documenta 14 |
Die TorwacheVerwandlungenAndreas Mertin Beide oben abgebildeten Bilder sind in einer gewissen Hinsicht „irreale“ Bilder. Das obere ist der aus realpolitischen Gründen nicht vollständig realisierte Entwurf des Wilhelmshöher Tors von Heinrich Christoph Jussow aus dem Jahr 1805. Infolge der Errichtung des französischen Satellitenstaates ‚Königreich Westphalen‘ durch Napoleon Bonaparte wurden die damals bereits begonnenen Bauarbeiten unterbrochen, so dass nur das rechte und linke Gebäude realisiert wurden, die Basis eines documenta-Kunstwerks wurden. Zuvor beherbergten sie zeitweilig das Kupferstichkabinett, und zu anderen Zeiten wohnten hier die Gebrüder Grimm. Das Wilhelmshöher Tor bzw. die Torwachen markieren den Übergang von Wilhelmshöhe zum Inneren der Stadt Kassel liegen also an der von der Schneise, die durch die Blickachse von Herkules aus über Schloss Wilhelmshöhe zum Stadtzentrum gezogen wird. Historisch wären sie jene Stelle, an denen Stadtzölle und dergleichen erhoben worden wären. Insofern ist ihre Wahl für die Platzierung eines Documenta-Kunstwerks überaus logisch. Das untere Bild zeigt die temporäre Verhüllung der Torwache durch den Künstler Ibrahim Mahama während der documenta 14 in der Perspektive von der Wilhelmshöher Allee Richtung Brüder-Grimm-Platz und Innenstadt. Ibrahim MahamaDer Künstler ist bekannt für seine Überkleidungen städtischer Bauten mit für Kaffee oder Kakao genutzten gebrauchten Jutesäcken. 2015 hatte er auf der Biennale in Venedig eine große Installation am Arsenale. Ich hatte ihn 2015 auch schon mit einer Innen-Installation im K21 in Düsseldorf gesehen. Festhalten muss man daher, dass nicht die Verwendung der Materialien und die Art ihrer Nutzung das Besondere in Kassel ist/sein kann, sondern die Wahl des Ortes. In Düsseldorf hatte das Museum zu seiner Arbeitsweise geschrieben:
Das muss nun zusammengedacht werden mit der Wahl des Ortes in Kassel, die Ibrahim Mahama vorgenommen hat. Dabei hat der Künstler weniger auf die ursprüngliche historische Bestimmung des Ortes rekurriert als vielmehr auf die jüngste.
Vor Ort freilich werden die wenigsten Documenta-Besucherinnen und -Besucher um den historischen Kontext wissen, sondern vor allem auf die Oberfläche reagieren, die von der Umgebung gravierend abweicht. Es sind vor allem Markierungen von Alterität, die Ibrahim Mahama hier einträgt. Meines Erachtens kann man die Arbeit aber durchaus in ihrer ganz konkreten Sinnlichkeit rezipieren, ihre verstörende Fragilität, ihr Arte-Povera-Charakter. Darin ist sie den Gebäuden, die sie bedecken, intentional vollständig entgegengesetzt und das ist ihr Reiz. Oskar HansenInnerhalb des südlichen Gebäudes findet der Besucher dann noch einige Kunstpositionen. Verwandt mit der äußeren Gestaltung ist vielleicht noch die Dokumentation des Entwurf für ein Denkmal für die Opfer des Faschismus in Auschwitz-Birkenau von Oskar Hansen aus dem Jahr 1957. Es ist ein Entwurf, der sich dadurch auszeichnet, dass er das gesamte Lager als Monument begreift:
Es ist sicher ein Verdienst der documenta-Leitung, noch einmal diesen eindrücklichen Entwurf eines Anti-Monuments in Erinnerung gebracht zu haben. Mir persönlich war es bisher nicht bekannt. Anmerkungen[2] Kunstforum International Band 248, 2017, Titel: documenta 14 Gespräche, S. 450. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/am602.htm |