documenta 14 |
Yesterday - TomorrowAus der Zeit nach der ZeitBarbara Wucherer-Staar Yesterday is but today's memory, and tomorrow is today's dream. Einer baut einen Turm aus Stühlen, einer drechselt Bleistift (Grafit) minen, einer legt Röhren aus, einer verschraubt Acrylglas mit PVC, eine ent-festigt Erde + Stahl. Eines verbindet ihre Skulpturen, Installationen und Interventionen in der Thermenruine auf dem Viehmarkt in Trier - das so genannte „Gedächtnis des Materials“. Ein erster Blick durch den Glaskubus, den der Architekt Oswald Mathias Ungers über das menschenleere Grabungsareal setzte, irritiert. Historisch gesichertes Wissen über das Balneum, eine öffentliche Badeanstalt, ein später auf dem Platz gebautes Kapuzinerkloster, einen jüdischen Friedhof, Abwasserkanäle wird durch aktuelle Installationen aus klassischen und modernen Materialien nachhaltig in Frage gestellt. Inspiriert von der Idee des arabischen Dichters Khalil Gibran (1883-1931) - das Gestern ist die Erinnerung von Heute und das Morgen der Traum von Heute - lud die Bildhauerin Madeleine Dietz die Künstler Benjamin Appel, Sebastian Kuhn, Jan Schmidt und Jo Schöpfer in das historische Szenario ein. Im Dialog mit dieser Idee entwickelt diese bunte Gruppe eine im globalen wie lokalen verankerte künstlerische Sprache. Sie finden unterschiedliche Formulierungen und Interventionen. In den Raum hinein montieren und erfinden sie aus vertrauten Versatzstücken (erinnerten, tradierten und vorgefundenen Relikten) stets neue Sichten für die Gegenwart des Zusammenlebens in einer zunehmend mobilen Gesellschaft. Mit den für ihr Werk typischen, prägnanten und symbolträchtigen Materialien, fester, geschmiedeter Stahl (Beständigkeit und Schutz) und dem Schüttmaterial Erde (Prozesse des Werdens und Vergehens) eröffnet die Bildhauerin Madeleine Dietz (*1953) ein weites Feld für Assoziationen. Ihre neuesten Arbeiten thematisieren das Phänomen der „Ent-Festung“. Zuverlässig geglaubte Materialien geraten aus der stabilen Balance und vertrauten Ordnung (Was oben war wird unten sein …, 2017). Spielerisch kombiniert Benjamin Appel (*1978) Möbel und andere bekannte Wohn-Module neu. Etwa wenn er aus übereinandergestellten Stühlen (Metall, Holz und Betonputz) ein riesiges Vogelhaus im Zimmer“ (2015) baut oder mit Regalen in den antiken Relikten Keller und Küche (2014) einrichtet. Sebastian Kuhn (*1977) hingegen experimentiert im Spannungsfeld von Anthropologie, Alltagsobjekten und aktuellen Materialien. Es entstehen poetisch-dynamische Montage-Objekte und Installationen, die den Betrachter zu eigenen, vielleicht fröhlichen Erzählungen - über das Bekannte hinaus - ermuntern (transcendental device, 2012; Dèjà-vu, 2008). Jan Schmidt (*1973) erarbeitet in geduldiger, tagelanger Feil- und Feinarbeit sehr kleine Stelen aus Graphit, die wie ornamentierte Pfeile oder kleine Raketen auf einem Feld aufgestellt sind. Natürlich entstandene Salzlecksteine, die von ihm in Bronze gegossen wurden, erinnern an Fossilien (Elch, 2014). Jo Schöpfers (*1951) zeitlos wirkende Werkstücke (z. B. Röhren - ohne Titel, 1982), können wie Module immer wieder neu bodendeckend, Raum aus- oder Raum eingrenzend zusammengefügt werden. Derart spielerische, fragmentarische, ironisch-heitere oder handfeste Interventionen in die „archäologische Vitrine“ fordern den Betrachter zu einer Zeitwanderung auf, mit Kopf, Augen und Fuß. „Nur vertraut mit dem Überliefertem aus der Vergangenheit“, so Dietz, „können wir im Dialog mit der Gegenwart eine Verpflichtung für die Zukunft eingehen“. Yesterday Tomorrow, Künstlerische Interventionen in den historischen Raum, Thermen am Viehmarkt, Trier, 1. 8. bis 17. 9. 2017. Zur Ausstellung erscheint ein Begleitheft. http://www.zentrum-der-antike.de/monumente/thermen-am-viehmarkt/die-thermen-am-viehmarkt.html http://www.madeleinedietz.de/trier-thermen-am-viehmarkt-yesterday-today-tomorrow/ |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/108/bws18.htm |