Avantgarde |
Kulturelle Integration?Zum Thesenpapier der staatstragenden Kulturinstitutionen. Ein EinwurfAndreas Mertin Nur scheinbar setzt sich die Initiative „Kulturelle Integration“ diverser deutscher Kulturinstitutionen von der Leitkulturthese des deutschen Innenministers Lothar de Maiziers ab. Das eine erscheint mir letztlich so reaktionär wie das andere. Hier feiert die Kulturreligion des 19. Jahrhunderts fröhliche Urständ, so als ob die ganze Katastrophengeschichte die die Kulturreligion ja mit befördert hat nicht geschehen wäre. Integration (wenn man nicht die soziologische Kategorie der Integration meint) als Ziel anzustreben, das kann auch nur sagen, wer den Gedanken gelebter Differenz und der Freiheit des Individuums schon aufgegeben hat, wer mit anderen Worten vor der Verdinglichung kapituliert hat. Adorno hat in der Negativen Dialektik zugespitzt einmal geschrieben: „Der Völkermord ist die absolute Integration, die überall sich vorbereitet, wo Menschen gleichgemacht werden“. Integration, wo sie denn nicht gelebte und gewachsene, sondern von oben oder von Institution geforderte ist, ist falsch. Sie atmet den Todeshauch des Gewaltsamen und Erzwungenen, der dem Differenten den Lebensatem nimmt. "Die formale Leistung der Integration, a priori keineswegs formal sondern inhaltlich, die sedimentierte Beherrschung der inneren Natur, usurpiert den Rang des Guten" schreibt Adorno an anderer Stelle in der Negativen Dialektik und benennt damit gleich das Problem: den Ausschluss des Nicht-Integrierbaren. Für dieses lässt die gängige Kulturtheorie seit dem Deutschen Idealismus eine Systemstelle frei: die Kunst. Hier darf das ganz Andere sich austoben, alles andere soll sich integrieren. Und dem hat sich auch die Religion unterzuordnen, die doch einmal für das ganz Andere und den Ganz Anderen stand. Bemerkenswert ist am Thesenpapier der Kulturinstitutionen, dass der Religion aufgetragen wird, Beiträge zur kulturellen Integration zu leisten. Die friedensstiftende Kraft von Religion soll staatlicherseits gefördert werden. Ansonsten aber „unterliegt“ die Religion „den geltenden rechtsstaatlichen Regeln und einem öffentlichen Diskurs“. These 4: Religion gehört auch in den öffentlichen Raum.
Und nun variieren wir das einmal und formulieren es für die Kunst um, um zu hören, wie es dann klingt und zu verstehen, was wirklich gesagt wird: These 4b: Kunst gehört auch in den öffentlichen Raum.
Bei der Re-Lektüre des Textes unter dem Aspekt der Kunst wird sofort der totalitäre Charakter der ursprünglichen Beschreibung von Religion in gesellschaftsbefriedender Perspektive deutlich. Die Künste leben davon, dass sie nicht einen Freiheitsraum gewährt bekommen, sondern ihn sich unter vielen Opfern erkämpft haben. Nur ein totalitärer Staat glaubt, er eröffne die Möglichkeit für kulturelle Bereiche (sei es nun für die Kunst, sei es für die Religion) in der Öffentlichkeit aufzutreten. Diese Frage stellt sich vielleicht im Faschismus oder Stalinismus, aber nicht in einer Demokratie. Diese Rechte werden mir nicht gewährt, das Bürgertum hat sie erkämpft und dem Staat abgetrotzt. Hier macht der Ton die Politik. Und das gilt auch für die Beauftragung mit dem „Frieden stiften“. In der Kunst hören wir hier sofort den Befehl zur engagierten Kunst mit und verwehren uns dagegen, dass der Staat derlei vorgibt. Warum nicht bei der Religion? Die Formulierung der These zur Religion in der jetzt vorliegenden Form ist eines schallende Ohrfeige für die Kirchen und die Religionsgemeinschaften sofern sie sich nicht schon vollständig in Institutionen und Bürokratien umgewandelt haben. Nichts von dem, was Religion antreibt, kommt in dieser Beschreibung vor. Religion wird hier durch und durch als Schmiermittel, als Öl fürs reibungslose Funktionieren der Welt begriffen. Und nun lesen wir einmal im Gegenzug These 5 zur Kunst: These 5: Die Kunst ist frei.
Und auch hier lässt sich ja leicht eine Übertragung in Sachen Religion vornehmen. Das klänge dann so: These 5b: Die Religion ist frei.
Das wäre ein emanzipatorischer Diskurs über Religion in unserer Gesellschaft (egal was der Staat denkt, einräumt oder gewährt). Und es wäre ein notwendiger Diskurs, der viel vom freiheitlichen Verständnis einer Gesellschaft offenbaren würde. Eine Zivilgesellschaft steht dazu, dass Religionen verstörend sein können, dass sie stören können, dass ihre Riten Missfallen auslösen; dass eine Gesellschaft dies aber aushalten muss, weil Religionen sich in einer steten Auseinandersetzung mit den philosophischen, gesellschaftlichen und politischen Grundfragen befinden. Und sie hält es aus, weil Religionen über das unmittelbare Erleben hinausweisen und neue Sinnhorizonte eröffnen. Hier wäre alles gebündelt, was in den Diskussionen rund um Beschneidung, Böckenförde-Diktum, Zivilreligion etc. in den letzten Jahrzehnten zum Tragen kam. Warum haben die Religionsvertreter nicht darauf bestanden, dass jene positive Beschreibung, die das Papier für die Künste macht, nicht auch im Blick auf die Religionen in Anschlag gebracht wird? Zu viel Luckmann gelesen? Zu sehr in der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts stecken geblieben? Religion ist nicht dazu da, uns zu besseren Staatsbürgern zu machen. Davon mag Bismarck geträumt haben, aber es ist nicht der Kern von Religion. Der Kern von Religion von Mose über Amos und Hosea, Jesus und Paulus bis Bonhoeffer ist Subversion. Wenn ich die Thesen zur kulturellen Befriedung unserer Gesellschaft unter dem Stichwort „Zusammenhalt“ (wer denkt sich dieses Scheiß nur aus?) lese, packt mich kalte Wut. Das hätten sie gerne, die Herren der Welt, dass auch noch die Künste und die Religionen ihren Interessen dienen. Und deshalb, zur Erinnerung, die berühmten Worte von Günter Eich aus dem Schlussgedicht des Hörspiels "Träume":
Und erinnert seien die evangelischen Theologen, die an diesem Papier mitgearbeitet haben, an Folgendes, sie werden es kennen, auch wenn sie ihm offenkundig nicht folgen:
NachtragHeute [17.05.2017] publiziert idea eine Meldung bzw. ein Interview, das auf einen Schlag deutlich macht, worum es in der Debatte um Integration für die herrschenden Institutionen in Wirklichkeit geht: um die Abschiebung von solchem Menschen, die als nicht integrationswillig erklärt werden. Unter der Überschrift „Integration ist unterschätzt worden“ heißt es dort:
„Wo sich Flüchtlinge der Integration widersetzen, muss Deutschland (sic!) konsequent mit Abschiebungen reagieren.“ Aha. Anders formuliert lautet die Botschaft: Und bist du nicht willig, so brauch’ ich (staatliche) Gewalt. Nun ist nicht ganz einsichtig, was Integration hier eigentlich bedeuten soll. Wenn es um Gesetze geht, an die man sich halten muss, so ist dies nichts Spezifisches, jeder Mensch in einer Gesellschaft muss sich an Gesetze halten. Tut er dies nicht, kann und wird er bestraft (aber nicht abgeschoben). Wenn es um kulturelle Werte geht, ist das schon schwieriger. Was mache ich mit dem alkoholisierten deutschen Arbeitslosen an der Bushaltestelle in Wuppertal-Oberbarmen, der eine Frau neben ihm einfach mit „Ey Fotze“ anspricht? Und wie unterscheide ich das von dem Asylanten oder Flüchtling, der Frauen keinen Respekt entgegenbringt? Der eine wird angezeigt (oder ignoriert, weil Bio-Deutscher), der andere abgeschoben, weil nicht integrierter Flüchtling? Das soziologische Modell würde diesen Weg vermutlich eher als Exklusion und gerade nicht als Integration begreifen. Integration ist nämlich keinesfalls etwas, was einseitig von einem Teil der Gesamtgruppe geleistet werden muss, das der andere Teil dann kontrolliert, sondern setzt ein viel komplexeres Verhalten aller Beteiligten voraus. Insofern Flüchtlinge zunächst aber nur aus einer Lebensnot in Deutschland um Aufnahme bitten, sehe ich noch nicht, inwieweit Integration eine Notwendigkeit ist. Wenn das Argument lauten soll, nur wenn sich die Flüchtlinge integrieren, können und werden wir sie aufnehmen, widerspricht das nicht nur allen ethischen Normen, sondern macht das Überleben von moralischem Verhalten abhängig. Im Grundgesetz steht aber nicht „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht, insofern sie sich in Deutschland integrieren und seine Werte achten“, sondern bedingungslos „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Trotzdem macht es natürlich Sinn, darüber nachzudenken, wie Asylsuchende hier in Deutschland eine noch bessere Aufnahme finden können, wie Integrationshilfen angeboten werden können. Die können aber nun gerade nicht darin bestehen, Bedingungen für das eigene humane Verhalten zu artikulieren. Der Satz Ich helfe Dir nur, wenn Du Deutsch lernst, weil wir eine so schöne Kultur haben ist barbarisch (und lässt diese Kultur zugleich als nicht mehr ganz so schön erscheinen). Er erinnert fatal an ganz frühe Entwicklungshilfe der Missionare, bei der Nahrungsmittel gegen Glauben eingetauscht wurden. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/107/am585.htm |