Recherche gegen Rechts - Unsere Heimat

Eine Ausstellung im DGB-Haus in Stuttgart

Inge Kirsner

Dass Kunst nicht politisch sein solle und dürfe, wenn sie Kunst bleiben wolle - gegen dieses Diktum wehrt sich Prof. Stephan Dillemuth von der Akademie für Bildende Kunst. Zusammen mit seiner Kollegin Prof. Cordula Güdemann von der ABK Stuttgart regte er neunzehn internationale Kunststudierende an, ihrem Leidensdruck künstlerisch Ausdruck zu verleihen - hervorgerufen durch Klimawandel, Trump, Rechtsruck. Die entstandenen Gemälde und Installationen wurden im Vorfeld des Wahlsonntags im Willi-Bleicher-Haus in Stuttgart gezeigt und werden dort bis 27.10.17 zu sehen sein.

Zu sehen war dort aber auch, dass gerade die Kunst am meisten wirkt, die ihr politisches Anliegen nicht zu explizit zum Ausdruck bringt.

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Abbildung 1: Elena Haas, Tisch; Jinjoo Lee, Bildungsexil (Foto: Nadine Bracht)

Eingeladen wurde mit einer Kombination zweier Kunstwerke: Einem Holzschnitt von Jinjoo Lee, der den Hintergrund zu einem Tisch von Elena Haas bildete. Es ist ein riesiger Holzschnitt, der triptychonartig eine ganze Wand des DGB-Hauses einnimmt; in der Tradition chinesisch-japanischer Landschaftsmalerei sind hier Berge und Meer zu sehen, wobei das Meer von einer schwarzen Felsformation eingerahmt scheint; dahinter steigt der Gipfel eines schneebedeckten Gebirges auf, der mittig und unerreichbar vor dem Betrachtenden aufragt. Eine Art Titel schwimmt wie ein Boot im dunklen Wasser: "Bildungsexil" steht darauf, und im Ausstellungstext erklärt die Südkoreanerin, wie einschneidend die neu eingeführten Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer sein können. In ihrem Fall führte es dazu, das Studium in Stuttgart nicht beenden zu können; und das im Holzschnitt dargestellte Gebirge könnte Bildungsexil werden für diejenigen, die künftig nicht mehr in der Lage sind, ein Studium zu bezahlen.

Welche Politik kommt in dem Satz zum Ausdruck, Kunst solle und dürfe nicht politisch sein? Dillemuth betont, dass jede im öffentlichen Raum präsentierte Kunst nicht privat und immer an die Menschheit adressiert sei. Eine Menschheit, die gerade einen Prozess erlebt, den der Gastgeber und DGB-Regionalgeschäftsführer Bernhard Löffler mit Theodor W. Adorno zugeschriebenen Worten auf den Punkt brachte: „Ich fürchte mich nicht vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Faschisten, sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten.“

Neunzehn Kunststudierende nahmen auf Anregung der ABK-Professorin Cordula Güdemann dem Faschismus die Masken ab; dazu stellten sie ihren Heimat-Begriff vor und in Frage, und sie gaben ihre Antworten auch in Bezug auf die gemeinsame Pflicht-Lektüre "Hass und Hoffnung" von Georg Seeßlen und Markus Metz. Alle machten auf ihre Weise Ernst mit deren Fazit, was zu tun sei: Den Flüchtlingen zu helfen, hier und jetzt, ist die erste Burgerpflicht. Die zweite ist es, Europa neu zu denken. Von Grund auf. Und die dritte Aufgabe besteht darin, eine Gesellschaft zu erkämpfen, die auf Solidarität, Egalität und realer Demokratie basiert.

Empfangen wird man im DGB-Haus mit der Installation "Das verlorene Gut" von Alessia Schuth; hier wird das Meer zum Schauplatz des Zeitgeschehens, indem die Künstlerin ein sogenanntes Geisternetz aufbaut; darin verfangen sind kleine puppenhaft wirkende Figuren, die auf das einsame und anonyme Sterben der flüchtenden boat people hinweisen. Auf einen Spiegel, der mit Paraffinwachs-Gesichtern belegt ist, soll man treten: dazu fordert Weiran Wang auf - gespannt darauf, ob die Menschen das wirklich tun, oder lieber ein Gesicht retten und mit nach Hause nehmen. Wie es mit sicheren Herkunftsländern aussieht, fragt sich Evgenia Kosareva und stellt in ihren Acrylen versehrte Menschen in altmeisterlicher Manier dar. Michelle Mall bittet einander völlig unbekannte Menschen, sich auf einem imaginären Boot zusammenzuquetschen und zu fühlen, wie es einem damit geht - und lichtet sie dabei ab. Viele kleine Geschichten, die eingerahmt zwischen den Bildern hängen, ergänzen und bereichern die Ausstellung, die zum Ziel hat, in einem sozial gerechten Land leben zu dürfen, das Menschen aus allen Herkunftsländern mit gestalten können.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/ik13.htm
© Inge Kirsner, 2017