Gegen die Regeln

Ein Blog

Karin Wendt

Eine wahre Fundgrube für das Spiel mit den Regeln der Kunst, das die Renaissance mit dem von Vasari geprägten Begriff der „maniera moderna“ in Gang und zu Bewusstsein brachte, ist der Blog “Gegen die Regeln”. Er entstand 2016 im Rahmen des gleichnamigen Seminars an der Universität Freiburg. Studierende gehen dort anhand von Werken und Künstlern der Frage nach, „welche Regeln im und für das 16. Jahrhundert aufgestellt wurden, wie sich diese innerhalb dieser Zeit und darüber hinaus veränderten und wie und weshalb sie gebrochen wurden“. Die Studierenden machen ein System von fünf unterschiedlichen Ebenen aus, nach denen ein Regelbruch in der Kunst funktioniert. Regeln brechen kann ein einzelnes Werk oder der Künstler mit seinem Werk. Der Bruch mit einer Regel kann sich vollziehen in der Ikonographie, im Stil oder über die Künstlerpersönlichkeit. Dass sich ein Bruch ereignet, kann man nur über Bezugnahmen erschließen, also im Nachhinein im Vergleich mit bestehenden Regeln und Normen erkennen. Interessant ist meines Erachtens die vierte Ebene: Gebrochen wird eine Regel in der Kunst – einzig – durch den Individualismus. Für den Bruch mit der Regel kann es selbst also kein Vorbild geben, er ist genuin kreativ und subjektiv. Den Zweck eines Regelbruchs sehen die Verfasser darin, bestimmte Reaktionen auszulösen, also in der Art einer (veränderten) Kommunikation. Hier, denke ich, sind die Beweggründe und auch die Konsequenzen vielleicht doch noch komplexer, als es im Schema zum Ausdruck kommt.

Deutlich wird auch, dass der Regelbruch für Künstler der Neuzeit vor allem vor dem Hintergrund einer wiederentdeckten Antike und der Wiederbefragung ihrer Rhetorik interessant wurde. Der „vierte Regelursprung basiert auf den vorangegangenen: das Ziehen von Regeln aus bereits bestehenden. Wie bereits angeklungen, entwickelte sich aus der vasaristischen Kunstkritik der Renaissance ein Topos, der den Umgang mit der Antike, der Natur und den gesellschaftlichen Normen in sich aufsaugte und akademisierte. Von Vasari über Karel van Mander, Joachim von Sandrart, Filippo Baldinucci bis schließlich hin zu den royalen Akademien des 19. Jh. setzte sich die Erlernbarkeit der Kunst anhand derselben, wenn auch modifizierten Regeln in den Hochschulen des Abendlandes durch“ (Paula Michalk). Es wäre sicher lohnenswert auch über das 16. Jahrhundert hinaus zu untersuchen, wie sich ein ästhetischer Regelbruch zeigt und sich dabei der Topos selbst verändert bzw. erweitert.

Interessant für die Thematik des aktuellen Hefts ist die Erkenntnis darüber, auf welcher Ebene eine Regel bzw. der Bruch mit einer Regel überhaupt als Innovation Anerkennung findet: „Die vermutlich überraschendste Erkenntnis auf Ebene des Regelursprungs besteht in den Normen, die für das Verhalten und den Charakter eines Künstlers bestanden. Es hat sich über die Sitzungen hinweg gezeigt, dass diese einen direkten Einfluss darauf hatten, inwiefern und ob überhaupt die Arbeit eines Künstlers positive Kritik erfahren konnte. Der ideale Künstler, der lobenswerte Werke in Ikonographie und Stil schuf, musste nach Vorstellung Vasaris und dessen Erben alles in allem ein humanistisch gebildeter Genius mit höfischen Manieren sein [...] Alles, was diese Vorstellung brach, machte aus dem Kunst-Schaffenden zusehends einen Hand-Werkenden“ (P. Michalk). Was künstlerische Innovation ist und was lediglich die Abweichung eines „Outsiders“, entscheidet sich bis heute oft jenseits oder unabhängig des Kunstwerks, über das, was man über den Schaffenden zu wissen meint – und entscheidet so über das Werk.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/106/kw77.htm
© Karin Wendt, 2017