Reformationsjubiläum |
Die Rückkehr der Deutschen ChristenZur Kritik der religiösen Positionen der AfDAndreas Mertin Eines der großen Probleme der Auseinandersetzung mit der AfD ist, dass ihre niedergeschriebene Programmatik mit den Äußerungen ihrer Vertreter in keinem irgendwie vernünftig zu nennenden Verhältnis steht. Keinesfalls denken die Kandidaten daran, sich an das zu halten, was im Parteiprogramm steht oder was sie in Manifesten programmatisch niedergelegt haben. Das gehört zu ihrer inzwischen auch ganz offen eingeräumten Strategie. Auf die Frage von Dunja Hayali an Alexander Gauland im ZDF-Morgenmagazin, woran potentielle Wähler der AfD sich denn überhaupt halten könnten, um sich verantwortet zu entscheiden, antwortet dieser:
Faktisch bedeutet das, dass man sich nie auf etwas Artikuliertes der AfD verlassen kann, weil jederzeit ein Widerruf kommen kann. „Ich will ja nur spielen“ ist zur politischen Programmatik geworden; nur dass hier mit Menschenrechten, Vorurteilen, Ausgrenzungen und Vernichtungsfantasien gespielt wird. Man wird doch noch Deutsche in Anatolien entsorgen dürfen oder nicht?[2] Wie soll man sich da sine ira et studio mit Manifesten und Verlautbarungen auseinandersetzen, gehört es doch gerade zur Programmatik der AfD dergleichen für nicht verbindlich zu erklären? Verlässlichkeit gehört nicht zu ihren Tugenden. Stringenz aber auch nicht. So ist es in ihren Texten für die Verfasser überhaupt kein Problem, dem politischen Gegner genau das empört vorzuwerfen, was man wenige Zeilen zuvor noch emphatisch für sich in Anspruch genommen hatte. Exemplarisch das Manifest eines Landtagsabgeordneten der AfD in Rheinland-Pfalz, das dessen Engagement in der AfD mit seinem „christlichen Ethos“ begründet, um zwei Seiten später Angela Merkel ihr Ethos vorzuwerfen.[3] Keinesfalls dürfe ein Politiker sich nach dem Ethos richten, er müsse verantwortungspolitisch handeln. Wo so willkürlich mit Argumenten umgegangen wird, wird die Auseinandersetzung schwierig. Die andere Schwierigkeit ist die programmatische Unschärfe der Begrifflichkeiten. Das Epitheton „christlich“ taucht häufig dergestalt auf, dass es deckungsgleich mit ganz bestimmten konservativen, um nicht zu sagen reaktionären „katholischen“ Auffassungen ist. Ausgerechnet 2017 im Jubiläumsjahr der Reformation erklären etwa die Christen in der AfD in einer Grundsatzerklärung(!), dass für sie die Willensfreiheit gegenüber Gott konstitutiv sei.
Und da wundern sie sich, dass evangelische Theologen und Vertreter der evangelischen Kirche (ich will gar nicht von den Vertretern der reformierten Theologie reden) damit Schwierigkeiten haben. De servo arbitrio ist aber nicht einfach verhandelbar wie ein Entwurf für ein Parteiprogramm, sondern greift tief in theologische Grundauffassungen ein.
Vertreter der doppelten Prädestination, wie Calvin sie vorgetragen hat, werden sich daher mit den entsprechenden Äußerungen der Christen in der AfD noch schwerer tun. Nun nötigt die Christen in der AfD nichts, Derartiges in ihre Grundsatzerklärung aufzunehmen, es sei denn, sie wollen schon grundsätzlich vorab klären, welche theologischen Positionen für die AfD akzeptabel sind und welche nicht. Die Evangelische Kirche könnte nur unter Selbstaufgabe einer Position zustimmen, die einen wesentlichen Teil ihrer eigenen Theologiegeschichte vorab ausschließt. Selbstverständlich gab und gibt es evangelische Theologien, die auch das Konzept der Willensfreiheit vertreten, aber eine Ideologie, die Luthers und Calvins Theologie in dieser Frage vorab ausschließt, wird für die Evangelische Kirche kaum akzeptabel sein. Letztlich erklären die Verfasser wesentliche Elemente der lutherischen und reformierten Theologie als nicht maßgeblich. Und das ist nicht nur an dieser Stelle so, sondern wiederholt sich systematisch etwa in Fragen des Lebensrechts, der Geschlechtergerechtigkeit, des Menschenbildes usw. Jedes Mal werden Positionen, die von einigen im katholischen oder evangelikalen Spektrum vertreten werden, als unaufgebbare zentrale „christliche“ Positionen behauptet. So führt man kaum Gespräche mit der Evangelischen Kirche und ihren Vertretern, sondern sucht sie im Vorhinein auf etwas festzulegen, was nicht Teil der evangelischen Lehre ist. In der ZEIT hat nun Wolfgang Thielmann, seines Zeichens evangelischer Pfarrer und Journalist, vertreten, die Kirchen hätten Angst vor der AfD, weil die so fromm sei. „Wenn das stimmt, müssten sich die Kirchen fragen, warum besonders fromme und treue Mitglieder nach rechts abwandern. Vielleicht wollen die Kirchen es aber lieber nicht wissen.“[5] Ich weiß nicht woher die Meinung kommt, die „frommen und treuen“ Christen würden zur AfD tendieren. Man müsste ja fragen, worin ihre Frömmigkeit besteht, wenn sie zugleich die Ausgrenzung von Flüchtlingen inkludiert. Und worin die Treue zur Kirche besteht, wenn diese sich vor allem in der Abgrenzung von den Landeskirchen artikuliert. Ich vermute, die Etikettierung „fromm und treu“ stammt eher aus der Selbstetikettierung der Christen in der AfD. Man ist aber nicht schon „fromm und treu“, nur weil man sich als solches bezeichnet. Auch Männer und Frauen mit Seitensprüngen etikettieren sich häufig als treu. Völlig absurd finde ich folgende Beschreibung von Thielmann: „Tatsächlich fürchten die Kirchen die AfD wie ein schlechter Prediger, der Angst hat, dass ihm jemand in die wohlgesetzte Rede fällt.“ Nun das ganz sicher nicht. Wie einleitend gesagt, ist das Problem, dass das, was AfD-Vertreter sagen und das, was in der AfD gilt, zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. Und immer dann, wenn man Vertreter der AfD mit etwas behaften will, das sie zuvor gesagt oder geschrieben haben, widerrufen sie es und sagen, das sei nur ein Fehler gewesen. Die Vorsicht, die katholische wie evangelische Kirchenvertreter gegenüber der AfD und den so genannten Christen in der AfD bewegt, ist zudem eine historisch begründete. Sie stützt sich auf die Erfahrungen mit den Deutschen Christen, die mit ihrem völkischen, nationalistischen und rassistischen Gedankengut das Christentum in Deutschland an den Rand des Abgrunds brachten. Es ist eine zentrale Erfahrung des 20. Jahrhunderts, die Kirchenvertreter so vorsichtig sein lässt. Nicht noch einmal möchte man ein „Deutsches Christentum“, nicht noch einmal möchte man das Evangelium Jesu Christi mit nationalistischen Tönen kontaminiert sehen. Wer also die Haltung der Evangelischen Kirche zur AfD begreifen will, muss sich mit der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts beschäftigen, mit den Ideologien der Deutschen Christen, die heute in der AfD fröhliche Urstände feiern. Damals ging es gegen das Judentum, heute gegen den Islam und das Judentum wenn man es genau liest. Denn wie soll man folgenden Passus aus dem Papier der Christen in der AfD lesen?
Gilt das nicht auch für das Judentum, das an dieser Stelle eben nur nicht erwähnt wird? Muss man an dieser Stelle also auch folgendes mitdenken und mitlesen:
Klingt das nicht vertraut aus den Diskussionen von vor 100 Jahren? Und wissen wir nicht, wohin das geführt hat? Ist es daher wirklich so, dass über diese Sachverhalte „endlich eine freie und vorurteilslose Diskussion“ geführt werden muss, „bei der keinerlei Denk- und Sprechverbote angebracht sind“? Und wenn man die Kritik an der Leugnung der Gottessohnschaft Jesu vom Islam auf das Judentum überträgt, was folgt daraus. Reden wir dann irgendwann wieder von den „jüdischen Gottesmördern“ wie zur Zeit des Nationalsozialismus? Hat, wer die Gottessohnschaft Jesu und seine Wiederauferstehung „leugnet“ keinen Platz in unserer Gesellschaft, wie es die AfD durch ihren Verweis auf den Islam implizit nahelegt? Und gilt das dann auch für Juden? Werden wir also irgendwann wieder Sätze hören, die so klingen: Gegen das biblische Gebot der Nächstenliebe tritt das unbedingte Gebot der Erhaltung des deutschen Volkes bzw. der Reinhaltung von deutscher Art und Rasse in Kraft? Oder wird es etwas moderater lauten: wir kämpfen für „die Weiterentwicklung unserer Kultur und unserer Lebensart“? Dass die großen Kirchen sich auf diese Argumente nicht einlassen wollen, liegt sicher nicht daran, dass sie Angst vor der Sprachgewalt der AfD-Vertreter hätte. Damit ist es nicht weit her. Im Folgenden setze ich mich mit den beiden bereits von mir erwähnten Erklärungen von Christen in der AfD auseinander. Ich nehme sie also beim Wort.
FazitDie Frage zu beantworten, ob die Christen in der AfD und die sich im kirchenpolitischen Manifest artikulierende Position christlich sind, ist müßig. Denn sie argumentieren überhaupt nicht theologisch, christlich oder religiös. Sie dekretieren einen so genannten „christlichen Ethos“, der dann vorwiegend kulturell expliziert wird, und setzen ihn den anderen (Religionen, Konfessionen, Theologien) gegenüber und grenzen diese aus. Am deutlichsten wird dies in den Fragen rund um den Lebensschutz.
Aus all dem lässt sich eine religiöse Position rekonstruieren, die im Wesentlichen die Position kleiner Gruppen am rechten Rand des Katholizismus und der evangelikalen Bewegung ist. Es sind Gruppen, die nicht das Gespräch mit den großen Kirchen suchen, sondern die dort vertretenen Haltungen abwerten und ihre eigenen totalitär durchzusetzen trachten. Eine solide Grundlage für Gespräche sehe ich nicht. Anmerkungen
[2] Alexander Gauland: „Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein, und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“ Vgl. dazu Thomas Fischer, Herr Gauland, der Friede und der Müll, ZEIT Online 30. August 2017, online verfügbar unter http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-08/volksverhetzung-alexander-gauland-thomas-fischer-strafanzeige [6] Zitat im Abschnitt über den Islam in Deutschland. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/110/am607.htm |