Avantgarde |
Trilliarden von Ingrid LausundEin Todesreigen über die Unsterblichkeit der SeeleHans-Jürgen Benedict Angst vor dem Tod hat jeder Mensch. Es ist die Angst in der Unendlichkeit für ewige Zeiten verloren zu gehen. Die Angst vor dem Ende des Bewusstseins, vor dem Verschwinden im Nichts, vor der ewigen Verlorenheit, theologisch ausgedrückt. Jeder weiß, dass dieses Ende kommt und verdrängt es doch immer wieder. Sterben tun immer nur die anderen. Kann man über diese Angst vor dem finalen Verlorengehen ein zeitgenössisches Theaterstück schreiben? Ja man, nein Frau kann. Ingrid Lausunds neues Stück Trilliarden wurde Ende Februar im Deutschen Schauspielhaus uraufgeführt, in der Regie der Autorin und mit dem Bühnenbild und den Kostümen von Beatrix von Pilgrim, viel bejubelt und wird seitdem vor ausverkauftem Haus gespielt. Ein luftiger Gazevorhang schwebt elegant in den Bühnenhintergrund und gibt den Blick frei auf eine von oben beleuchtetet und von Nebeln durchwaberte leere Bühne, die sich dreht und auf der SchauspielerInnnen und Sänger in beigen Kostümen im Kreis gehen. Sie führen Bewegungen aus, geben Geräusche, Worte von sich, wechseln die Kostüme und fangen schließlich an zu reden. Zunächst noch unzusammenhängend, dann in ganzen Sätzen. Es geht um Lebenssinn, um Glauben und Unglauben, um Lebensentwürfe, Ängste, Rettungsfantasien, um Leben und Tod, die Seele und den Körper und das bisschen Zeit, das wir auf Erden haben, bis wir davon müssen. Sechs Protagonisten sind es zunächst. Da ist die Mutter (Angelika Richter), die ihren Kindern die christliche Heilsbotschaft erklären will, wie das mit dem Sündenfall ist, dass Gott seinen Sohn schickt, damit er unsere Strafe trägt, indem er gekreuzigt wird usw. Anrührend ist das, wie sie sich bemüht die kirchliche Dogmatik einem Kind zu erklären, dann aber entsetzt ist, als ihre Tochter einen Muslim liebt. Ebenso die Frau, die vom Tod ihrer Mutter berichtet, die ihr immer wieder erscheint und kontrollierend in ihr Leben eingreift. Der Überängstliche (Sebastian Reiber) tritt auf, der vor allen möglichen Krankheiten Angst hat und im Broccoli-Essen ein Allheilmittel sieht. Immer wieder fallen Sätze „Mein Bekenntnis ist, dass ich feige bin, mein Glaube ist, dass Angst mehr vermag als Liebe, das Böse stärker als das Gute und eine Hölle realistischer als Hoffnung ist.“ Dann der weißgekleidete fernöstliche Sinnsucher (Michael Wittenborn), der unter der Kritik der Umwelt an seiner Spiritualität leidet, der Wurschtige (Bjarne Mädel), der alles hinnimmt und auf einmal von einer Glaubenskrise befallen wird, ins Kloster geht, bis ein Arzt feststellt, es ist nicht Gott, der ihm Probleme bereitet sondern eine Unterfunktion der Schilddrüse, nicht Meditation im Kloster, sondern ein bisschen Jod hilft. Schließlich der Skeptiker (Michael Weber), der alle Probleme technisch angeht. Dieser Reigen von durchschnittlichen Lebensläufen und Macken dreht sich unterhaltsam, mal ernst, mal heiter, eine gute Stunde lang, Konflikte spitzen sich zu dazwischen SängerInnen in fantasievollen Kostümen, bis auf einmal die Bühne wie leergefegt ist und eine kleine ältere Frau (Juliane Koren) auftritt und zu einem großen Monolog ansetzt. „Angenommen mal, ich habe eine Seele, die nach dem Tode ins Jenseits schwebt, ist in der Seele dann noch mein Ich mit dabei? Und angenommen mal, mein Ich ist da noch mit dabei gehören zu dem Ich auch noch Gefühle und Empfindungen? Und angenommen mal, es gäbe noch Gefühle, postmortal, zum Beispiel Freude, dann wäre es auf jeden Fall ja einen Freude ohne Glückshormone …“ Es ist dies eine Mischung von Hamlets Sein oder Nicht-sein-Monolog, Kants Verteidigung der Unsterblichkeit der Seele, Lessings Ringparabel, Luckys grotesker Gottsuche aus Becketts Warten auf Godot - eine große theologisch-philosophische Rede von einer halben Stunde Länge, in der sie stoisch die Fragerei immer weiter treibt. „Entweder kann nur ein einziger Glaube wahr und richtig sein, oder alle können wahr und richtig sein. Auch ein 20000 Jahre alter Froschgott, der aus seinem Sperma die Welt schafft.“ Bis sie schließlich zum Irrsinn der Glaubenseiferer kommt und abtritt. Noch einmal der Reigen der Sänger, die ein Lied anstimmen. Auftritt der Fernöstliche, der auf das Lied schimpft und dann eine neue heilige Schrift propagiert, deren erster Satz lauten soll: „Im Anfang war die Güte Lachen, Leichtigkeit und ein großes kühles Glas Bier.“ Viele Lacher und Vorhang. Lausunds Stück changiert gekonnt zwischen Komik, Verzweiflung und theologisch-existentiellem Diskurs. Luthers Frage nach dem gnädigen Gott, auch Kants Was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich hoffen werden abwechslungsreich, lebensweltlich und ernsthaft traktiert. Ein doch weithin säkularisiertes, kirchlich distanziertes Publikum hört aufmerksam zu; die Lacher werden weniger, ebenso die Kalauer auf der Bühne. Lausund gelingt es, die berühmten Sinnfragen Wozu bin ich auf der Welt? und Was kommt nach dem Tod? dramatisch aufzubereiten ohne in postmoderne Juxerei zu verfallen. Das ist, obwohl nicht so gemeint, in gewisser Weise auch ein Beitrag zum Reformationsgedenken 2017. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/107/hjb58.htm |