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Magazin für Theologie und Ästhetik


Scheibchenweise Meisterwerke

Eine Kritik

Andreas Mertin

5555 Meisterwerrke: Cover und Detailmaske
5555 Meisterwerke

5555 Meisterwerke auf 10 CD-ROM plus farbigem Bildkatalog verspricht Directmedia mit ihrem gleichnamigen Softwarepaket. Das hört sich unendlich viel an, ist jedoch im Vergleich zu Clipartsammlungen, die 250 000 Clips zu einem Fünftel des empfohlenen Verkaufspreises von 99 DM anbieten, doch nur bescheiden. Um es vorweg zu sagen: der Kauf dieses Pakets kann nicht empfohlen werden!

Wer die Software startet, stößt zunächst auf eine nach Künstlern sortierte Datenbank, die einen Querschnitt durch die Kunstgeschichte bis etwa 1900 bietet, wobei der Schwerpunkt in der Zeit nach 1800 liegt. Man kann nach Bildtiteln fragen, nach Orten, nach dem Entstehungsjahr/-zeitraum, nach Materialien usw. Wer die ausgewählten Kunstwerke näher betrachten will, kann sie in optimaler (= bildschirmfüllender) bzw. maximaler Größe studieren. Eine Auflistung der Werke nach ikonografischen Stichworten fehlt. Die Datenbank ist allerdings ziemlich unkomfortabel, langsam und entspricht - auch in der überarbeiteten zweiten Version - nicht den technischen Möglichkeiten. Eine Excel- oder DBASE-Datei als Zugabe mit einer Zusammenstellung der elementaren Daten wäre überaus hilfreich.

Überzeugen kann das Paket insgesamt nicht. Zwar freut man sich natürlich über so viele Werke aus der Kunstgeschichte, aber der hohe Verkaufspreis setzt das Paket ja auf dieselbe Ebene wie große Lexika und Multimedia-Werke. Und damit kann dieses Paket nun überhaupt nicht konkurrieren.

Das liegt zum einen daran, dass es sich um eine mehr oder weniger reflexionslose Zusammenstellung handelt. Dem Betrachter wird nicht ersichtlich, ob es sich um eine zufällige Auswahl aus dem Oeuvre eines Künstlers handelt oder um die kunstgeschichtlich als herausragend bewerteten Arbeiten. Die Angaben zu den einzelnen Werken sind spärlich, es fehlen Einordnung in Schulen oder auch einfache Abfragemöglichkeiten nach religiösen oder mythologischen Themen. Auch die jeweils präsentierte Anzahl an Arbeiten eines Künstlers gibt Rätsel auf: so gibt es von Michelangelo 9, von Leonardo da Vinci 13, von Giotto 17, von Peter Paul Rubens 124 und von Cezanne 166 Werke. Verbirgt sich dahinter eine bestimmte Logik oder wurde nur genommen, was gerade erreichbar war? Man weiß es nicht. Die Qualität der Bilder ist annehmbar, es gibt allerdings auch krasse Ausfälle, wie etwa Michelangelos Erschaffung Adams aus der Sixtinischen Kapelle, ein Bild, das schlicht nicht verwendbar ist. Auch ist die Zahl von 5555 Meisterwerken irreführend, denn zahlreiche Werke werden mehrfach bzw. im Ausschnitt präsentiert.

Fehlerhäufung

Der heilige SebastianDarüber hinaus, und das macht die Sache wirklich schlimm, gibt es eine Fülle fachlicher Fehler und falscher Zuschreibungen. Das beginnt mit simplen Rechtschreibfehlern (Herododes statt Herodes). Das ist insofern belangvoll, als die Abfrage nach dem Bildtitel dieses konkrete Kunstwerk unter dem Stichwort "Herodes" nun nicht mehr verzeichnet. Es setzt sich fort mit unsinnigen Doppelungen von Bildern (z.B. Robert Campin: Madonna mit dem Kinde vor einem Wandschirm [vgl. die Bilddateien 0523.jpg und 0530.jpg]; ders., Mérode-Altar [0532.jpg und 0534.jpg]; Raffael, Madonna della Seggiola und Madonna della Sedia (3937.jpg und 3938.jpg); Rogier van der Weyden, Christus erscheint Maria bzw. seiner Mutter [5512.jpg und 5496.jpg]. Letztere werden dem Metropolitan Museum New York zugewiesen. Dort aber wird dasselbe Werk als Kopie aus dem Jahr 1496 vermutlich von Juan de Flandes nach Rogier van der Weydens Berliner Arbeit geführt. Und faktisch stammt die eine der beiden Abbildungen nach den Größenangaben auch von der Berliner Ausgabe. Und schließlich gibt es auch noch völlig unsinnige Bildtitel: da wird zum Beispiel ein Bild mit dem Titel "Das Martyrium des hl. Geistes" von Antonio del Pollaiuolo angekündigt. Das muss man natürlich gesehen haben. Aber dann erweist es sich ikonografisch doch "nur" als ein "Martyrium des hl. Sebastian" [s. Abb.]. Um die Zuverlässigkeit des Bilderwerkes stichprobenartig zu überprüfen, rufe ich aus der Datenbank alle Werke aus den Uffizien auf und vergleiche sie mit den Angaben eines Uffizien-Kataloges. Verzeichnet hat die Datenbank 113 Werke bzw. Werkausschnitte von Cimabue bis Delacroix. Hier die Ausbeute der gröbsten Fehler und Abweichungen:

Künstler Titel Abweichungen vom Katalog der Uffizien
Cimabue Madonna von Santa Trinita Unvollständige Materialangabe, abweichendes Datum
Cimabue Detail desselben Werks Die Detailabbildung gibt das korrekte Datum und die richtigen Materialangaben an
Giotto di Bondone Pietà (Ausschnitt), Entstehung: um 1300 Fehlende Angaben zum Material, um 60 Jahre falsche Datierung, falsche Malerzuweisung, das Bild stammt von Giottino
Meister der Legende der S. Cecilia Bankettszene Unvollständige Materialangabe, fehlender Hinweis, dass es sich nur um einen Bildausschnitt handelt, daher auch völlig falsche Größenangabe
Giotto di Bondone Maestà (aus der Badia Fiorentina) Falsche Zuweisung; es handelt sich um Giottos Madonna von Ognissanti. Unvollständige Materialangabe
Lorenzetti, Ambrogio Madonna mit Kind (Teilstück aus einem Polyptichon ) Unvollständige oder fehlende Angaben: Jahr, Maße, Material. Triptychon.
Martini, Simone Verkündigung Der Uffizienkatalog zeigt, dass das Werk unvollständig abgebildet wurde, es weist einen zweiten Künstler (Lippo Memmi) aus und gibt andere Größenangaben an.
Lorenzetti, Pietro Beata Umiltà Irreführende Angaben. Das gezeigte Bild ist ein kleines Detail der nachstehenden Altartafel. Maßangaben fehlen
Lorenzetti, Pietro Beata Umiltà Auf dem Überblicksbild fehlen die Maßangaben zur Mitteltafel.
Angelico, Fra Marienkrönung (Ausschnitt) Falsche Zuweisung. Der Ausschnitt stammt aus der Marienkrönung im Pariser Louvre
Angelico, Fra Marienkrönung (Ausschnitt) So gut wie alle Angaben fehlen
Monaco, Lorenzo Don Marienkrönung, Predella: Szenen aus dem Leben des Hl. Benedikt Die Relation der drei gezeigten Details aus der Predella zum Gesamtwerk wird nicht deutlich. Ansonsten korrekt. Abb. des Gesamtwerkes fehlt
Lorenzo Monaco: Anbetung der Könige (1. Abb.) Durch unterschiedliche Benennung wird der Künstler zweimal geführt. Der Katalog der Uffizien weist eine andere Größe aus. Zudem wird unterschlagen, dass Teile des Werks von Cosimo Rosselli nachbearbeitet wurden.
Lorenzo Monaco Anbetung der Könige (2. Abb.) Hier stimmen die Angaben im wesentlichen
Fabriano, Gentile da Anbetung der Könige Irreführende Angaben. Die Maße werden für das Gesamtwerk angegeben, abgebildet ist nur das Tafelbild, das kleiner ist.
Gentile da Fabriano Anbetung der Könige, rechter Predellenteil: Geburt Christi (Kopie) Statt des angekündigten Predellenteils wird das Gesamtwerk abgebildet.
Weyden, Rogier van der Grablegung Christi Unvollständig abgebildet, unzureichende Materialangabe
Perugino, Pietro Porträt des Balthasar Es fehlen Größenangaben und genauere Materialangaben
Tura, Cosmè Hl. Dominicus Es fehlen Größenangaben und genauere Materialangaben
Baldovinetti, Alesso Verkündigung an Maria Abweichende Datierung (13 Jahre)
Lippi, Filippino Krönung Mariä Vermutlich falsche Zuweisung, scheint ein Detail aus Filippo Lippis Krönung Mariens zu sein.
Goes, Hugo van der Portinari-Altar Die Maßangaben bei den drei Abbildungen gehen wild durcheinander. Bei den Seitenteilen werden die Gesamtmaße, bei der Gesamtabbildung nur die Maße eines Seitenteils angegeben.
Meister der Virgo inter Virgines Kreuzabnahme Es fehlen Größenangaben und genauere Materialangaben, der Uffizienkatalog weist den zutreffenderen Titel Kreuzigung aus
Botticelli, Sandro Madonna della Melagrana Der Uffizienkatalog weist eine andere Größe aus; Materialangaben fehlen.
Dürer, Albrecht Bildnis Albrecht Dürer der Ältere Der Katalog weist eine vollständig andere Größe aus
Giorgione Der Mosesknabe vor dem Pharao Titel im Uffizienkatalog: Die Feuerprobe Mosis
Signorelli, Luca Christus am Kreuz und die Hl. Maria Magdalena Abgebildet ist ein völlig anderes Werk, mit Sicherheit nicht das zu den Daten passende
Signorelli, Luca Heilige Familie Gravierende Abweichung in der Datierung
Signorelli, Luca Maria mit Kind Gravierende Abweichung in der Datierung
Cranach d. Ä., Lucas Lucas Cranach im 77. Lebensjahr Der Uffizienkatalog weist als Maler Lukas Cranach d.J. aus
Carracci, Annibale Bacchantin Im Uffizienkatalog mit "Venus mit Satyr und Amoretten" bezeichnet
Rubens, Peter Paul Einzug Heinrichs IV. in Paris (Ausschnitt) Fast alle Angaben fehlen
Rubens, Peter Paul Isabella Brandt Fast alle Angaben fehlen
Rembrandt Bildnis eines alten Mannes Fast alle Angaben fehlen
Bacchiacca Porträt des Kardinals Leopoldo Vermutlich falsche Zuweisung: der Uffizienkatalog weist Baciccio als Maler aus.

Dabei habe ich zahlreiche Bilder, bei denen nur eine Angabe zur Maltechnik, zur Größe oder zur Entstehung fehlte, oder die Angaben zwischen beiden Quellen strittig sind, noch gar nicht angeführt. Damit sind gut ein Drittel der Datenangaben unvollständig oder sogar fehlerhaft. Blickt man auf die aufgeführten Abweichungen genauer, so stellt man fest, dass zahlreiche schwerwiegende Fehler vorkommen: mehrfach werden Künstler verwechselt (Filippino Lippi mit Filippo Lippi; Bacchiacca mit Baciccio; Giotto di Bondone mit Giottino), einmal wird ein falsches Bild zugewiesen sowie der Standort falsch angegeben. Was man in einem Schulbuch für Religion vielleicht noch als Fehler von Dilettanten durchgehen lassen könnte, ist in einem Werk über Kunstgeschichte natürlich völlig inakzeptabel. Und all das nur in einem kleinen Ausschnitt der Datensätze des gesamten Pakets. Ich scheue davor zurück, die Überprüfung der Angaben nun anhand eines Prado-Kataloges zu wiederholen. Kunsthistorisch Kundige werden den einen oder anderen Fehler sofort erkennen und korrigieren, aber Käufer, die sich dieses Paket in der Hoffnung auf eine solide visuelle Einführung in die Kunstgeschichte gekauft haben, werden so getäuscht. Sie müssen sich auf die Angaben des Programms verlassen können.

Die Verantwortlichen für 5555 MeisterwerkeMan sollte die Verantwortlichen für derartige Desaster beim Namen benennen - wenn man denn nicht schon sein Geld zurückbekommen kann. Im Abspann des Programms werden sie aufgeführt - einmal vorausgesetzt, an dieser Stelle haben sich nicht schon wieder Fehler eingeschlichen.


Gibt es Alternativen?

Wer eine Alternative sucht, kann im Internet zum Beispiel die Web Gallery of Art aufsuchen. Diese Datenbank enthält über 11000 Gemälde, Fresken und Skulpturen aus der Zeit zwischen 1100 und 1800 (mit einem Schwerpunkt im 15. u. 16. Jahrhundert), die man ebenfalls detailliert (wenn auch nicht in dem großzügigen Auflösungsformat der 5555 Meisterwerke) in einem Image-Viewer studieren kann.

Web Gallery of Art

Die Website bietet an, das Verzeichnis der Abbildungen als Excel-, DBASE-IV oder als strukturierte Textdatei auf die Festplatte herunterzuladen (Man kann sie dann seinen eigenen Bedürfnissen anpassen). So weiß man immer, ob vom gesuchten Maler eine Abbildung vorhanden ist bzw. ob es Bilder zum gesuchten Thema gibt. Einzige Einschränkung: die Datenbank ist englischsprachig, man muss seine Stichwortabfrage also entsprechend formulieren.

Die Web Gallery of Art bietet neben den elementaren Daten zu jedem Werk die Zuordnung zu einer Schule, einen groben Inhaltstyp (religiös, mythologisch, Genre, historisch, Porträt ...) sowie eine Zeitleiste im 50-Jahresraster. Für den Download der Bilder wird die Bildgröße und die Dateigröße und der genaue Ort auf der Website benannt. Für die normale Arbeit mit Werken der Kunstgeschichte dürfte diese Quelle durchaus ausreichen.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 11/2001
https://www.theomag.de/11/am26.htm