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Inside the Palace of living ArtBill Viola in Hamburg - Von der Religion zur KunstAndreas Mertin Die Ausstellung in den DeichtorhallenWer die Hamburger Deichtorhallen im Juni und Juli 2017 betritt, der erlebt sie in einem Zustand, der ungewöhnlich für diesen der Präsentation zeitgenössischer Kunst gewidmetem Ort ist. Die Räume sind verdunkelt und nur Paneele für die Videokunst spenden Licht für die räumliche Orientierung. Erst wenn sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, kann man sich sicher durch den Veranstaltungsort bewegen. Das liegt in der Logik der Präsentation der Arbeiten von Bill Viola, der ja schon in San Gallo in Venedig extra einen Vorbau vor die alte Kirche erstellen ließ, damit der Besucher ganz in die Dunkelheit der Inszenierung eintauchen konnte. Raum 1 Im ersten Raum der Ausstellung stößt der Besucher nun auf ein etwa 10x6 Meter hohes Video-Paneel, das den gesamten Raum überragt. Der verdunkelte Raum erzeugt eine Erwartungshaltung wie im Theater bzw. im Kino. Präsentiert/aufgeführt werden in diesem Raum geradezu übergangslos zwei Arbeiten nacheinander: Die Video-Arbeit „Fire Woman“ von 2005 mit 11:12 Minuten Länge und die Video-Arbeit „Tristan‘s Ascension“ ebenfalls von 2005 mit 10:16 Minuten Länge. Die Präsentation beider Arbeiten auf demselben Paneel mag technisch sinnvoll und räumlich geboten sein, aber wirklich überzeugend ist das nicht. Fire-Woman zeigt uns eine Flammenwand, vor der eine menschliche Silhouette aufragt, die nun in einem extremen Hell-Dunkel-Kontrast zu flammenden Bildhintergrund steht. Dass es sich um eine Frau handelt, ist nicht unmittelbar zu erkennen. Ebenso wenig die Konstellation bzw. das Szenario, die das Video voraussetzt. Laut Katalog geht es um eine Vision eines sterbenden Mannes, der noch einmal die Silhouette der geliebten Frau vor Augen hat, die er aber nie mehr körperlich spüren wird und die sich in seiner Wahrnehmung irgendwann erhebt und in ihr eigenes Spiegelbild im vor ihre befindlichen Wasser stürzt. Danach gehen die Wellen allmählich in eine Spiegelung des Feuers und damit in eine abstrakte Lichtdarstellung über. Das Feuer als Bildhintergrund wird ausgeblendet und die Kamera fokussiert sich auf die Wellen. Man ist ja daran gewöhnt, dass vieles in der alten und neueren Kunst erläuterungsbedürftig ist und nicht aus dem wahrgenommenen Bild selbst erschlossen werden kann. Oft hilft in einem Museum schon ein Bildtitel wie etwa „Vision eines sterbenden Mannes“, was einen dann bestimmte Bilddetails erst wahrnehmen und einordnen lässt. Das ist bei „Fire Woman“ nicht der Fall und zwar in einem doppelten Sinne: es gibt keinen derartigen Titel und keine derartigen Bilddetails.[1] Ehrlich gesagt, irritiert mich das. Entweder ist dieser nur via Katalog mitgeteilte Tatbestand für die Bilderfahrung gleichgültig oder aber notwendig; dann aber würde er zum Herrschaftswissen. Es ist ja das eine, ob ein Künstler etwa auf eine allgemein bekannte Geschichte der abendländischen Erzählkultur aufsetzt, etwas anderes ist es, wenn er um den Kontext gar nicht wissen kann. Natürlich muss sich Viola um derlei Aufklärung und angemessene Kontextualisierung nicht kümmern, dem korrespondiert das Recht des Betrachters, sie bei der Bilderschließung und Seherfahrung nicht zu berücksichtigen. Das führt dann aber zu ganz unterschiedlichen Seherfahrungen der Betrachter.[2] Die Arbeit selbst ist natürlich überaus beeindruckend, um nicht zu sagen: überwältigend. Eine wirkliche Angstreaktion stellt sich vermutlich nur für den Betrachter ein, der sich jemals selbst einer Feuersbrunst ausgesetzt sah. Ansonsten hat das Ganze eher etwas Ästhetisches und zwar nicht im Sinne des Erhabenen, sondern eher im Sinne des Kunstschönen. Noch interessanter wird es nun bei der zweiten auf dem Großpaneel gezeigten Arbeit „Tristan’s Ascension“. Hier kommt Viola in einem gewissen Sinne zu sich selbst, zur Idee des Gesamtkunstwerks, zu Richard Wagner, zur Kunstreligion des 19. Jahrhunderts. Wir sehen einen auf einer weißen Platte liegenden weiß gekleideten Körper, über dem sich der schwarze Raum öffnet. Nach und nach erheben sich Regentropfen aus dem Körper und steigen nach oben. Aber es bleibt nicht bei Regentropfen, ein tosender Wasserfall zerrt am Körper des Liegenden und reißt ihn schließlich in die Höhe. Auch hier informiert uns Katalog, dass wir auf der Erhebung einer Seele eines Verstorbenen beiwohnen. Tun wir das? Und sehen wir wirklich die Erhebung der Seele zum Herrn oder wohin auch immer? Die christliche Ikonographie hat diesen innerhalb der Narratio des Christentums ja höchst problematischen Akt in der Regel etwas anders dargestellt, nämlich in der Trennung von Leib und Seele. Das ist der Witz etwa der Darstellung auf dem Sarg der Heiligen Elisabeth in der Marburger Elisabethkirche von Konrad Juppe, dass hier die Engel die Seele der Verstorbenen (eine verkleinerte Gestalt der Toten) abholen und in den Himmel tragen. Das Christentum hat immer um dieser Differenz von Auferstehung der Toten und Auferstehung des Fleisches gerungen. Wenn nach dem Tod die Seele vom Körper getrennt wird, wie bekommen die Körper ihre Seele beim Weltgericht zurück? Oder werden körperlose Wesen bei diesem Ereignis versammelt? Dass der gesamte Mensch nach dem Tod erhoben wird, lehrt das Christentum nicht. Was aber erzählt uns das Video von Bill Viola? Nun es erzählt uns von Tristan’s Aufstieg. Raum 2 Ich fasse einmal die nächsten vier Arbeiten als einen Raum zusammen. Sie zeigen uns zunächst „The Greeting“ aus dem Jahr 1995, vermutlich die bekannteste und populärste Arbeit des Künstlers in Europa. Interessant an ihr ist, dass sie heute vor allem unter dem Aspekt der Verlangsamung der Bewegung der Aktanden wahrgenommen wird, während sie doch ursprünglich eine Verflüssigung eines stehenden Bildes gewesen ist. Schon bei dieser Arbeit kann man erkennen, dass Viola eigentlich eine geradezu buchstäbliche Umsetzung dessen ist, was Umberto Eco in den 80er Jahren in seinem Essayband „Über Gott und die Welt“[3] über die Re-Vitalisierung des Mittelalters geschrieben hat. Dass es nämlich jedes Mal darum geht, dass die Herrschenden „die Kluft zwischen elitärer und populärer Kultur durch Einsatz der visuellen Kommunikationsmittel zu überbrücken versuchen. In beiden Epochen räsoniert die Bildungselite anhand der geschriebenen Texte mit buchgläubiger Mentalität, aber dann übersetzt sie die essentiellen Daten des Wissens und die Grundstrukturen der herrschenden Ideologie in Bilder.“(29) Und Eco bleibt nicht bei den intellektuellen Bestrebungen und Analogien stehen, sondern wirft auch einen Blick auf die Kunst: „Zu den Meisterwerken der Rekonstruktionsbemühung (und des Bestrebens, »mehr« zu bieten, also »besser« zu sein) gelangt man indessen erst, wenn diese Industrie der totalen Ikonizität das Problem der Kunst angeht.“(51) Am Beispiel des Abendmahls von Leonardo (aber man könnte durchaus alle große italienische Kunst der Renaissance an dieser Stelle nehmen) zeigt Eco das Bemühen, erhabene Emotionen durch Vergegenwärtigung eines fernen Originals hervorzurufen. Ich variiere einmal seinen Text ein wenig, um ihn auf Bill Viola anzuwenden:
Denn genau darum geht es sehr häufig in den Arbeiten von Bill Viola: Werke der europäischen Kunstgeschichte noch realer, noch präsenter zu machen, nicht nur als Fresko auf der Wand, nicht nur Öl auf Leinwand, sondern wirklich in Bewegung versetzt. Für die „Reise in das Reich der Hyperrealität“ fehlt nur noch die Umsetzung in die Holografie. Die anderen Arbeiten von Viola in diesem zweiten Raum der Ausstellung buchstabieren das bisher Gesagte weiter durch: „Dolorosa“ aus dem Jahr 2000 geht dem Gefühl des Schmerzes nach, „Surrender“ aus dem Jahr 2001 spiegelt das Thema der subjektiven Beziehung, während „Catherine’s Room“ aus dem gleichen Jahr fünf Videosequenzen zeigt, die eine allein lebende Frau bei verschiedenen Ritualen zeigt. Raum 3 Im dritten Raum schauen wir auf „The Quintet of Astonishment“ aus dem Jahr 2000, einer extrem verlangsamten Dartstellung von Gefühlen durch eine Schauspielergruppe und wieder frage ich mich, warum ich spontan an Niccolò dell‘Arca und seine Beweinung Christi (1463) in Bologna denken muss. Ist es nur das, dass Viola für Kunstbetrachter, die die Bewegung bei Niccolò dell’Arte nicht mehr mitsehen und mitdenken können, die entsprechenden Bilder in Bewegung versetzt. Aber kommt er damit über das hinaus, was Umberto Eco eine Kunst der Bastelei nannte? Raum 4 Den Raum habe ich ausgelassen, ich mag inzwischen keine künstlerischen Inszenierungen mehr, bei denen der Besucher vor epilepsieartigen Anfällen gewarnt wird. Die dort gezeigte Arbeit trägt den Namen „Interval“ und stammt aus dem Jahr 1995. Raum 5 The Messenger von 1996 verkörpert wie kaum ein anders Werk die Faszination, die für Viola vom Wasser ausgeht. Um dieses Element und diese Faszination gerade auch in der religiösen Beerbung verstehen zu können, hilft vielleicht am Besten ein Text des jungen Philosophen Hegel:
Raum 6 Bill Violas so genanntes „Nantes Triptychon“ aus dem Jahr 1992 ist heute meines Erachtens kaum noch adäquat zu rezipieren. In der Zwischenzeit sind wir in den Massenmedien vielfach Zeugen von Geburten und Sterbeprozessen geworden, die visuelle (nicht die reale) Vergegenwärtigung des Werdens und Vergehens ist Teil der Unterhaltungskultur geworden. Das war 1992 natürlich noch nicht so. Damals stieß die Arbeit aber noch auf einige Widerstände und Bedenken. Viola glaubte damals „that in our Western science-oriented culture 'issues such as birth and death no longer command our attention after they have been physically explained', and that it is essential to return to them as 'wake-up calls' with powerful emotional and spiritual effects”. Das ist von der Medienwirklichkeit inzwischen überholt worden. Raum 7 Dieser Raum versammelt zwei durchaus ähnliche Arbeiten des Künstler, „The Innocents“ von 2007 und „Three Woman“ von 2008. Jedes Mal geht es um Transformationsprozesse, um Übergänge und Entwicklungsstadien. Man hat aber auch das Gefühl, immer routinierter würden hier Schemata abgearbeitet. Raum 8 Bleibt schließlich der letzte Raum mit den vier Märtyrer Arbeiten aus dem Jahr 2014, jene Arbeiten, die nun auch in St. Pauls Cathedral hängen: Earth Martyr Air Martyr Fire Martyr Water Matyr. Die vier Arbeiten repräsentieren nach Auskunft des Künstlers „die Leitbilder des Handelns: Tapferkeit, Durchhaltewillen, Geduld und Selbstaufopferung“.[6] Das scheinen mir aber sehr ‚männliche‘ und zudem belastete Leitbilder zu sein ohne dass irgendwie erkennbar wäre, dass Viola hier mit den notwendigen Ambivalenzen arbeiten würde. Vielleicht ist dies die Stelle, an der Violas Arbeiten endgültig ins Konservative und Reaktionäre umschlagen. Die Selbstverständlichkeit, mit der dann in der St. Paul’s Cathedral vor den Videos von Bill Viola Messen für historische christliche Märtyrer gelesen werden können, lässt sich in diese Richtung interpretieren. Von der Religion zur Kunst?Die Kunst von Bill Viola ist eine Herausforderung für jede theologische Theoriebildung, die sich mit dem aktuellen Verhältnis von Kunst und Religion auseinanderzusetzen sucht. Und eine Herausforderung ist vor allem die Gemengelage, die sich dabei zeigt. Tatsächlich treffen wir neuerdings wieder verstärkt auf Künstler, die sich für die christliche Ikonographie der vergangenen Jahrhunderte nicht nur formal, sondern substantiell interessieren. Darin ist Viola beileibe keine Ausnahme.[7] Viola sieht in Pontormos „Heimsuchung“ mehr als nur die Illustration einer Geschichte aus der christlichen Überlieferung, sondern vermutet darin ein elementares Geschehen menschlicher Begegnung und Kommunikation. Ob es aber nicht dennoch vor allem als überraschende in-Bewegung-Setzung alter Kunst wahrgenommen wird, müsste man genauer untersuchen. Und Viola sieht in den Raumdarstellungen der Heiligen Katharina mehr als eine hagiographische visuelle Anekdote, sondern ein substantielles menschliches, ja ein existentielles Geschehen. Auch dieses Modell der weiblichen Form des „Hieronymus im Gehäuse“ ist als solch kontemplatives weniger eines der Gegenwart, als ein wiederbelebtes historisches. Und auch im Emergence (das leider in Hamburg nicht gezeigt wird) geht es Viola nach eigenem Bekunden nicht nur um die Verflüssigung eines historischen Freskos von Masolino, sondern um ein elementares Geschehen der Auferstehung eines Schmerzensmannes aus dem Grab. Viola ist an dem humanistischen, existentialistischen Substrat der zugrundeliegenden Szenen unter Verflüssigung der bildhistorischen Vorlagen interessiert. Ob das mehr sein kann als ein Jurassic Park kunstgeschichtlicher Vorbilder müsste zumindest gefragt werden. Theologiegeschichtlich könnte man Violas Arbeit mit Rudolf Bultmanns existentialistischem Entmythologisierungsprogramm assoziieren, wenn Viola nicht selbst wieder neue Mythen kreieren würde.
Was also ist der nicht-mythologische Kern der Begegnung von Maria und Elisabeth, wenn man sie im Medium der Kunst studiert? Was ist der nicht-mythologische Kern der Auferstehung Jesu im Medium der Kunst? Was ist der nicht-mythologische Kern der meditativen Studien von der Heiligen in der Klause? Freilich laufen die künstlerischen Antworten, die Bill Viola uns präsentiert, allzu oft auf erneute Mythologisierungen hinaus. Und auch die visuelle Überwältigungsstrategie, die Viola in vielen seiner Videos bewusst einsetzt, ist eher noch den romantischen Bewegungen des 19. Jahrhunderts und weniger der Kunst und auch nicht der Theologie des 21. Jahrhunderts verbunden. Kunsthistorisch interessant ist das Nachleben (Nachbeben) der Religion in der Kunst nach der Zweiten Moderne.[9] Es geht bei Viola nicht um bloße Zitationen wie in der Postmoderne, sondern um eine wirkliche Suche nach dem fortdauernd Bewegenden im Medium der Kunst. Sachlich handelt es sich bei Viola weder um eine Profanierung des Sakralen noch um eine Sakralisierung des Profanen, sondern um eine Transformation von Religion in Kunst in einem ganz spezifischen Sinn. Diese Transformation ist aber nicht eine der gesamten Kunst, sondern nur eine einzelner Künstlerinnen und Künstler. Theologisch könnte das dann interessant sein, wenn man nicht nur simpel auf der Suche nach religiösen Restbeständen in der Kunst der Gegenwart ist oder nach Kunstbewegungen, die mit Existentialen arbeiten, sondern darüber hinaus fragt, wo und wie jene emotiven Momente, die die institutionalisierte Religion im Mittelalter und in der frühen Neuzeit mitbearbeitet hat, heute in der Kultur bearbeitet werden. Viola meint, diese Frage nur unter Rückgriff auf die historischen Bildwelten beantworten zu können. Dagegen würde ich meinen, dass es hier nicht nur in der Medienkunst andere Möglichkeiten der Beantwortung gibt. Und Theo-ästhetisch ist daran interessant, dass zunächst geklärt werden müsste, ob es sich bei dem, was Viola hier an emotiven Momenten in Bewegung setzt, überhaupt um Religion in irgendeinem qualifizierten und nicht nur oberflächlichen Sinn handelt (wenn man nicht gleich jede Gefühlsregung für Religion hält). Wenn man hier zu einem positiven Urteil kommt, dann wäre aber auch zu fragen, ob die Musikvideokultur der letzten 30 Jahre nicht überzeugendere Inszenierungen geliefert hat. Man könnte etwa an die Verflüssigungen kunsthistorischer Vorbilder durch die Gruppe REM in „Losing my Religion“ oder an Metallicas „Until it sleeps“ denken. In beiden Fällen ist das Ergebnis nicht nur massenkulturell überzeugender. Es sei denn, man hält Pathos für eine besonders wahrhaftige Form der Annäherung an Religion. Aber auch da wäre man bei der Kunst der Gegenreformation besser aufgehoben als bei Bill Viola. Bleibt als spezifische Differenz die Frage nach der Kunst. Also eben doch die nach dem Kunst-Charakter der ausgestellten Werke jenseits aller wirkungsästhetischen Momente. Bei der Mehrzahl der frühen Werke von Viola hätte ich diese Frage positiv beantwortet. Inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher. Wenn es eine wahrnehmbare Grenze zwischen Kunst und Effekt-Kunst gibt, dann hat Viola sie nicht nur einmal, sondern zu oft überschritten. Religionspolitische NachbemerkungBleibt schließlich noch eine wichtige Frage. Was hat Bill Viola mit der Reformation zu tun? Sagen wir es klar und deutlich: Wenig bis gar nichts. Und deshalb legitimiert auch wenig bis gar nichts den Umstand, dass sich die Ausstellung der Hamburger Deichtorhallen im Bugdet-Posten für die Reformationsfeiern bedient. Logisch wird das erst, wenn man schon immer eine Bill-Viola-Ausstellung machen wollte, die Gunst der Stunde nutzte, Viola zu einem religiösen Ereignis erklärt und sich im Topf der Kulturstaatsministerin bedient. In der Sache verbindet Viola und die Reformation wenig. Da wäre es plausibler gewesen, eine Pablo Picasso Ausstellung zu machen oder eine Andy Warhol Ausstellung, die sich ja nun mehrfach mit dem protestantischen Bildsujet auseinandergesetzt haben (Vgl. die Ausstellung Marke Cranach in Düsseldorf). Die romantische Kunstreligion wurde vor allem von den katholisierenden Romantikern betrieben. Die von Viola aus dem christlichen Bildfundus übernommenen Bilder stammen alle aus dem dezidiert katholischen Fundus. Und ansonsten lassen sich vor allem buddhistische Motive bei ihm beobachten. Es ist vermutlich auch kein Zufall, dass das Ausstellungs-Begleitprogramm katholisch geprägt ist, sieht man einmal vom Gottesdienst der Hamburger Bischöfin ab, der eher ein unnötiger Rückfall in den Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts ist. Auf Martin Luthers Ästhetik kann sich Viola nicht berufen, diese geht wie die Magnifikat-Auslegung zeigt eher mit der niederländischen Kunst zur Entdeckung des Alltäglichen und könnte programmatisch über die Ready-Mades von Marcel Duchamp bei der Kunst der documenta 14 landen. Der einzige Anknüpfungspunkt wäre die Subjektivierung der Religion im Gefolge des Protestantismus, die aber eher eine Leistung des späteren Pietismus als eine notwendige Folge der Reformation ist. Warum also nicht eine Großausstellung des Fotografen und Filmemachers Anton Corbijn, der sein Schaffen dezidiert unter das Etikett „protestantisch“ fasst? Eine derartige Ausstellung hätte gezeigt, dass die Macher nicht nur etwas von Kunst, sondern auch von Theologie und Kirchengeschichte verstehen. So aber wirkt das Logo Luther2017 etwas willkürlich auf die Ausstellung geheftet. Während Werner Hofmanns berühmte Ausstellung „Luther und die Folgen für die Kunst“ noch ins Herz des Protestantismus zielte und dessen Theoriebildung in Sachen Kunst und Religion gravierend beeinflusste, da ist Violas Ausstellung in den Deichtorhallen nur ein ökonomisch bedingter Mitnahmeeffekt. Ein Erkenntnisgewinn in Sachen Protestantismus ist damit nicht verbunden. Aber warum sollte sich der Ausstellungsmacher Luckow darum Gedanken machen, wenn die Ausstellung von Gilbert & George in der Matthäuskirche in Berlin zeigt, dass es die protestantischen Kunstaussteller auch nicht besser machen.
Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am574.htm |