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Luther und die Kunst von Cranach bis zum RuhrgebietBarbara Wucherer-Staar Zwei ganz verschiedene Ausstellungen stellen Martin Luther und die Reformation vor. Meisterwerke von Lucas Cranach bis in die Gegenwart zeigt das Museum Kunstpalast in Düsseldorf. „Der geteilte Himmel“ im Ruhrlandmuseum Essen stellt Zeugnisse der Reformation im Ruhrgebiet vor. Seine 95 Thesen gegen den Ablass, die Martin Luther (1483-1546) vor 500 Jahren an die Wittenberger Schlosskirche nagelte, brachten den Reformator ins Kreuzfeuer heftigster theologischen Diskussionen. Um Luther in der Kunst der Gegenwart ein wenig lebendig werden zu lassen schicken wir ihn mit einer kunsthistorischen „Zeitzeugin“ - Hermine Müller - durch die Säle. Als Frau des Pfälzer Malers Rolf Müller-Landau (geboren 1903 als Sohn eines evangelischen Missionars in Kia Ying Chow, Südchina, gestorben 1956 in Bad Bergzabern, Rheinlandpfalz) hatte sie unmittelbar nach 1945 erlebt, wie bemerkenswert gut es gelang, Chaos und Resignation zugunsten einer neuen Ordnung zu überwinden. Ob gegenständliche oder abstrakte Malerei als Ausdruck für eine „freie“ Weltsprache - nach dem Zweiten Weltkrieg waren Religion und Glaube eine wichtige Grundlage. Beide, Luther und Hermine Müller, hätten bei Abstechern auf dem evangelischen Kirchentag, in Ausstellungen und auf Symposien, sicher ihre helle Freude an lebhaften Diskussionen gehabt. Historiker, Kunsthistoriker, Theologen, Luther-Exegeten fanden viel Neues über die „Marke“ Luther.[1] Herr Martin - im Museum Kunstpalast Düsseldorf„Herr Martin“ mit Kappe, Charisma und Namensschild blickt streng. Er schützt Lucas Cranachs „Sündenfall“ im kunsthistorischen Museum Wien (Dorothee Golz, Herr Martin, 2016, „digitales Gemälde“). Das Gesicht des Museumsaufsehers - erzählt Luther der schmunzelnden Hermine - sei schon seit Jahrhunderten ein Exportschlager. Der kursächsische Hofmaler Lucas Cranach d. Ä. (vermutlich 1472-1553), einer der einflussreichsten Maler der Renaissance, Mitglied des Wittenberger Rates und mehrmaliger Bürgermeister, war enger Vertrauter von Martin Luther. Er prägte seit den 1520er Jahren das offizielle „Image“ des Reformators ebenso, wie Luther viele Bildthemen Cranachs mit inspirierte. Dies zeigt sich zum Beispiel in den runden „Kapselbildern“ mit dem Porträt des Mönches Martin Luther und der Nonne Katharina von Bora. Der Maler schuf sie zur Eheschließung der Beiden. Cranach war Trauzeuge, Luther wurde später Taufpate einer der Töchter Cranachs. Beide - Hermine und Luther - sind begeistert von der außerordentlichen Cranach-Schau mit rund 200 hochkarätigen, teils kaum gezeigten Werken aus der Museumssammlung, aus Budapest, London, Madrid, New York und Stockholm. Auf ihrem Rundgang erleben sie die innovative, facettenreiche Bildersprache wie sie von Adeligen, Patriziern und Humanisten international geschätzt wurde. Bildnisse von Fürsten, prominenten Bürgern, Aktdarstellungen, Ungleiche Paare und nicht zuletzt neu interpretierte Geschichten aus der Bibel - Glaubenssätze - zeigen Lucas Cranachs d. Ä. neues Bilderverständnis in der Bilderwelt der Renaissance im Kontext seiner Zeit bis in die Moderne. Er galt als der produktivste Künstler seiner Zeit. Er sei, erklärt Luther, kritisch gegenüber katholischem Bildergebrauch, Fegefeuer und Ablasshandel, doch kein Bilderstürmer wie etwa Zwingli und Calvin. Er zitiert aus einer seiner Predigten: "Die Bilder sind weder das eine noch das andere, sie sind weder gut noch böse, man kann sie haben oder nicht haben." Der Betrachter ist herausgefordert, selbst zu sehen. Der Kunsthistoriker Werner Hofmann habe diese Überlegung weitergeführt - mit diesem Freibrief beginne die Moderne.[2] Cranachs „Gesetz und Gnade“-Darstellungen verbildlichen eindrucksvoll die Lehre Martin Luthers: Der Mensch wird allein durch Gottes Gnade von seiner Schuld befreit und erlöst. Cranachs religionsgeschichtliche Vermittlung entspräche seiner Vorstellung auch, so Luther, weil ein Bild nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden dürfe. Meist auf Holztafeln gemalt finden sich drastische Werke wie Judith mit dem Haupt des Holofernes (um 1530). Die Tafel Christus und die Ehebrecherin verweist mit einem aufgemalten Bibelvers auf Luthers Verdikt: kein Mensch darf den ersten Stein werfen, Erlösung bringen alleine der Glaube und die Heilige Schrift. Zu den weiteren Arbeiten zählt die lange verschollene Madonna mit dem Kind (um 1510, Diözesanmuseum Breslau). Ein neues Landschaftsverständnis eröffnet sich in „Heiliger Hieronymus in einer Landschaft“ (um 1515). Der Maler galt als bester Porträtist seiner Zeit, etwa mit dem nahezu fotorealistischen Porträt des Hofkanzlers Gregor Bück (1533). Cranach malte erotische Nacktheit für adelige und bürgerliche Kunden, legitimiert durch christliche Motive und Mythologie. Dazu zählen Adam und Eva (um 1510) im Garten Eden vor dem Sündenfall und die Römerin Lucretia (1534), die sich nach ihrer Vergewaltigung durch den Sohn des Königs erdolchte und so die Monarchie zu Fall brachte. Hermine entdeckt exquisite Bilder und Druckgrafiken aus der Cranach-Zeit: von Albrecht Dürer, Hans Holbein dem Jüngeren, Jacopo de' Barbari und anderen Zeitgenossen (Lorenzo Costa dem Älteren.) Besonders deutlich wird Cranachs Auseinandersetzung mit Albrecht Dürer. Ist Dürer für seine „erhabene“ Malweise bekannt, malt Cranach - so erklärt es ein Forscher des Cranach-Archivs - gesamtheitlich „auf Wirkung“, was manchmal zu überlängten“ Figuren führe. In einem der Schlüsselwerke, das als erste „weltliche“ Aktdarstellung gilt, die „Venus mit Cupido“ (1509, Eremitage, St. Petersburg) werde die Eleganz der Konturlinien erkennbar. Cranach habe immer wieder gleiche Darstellungen variiert, oft auch ihre Wirkung und Markttauglichkeit zuerst in Holzschnitten erprobt. Wie nachhaltig Cranach das Bild von Reformation und der „Ikone Luther“ bis heute geprägt hat, zeigt nicht nur das „digitale Gemälde“ Herr Martin. Cranachs gut organisierte Werkstatt mit optimierten, arbeitsteiligen Verfahren garantierte Qualität. Sie trug zur schnellen Verbreitung des Reformationsgedankens in Deutschland und Europa bei, insbesondere durch Flugblätter und Druck-Grafiken. Gefragt, welchen Einfluss Cranach auf die Moderne Kunst habe, lädt Luther die Maler-Gattin zum Transfer der Renaissance in die Jetzt-Zeit mit aktuellen Bildverfahren ein. Dort greift Andy Warhol das Prinzip“ serielle Kunst für alle“ auf und lässt in seiner „Factory“ das „Porträt einer Frau (nach Cranach)“ in mehreren Abzügen drucken (1984, 1985). Leila Pazooki ließ für ihr Projekt Fair Trade ca. 100 Kopisten aus der chinesischen Stadt Dafen Cranachs "Justitia" (1537) abmalen. Hermine sieht es an der großen Bilderwand - nur die Cranach-Werkstatt hätte Cranachqualität produzieren können. Otto Dix dagegen setzt das Motiv der ungleichen Paare -alter Mann und junge Frau - drastisch-grotesk um. Es finden sich Cranachs „Quellnymphen“ (Paloma Varga Weisz), die „Marken“ Cranach und Luther (Lovis Corinth), die manierierte Pose der Venus (Paul Wunderlich) und ein Stehender weiblicher Akt (Mariá Blanchard, gemalt 1912/14). Modifikationen des Cranach-Motives des Sündenfalls finden sich in Arbeiten von Marcel Duchamp, Man Ray und Sturtevant. In Pablo Picassos Lithographien David et Bathsabée (1947-49) und Vénus et l´amour d´après Cranach (1949) entdeckt Hermine Müller Einflüsse des französischen Malers auf die Kunst der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wenn er male, so Picasso (1881-1973), ständen die Künstler der Vergangenheit hinter ihm. Er kommentiert die Schau zusammenfassend für Luther und Hermine am Beispiel seines Ölbildes Vénus et l´amour, 13.12.1968: es gebe eigentlich sehr wenige Themen. Sie würden von der ganzen Welt wiederholt. Er erläutert: „Venus und Amor wird zur Madonna mit dem Kind, dann zur Darstellung einer Mutterschaft, aber es bleibt immer dasselbe Thema.“[3] Herr Martin an Rhein und Ruhr im Ruhrmuseum EssenDer Reformator und die Pfälzerin besuchen einen weiteren Höhepunkt des Lutherjahres, die Schau "Der geteilte Himmel" im Ruhr Museum Essen. Luther selbst war bis dahin nie ins Ruhrgebiet gefahren. Doch er ist neugierig auf die große kulturhistorische Zeitreise, die von der Reformation im späteren Kohlenpott seit dem späten Mittelalter bis hin zur zunehmenden Industrialisierung erzählt. Unter den rund 800 Objekten der Sachkultur entdeckt Luther sein „Markenzeichen á la Cranach“ auf einer Reformationsbroschüre (Dr. Martin Luther. Unser Reformator, Paul Kaiser, Bielefeld und Leipzig: Velhagen & Klasing, 1917). In den zehn Kapiteln, die viele Religionen unter einem Zechen-Dach in Dialog untereinander und mit unterschiedlichsten Besuchern bringen, finden sich Gemälde der frühen Neuzeit aus Bonn und Utrecht, Ikonen aus dem Essener Domschatz oder eine arabisch-muslimische Kanzel. Es finden sich Themen wie Tod und Jenseits, Bildung, Propaganda und Klangwelten. Wie sei es gelungen, fragt Hermine, dass sich die Kumpel im Schmelztiegel unterschiedlichster Religionen und Ethnien „unter Tage“ unbedingt aufeinander verlassen konnten? So genau wisse er es nicht, antwortet Luther. Es sei aber sicher ein Zeichen für die lebendige Kraft des Glaubens, der die Menschen einig und stark mache füreinander - nicht gegeneinander. Sehenswert und erlebenswert! Literatur / Ausstellungen:
Anmerkungen[1] Zur Person von Hermine Müller s. www. theomag.de/98/bws13. Zur aktuellen Debatte über Luther, bzw. Wittenberg als „Laboratorium der Reformation“ s. a.: Christian Geyer, Wittenberg und die Reformation. Wie Luther seine Stadt auf Linie brachte, F.A.Z., 24.03.2016. [2] vgl. hierzu Werner Hofmann (Hrsg.), Luther und die Folgen für die Kunst, Katalog der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle, 1983. [3] Nach Ausst.-Kat. Lucas Cranach der Ältere, Museum Kunstpalast Düsseldorf, 2017, S. 309. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/107/bws17.htm |