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Da hilft auch kein BetenVorstellungen ausgewählter Videoclips LIAndreas Mertin Kesha Praying 2017Ehrlich gesagt bin ich kein Fan der Musikvideos, die Jonas Åkerlund produziert mit Ausnahme des frühen Videos „Smack my bitch up“ der Gruppe „The Prodigy“. Aber die Stars der Pop-Musik lieben und beauftragen Åkerlund und so stößt man immer wieder auf Musikvideos aus seiner Hand. So auch in diesem Fall, dem Video zu dem jüngst erschienenen Stück „Praying“ von Kesha, vormals Ke$ha. Berühmt geworden ist sie nicht nur als Background-Sängerin von Paris Hilton oder Britney Spears, sondern auch mit einem Party-Hit mit dem Titel „Tik Tok“. Dann geisterte sie durch die Yellow-Press mit diversen Anschuldigungen gegen ihren Produzenten Dr. Luke, bei denen man bis heute nicht weiß, ob sie substantiell waren oder nur den Versuch darstellten, aus einem Knebel-Vertrag herauszukommen. Zumindest das Body-Shaming, das sie ihm vorwarf, scheint nachweisbar zu sein. Dennoch endete der Prozess im letzten Jahr mit der Abweisung der Klage.
Letztlich scheint es mir im Liedtext darum zu gehen, doch noch in allem Recht zu behalten, wenn schon nicht vor Gericht, dann doch vor der Welt. Die Umsetzung ins Video durch den Regisseur Jonas Åkerlund arbeitet nun mit all dem unerträglichen religiösen Kitsch, den die amerikanische Seele so hergibt und den man schon bei Lady Gagas Judas beobachten konnte. Es ist die religiöse Selbstverklärung schlechthin und es ist Synkretismus pur. Das Video ist gerade auch in der Verbindung mit dem Liedtext und seinem Anlass - ein Paradebeispiel dafür, was Karl Barth als Religion bezeichnet hat.
Nun, wenn man im Sarg liegt, kann man sich solche Fragen schon stellen.
Das sind so die großen Fragen, die sich Party-Girls stellen, wenn es ihnen mal schlecht geht und sie sich mies fühlen. Wie sich die Gottesfrage für die Saturierten vor allem stellt, wenn es mal nicht so richtig läuft (außer den Millionen $ auf dem Konto natürlich). Als nächstes fährt die Kamera in das dramatisch geöffnete Auge der Sängerin und dem Betrachter wird klar: das Intro ist vorbei und das eigentliche Musikstück beginnt. Eine Minute dauerte das etwas zu melodramatisch geratene Einleitungsstück, schlechtes(tes) Theater würde ich sagen und man hofft, es würde nun besser werden. Wird es aber nicht.
Meine Vermutung lautet, dass Jonas Åkerlund hier ein Motiv des früh verstorbenen Jean-Michel Basquiat aufgreift, der 1981 einen gefallenen Engel mit Dornenkrone gemalt hatte. Dafür spricht, dass ansonsten die Kombination von Dornenkrone und Engelsflügel eher ungewöhnlich ist und Basquiat sich erkennbar mit der Figur identifiziert, so wie Kesha mit ihrer. Und vor allem ist Basquiats Motiv in Amerika derart populär, dass es mehrfach gecovert wurde. Wenn das zuträfe, dann müsste man auch in Betracht ziehen, dass Kesha sich als gefallener Engel sieht.
Auch die eben gesehene Holzhütte mit dem Klavier ist ein Bestandteil dieser Fluchtorts für Zivilisations-Nomaden, sie gehört offensichtlich zum dortigen ‚Künstler‘-Projekt East Jesus. „Slab City ist der einzige Ort, wo du willkommen bist, wenn keiner dich mehr haben will“ sagt einer seiner Bewohner.
Der See dürfte auch jener sein, auf dem Kesha am Anfang des Musikvideos auf der Planke treibend gefilmt wurde, ein Motiv, das in der Mitte des Musikvideos wieder aufgegriffen wird. Kesha kommt auf ihrer Planke nach und nach zu Bewusstsein (sie erwacht aus ihrer Totenstaare) und wir sehen sie dann sich nach und nach aus ihren Verstrickungen lösend (aber immer noch von den Männer-Schweinen verfolgt).
Nun fließen noch dunkle Tränenbäche aus ihren Augen, im kalifornischen Salzsee taucht ein Wal auf und schwingt seine Flosse, nachdem Kesha sanft über seine Haut gestreichelt hat. (Madonnas Video „Cherish“ unter der Regie von Herb Ritts lässt grüßen).
I hope you're somewhere prayin', prayin' Das ist wirklich die ultimative Anleitung zum ungläubig werden. Im Video freilich erscheint die apokalyptische Drohung, dies sei doch tatsächlich erst der Anfang vom Ende. Man könnte nun meinen, Jonas Åkerlund würde das alles halbwegs aufklärerisch unter „bitterböse Ironie“ abheften. Aber es spricht wenig für diese optimistische Deutung. Es ordnet sich vielmehr in einen Retrokult ein, der die gesamte Popszene erfasst hat. Dass er nun noch fundamentalistisch religiös unterfüttert wird, mag einen befremden, überrascht aber nicht wirklich mehr. Aber dass das Ganze in der amerikanischen Pop-Kritik als gelungener Feminismus gedeutet wird, macht einen nur noch fassungslos. Dan Weiss von Billboard nannte es “by some distance the most serious and emotionally overpowering work [Kesha] has ever released." Und Maria Shermann schreibt über die Location, die den Hintergrund des Videos bildet: "It’s the perfect backdrop for the song, [with its] bright, colorful bible verses painted on neon adobe in the Colorado Desert in California. It’s an unexpected place to find hope, mirroring Kesha’s move from desolation to empowerment." Es bedarf offenkundig nicht erst eines Donald Trump, um am amerikanischen Urteilsvermögen große Zweifel zu bekommen. Kid Rock Po-Dunk 2017Womit wir auch gleich beim zweiten vorzustellenden Video wären. Man fragt sich ja, ob es neben der einschlägig bekannten Alkoholikerin Lindsay Lohan noch andere „Künstler“ in Amerika gibt, die Trump unterstützen. Aber natürlich. Am 20. April besuchten Sarah Palin (nein, das ist keine Künstlerin), Ted Nugent und Kid Rock den 45. US-Präsidenten im Oval Office. Und Mitte Juli 2017 gab Kid Rock dann bekannt, dass er 2018 als republikanischer Senator für Michigan kandidieren wolle. Und passend dazu veröffentlichte er ein Musikvideo seines neuesten Stücks „Po-Dunk“, in dem er nicht nur zeigt, was er vertreten möchte, sondern auch, auf wen er sich dabei verlässt. Na, darauf freuen wir uns jetzt schon.
Menschen, die im Elend leben, dies aber gar nicht wahrnehmen, sondern für gelingendes Leben halten.
Und in der Rassenfrage habe er auch andere Einstellungen, denn einige seiner Musiker sind Farbige. Mit Donald Trump einig dürfte er sich wiederum in der Waffenfrage sein, hier macht er ungeniert Werbung für die Waffenindustrie. Aber auch das bleibt zumindest im Video ambivalent. Wie man überhaupt an keiner Stelle des Videos wirklich weiß, ob Kid Rock hier den ungezügelten Hedonismus bloß gutheißt oder ihn nicht doch (und sei es unfreiwillig) karikiert etwa wenn die hochschwangere Frau (Momma looking good in some jeans all ripped / Got a baby in her belly and a baby on her hip) Zigarette raucht. Warum auch nicht. Noch mehr schaden kann’s ja nicht.
Da kann man nur sagen: Amen. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am601.htm |