Menschliche Außenseiter

Berthold Engels

Wer als Außenseiter charakterisiert wird, kann ich im deutschen Sprachraum beschreiben, aber welche genauen Konnotationen in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten der Begriff „outsider“ hat, dazu kenne ich mich zu wenig aus. Daher bleibe ich beim Außenseiter. Der normale Außenseiter, mit dem ich beginne, wird vielen wahrscheinlich zuerst in der Grundschule bewusst begegnet sein. Der übergewichtige Junge, der keinen Anschluss findet, das Mädchen, das mit niemandem spricht oder das ADHS Kind, das allen auf die Nerven geht. Deutlich wird in dieser Zeit, wer beliebt oder unbeliebt ist, wer zu welchen Geburtstagen eingeladen wird und wer nie. Der Außenseiter bleibt bei der Mannschaftswahl im Sportunterricht als letzter übrig und wird nie zum Klassensprecher gewählt. Mag diese Zeit in der Grundschule aus Sicht des Außenseiters schon bitter sein, in der Pubertät wird es wesentlich bitterer. Wer körperlich nicht mitkommt, einem bestimmten weiblichen Schönheitsideal nicht entspricht, nicht männlich genug erscheint, kann von Ausgrenzung über Verachtung bis hin zu Gewalt viel soziale Niedertracht erfahren. Gerade in der Pubertät möchten viele Jugendliche gerade nicht auffallen. Man trägt die Kleidung, die alle tragen, man macht mit, wo man mitmachen sollte, man ist in den Gruppen, die den Ton angeben und will dazugehören und nicht abseits stehen. Wer in dieser Lebensphase als Außenseiter gebrandmarkt wird, kann sich schnell als minderwertig und anormal ansehen. Wird diese Fremdeinschätzung internalisiert und zum eigenen Selbstbild, ist der Außenseiter innerlich und äußerlich in seiner Rolle gefangen.

Es gibt im weiteren Lebensverlauf aber auch freiwillige Außenseiter, die bewusst gegen einen Trend leben und denen es egal ist, was eine Mehrheit über sie sagt und empfindet. Wer in ein Kloster eintritt, zu seiner abweichenden sexuellen Orientierung steht oder sich politisch querstellt, weiß um seine Außenseiterrolle und nimmt sie in Kauf. Die eigene Überzeugung zählt und nicht eine Mehrheitsmeinung. Die freiwilligen Außenseiter haben sich dazu entschieden, gegen den Strom zu schwimmen. Der politische oder taktische Außenseiter ist jemand, der sich ein Nische sucht, die ihn von den anderen politischen Akteuren unterscheidet. Darin kann ein gewisser Reiz liegen, sich so zu profilieren, dass am Ende ein Machtzuwachs dabei herausspringt. Jemand fällt im Politbetrieb und den Medien als Außenseiter auf, weil er dadurch bekannter und vielleicht sogar populär wird. Hier nutzt jemand aus taktischen Gründen die Außenseiterrolle, um sie zu einem Vorteil zu machen.

Es gibt sogar den Typus des sympathischen Außenseiters. Oft wird im Sport der Außenseiter und Verlierer als sympathisch betrachtet, weil die Arroganz der Siegermannschaften negativ auffällt. Der Außenseiter kommt sympathischer daher, weil er als klein und schwach erscheint. David wird mehr geliebt als Goliath. Dies hat viel damit zu tun, dass diejenigen, die den Trend angeben und sich ganz oben wähnen, mit der Zeit als überheblich und korrumpiert wahrgenommen werden.

Zum Ende des Lebens kann jeder Mensch zum Außenseiter werden, wenn es darum geht, sich zu verabschieden. Nicht so sehr, weil der alte, kranke und sterbende Mensch von der Gesellschaft abgeschoben wird, sondern ein Rückzug nach innen stattfindet. Der alte Mensch wird zum Außenseiter, weil das Außen immer weniger und auch immer unbedeutender wird. Wer sich vom Leben zu verabschieden beginnt und sich dahin wendet, wo das Innen ein immer größer werdendes Gewicht bekommt, ist möglicherweise ein Außenseiter für alle, die diese Lebensphase noch vor sich haben.

Sollte es so sein, dass zum Ende des Lebens das Weggehen aus diesem Leben und die Hinwendung zum ganz Anderen an Bedeutung gewinnt, kann jeder Mensch zum Außenseiter werden, einfach deswegen, weil es dann um etwas ganz anderes geht als nur noch in diesem Leben zu sein.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/106/be01.htm
© Berthold Engels, 2017