Das Abendmahl in der Kunst

Eine visuelle Reise - 1. Von den Katakomben zur Buchkunst - Die ersten 1200 Jahre

Andreas Mertin

Katakomben 200-300

Wann beginnt die Bild-Geschichte des Abendmahls? Darüber streiten die Experten. Das nebenstehende ‚eucharistische Symbol‘ könnte durchaus auf das von den frühen Christen gefeierte Abendmahl anspielen, ist aber keine Darstellung desselben. Es ist ein komprimierter zeichenhafter Hinweis auf den Glauben dessen, der dieses Zeichen anbringen ließ.

Die Voraussetzung seiner angemessenen Lektüre besteht darin, dass der jeweilige Betrachter nicht nur um Brot und Wein als konstitutive Elemente des Letzten Mahls weiß, sondern auch die Buchstaben des Wortes Fisch als Akrostichon für Jesus Christus deuten kann: ησοῦς Χριστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ = Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser.

Spätestens seit der Wende vom zweiten zum dritte Jahrhundert muss die Formel unter Christen so gebräuchlich gewesen sein, dass sie auch in den Katakomben Verwendung findet, wie auf diesem Bild aus der Calixtus-Katakombe. Allerdings kann die Zusammenstellung ebenso gut auf die wundersame Brotvermehrung durch Jesus Christus bezogen werden. Oder auf Johannes 6, 35: „Jesus sagte ihnen: ‚Ich bin das Brot des Lebens; alle, die zu mir kommen, werden nie mehr hungrig sein, und alle, die an mich glauben, werden niemals mehr durstig sein.‘“ Oder es könnte uns zeigen, dass bei den frühen Christen der Konsum von Fisch konstitutiv zum Abendmahl gehörte. Und das ist nicht einmal unsinnig. Robin M. Jensen verweist in ihrer Studie über die frühe christliche Kunst[1] auf das Epitaph des Aberkios, das u.a. folgenden Text trägt:

„Paulos hatte ich auf dem Wagen, Pistis aber zog mir überall voraus. Und sie bereitete überall eine Speisung: den Fisch von der Quelle, den überaus großen, den reinen, den eine reine Jungfrau gefangen hatte; und diesen gab sie ihren Lieben überall zu essen mit trefflichem Wein; ihn (Fisch) gab sie als Mischwein mit Brot.“[2]

Und sie verweist ergänzend auf das Epitaph des Pektorios, das u.a. folgende Zeilen trägt:

"Iß mit Freud und Verlangen, in den Händen haltend den Fisch.
Herr und Heiland, ich bitte, gib zur Speise den Fisch.“

Schon das sollte einen vorsichtig sein lassen bei der Zuordnung der Bilder zu bestimmten christlichen Themen. Eine ähnliche Problematik der Bestimmung ergibt sich bei folgendem Bild aus der gleichen Katakombe. Wir neigen dazu, dieses Bild aus der Erfahrung späterer Bilder als frühe Darstellung einer christlichen Abendmahlsfeier zu deuten, aber weder ist es eine direkte Darstellung des historischen Letzten Mahles (dafür stimmt schlicht die Zahl der Beteiligten nicht), noch gibt es direkte Indizien dafür, dass hier mehr als ein gemeinschaftliches Mahl dargestellt ist. Allerdings müsste dann erklärt werden, welche Bedeutung diese konkrete Szene in einer Grabanlage hätte haben können. Es gibt Forscher, die diese Darstellung als himmlisches Mahl interpretieren, als eschatologisches oder messianisches Mahl. Andere wiederum gehen schlicht von Festbanketten im Rahmen der Totenverabschiedung aus.

Noch anders (und durch die Bild-Beschriftung zugleich einfacher) ist es bei diesem Bild, das sich in einer Katakombe findet, die mitten zwischen christlichen Katakomben liegt:

In der Wikipedia findet man das Bild abgelegt unter dem Titel Agape-Mahl (Painting of a feast / Early Christian catacombs / Paleochristian art). Das dürfte, wie man schnell merkt, nicht zutreffend sein. Das Bild stammt aus einer synkretistischen Katakombe, dem Grabmal der Vibia, die wir links auf dem Bild sehen. Sie wird hier nach ihrem Tod von einem Engel zum himmlischen Gastmahl gebracht. Zuvor war sie auf anderen Bildern von Pluto in die Totenwelt gebracht worden und vor das Letzte Gericht, um dann in den Himmel aufgenommen zu werden. Im Himmel wird sie dann von Dienern mit Brot, Fisch und Wein bewirtet.[3] Die Verwandtschaft mit den Erzählungen der Christen ist ebenso auffällig wie die Differenzen offenkundig sind.

Man wird daher bei jedem einzelnen Bild aus den Katakomben der Frühzeit prüfen müssen, in welchen konkreten Kontext es gehören könnte. Und selbst bei scheinbar eindeutigen Bildern wird man noch einmal nachfragen müssen, ob die vorgenommene Zuweisung zum Letzten Abendmahl wirklich zwingend ist und von den seinerzeitigen Betrachtern unter analogen Aspekten betrachtet wurde.

The question for interpreters, then, has been why banquet imagery should have been taken up by Christians, and why Christians should have changed the imagery in the ways they did. Four main possibilities have been suggested: that they reproduce particular stories from the Christian scriptures, such as the feeding of the 5,000; that the images are a depiction of an actual or imagined funerary banquet held for the deceased; that the images represent a proto-Eucharist or the communal agapē meal; and that they depict a future, eschatological banquet held in heaven.[4]

Das schreibt Eric C. Smith in seiner an Michel Foucault orientierten Studie über die frühen christlichen Katakomben. Und er hält keine dieser Deutungen für letztlich zwingend, tendiert aber in der Sache für die letztere:

For Christians, the banquets depicted in the catacomb images were eschatological.[5]

Auch das ist natürlich nur eine These (die vielleicht auch vor dem methodistischen Hintergrund des Verfassers zu sehen ist).[6]

Denn auf der anderen Seite wird man davon ausgehen können, dass Darstellungen von einem Gemeinschaftsmahl (mit Fisch, Brot und Wein) ein ganz normaler Topos in vorchristlichen römischen Grabanlagen waren und auch zur Kultur der römischen Totenfeiern gehörten (was wir heute in dieser Form noch selten wahrnehmen). Ein Topos, an den aber die Christen bei ihrer allmählichen Inkulturation in die römische Gesellschaft anknüpfen konnten. Wenn sie Bilder des Abendmahls in den Katakomben platzierten, fiel dies einem nicht-christ­li­chen Römer beim Besuch der Katakomben nicht auf. Trotzdem werden aber auch einem Christen die Konnotationen des Gemeinschaftsmahls im Angesicht des Todes nicht entgangen sein und der eschatologische Aspekt des Abendmahls wird immer eine Rolle gespielt haben.

Ravenna, etwa 520

Eine frühe Darstellung des Abendmahles in einer Kirche finden wir in Ravenna, in der Kirche Sant’Apollinare Nuovo. Datiert werden die Mosaiken an den Anfang des 6. Jahrhunderts. Übrig geblieben von der frühen Symbolik ist hier noch die Zentralstellung des Fischsymbols. Man muss sich freilich auch von der Vorstellung verabschieden, es handele sich um narrative Szenen im mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Sinn. Dafür befinden sie sich innerhalb der Kirche an der völlig falschen Stelle, nämlich ganz oben unter dem Dach, wo sie (ohne Brille und Fernglas) nur schwer einzusehen sind.[7] Das Abendmahlsbild eröffnet die Passionsdarstellungen des Bilderzyklus in Ravenna. Waren bis dahin auf der linken Seite des Kirchenschiffes Szenen aus dem Leben Jesu (ohne Bart) zu sehen, finden wir auf der rechten Seite den Jesus der Passionsgeschichte (mit Bart). Und diese beginnt mit dem Abendmahl.

Aus der Bildkonstruktion an sich kann schon einiges abgelesen werden. Zum einen fällt die herausragende Stellung Jesu auf, der auf den bisherigen Abendmahlsbildern ja allenfalls indirekt erschließbar war. Wir haben es also nicht mit einem Gedächtnismahl der Gemeinde zu tun, sondern mit einer erzählerischen Darstellung der Abendmahlsszene. Jesus sitzt bzw. liegt im Stil römischer Mahlzeiten in eine Tunika gekleidet und mit Kreuznimbus kenntlich gemacht, im Halbkreis mit seinen Jüngern am Tisch. Szenisch steht dabei der Moment des Verrats durch Judas im Vordergrund, welcher von der restlichen Schar der Jünger abgegrenzt wird. Acht Jünger blicken ihn direkt an, drei blicken auf Jesus, der allerdings selbst nicht direkt auf Judas schaut, sondern aus dem Bild rechts am (imaginären) Betrachter vorbei.

Augustin-Gospel, um 600

Die Darstellung des Abendmahls im Augustinus-Gospel ist die erste, die den Kelch in den Mittelpunkt stellt. In den klassischen Büchern zum Thema Das Abendmahl in der Kunst wird dieses Element vor allem isoliert herausgestellt, was irreführend im Blick auf die Gesamtaussage ist. Denn das Textblatt stellt zur Abendmahlsszene auch die Fußwaschung durch Jesus – eine Reminiszenz daran, das im Christentum auch diskutiert wurde, ob nicht die Fußwaschung an Stelle des Abendmahls(!) die richtige Geste zur Vergegenwärtigung Christi sei. Bis ins späte Mittelalter wird diese Reminiszenz festgehalten.

Das Blatt selbst wirkt ein wenig wie eine Echternacher Springprozession. Interessant ist es vor allem Blick darauf, welche Szenen die Auftraggeber im Blick auf die Passion Christi für wichtig hielten. Das Blatt beginnt mit der Auferweckung des Lazarus (1), gefolgt vom Einzug in Jerusalem (2), zwei Bilder die strukturell parallel aufgebaut sind. Es folgt die Fußwaschung nach Johannes 13 (3) unter einem vierarmigen Leuchter, wobei freilich schon der Stuhl Petri hervorgehoben ist. Erst dann folgt die Abendmahlsszene (4) (mit reduzierter Jüngerzahl), in der Jesus das Brot segnet. Danach weicht die Bilderfolge von ihrer bisherige Logik ab – ohne dass dafür ein Grund ersichtlich wäre. Es folgt oben rechts die Szene im Garten Gethsemane (5) und darunter der Bruderkuss des Judas mit den herbeieilenden Soldaten (6). Danach ist zumindest noch die Schwertszene mit Petrus (7) zu erkennen. Die weiteren Bildszenen sind stark beschädigt, zumindest die Geißelung (11) und die Kreuzigung (12) sind erkennbar, auf Szene 9 wird Kaiphas erwähnt.

Es macht wenig Sinn, aus dieser Szenenfolge die Abendmahlsdarstellung als Einzeldarstellung zu isolieren. Sie ist eingebettet in die Abfolge der anderen Szenen. Bemerkenswert ist der Einstieg mit der Lazarus-Szene, die das Geschehen mit einem eschatologischen Gedanken verbindet.

Das Abendmahlsbild selbst zeigt Jesus mit Kreuznimbus (es ist also ein Bekenntnisbild, keine historische Darstellung) umgeben von acht Jüngern. Christus blickt den Betrachter an, kein Jünger ist (sei es als Petrus oder Judas) besonders herausgestellt. Brot und Wein sind stark formalisiert dargestellt. Ob einmal ein Fisch auf dem Teller abgebildet war, ist nicht mehr zu entscheiden, es könnte aber gut sein.

Elfenbeintafel um 800 (oder 950)

Das nebenstehend abgebildete Elfenbeinrelief aus dem British Museum ist deshalb interessant, weil es die bisherigenen Traditionen fortführt und verfestigt.

Die Figur Christi wird dominanter und liturgischer, der Kelch findet seinen hervorgehobenen Platz im Zentrum, die Oblaten erscheinen als markiert und die Figur des Judas wird stärker ausgegrenzt (und mit dem Geldbeutel versehen).

Eine Abbildung eines Fisches findet sich nicht.

Das dominante Messer vor einem der Jünger wird als Hinweis auf die Szene im Garten Gethsemane gedeutet, bei der Petrus einem Soldaten ein Ohr abschlägt.


Perikopenbuch Heinrich II, 1007-1012

Aus der Reichenauer Malschule stammt die nebenstehende Darstellung des Abendmahls und der Fußwaschung. Auffällig hier die Bewegtheit und die räumliche Verteilung der Jünger und die Überlängung der äußeren Gliedmaße.

In der Abendmahlsszene sind drei Jünger aufgestanden und haben Krüge und Trinkschalen herbeigeholt, die restlichen neuen sitzen auf Bänken und Hockern um den Tisch, wobei Judas eine exponierte Stellung vor dem Tisch hat.

Christus ist in dem Moment dargestellt, als er sagt: »Ja, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern – einer, der jetzt mit mir isst ... Einer, der mit mir das Brot in die Schüssel taucht, einer, der zu den Zwölf gehört.« (Mk 14, 18ff.)

Weiterhin finden wir den Fisch in einer Schüssel auf dem Tisch sowie Brot und Kelch, daneben aber auch zwei Messer. Bemerkenswert ist die verkleinerte, geradezu verkümmerte Darstellung des Judas.

Romanischer Maler, Fresko 1080

In der Kirche Sant’Angelo in Formis, Capua, gibt es eine Fülle von Fresken, darunter auch eine Abendmahlsdarstellung samt Fußwaschung (letztere bereits mit dem später so typischen Gestus des Petrus, der auf seinen Kopf verweist).

Es spricht einiges dafür, dass beim Abendmahl eine gewisse Abhängigkeit zum Mosaik aus Ravenna (unteres Bild) besteht, freilich mit bemerkenswerten Differenzen.

Jesus ist etwas stärker herausgestellt, die dominanten Fische sind verschwunden, stattdessen liegt ein Lamm in der Schüssel. Christus hat die Hand zum Segensgestus erhoben, Judas greift als einziger zur Schüssel mit dem Lamm. Er ist aber, anders als bei vielen anderen Darstellungen, mitten in die Jüngerschar eingereiht.

Perikopenbuch um 1140

Nur wegen eines Details sei hier noch auf das Perikopenbuch aus St. Erentrud in Salzburg hingewiesen, das sich in der Bayerischen Staatsbibliothek findet.

Dort reicht der den Betrachter anblickende Jesus dem ihm abgesondert gegenüber sitzenden Judas das Brot.

Und während dieser den Mund öffnet, kann man beobachten, wie entweder ein miniaturisierter Teufel in ihn eindringt oder ein kleiner Teufel seinem Mund entweicht.

Baptisterium Florenz 1240

Mit dem Baptisterium San Giovanni in Florenz erreichen wir den ersten öffentlich-programmatischen Status der Abendmahlsdarstellungen.

Das Bildprogramm eines Baptisteriums ist einer Art visueller Vergewisserung im christlichen Glauben, zumal in jenen Zeiten, in denen Baptisterium noch ein eigener Raum neben der Kirche war. Das Mosaik ist eine Gemeinschaftsarbeit verschiedener Künstler über fast 100 Jahre hinweg. Begonnen wurde es um 1225, an seiner Fertigstellung waren unter anderem die ersten mit Namen bekannten Künstler der Kunstgeschichte wie Coppo di Marcovaldo, Cimabue und Giotto beteiligt.

Wir sehen hier eine geradezu klassische Ausführung des Themas. Christus, der durch den Kreuznimbus erkennbar ist, sitzt mit dem Lieblingsjünger an der Brust am linken Kopf der Tafel. Abgesehen von zwei Ausnahmen blicken aller Jünger auf Christus. Eine der Jünger mit Heiligenschein hat sich mit lehrendem Gestus der rechten Hand den anderen zugewandt, während seine linke Hand den Fisch in der Mitte des Tisches berührt. Losgelöst von dieser Jüngergruppe ist Judas, ohne Nimbus, am Boden kauernd  und Christus von unten anschauend. Christus selbst blickt auf die Schar der Jünger, nicht aber auf Judas, dem er doch zugleich etwas reicht (genau ist diese Gabe aber nicht zu erkennen). Nahezu beiläufig wirkt seine Geste. Der Tisch ist nicht nur mit Fisch, Rotwein und Brot gedeckt, sondern auch mit anderen Naturalien.

->  Hier geht es weiter mit den Abendmahlsbildern von Giotto bis Leonardo

Anmerkungen

[1]    Jensen, Robin Margaret (2000): Understanding early Christian art. London: Routledge, S. 54.

[2]    Wirbelauer, Eckhard (2002): Aberkios, der Schüler des Reinen Hirten, im Römischen Reich des 2. Jahrhunderts. In: Historia, H. Band LI/3.

[3]    Vgl. Stützer, Herbert Alexander (1983): Die Kunst der römischen Katakomben. Köln: DuMont (DuMont-Taschenbücher, Nr. 141). S. 114f.

[4]    Smith, Eric C. (2014): Foucault's Heterotopia in Christian Catacombs. Constructing Spaces and Symbols in Ancient Rome. New York: Palgrave Macmillan (Religion and Spatial Studies). S. 66.

[5]    Ebd., S. 68.

[6]    Die englische Wikipedia verweist zum Stichwort „Heavenly Banquet“ auf die Liturgie der United Methodist Church in der es heißt: “By your Spirit make us one with Christ, one with each other, and one in ministry to all the world, until Christ comes in final victory and we feast at his heavenly banquet. Through Christ, with Christ, in Christ, in the unity of the Holy Spirit, all honor and glory is yours, almighty God, now and forever. Amen.”

[7]    Vgl. Marabini, Claudio (1989): Die byzantinischen Mosaiken von Ravenna. Lizenzausg. Herrsching: Pawlak (Klasssische Reiseziele, Italien). S. 40f.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/am604_1.htm
© Andreas Mertin, 2017