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Magazin für Theologie und Ästhetik


Überall Pfützen

Eine Ausstellung

Karin Wendt

Das Projekt PUDDLES ist ein Beispiel für die vermehrt auftretenden "Intranets", Zusammenschlüsse von einzelnen Initiativen zu sozialen Netzwerken zum Austausch von Ideen, Personen und Räumen, mit dem Ziel, den eigenen Horizont und den eigenen Wirkungsradius zu erweitern. "Pfützen [englisch: puddles] finden sich abseits des Hauptstroms [mainstreams]. Sie bilden sich einzeln oder zu mehreren - mal hier, mal dort." PUDDLES wurde 1999 in Japan als Austauschprojekt zwischen japanischen und europäischen Künstlerorganisationen initiiert. Seitdem passieren jährlich verschiedene Künstler und Organisatoren die Grenzen von Ländern und Kontinenten.

In diesem Jahr sind zehn japanische Künstler unterwegs in Deutschland und präsentieren ihre Arbeiten: in Tübingen in der peripherie, in Köln in der moltkerei werkstatt, in Dortmund im MeX, und in Münster im Cuba Cultur und im Förderverein Aktuelle Kunst. PUDDLES will jedoch über die reine Präsentation von Kunst hinausgehen. So kommen die Künstler für Arbeitsaufenthalte, viele Arbeiten werden erst vor Ort konzipiert, so dass sie auch die hiesigen Strukturen und Strategien von Ausstellungen kennen lernen. Die Pfützen fließen zusammen im Künstlerhaus Dortmund, wo auf einem Symposium die soziale Funktion von Kunst in Japan und Deutschland vergleichend diskutiert werden soll. "PUDDLES kämpft bilateral für Aufbau und Kontinuität eine Netzwerkes von Künstlerinitiativen, für eine Vertiefung des Kulturaustausches."

Im Ausstellungsraum ZWEITE ZEIT im Förderverein Aktuelle Kunst in Münster ist vom 11. Mai bis zum 15. Juni eine Arbeit von Shinichi Yanai, Gründungsmitglied von PUDDLES und Mitbetreiber der Gallery Surge in Tokyo, zu sehen. Yanai hat auf sorgfältige wie einfache Weise die Geschichte des Ausstellungsraumes aufgearbeitet: Überall dort, wo er Spuren vergangener Ausstellungen fand, - ungenügend verputze Löcher von Nägeln oder Dübeln, Kleberückstände, Farbreste oder ähnliches -, klebte Yanai einen roten Punkt. Er bedient sich dabei des für das Galeriewesen international gebräuchlichen Markierungszeichens - "marks/sold-out", so nennt er seine Arbeit. Sucht man als Betrachter nach dem 'Bild', so zieht man imaginäre Linien und meint fremde Sternensysteme oder andere Ordnungen zu erkennen. Mit dem Wissen um das Konzept vereinzeln sich die Punkte dagegen. Man sieht nun das Ergebnis einer streng formalen Rekonstruktionsarbeit.

Der rote Punkt setzt natürlich auch gedankliche Assoziationen frei, nicht zuletzt wegen des Titels kann man einen ironischen Verweis auf die rote Sonne Asiens vermuten, die sich hier als Ausverkaufslabel der [D]Mark tarnt. Man könnte aber auch an die asiatische Tuschmalerei denken, in der ein präzise gesetzter roter Punkt den Eindruck eines 'wandernden' Bildschwerpunktes bewirkt. Dieses Verfahren einer Dezentralisierung der Komposition interessierte vor allem die Künstler der europäischen Avantgarde, etwa Moholy-Nagy oder die russischen Konstruktivisten. Die Idee vom Bildraum als einem beweglichen Energiezentrum sprengt die westliche geprägte linearperspektivische Auffassung vom Raum als 'Behälter'. Yanais Arbeit lässt sich so auch als ein asiatischer Beitrag zur Geschichte des europäischen Bildbegriffs verstehen.


© Karin Wendt 2001
Magazin für Theologie und Ästhetik 11/2001
https://www.theomag.de/11/kw5.htm