Brot und Wein

Gegenwärtige Abendmahlspraxis und ihre theologische Deutung

Wolfgang Vögele

7.        In welche Richtung?

Am Ende dieses Gangs durch gegenwärtige Abendmahlstheologien, -erfahrungen und liturgische Modelle sollen in acht Punkten die Richtungen bestimmt werden, die sich als Konsequenz dieser Analyse nahelegen.

  1. Man kommt an der Erkenntnis nicht vorbei, daß die Vielfalt der Abendmahlsdeutungen und -liturgien als grundsätzlich unhintergehbar erscheint. Es gibt nicht die eine richtige und verbindliche Abendmahlstheologie. Das galt schon für das Urchristentum und die Alten Kirche. Deswegen spricht Winrich Löhr im Anschluß an Bruce Chilton vom Abendmahl als einem „Fest der Bedeutungen“[1]. Dennoch scheint mir dieser Begriff nicht völlig glücklich gewählt, denn er suggeriert, daß es beim Abendmahl um ein hermeneutisches Glasperlenspiel ginge, bei dem die intellektuelle Durchdringung eines rituellen Geschehens im Vordergrund stünde. Das aber scheint mir nicht der Fall: Gegenüber aller theologischen Deutung muß die Feier des Abendmahls zu allererst als liturgisches und gottesdienstliches Fest verstanden werden. Als gottesdienstliches Fest ist es nicht die Beglaubigung oder Bestätigung von etwas anderem, etwa der Predigt, sondern als solches besitzt einen eigenständigen Charakter, der nicht ersetzt oder vernachlässigt werden kann.
  2. Die theologische Deutung des Abendmahls kann sich nicht mehr allein auf die theologische Tradition beschränken. In der Gegenwart sind sowohl die konfessionelle als auch die ökumenisch-offizielle Abendmahlsinterpretation fragwürdig geworden. Es scheint nur noch schwer möglich, das Abendmahl lutherisch oder reformiert in Abgrenzung von anderen christlichen Traditionen zu interpretieren. Genauso schwer scheint es möglich, das Abendmahl als kleinstes gemeinsames Vielfaches unterschiedlicher konfessioneller theologischer Traditionen zu bestimmen. In beiden Fällen wird die Gegenwart der gottesdienstlichen Praxis ausgeblendet. Und diese Überlegungen haben deutlich gezeigt, daß Erfahrungen des Essens und Trinkens sowie das Vorverständnis, das die Teilnehmer am Abendmahl mitbringen, auf welche Weise auch immer in der theologischen Diskussion berücksichtigt werden müssen. Abendmahlstheologie wird betrieben in der Perspektive gegenwärtiger Verantwortung für das Abendmahl, nicht aus dem Interesse der Bewahrung bestimmter konfessioneller Traditionen.


    Auf der evangelischen Seite gilt die Überwindung dieser Engführungen der konfessionellen insbesondere dem Ernstnehmen der Unionsdokumente, besonders der Aufarbeitung der theologischen Grundsätze der Konsensunionen im 19.Jahrhundert sowie im 20.Jahrhundert der Leuenberger Konkordie. Deren Abendmahlsaussagen sollten Ausgangspunkt, nicht Ziel einer für die Gegenwart der Gemeinden verantworteten Abendmahlstheologie sein. Hier ist genau diejenige praktisch-liturgische Diskussion weiterzuführen, die schon seit den siebziger Jahren beim Abendmahl für erhebliche Veränderungen in der gottesdienstlichen Praxis gesorgt hat.
  3. Mit der Lima-Erklärung scheint es mir überzeugend, das Abendmahl theologisch in der Perspektive einer Trinitätstheologie zu fassen. Das darf allerdings nicht im Sinne einer schematischen Behandlung aller drei Personen der Trinität geschehen, sondern es muß im Kontext einer Diskussion der Gottesfrage geschehen, wie sie in diesem Essay in Ansätzen durch die Rezeption der Entwürfe von Magnus Striet und Roberto Calasso geschah. Das Abendmahl ist nicht nur der liturgische Ort zur Artikulation von Glaubensfreude, sondern auch der Ort der Artikulation von Glaubensfragen und -zweifeln.
  4. Wenn das Abendmahl theologisch in gegenwärtiger liturgischer Verantwortung bedacht wird, so kommt neben der zu thematisierenden Gottesfrage als zweiter Aspekt, der durch gegenwärtige Diskussionen eingebracht wird, die Bedeutung von Essen, Trinken, Ernährung und Körperlichkeit hinzu. So richtig es ist, das Abendmahl als liturgischen Vollzug von ‚normalem‘ Essen zu unterscheiden, so darf diese Unterscheidung nicht in eine Trennung münden. Nimmt man die Beobachtungen von Roland Barthes, Christian Grethlein, Andrea Bieler und anderen zusammen, so sieht man eine neue Aufmerksamkeit für den „Ernährungsaspekt“ des Abendmahls, welcher die alte nüchtern-trockene Trennungsphantasie zwischen Abendmahl und Essen überwindet. Diese Aufmerksamkeit gilt es weiter zu verfolgen und in ästhetische und theologisch-liturgische Konzepte der Eßkultur umzusetzen.
  5. Es stellt sich die Frage, ob man nach der bekenntnishaften Weiterentwicklung von Leuenberg und den Überlegungen, wie sie zum Beispiel der Religionssoziologe Detlev Pollack geäußert hat, nicht auf den Begriff der „Realpräsenz“ verzichten sollte, um die Abendmahlstheologie nicht weiter den Mißverständnissen einer supranaturalen Metaphysik auszuliefern. Es wäre zu beachten, daß selbst die Überlegungen von Notker Slenczka, der am Begriff der Realpräsenz festhält, an bestimmten Punkten von kontrafaktischen Setzungen spricht, die mit diesem Begriff eigentlich nicht mehr vereinbar sind. Das Geheimnis der Gegenwart Christi in der Feier des Abendmahls wird durch den Verzicht auf den Begriff der Realpräsenz nicht aufgehoben. Hier wäre eine Diskussion notwendig, welche die aufgeworfenen Probleme der Gottesfrage mit der Abendmahlstheologie verbindet.
  6. Die Abendmahlsfeier ist kein Disziplinierungsinstrument und somit auch keine Gelegenheit, „richtigen“ und „falschen“ Glauben (sowie auch nicht „richtige“ und „falsche“ Moral) zu unterscheiden. In Berücksichtigung der gegenwärtigen Relevanz des Abendmahls ist diese gottesdienstliche Feier nicht mehr als Selbstverständigung, sondern als missionarische Gelegenheit zu verstehen. Daraus sind insbesondere drei Folgerungen zu ziehen. Schon innerhalb der bestehenden, konventionellen Abendmahlstheologie besteht die Möglichkeit, das Abendmahl mit kranken, pflegebedürftigen, sterbenden Menschen zu feiern. Diese Möglichkeit wird kaum noch genutzt. Damit aber gehen wesentliche Aspekte des tröstenden und stärkenden Charakters des Abendmahls verloren. Zum zweiten ist nicht einzusehen, worum kleineren christlichen Gemeinschaften (Hauskreisen, theologischen Kreisen in der Gemeinde, Jugendgruppen) nicht gestattet werden sollte, zu bestimmten Gelegenheiten das Abendmahl zu feiern. Der dritte Punkt betrifft die allgemeine Einladung zum Abendmahl. Die Unterscheidung zwischen Getauften und Ungetauften beim Abendmahl macht schon aus praktischen Gründen in der gegenwärtigen Situation der Gemeinden keinen Sinn mehr. Wenn Personen zum Abendmahl gehen, von denen bekannt ist, daß sie keiner christlichen Kirche angehören, sollten Liturgen und Ältesten nach der Feier das Gespräch mit diesen Personen suchen, nicht um des Ausschlusses willen, sondern um des Werbens für den Glauben willen.
  7. Es ist zu fragen, ob das korrekte Verwalten der Sakramente, von dem in der Confessio Augustana die Rede ist, stets bedeuten muß, daß ein Abendmahlsgottesdienst von einem ordinierten Pfarrer geleitet wird. Wenn man das Abendmahl auch für kleinere Kreise öffnen will, kann man überlegen, ob man die Feier des Abendmahls nicht jedem getauften Christen gestatten soll. Eine Öffnung in dieser Richtung kann auch die angesprochenen missionarischen Gelegenheiten und Möglichkeiten verbessern.

Anmerkungen

[1]    Löhr, Helmut, Das Abendmahl – ein „Fest der Bedeutungen“, in: ders. (Hg.), Abendmahl, Themen der Theologie 3, Tübingen 2012, 231-240, hier 239.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/wv036_07.htm
© Wolfgang Vögele, 2017