Architektur im theologischen Kontext

Über die Ausstellung „Otto Bartning – Architekt einer sozialen Moderne“ in Berlin, Karlsruhe und Darmstadt

Wolfgang Vögele

In der Städtischen Galerie in Karlsruhe ist bis Ende Oktober noch die faszinierende Ausstellung „Otto Bartning – Architekt einer sozialen Moderne“ zu sehen.[1] Man könnte meinen: Die Fächerstadt entdeckt ihre Liebe zur Architektur – und zeigt es auch. Karlsruhe ist dabei, sich nach Ausstellungen über das Werk Robert Curjels und Karl Mosers[2], über Friedrich Weinbrenner[3] und Frei Otto[4] einen Namen in Sachen Architekturausstellungen zu machen. Dabei ist Otto Bartnings Name über die Ausstellung hinaus eng mit der badischen Metropole verknüpft. Bekannt geworden ist Bartning als Architekt von Kirchen und als Initiator des so genannten Notkirchenprogramms nach dem Zweiten Weltkrieg. In Karlsruhe hat er als Architekt die Markus-, die Thomas- und die Friedenskirche verantwortet; daneben hat er das Franz-Rohde-Haus[5] gebaut. Das Pflegeheim war in jüngster Zeit wegen Abrißplänen der diakonischen Institution, die  es besessen hatte, ins Gerede gekommen. Nun aber kann es wohl erhalten werden.

Otto Bartning[6] wurde in Karlsruhe im Jahr 1883 in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren. Sein Architekturstudium, das er in Karlsruhe und Berlin absolvierte, schloß er nicht ab, stattdessen ging er auf eine mehrmonatige Weltreise, ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben des Großherzogs, das in einer Vitrine zu sehen ist. Während dieser Reise und auch später schrieb er intensiv Tagebuch. Den Band der Weltreise sollte er Jahrzehnte später im Insel-Verlag veröffentlichen. Schon früh während seiner beruflichen Tätigkeit baute er Kirchen, allesamt daran orientiert, die alten Richtungen von Historismus und Jugendstil zu überwinden. Seine Architektur galt als streng, formal, funktional und geradlinig, oft unter Verwendung damals neuer Materialien. Der Katalog zur Ausstellung bezeichnet Bartnings Architektur in einer auffällig exponierten Formulierung als „raumfühlig“[7].

Es überrascht trotzdem, daß der Katalog Bartning im Titel als „Architekt einer sozialen Moderne“ vorstellt. Schon der unbestimmte Artikel gibt zu Spekulationen Anlaß. Aber war Bartning nicht vor allem ein Architekt von Kirchengebäuden? Welche Moderne wurde dort gepflegt? Die vielen kirchlichen Aktivitäten Bartnings, seine Schriften über einen neuen, den Historismus überwindenden Kirchenbau, seine Pläne zu Kirchenbauten, diese Bauten selbst, seine Tätigkeit für die Badische Landeskirche und vor allem das Notkirchenprogramm rücken bei dieser Überschrift zu Unrecht in den Hintergrund. Die ausgestellten Manuskripte, Pläne und die gedruckten Schriften zeigen Bartning nicht nur als Architekten, sondern als theologisch interessierten Intellektuellen, der sich über das Verhältnis von Kirche, Theologie und Architektur im Kontext seiner Zeitgeschichte originelle Gedanken gemacht hat.  Der Reihe der Kirchen, darunter die berühmte expressionistische Sternkirche von 1922, die nie gebaut wurde, Kirchen, die kreisförmig, sechs- oder achteckig waren exponiert Bartning nicht als Modernisten, sondern als ekklesiologischen  Raumdenker. Er arbeitete mit Licht, Glas und Raum. Innen war für Kanzel, Altar und Orgel ist stets ein Segment ausgespart, ganz im Anschluß an das bekannte Wiesbadener Programm der Kirchenarchitektur, aber gerade auch in Überwindung dieses Programms.

Schon von Anfang war Bartning klar, daß eine Kirche mehr sein sollte als ein Aufenthaltsraum der Gemeinde. Er strebte weg von den Predigtkirchen, die ganz auf die Achse zwischen Prediger und Zuhörern, zwischen Kanzel und Besucherbänken ausgerichtet waren. In seiner Schrift „Vom neuen Kirchenbau“ (1919) versuchte Bartning den architektonischen Historismus zu überwinden. Eine Kirche war für ihn mehr als nur ein Versammlungsort zum Hören der Predigt. Deswegen waren für ihn Altar und Kanzel gleich wichtig. Er überlegte sogar, „Predigt- und Feierkirche“[8] zu trennen. In der Kirchenbauschrift sprach er von einer „Sehnsucht nach Sakralität“[9]. Auch wenn die Formulierung altbacken klingt, das klingt ganz anders als die Theologie des Wortes Gottes, die Karl Barth im selben Erscheinungsjahr mit seinem Römerbriefkommentar auf den Weg brachte. Hier ergeben sich Überschneidungen und Konflikte zwischen Theologie und Architektur, die auszuloten höchst spannend gewesen wäre.

Bartning wollte die Besucher im Gottesdienst, also die Gemeinde aufwerten. Durch Glasfenster und neue Materialien verändert sich die Atmosphäre im Gottesdienstraum. Die Architektur selbst, Licht, Raum, Material, alles sollte zum Ausdruck des Glaubens werden. Nicht nur der Pfarrer, auch der Raum selbst predigt, ohne daß alles in barocken Prunk, Arabesken oder ornamentale Spielereien ausartet. Die Kirchengebäude Bartnings atmen den Geist protestantischer Strenge, Ordnung und Nüchternheit. Man hat den Eindruck: Die chaotische, unübersichtliche Welt bleibt ausgeschlossen, die Kirche mit ihrem geordneten Raum wird zum Zeichen der Ankündigung des kommenden Gottesreiches, welches über Hektik, Chaos und Unübersichtlichkeit der Welt hinausstrebt. Architektonisch zeigt sich das in einer ganz eigenen Mischung aus Raum, Licht und Ordnung.

Bartning wurde zur Zeit der Weimarer Republik Direktor einer Bauschule, anders als Walter Gropius emigrierte er nicht, als die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Er zog sich aus dem Bund deutscher Architekten zurück. Er war kein Widerständler, aber er machte auch nicht gemeinsame Sache mit den Machthabern. Statt dessen konzentrierte er sich noch mehr auf den Kirchenbau; in einer engen Kooperation mit dem kirchlichen Auslandsamt baute er Kirchen für deutsche evangelische Gemeinden in anderen Ländern. In einem Brief nach dem Krieg erklärte er sein Verhalten als „stille[n] Widerstand“[10].

Nach dem Ende des Krieges wandte sich Bartning programmatisch gegen einen Wiederaufbau dessen, was schon einmal gewesen war. Das, was sich in der Vergangenheit nicht bewährt hatte, sollte nicht wiederholt werden. Diese programmatische Orientierung am Neuen führte auch zur Entwicklung des Konzeptes der Notkirchen. Dafür hatte er zwei entscheidende Gründe. Viele Kirchen waren durch die Bombenangriffe des Weltkriegs zerstört. Außerdem kamen mit den Vertriebenen aus dem Osten viele Evangelische, die Gottesdienste besuchen wollten, zu den bestehenden Gemeinden hinzu. Bartning entwickelte vier Grundtypen von Kirchen, die nach seinen Plänen einfach, billig und schnell zu bauen waren. Mit diesen Kirchentypen, generalisierten Plänen und vorfabrizierten Teilen sollten schnell und unproblematisch Kirchen gebaut werden, in denen die Gemeinden Gottesdienst feiern konnten. In der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden so in ganz Deutschland mehrere Dutzend Notkirchen, von denen eine größere Zahl heute noch erhalten sind.

Nach dem Krieg arbeitete Bartning als Gutachter und saß den Jurys von Planungswettbewerben vor; er engagierte sich national und international in Architektenverbänden. Aber er leitete auch die Bauabteilung des Evangelischen Oberkirchenrats in Karlsruhe. Sein ganzes Leben hindurch hielt Bartning Kontakt in seine badische Heimatstadt, er lebte aber auch längere Zeit in Berlin. Von diesem Nachkriegs-Lebensabschnitt zeigt die Ausstellung ein wenig zu viel, hier wäre weniger mehr gewesen.

Fasziniert aber beugt man sich über das Manuskript der Rede, die Bartning bei der Einweihung der Pforzheimer Auferstehungskirche hielt: pathetische Worte über das Kind, das zum ersten Mal Ich sagt, und über den älter werdenden Mann, der erkennt, daß er nicht unbedingt immer Ich sagen muß, sondern auch reden lassen kann, was Bartning eine „höhere Macht“ nennt. Leider ist der Text dieser Rede im Katalog nicht abgedruckt.

Bartning moderierte auch jene berühmte Darmstädter Tagung im Jahr 1951, bei der über Prinzipien moderner Architektur gestritten wurde und bei der traditionalistische und moderne Strömungen unmittelbar aufeinander trafen. Der Philosoph Martin Heidegger hielt bei dieser Konferenz seinen berühmten Vortrag mit dem Titel „Bauen – Wohnen - Denken“. Der Architekt starb im Jahr 1959 in Darmstadt, an dessen Technischer Universität auch sein Nachlaß aufbewahrt wird.

Der Blick in den Katalog zeigt auf der einen Seite, wie stark Bartning für die evangelische Kirche eintrat, wie viele Kirchen er konzipierte und baute. Auf der anderen Seite kommt die kulturwissenschaftliche und theologische Einordnung Bartnings, alles was jenseits der Architektur sein Denken und Planen beeinflußte, seltsam kurz. Die „soziale Moderne“, die der Katalog in den Titel erhebt, und die kirchliche Modernisierung nach Krieg und Nationalsozialismus, aber auch schon während der Weimarer Republik, erscheinen als durchaus zwei verschiedene Dinge. Man hat den Eindruck: Hier wird der Architekt Bartning gewürdigt, aber der architekturphilosophische architekturtheologische Denker Bartning vernachlässigt.

Im Katalog findet sich wenig über seinen Dialog mit kirchenleitenden Stellen, über die Verknüpfung von kirchlicher Erneuerung nach dem Krieg und Bartnings architektonischen Ideen.  Die Stichworte auf der Seite der evangelischen Kirchen würden lauten: neue Grundordnungen, synodale Verfassungen, Neubeginn nach dem Nationalsozialismus, theologischer Rekurs auf die Reformation gegen allen Kulturprotestantismus. In dieser Hinsicht fehlt es der Ausstellung an Historisierung und Kontext. Ein Architekt ist mehr als ein Baumeister und Planer, auch wenn er sich über die kulturellen, philosophischen und theologischen Hintergründe seiner Arbeit keine Gedanken macht. Bei Bartning, das ist in Ausstellung und Katalog zu sehen, ist aber das Gegenteil der Fall. Er dachte seine eigene Architektur im Kontext von Theologie, Kirche, Kultur und Gesellschaft. Und genau darüber hätte man sich noch mehr Informationen gewünscht.

Anmerkungen


[1]    Zuvor wurden die Exponate in Berlin gezeigt. Nach Karlsruhe ist die Ausstellung vom 19.11.2017 – 18.3.2017 auf der Darmstädter Mathildenhöhe zu sehen.

[2]    Https://wolfgangvoegele.wordpress.com/2011/03/19/chamaleon-der-architektur/ sowie Urs Steiner, Der Fall Moser, https://www.nzz.ch/der_fall_moser-1.8729246. Zur Karlsruher Christuskirche, gebaut von Curjel und Moser vgl. Wolfgang Vögele, Evangelische Christuskirche Karlsruhe, Kleine Kunstführer 2754, Regensburg 2010.

[3]    Städtische Galerie Karlsruhe (Hg.), Friedrich Weinbrenner 1766-1826, Petersberg 2015 sowie Roman Hollenstein, Athen in Baden, NZZ 5.8.2015, https://www.nzz.ch/feuilleton/kunst_architektur/athen-in-baden-1.18590244.

[7]    Akademie der Künste, Wüstenrot-Stiftung (Hg.), Otto Bartning – Architekt einer sozialen Moderne, Darmstadt Berlin 2017, 20.

[8]    A.a.O., 39.

[9]    A.a.O., 65.

[10]   A.a.O., 77.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/109/wv037.htm
© Wolfgang Vögele, 2017