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Magazin für Theologie und Ästhetik


Super!

Vorschauende Glosse zur Rhetorik der Kunst auf dem Kirchentag.

Andreas Mertin

Kultur im Kirchentag

Dieser Tage flatterte mir ein 40seitiger Prospekt ins Haus, der die Kulturaktivitäten auf dem 29. Evangelischen Kirchentag in Frankfurt vorstellt. Strukturiert mit Hilfe von Piktogrammen wird dem Interessenten hier angezeigt, was die Evangelische Kirche sich unter zeitgenössischer Kultur in den Sparten "Kunst" [+], "Theater" [:->], "Musik" [~], "Kleinkunst" [:->>], "Film" [···] und "Literatur" [""] vorstellt. Im Folgenden interessiert mich die Rhetorik (gegenüber) der Bildenden Kunst, wie sie sich in diesem Prospekt zeigt. Formulierungen sind immer auch Indizien für Haltungen und als solche nehme ich sie einmal ernst und halte sie nicht nur für das übliche Presse- und Mediengeklimper.

Kunst als Radio

Wenn ein Kennzeichen von kultureller Kompetenz der Gebrauch von Sprachbildern und Metaphern ist, dann stolpert man schon bei den einleitenden Sätzen des Prospektes. Die nebenstehende Formulierung muss man schon mehrmals lesen und versteht sie dann immer noch nicht. Also: Kunst scheint Wellen auszusenden, die das Unendliche bezeugen. Ist die Kunst also eine Art Radio-Sender? Aber nicht die Radio-Wellen bezeugen den Inhalt des Programms, sondern sie transportieren ihn nur. Entweder bezeugen die Werke der Kunst das Unendliche und Ewige, dann sollte man es so auch benennen und sie als Medien der Offenbarung anerkennen, müsste dann aber auch mit theologischem Widerspruch rechnen. Oder es scheint nur so, als ob sie dies täten, dann müsste man den ästhetischen Schein in die theologischen Reflexionen mit einbeziehen und konzedieren, dass es nur so scheint, als ob Kunst zusammen mit der Theologie das Unendliche reflektiere. Vermutlich soll durch derart schwammige Formulierungen aber nur der inzwischen zur Stereotype verkommene Begriff der "Transzendenz" vermieden werden.

Rück-Besinnung

Es gehört zur Standardrhetorik einer aufklärungsresistenten Kirchlichkeit, die fortdauernde Nähe von Kunst und Religion zu behaupten. Die ständige Wiederholung dieser Behauptung macht sie freilich nicht plausibler. Neu ist, dass dieses Motiv nun der Kunst selbst unterschoben wird. Und zwar mit Formulierungen, die nun für jeden erkennbar falsch sein müssen. Die Wurzeln der Kunst in der Kirche (sic!) und im Kultus zu suchen, dürfte nun wohl zumindest im Blick auf die Kirche jeder Begründung entbehren. Und ob ersten Bilder der Menschen vor 30.000 Jahren wirklich einem magischen Kontext zuzurechnen sind, ist unter Fachwissenschaftlern weiter umstritten. Eher ist anzunehmen, dass schon damals die Kunst weit mehr in das tägliche Leben der frühesten Menschen integriert war, als wir uns das bisher gedacht haben. Und in einem späteren Stadium ist sie dann auch für magische und kultische Zwecke genutzt worden. Dass die Wurzeln der Kunst nicht in der Kreativität der Menschen, sondern in Magie und Kult liegen, ist bislang jedenfalls nur eine unbewiesene Vermutung. Dass die Kunst vor 20 Jahren eingestandenermaßen auf der Suche nach dem Heiligen war, dass Künstler sich als "Gottsucherbande" [Bazon Brock] gerierten, ist dagegen unbestritten. Im Rahmen einer Diskussion um die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft suchten einige, nachdem die Kunst als Modernitätserweis [Walter Grasskamp] ausgefallen war, nun nach neuen Begründungen. Und da ist Heiligkeit immer ein pittoresker Ansatz. Dass die Wurzeln der Kunst in der Kirche liegen, kann aber trotz aller Suche nach dem Heiligen nur eine rhetorische Floskel jener sein, die meinen, ohne das belebende Wasser des Christentums gäbe es keine abendländische Kultur. Dass die Kunst selbst sich nun die Kirche als Ahnherrin auf die Fahnen geschrieben haben soll, ist mir neu.

Ikonen-Theologie

Keine kirchliche Kulturveranstaltung kommt ohne Ikonen aus. [Der Kulturprospekt widmet dem unter dem Titel "Bilder des Glaubens - Von der heiligen Kraft der Bilder" eine ganze Seite einschließlich eines so wörtlich: "Evangelischen Feierabendmahls mit Ikonen" - was immer man darunter verstehen mag.] Die Ikone des 29. Evangelischen Kirchentages dürfte jedoch "Paul Tillich" heißen. Schon das Impulspapier der EKD "Gestaltung und Kritik" hatte ja - unter Verwerfung aller dissidenten Geister - Tillich zum protestantischen Hoftheologen der Kultur gemacht und nun wird diese Perspektive fortgeschrieben. Vor aller Begegnung mit der Kultur selbst widmet man sich diesem Ikonodulen des Expressionismus und meint, darin eine Herausforderung für die Gegenwart entdecken zu können. Man darf gespannt sein, wie sich das in die Bewegung der aktuellen Kunst-Szene einzeichnet.

SUPER! Eine Idealgestalt auf den Dächern

Das am stärksten die Aufmerksamkeit erregende Kultur- Projekt dieses Kirchentages dürften die Super-Rios sein. Manfred Stumpf hat im Auftrag des Kirchentages ein Projekt entwickelt, bei dem er zwölf riesige Figuren an unterschiedlichen Orten platziert, vor allem auf Hochhäusern und hier insbesondere auf Bankgebäuden. Ich will an dieser Stelle nicht auf die Kunstaktion selber eingehen, denn da sie extrem kontextabhängig ist, wird man erst im Nachhinein sagen können, welche ästhetischen und religiösen Erfahrungsprozesse sie initiiert hat. Mich interessiert hier nur wieder die religiöse Rhetorik, mit der das Projekt und seine Platzierung vorgestellt wird. Und die lautet so:

Die "Idealgestalt auf den Dächern" getragen von der "moralischen Integrität des einzelnen Menschen" - so viel 19. Jahrhundert war lange nicht mehr. Aber es dürfte konform gehen mit der Mehrheit der Bevölkerung, die meint, dass Jesus nur ein Mensch war, aber ein großer Mensch, der die Menschen zum Guten führen wollte und der deshalb heute noch Vorbild sein kann. Man darf jedenfalls äußerst gespannt sein, welche Rede dieser tote Christus von den verschiedenen Weltgebäuden herab halten wird.


© Andreas Mertin 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 11/2001
https://www.theomag.de/11/am30.htm