Das Abendmahl in der Kunst

Eine visuelle Reise - 5. Aufbruch zur Moderne - Die letzten 200 Jahre

Andreas Mertin

Den Abschluss der visuellen Reise zur Geschichte des Abendmahls in der Kunst bildet die Moderne. Das 19. Jahrhundert ist arm an wegweisenden Abendmahlsdarstellungen, erst das 20, Jahrhundert wird einen revolutionären Aufbruch bringen, der dann freilich losgelöst von kirchlichen Bildungen stattfindet.

Anna Ancher – 1899

Anna Angers Bild „Abendmahl in der Kirche von Skagen“ ist deshalb interessant, weil es einer Tendenz der Moderne folgt, nicht mehr die Heilstatsachen als solche darzustellen, sondern die Reaktion und den Umgang der Menschen damit zu reflektieren. Ich gebe einmal die kurze Beschreibung der Wikipedia zu ihr wieder:

Anna Kirstine Brøndum Ancher (geborene Brøndum; * 18. August 1859 in Skagen; † 15. April 1935 ebenda) war eine dänische Malerin des Impressionismus. Sie war eine Skagen-Malerin und ist als einzige der bekannten Künstlergemeinschaft tatsächlich in Skagen geboren. Herauszuheben ist an Anchers Malerei die gelungene Farbgestaltung sonnendurchfluteter Interieurs. Ausgehend vom Naturalismus und angeregt von der impressionistischen Malweise entwickelte Anna Ancher eine eigenständige Bildsprache. Während ihre männlichen Kollegen Pleinair malten, bevorzugte Anna Ancher Innenansichten. Häufiges Motiv sind Frauen, die in ihren schlichten Küchen, Wohn- und Arbeitsstuben mit alltäglichen Tätigkeiten beschäftigt sind: Sie rupfen Hühner, stillen ihren Säugling, nähen oder sitzen wie Eine blinde Frau in ihrer Stube in sich gekehrt im Lehnstuhl. Durch einfallendes Sonnenlicht, das sich als heller Reflex an der Wand abzeichnet, verweist Ancher auf das Augenblickhafte der Szene und verleiht gleichzeitig der Alltagstristesse poetischen Glanz. In dieser besonderen Synthese aus Naturalismus und Symbolismus entstehen Lebensbilder, die in ihrer Tendenz zur Abstraktion und Steigerung der Farbintensität eine seelische Ausdruckskraft erreichen, die Ancher zu einer der innovativsten Malerinnen ihrer Generation machte.

Emil Nolde – 1909

Emil Noldes Abendmahl aus dem Jahr 1919 ist so ein revolutionärer Aufbruch, der zwar manches aus der kunsthistorischen Tradition aufnimmt, es aber vollständig neu präsentiert.

„Mit dünnen Bleistiftstrichen zeichnete ich hart und spitz dreizehn Menschen auf ein Leinen hin, den Heiland und seine zwölf Apostel, um einen Tisch sitzend in der lauen Frühlingsnacht, in der Nacht bevor das große Leiden Christi kam. Es waren die Stunden, während denen Christus sich in seinen großen Erlösergedanken den geliebten Jüngern offenbarte. Einem unwiderstehlichen Verlangen nach Darstellung von tiefer Geistigkeit, Religion und Innigkeit war ich gefolgt, doch ohne viel Wollen und Wissen und Überlegung. – Fast erschrocken stand ich vor dem aufgezeichneten Entwurf…Und nun sollte ich malen das geheimnisvollste, tiefinnerlichste Geschehen der christlichen Religion! – Ich malte und malte, kaum wissend, ob es Tag oder Nacht sei, ob ich Mensch oder nur Maler war. Falls ich am Bibelbuchstaben oder am Dogma gebunden gewesen wäre, ich habe den Glauben, dass ich dann dieses tiefsinnige Bild „Abendmahl“ nicht hätte so stark malen können. Ich musste künstlerisch frei sein, spürte Gott in mir, heiß und heilig wie die Liebe Christi. “

Gerade letzteres ist das, was die Künstler des 20. Jahrhunderts dann für sich in Anspruch nehmen: frei zu sein von Bibelbuchstaben und Dogma.

Mark Tobey - 1945

Im Metropolitain Museum of Modern Art (The MET) hängt ein Bild des Us-Amerikaners Mark Tobey, das den Titel „The Last Supper“ trägt. Von allen historischen Werken, die im Rahmen dieser visuellen Reise vorgestellt wurden, ist es noch Tintorettos Abendmahl von 1592 am nächsten. Es ist ein Hochformat und der Tisch steht anders als in der Kunstgeschichte üblich nicht quer sondern hoch. Am Tisch sitzen Figuren, erkennbar vor allem eine zentrale Figur, also Jesus. Alles andere verschwimmt in Gestik und Linie. Hier ist das Letzte Abendmahl nur noch Mal-Anlass, kein wirklicher Darstellungsgegenstand. Das Bild ist eine Zeichnung in den Maßen 57x44 cm.

Wilhelm Schmid - 1946

Ein ganz anderes Abendmahlsbild präsentiert der Schweizer Wilhelm Schmid. Sein 1946 entstandenes Bild "Der Heliand" hat heftige Reaktionen provoziert. Als es 1946 zum ersten und einzigen Mal in Genf ausgestellt wurde, wurde es nach kurzer Zeit auf Initiative der Schweizer Bundesregierung wegen 'Gotteslästerung' wieder abgenommen und wartet nun in einem Abstellraum in Bern auf seine Wiederentdeckung. Das Bild ist fünf Meter lang, der darauf abgebildete Tisch ist ebenso lang. Hinter im sind dreizehn Personen versammelt, sechs auf jeder Seite, zwei von ihnen stehend hinter denen, die sitzen. Sie sind zu einem Festschmaus beisammen. Eßwaren in jeder Menge stehen auf dem Tisch und noch einmal soviel davor. Keiner der Tischgenossen Jesu blickt dem Betrachter direkt in die Augen, alle schauen schräg; sie schielen nach der Wurst und dem Emmentaler Käse. Jesus sitzt nicht mehr zwischen elf Getreuen und einem einzigen Verräter, er ist in eine Gemeinschaft von Judassen geraten. Nicht mehr die Solidarität mit dein Leidenden, sondern das üppige Mahl steht im Vordergrund. So wird das Bild auch zu einer Anfrage an unser Abendmahlsverständnis. Was steht bei uns im Zentrum des Abendmahls?

Salvadore Dali – 1955

Das Sakrament des Abendmahls“ von Salvador Dali gehört sicher zu seinen populärsten Arbeiten und wird auch weithin rezipiert – auch wenn es sicher nicht zu den Darstellungen des Letzten Abendmahls im engeren Sinne, sondern eher zu den „Individuellen Mythologien“ gezählt werden sollte.

Harald Duwe – 1978

Das „Abendmahl“ des Realisten Harald Duwe aus dem Jahre 1978 wurde angeregt durch eine Diskussion der im Bild anwesenden Personen, ob denn heutzutage ein religiöses, speziell ein christliches Bild überhaupt noch möglich sei. Um dies unter Beweis zu stellen, schuf der Künstler das Bild. Es ist ein Gruppenbild männlicher Personen um einen Tisch, auf dem neben Brot und Wein auch Herz und Kopf, Hände und Füße Christi dargereicht werden. Das Interesse aller Teilnehmer dieses 'Abendmahls‘ wird von dem in Beschlag genommen, was auf dem Tisch als Mahlzeit angeboten wird, Körperteile Christi: in der Schüssel der Kopf, auf Blechtellern das Herz, eine aufgerissene Hand und ein abgehauener Fuß. Die Herausforderung des Künstlers besteht darin, dass er an dieser Stelle keineswegs 'symbolisch' wird, sondern dass er im Verzicht auf alle möglichen Verweise Christi Leib als reales Essen serviert. Der Abendmahlsgedanke wird sozusagen 'wörtlich' genommen.

Ben Willikens – 1976-79

Das Abendmahl von Ben Willikens ist ganz sicher das zentrale Abendmahlsbild des 20. Jahrhunderts. [Einen sehr guten Werküberblick mit allen wichtigen Arbeiten bietet Ben Willikens eigene Seite unter http://www.benwillikens.de/flash.html.]

Nach der Entwicklungslogik der Kunst des 20. Jahrhunderts kann davon gesprochen werden, dass Willikens in seiner Arbeit versucht, das Anliegen der Konzept-Kunst im Medium des Tafelbildes in eine neue Bildsprache zu übertragen. In der Auseinandersetzung mit der modernen Verabschiedung des Tafelbildes und in der Auseinandersetzung mit der modernen Verabschiedung der Zentralperspektive (also in der Auseinandersetzung mit den beiden zentralen Revolutionen der Moderne) entwickelt Willikens seine Kunst. Wer daher Willikens’ Kunstwerk ausschließlich mit Leonardos Abendmahl konfrontiert, hat gar nicht verstanden, welche Provokation seine Arbeit der Rekonstruktion der Perspektive gerade im Rahmen der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts darstellt. Treffend hat Ben Willikens den Impuls, der hinter seiner Malerei steckt, so beschrieben:

Ich male seit Jahren Innenräume von Innenräumen von Innenräumen. Und frage nach ihren leeren Zentren. Ihre Mitte scheint mir, war einst ausgefüllt mit dem Bild des Menschen als dem Zentrum der Welt, dem Maß aller Dinge. (Oder war das auch nur ein Traum von den Kollegen der Renaissance?) Mir ist das Menschenbild abhanden gekommen. Der einzelne Betrachter, das Individuum, ist die Figur, die zu meinem Bild gehört. Hier erhoffe ich einen Dialog.“[1]

Das zeigt, dass Willikens den Entwicklungen der Moderne folgt, indem er das Werk nicht mehr als umfassenden Rahmen des künstlerischen Prozesses begreift. Der einzelne Betrachter, das Individuum, ist die Figur, die zu meinem Bild gehört. Und das „zum Bild gehören“ meint hier nicht die üblichen rezeptionsästhetischen Prozesse, sondern die konstitutive Beteiligung des Betrachters zur Genese des Kunstwerks.

Dennoch greift Willikens erkennbar auf die alte Tradition der Tafelbildmalerei zurück, zitiert sie, arbeitet sich an ihr ab, beansprucht aber, dies explizit nach dem Durchgang durch die Moderne zu tun. Und das ist es ja auch, was wir sehen. Niemand wird das Werk von Willikens mit einem konventionellen Tafelbild verwechseln. Es eröffnet vielmehr einen Raum der Interaktion.

Ben Willikens Abendmahl hängt heute dementsprechend in einem Museum, das Raumkonstruktionen gewidmet ist: es hängt im Vortragssaal des Frankfurter Architekturmuseums, der wirkt, als sei er eigens für dieses Bild konstruiert worden. Ein scheinbares Refektorium, das mit der Geschichte des Tafelbildes spielt und von der Geschichte des Tafelbildes nach dem Ende des Tafelbildes kündet.

Andy Warhol – 1986

Andy Warhol hat sich in den Jahren vor seinem Tod intensiv mit Leonardos Abendmahl auseinandergesetzt.[2] Wie immer bei Warhol geht es um Ikonisierung, Aktualisierung und Kommentierung. Entstanden ist die Serie seiner Bilder zu Leonardos Abendmahl, weil sein Galerist Alexander Iolas ihn bat, für eine Ausstellung in Mailand unweit des Originals eine eigene Version der berühmtesten künstlerischen Bearbeitung des Themas, der von Leonardo da Vinci, zu gestalten. Und Warhol ließ sich – natürlich – darauf ein. Das Ergebnis ist eine interessante Reihe von Studien zum Original.

Und weil es so schön verrückt und lustig ist, was am Ende unserer Reise durch die Geschichte der Bilder zum Thema „Abendmahl“ herausgekommen ist, hier zum Abschluss noch ein LINK.

Das Abendmahl ist am Ende zum Wohnzimmerdekor geworden, eine kunsthistorische Reminiszenz über dem zeitgeistigen Schalensofa.

Es wird Zeit, theologisch, religiös, künstlerisch neue Wege zu gehen.

Anmerkungen

[1]    Vgl. Willikens, Ben (1988): Metaphysik des Raumes. Metaphysics of space. 2. überarb. Herausgegeben von Heinrich Klotz. Stuttgart.

[2]    Vgl. Schulz-Hoffmann, Carla; Warhol, Andy (Hg.) (1998): Andy Warhol. The Last Supper ; [Publikation zur Ausstellung "Andy Warhol. The Last Supper" in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen/Staatsgalerie Moderner Kunst München, vom 27. Mai - 27. September 1998]. Ostfildern-Ruit, München: Cantz; Staatsgalerie Moderner Kunst.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/am60_5.htm
© Andreas Mertin, 2017