen.


23.02.2017 - Superlativ

Es ist eine Unart im deutschen Pressewesen, möglichst schnell nach Superlativen zu greifen. Da kommt eine dpa-Meldung auf den Tisch, ein berühmter Mann sei gestorben, schon wird daraus im Teaser einer weltberühmter Mann oder gar der berühmteste Deutsche des betreffenden Fachgebiets. Das Schöne für den Redakteur ist, dass man sich ja streiten kann, wer nun wirklich der Berühmteste ist. Man wird also für die unzutreffende Etikettierung selten zur Verantwortung gezogen.

Heute las ich in einem meinungsstarken Magazin, das sich ansonsten freilich kaum durch kulturelle Kenntnisse auszeichnet, Deutschlands bedeutendster Bildhauer sei gestorben. Da ich viele deutsche Bildhauer kenne, war ich erschrocken und fragte mich, wer wohl verstorben sein könnte. Man kann ja mal vor dem inneren Auge die großen lebenden Bildhauer Deutschlands aufrufen. Unter den wichtigen Künstler der Welt, die auch als Bildhauer arbeiten, nennen die Verzeichnisse etwa Georg Baselitz, Thomas Schütte, Günther Uecker, Markus Lüpertz, Stephan Balkenhol und hunderte weitere. Keiner der Betreffenden ist verstorben.

Es war ein anderer, durchaus renommierter Künstler, Teilnehmer von zwei documenta-Ausstellungen und wichtiger Impulsgeber für die Kunst der Bildhauerei, dessen Werk auch in meinem heimatlichen Museum zu finden ist. Aber bedeutendster deutscher Bildhauer? Ganz sicher nicht. In der dpa-Meldung wird auch nur von einem bedeutenden Künstler gesprochen, dessen Bekanntheit in jüngerer Zeit nicht zuletzt daher kommt, dass eines seiner Werke beim Anschlag auf das World Trade Center getroffen, aber nicht vernichtet wurde und deshalb heute in Manhattan als Mahnmal ausgestellt wird. Aber es ist keineswegs so, dass ich, in welche Stadt ich auch komme, einem Kunstwerk dieses Künstlers begegne. Das ist in Deutschland etwa bei Ulrich Rückriem der Fall oder Franz Bernhard, ohne dass ich sie gleich als die bedeutendsten deutschen Bildhauer nennen würde. International wären das Skulpturen von Richard Serra oder Jean Tinguely oder Henry Moore. Kann man nicht Menschen ehren, indem man einfach ihre Werke beschreibt, ohne sie gleich mit dem Etikett "Größter, Bester, Schönster, Wichtigster" zu verzieren? Seit dem GröFaZ sollten einem doch diese Übertreibungen ein Graus sein.

Für diejenigen, die sich für das Werk eines Künstlers, und nicht nur seinen Platz in der Galerie großer Geister, interessieren, hier ein Link auf Abbildungen seiner Werke an verschiedenen Standorten.


09. 03. 2017 - Schaut nach Schweden

O-Ton: "Trump ging erneut auf seine Kritik an den Zuständen in Schweden vor wenigen Tagen ein. Er sei wegen seiner Äußerungen hart kritisiert worden. Aber: „Ich liebe Schweden. Die Leute dort verstehen, was ich meine.“ Und er mahnte: Schaut nach Deutschland, nach Nizza und nach Paris!"


09.03.2017 - Doofenshmirtz

In der Zeichentrickserie "Phineas und Ferb" aus dem Disney-Universum gibt es einen Bösewicht, der den bezeichnenden Namen Dr. Heinz Doofenshmirtz trägt und im Original voller Ironie mit deutschem Akzent gesprochen wird (Dr. Doofenshmirtz speaks with a caricature of a German accent). Er ist sozusagen ein eingeborenes Mitglied der Gruppe der "GermanZ" und nimmt sich Folge für Folge etwas ganz Großes vor und wird dann in jeder Folge von einem Schnabeltier(!) an der Ausführung seiner Großmannssucht gehindert.

An diesen Dr. Heinz Doofenshmirtz musste ich heute denken, als ich die Kolumne "Früher Vogel" von Klaus Kelle in seiner Privatzeitschrift "The GermanZ" las. Er gibt da wiederholt äußerst krude Ansichten von sich, lobt Menschen, die ihre Gegner als Grünfaschisten, degeneriert und absolute Vollversager bezeichnen. Dieses Mal hat er sich eine renommierte Schriftstellerin vorgenommen, die u.a. den Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis, den Wolfgang Koeppen-Preis und den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage bekommen hat. Das stört ihn nicht, denn er hält sie für ein Phänomen der "Doofheit in einer intellektuellen Parallelwelt". Das nennt man psychoanalytisch wohl Projektion.

Und warum regt er sich so auf? Weil Sibylle Berg, um die handelt es sich bei der Kritisierten, es "gewagt" hat, in ihrer SPON-Kolumne zu schreiben: Kommen die Konservativen an die Macht, geht es den Frauen immer schlechter. Nun stammt dieser Satz nur aus dem Teaser, im Text selbst kommt er nicht vor. Aber das versteht Kelle nicht. Sibylle Bergs Text ist ein subtiles Spiel mit der antiken Komödie Lysistrata von Aristophanes, die zum ersten Mal aufgeführt wurde, als 411 v.Chr. in Athen Aristokraten eine radikaldemokratische Regierung entmachteten. Das Stück handelt davon, wie die Frauen sich ihren Männern, die immer wieder Krieg und Leiden verursachen, sexuell verweigern und so eine Änderung ihres Verhaltens erzwingen. Das alles begreift Kelle nicht. Wie kann er auch, stammt das Wissen darum doch aus einer intellektuellen Parallelwelt. Und nein, intellektuell ist Klaus Kelle sicher nicht. Er gehört nur zu den Fußsoldaten der katholischen Reaktion.


04.03.2017 - Avantgarde

Auf The GermanZ bemüht sich ein konservatives CDU-Mitglied auf verzweifelte Weise, Angela Merkel irgendwie mit dem Marxismus in Verbindung zu bringen. Zunächst wird - auf ziemlich fehlerhafte Weise - das marxistische Konzept der Avantgarde vorgestellt. Dieses wird dann gegen den Sinn der marxistischen Bestimmung (vorausgreifende Aktion im Interesse des Volkes) mit einer Erzählung Ibsens verknüpft, die von einer Aktion eines Einzelnen gegen die Interessen einer Gruppe handelt. Das leitet dann bruchlos über zu folgendem Satz:

Das Projekt der „gesellschaftlichen Modernisierung“ der CDU, das Angela Merkel zu ihrem Projekt gemacht hat, hat ebenfalls genau(!) diese Struktur ... Genau so konnte es dazu kommen, dass die Mehrheit der Mitglieder der CDU nach wie vor realistische, bürgerliche Menschen sind und gleichzeitig die von der CDU getragene Bundespolitik die durchgeknalltesten Ideen verfolgt hat ...

Man muss schon sein Denken an der Garderobe abgegeben haben, um solche Schlussfolgerungen zu ziehen. Oder so weit rechts stehen, dass einem schon die Konservative Angela Merkel als kommunistisch erscheint. Dann bleibt rechts von einem aber nur die Wand.

Nur zur Erinnerung: AVANTGARDE ist zunächst einmal ein militärischer Begriff, der 1786 seinen Höhepunkt in der Verwendung in der deutschen Sprache hatte, lange bevor Marx ihn für sich entdeckte und Lenin ihn missbrauchte. Er bezeichnet schlichtweg eine Vorhut, die das vorausliegende Gelände im Interesse der nachfolgenden Truppe erkundet. In diesem Sinne ist es dann auch in der Architektur und der Bildenden Kunst übernommen worden und findet es heute in der Mode immer noch Verwendung. Avantgarde im Sinne der Agitation gegen das Volk findet sich nur bei Lenin (im Sinne der Diktatur des Volkes). Auf keinen Fall aber ist Avantgarde ein geschichtsphilosophisches Konzept. Insofern ist der Satz des konservativen CDU-Mitglieds "Wir kommen aus dieser Falle nicht heraus, wenn wir nicht diese Geschichtsphilosophie überwinden" nur Unsinn. Er möchte schlicht keine Modernisierung der CDU. Dem kann man nur entgegnen, dass es dazu keine Alternative gibt. So oder so lautet die Antwort auf die beiden Möglichkeiten, die der CDU bleiben: Die CDU wird modern - entweder mit Betonung auf der zweiten Silbe oder eben auf der ersten.


09.03.2017 - Lesen müsste man können

Postfaktische Zeiten: Heute macht kath.net eine Meldung mit folgendem, von der Redaktion verantworteten Teaser auf:

"Umfrage von Pew Research sagt voraus, dass bereits 2050 jeder zweite Europäer Muslim sein werde".

Im Text der Meldung, die im Wesentlichen auf einem Bericht von idea basiert, kann man dann lesen:

"In Europa werde im Jahr 2050 jeder zehnte Mensch Muslim sein."

Da hat kath.net also präzise zusammengefasst: 50% liegt ja auch nur wenige Prozente von 10% entfernt.

Aber auch der Bericht von idea war schon tendenziös. Denn die Studie von Pew Research, die bereits Anfang 2015, also vor zwei Jahren publiziert wurde, sagt für das Jahr 2050 nur einen Anteil von 29,7% für die Muslime an der Weltbevölkerung und einen Anteil von 31,4% für die Christen voraus. Macht immer noch 70% Nicht-Muslime im Jahr 2050. Nicht einmal der Blick auf die Weltbevölkerung deckt also die Schlagzeile von kath.net.

Erst für die Zeit nach 2070 (!) geht Pew Research von einem größeren Anteil der Muslime als der der Christen an der Weltbevölkerung aus. Und für das Jahr 2100 prognostiziert Pew Research einen Anteil von 34,9% Muslimen und von 33,8% Christen an der Weltbevölkerung.

Übrigens: Eine muslimische Mehrheit an der Bevölkerung neu zu erlangen, so prognostiziert das Institut, gelingt bis 2050 nur in zwei Staaten weltweit: Mazedonien und Nigeria. Aber auch dann bliebe Nigeria ein Land mit einer extrem hohen Zahl an Christen.

[Update: Jetzt hat kath.net den Teaser angepasst und spricht nur noch von jedem zehnten.]


09.03.2017- Mangelnde Zu(g)verlässigkeit

Heute mokiert sich der meinungsstarke Konservative über die Deutsche Bahn - ein beliebtes Thema bei den Deutschen. Dabei schildert er eine Reise, die er von einem Provinzbahnhof im Westen Deutschlands in den Süden Deutschlands unternommen hat. Und natürlich ging angeblich alles schief. Und nun fragt er sich, wie so etwas passieren kann und - ironisch - ob da nicht Absicht hinter streckt.

Das freilich kann man auch bei seinem Artikel fragen. Er beginnt seine Reiseschilderung damit, dass sein Zug schon in der Provinzstadt 5 Minuten angekündigte und 14 Minuten reale Verspätung hatte. Was er unterschlägt ist, dass es sich dabei nicht um einen Zug der Deutschen Bahn handelte, sondern um einen der Nordwestbahn. Aber dann wäre sein Gejammere über die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn ja merkwürdig schief.

Mit seiner Verbindung hat er in Düsseldorf 32 Minuten Übergang. Davon gehen nun 14 Minuten herunter, bleiben 18 Minuten in Düsseldorf. Von einem notwendigen Hasten im Bahnhof keine Rede - auch nicht, wenn man von Gleis 5 nach Gleis 16 muss. Dann gibt es eine verkehrte Wagenreihung. Aber, es tut mir leid, im Abschnitt F, wie behauptet, hält sicher kein Abteil. Wenn es ein Zug mit den Wagennummern 21-29 ist, hält die 29 (oder bei umgekehrter Reihung die 21) in Abschnitt D. Nun kommt die Ansage, heute verkehre der Zug nicht aus Gleis 16, sondern aus Gleis 10. Das ist ärgerlich, vor allem wenn man viel Gepäck dabei hat. Kaum auf Gleis 10 angekommen, fährt der Zug ein - auf Gleis 9. Nun, das ist derselbe Bahnsteig, nur das gegenüberliegende Gleis. Überhaupt keine Katastrophe.

Zuletzt beschwert sich der Reisende, dass er auch nach 1 1/2 Stunden noch keinen Kaffee habe. Nun er sitzt vermutlich in Abteil 22, in Abteil 26 ist das Bordbistro, da hat er jederzeit Zugriff. Man muss nicht warten, bis man Kaffee bekommt. Eigenaktivität ist angesagt - sonst doch eine Stärke der Konservativen. Nur Linke lassen sich doch sonst gerne versorgen, wenn man den Konservativen glauben mag.

Warum also all diese Klagen? Der Autor schafft es, in den wenigen Zeilen, die er am Morgen schreibt, gleich mehrere Verzerrungen und Unkorrektheiten einzubauen. Sollte er da nicht ein wenig nachsichtiger mit der Bahn sein - egal ob DB oder NWB?


18.03.2017 – Gestörte Wahrnehmung

Wie muss man das Ergebnis der Wahlen in den Niederlanden deuten? Kann man von einem Sieg der Demokratie und der Europafreunde sprechen, wenn die Parteien an der Regierung knapp 25%-Punkte eingebüßt haben? Reicht es schon, dass der, dem man noch vor wenigen Wochen den Sieg zutraute, fast nur die Hälfte der %-Punkte des tatsächlichen Siegers bekommen hat? Darüber kann man streiten. Klar ist für jeden Menschen mit Vernunft, dass die Europa-Skeptiker eine empfindliche Niederlage erlitten haben. Aber es gibt ja immer noch das Ghetto der Menschen, die die Fakten anders wahrnehmen als der Rest der Welt. Dazu gehört ein Autor auf The Germanz, der zu folgender Schlussfolgerung kommt:

Realistisch und mit kühlem Verstand betrachtet gibt es in den NL demnach nur einen echten Gewinner der Wahlen: Geert Wilders.

Wow. Wer ein Beispiel für Nico Semsrotts Unterscheidung von Aufklärer und Fanatiker sucht, hier wird er fündig. Semsrott sagt, der Aufklärer betrachtet die Fakten und schreibt dazu eine Geschichte. Der Fanatiker dagegen schreibt eine Geschichte und erfindet Fakten dazu. Das gilt auch im vorliegenden Fall. Geert Wilders zum Gewinner der Wahl zu erklären, funktioniert nämlich nur, wenn man die Fakten brutal zurechtbiegt. Ein Blick auf die folgende Tabelle zeigt das, sie zeigt die Gewinne und Verluste bei der niederländischen Wahl (Stand 16.03.2017):

 

Wäre Wilders der Gewinner  der Wahl, dann müsste seine Partei die blassgrüne Säule ganz rechts sein. Ist sie aber nicht. Sondern die GrünLinken, die im Artikel von The GermanZ überhaupt nicht auftauchen, sondern unterschlagen werden. Sie sind der Überraschungssieger der Wahl. Nun gut, vielleicht ist es dann die rosarote Säule? Mitnichten, das ist die Partei d66, eine linksliberale Partei. Hups, auch sie kommt im Artikel auf The GermanZ nicht vor. Dann vielleicht die blassblaue Säule? Nein, das sind die Demokratischen Christen. Und erst danach kommt Wilders mit seiner Partei. Wie schrieb der Kollege auf The Germanz?

Realistisch und mit kühlem Verstand betrachtet gibt es in den NL demnach nur einen echten Gewinner der Wahlen: Geert Wilders.

Das nennt man dann wohl: alternative Fakten.


19..03.2017 - Kondome - ohne Kommentar


22.03.2017 - Keine Wechselstimmung

Warum ist das Deuten von Befragungen und Statistiken für manche nur so schwierig? Die Online-Zeitschrift The GermanZ, die nichts unversucht lässt, Angela Merkel als Kanzlerin zu diskreditieren, publiziert gerade eine Meldung unter der Überschrift "Es gibt eine Wechselstimmung in Deutschland". Aber das ist natürlich gelogen. Man hätte es nur gerne und liest wie aus dem Kaffeesatz aus jeder Befragung, die man auf den Tisch bekommt, das Gegenteil von dem heraus, was die Ergebnisse der Befragung aussagen.
    Der Artikel bezieht sich auf eine Erhebung von Forsa im Auftrag der Zeitschrift Stern. Diese Befragung hatte zunächst ergeben, dass die Sympathiewerte für Angela Merkel im Vergleich zur letzten Untersuchung wieder gestiegen sind. [Wenn der Regierungschef direkt gewählt werden könnte, würden sich nun 41 Prozent der Wahlberechtigten für Merkel entscheiden und 33 Prozent für Schulz, der damit 8 Punkte hinter der amtierenden Kanzlerin liegt.] Das verschweigt The GermanZ weil es nicht ins Konzept passt. Dann hatte Forsa gefragt, was die Befragten über eine Wechselstimmung in Deutschland glauben. Und hier glauben 59%, dass es eine Wechselstimmung in Deutschland gibt. Für einen Journalisten mit mittlerer Intelligenz sollte klar sein, dass dies nun gerade nicht die Wechselstimmung wiedergibt, sondern nur eine Vermutung über eine Wechselstimmung. Sonst hätte man fragen müssen: Wünschen Sie sich einen Wechsel in der Führung der BRD? Das war aber gar nicht gefragt worden. Der Stern räumt das auch in seinem Artikel ein [Aber diese ... empfundene Wechselstimmung erweist sich als trügerisch, wenn konkret nach persönlichen Koalitionspräferenzen gefragt wird.] und verweist darauf, dass die Befragung nach den politischen Präferenzen der Befragten gegen einen politischen Wechsel sprechen. Die größte Gruppe möchte nämlich eine Fortsetzung der Großen Koalition und nur Minderheiten andere Konstellationen. The GermanZ macht daraus: "Es gibt eine Wechselstimmung in Deutschland". Das ist erkennbar unseriös. Guter Journalismus sieht anders aus. Aber den wird man bei dieser Zeitschrift auch nicht finden. Zunehmend erreicht sie das Niveau der Breitbart-Publikationen, nur dass es noch keine Kommentarspalte für den Mob gibt.


23.03.2017 - Gefährder

Es gibt eine Art von politischem eiaculatio praecox. Da passiert irgend etwas auf der Welt und bevor jemand weiß, was überhaupt passiert ist, wer verantwortlich ist, was seine Intentionen waren und wie ein Erwachsener, das heißt, ein mit Verstand und Vernunft handelnder Mensch damit umgehen soll, wird schon nach dem Strafrichter gerufen. Und wenn elementare Menschenrechte dem Strafrecht und dem vorgegebenen Ergebnis dieses Strafrechts entgegenstehen, macht doch nichts, dann ändern wir eben das Gesetz. Der Zweck (Ausweisung oder Bestrafung aller Islamisten) rechtfertigt die Mittel. Unabhängig davon, ob es sinnvoll ist oder juristisch überhaupt möglich. 
     Auf seiner vorzeitigen Suche nach Würmern im europäischen System fordert der sich Publizist nennende Klaus Kelle "Schmeißt diese 'Gefährder' endlich raus!". Er bezieht sich auf das Attentat in London, von dem er schon lange vor der Polizei und der Regierung weiß, dass hier ein islamistischer Imigrant aktiv wurde, der auf Kosten des Staates und unter Missbrauch staatlicher Leistungen in Großbritannien lebte. Er fordert:

Die Gefährder, die bekannt sind, müssen raus aus unseren Ländern. Einfach, weil sie „Gefährder“ sind. Und wenn die Gesetze nicht ausreichen, dann müssen eben neue Gesetze geschaffen werden. Und zwar schnell.

Wenn man weiß, dass Gefährder Menschen sind, die keinesfalls eine Straftat begangen haben, sondern von denen vermutet wird, sie könnten irgendwann in der Zukunft eine begehen, dann lautet diese Forderung schlicht, unschuldige Menschen zu bestrafen und zu deportieren. Es geht im Kern um das, was die Story des Minority Reports ausmacht: Möglichkeiten und nicht Realitäten zu strafen. Das ist im Kern der totalitäre Staat. Wie schnell so etwas daneben gehen kann, zeigt der Londoner Fall des 52-Jährigen Attentäters, der in Großbritannien geboren wurde und der als Straftäter, nicht aber als Islamist aufgefallen war. Wohin hätte er abgeschoben werden sollen? Auf eine Strafkolonie wie in früheren Zeiten? Ich dachte, wir hätten diese Zeiten überwunden. Und Klaus Kelle sollte sich doch bewusst sein, wie schnell man selbst - wie Chief John Anderton in Minority Report - auf der falschen Seite stehen kann. Ich zum Beispiel halte Klaus Kelle durchaus für einen Gefährder und zwar der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland mit ihren humanistischen Werten, die auch kranken Straftätern und Immigranten elementare Rechte zugesteht. Aber ich würde nie so weit gehen wie er:

Die Gefährder, die bekannt sind, müssen raus aus unseren Ländern. Einfach, weil sie „Gefährder“ sind. Und wenn die Gesetze nicht ausreichen, dann müssen eben neue Gesetze geschaffen werden. Und zwar schnell.

Denn das hatten wir schon einmal. Und sehr viele Menschen haben es mit ihrem Leben bezahlt.


31.03.2017 - Einfach nur lustig

Vor einiger Zeit hatte ich hier im Blog eine Montage von Luthers Thesenanschlag publiziert. Gerade war ich auf der Suche nach der Originalvorlage des Bildes und stieß dabei auf folgende Kombination:

Unter dem Bild steht folgender Bildtitel: "Martin Lutero, colgando las 95 Tesis en las puertas del Castillo de Gutenberg." Den spanischen Text könnte man übersetzen mit "Martin Luther hängt die 95 Thesen an das Gutenberg-Schloss". Nicht ganz richtig, aber lustig. Wie soll ein Spanier auch Wittenberg von Gutenberg unterscheiden können? Und eine Schlosskirche von einem Schloss? Und zwischen der Schlosskirche von Wittenberg und dem Schloss Gutenberg liegen ja auch nur 800 km.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/106/am576.htm
© Andreas Mertin, 2017