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Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin NachtigallZur aktuellen Ikonographie des Religiösen XIIAndreas Mertin Religiöse Thymotik
Jüngster Aufreger war eine Werbung der Firma Lottohelden, die das Model Sophia Thomalla ans Kreuz gehängt hatte und unter der Überschrift „Weihnachten wird jetzt noch schöner“ Reklame für die deutsche und spanische Weihnachtslotterie machte. Nun kann man lange darüber streiten, ob eine Darstellung einer Kreuzigung zu Weihnachten vom Sujet her treffend ist, es gäbe sicher Motive der christlichen Ikonographie oder der abendländischen Kunstgeschichte, die passender wären. Aber das muss die Firma Lottohelden selber wissen. Lottowerbung zeichnet sich ja insgesamt durch eine eher penetrante und die Nerven quälende Form aus, dazu braucht man nicht bis Weihnachten warten. Aber ehrlich gesagt, interessiert mich das auch gar nicht. Ich stehe nicht in der Versuchung, derartigen Werbungen zu erliegen, wenn ich auf eine stoße, schaue ich darüber hinweg. Was mich aber interessiert, sind die Reaktionen, um nicht zu sagen, die Pawlowschen Reflexe der Religionsapologeten. Wir sind uns ja darüber klar, dass derlei angebliche Tabubrüche und die empörten Reaktionen darauf eine seit Jahrzehnten bewährte Kooperation zwischen Werbetreibenden und Berufs-Religiösen darstellt.
Was ich aber erwartet hätte, ist, dass nach so vielen Jahren eingespielter Reiz-Reaktions-Mechanismen die Proteste irgendwie ‚reflektierter‘ ausfallen. Man sollte doch inzwischen wissen, mit welchen Argumenten man wogegen protestieren kann und welche Einsprüche keinen Sinn machen, weil sie performative Selbstwidersprüche darstellen. Ein Katholik kann doch nicht ernsthaft dagegen protestieren, dass Lottohelden eine Frau ans Kreuz geheftet hat, wenn die heilige Kümmernis bzw. Wilgefortis seit Jahrhunderten zum katholischen Bildbestand gehört. Und es ist schon auffallend, wie sehr das inkriminierte Bild mit Sophia Thomalla den alten Vorlagen ähnelt.
Wenn den Kritikern aber klar ist, dass mit der Darstellung Jesu Christi am Kreuz notwendig eine Gottesdarstellung verbunden ist, warum lassen sie es dann zu, dass landauf landab derlei Darstellungen in ihren Kirchen zu finden sind? Gottes Gebot verbietet ohne jeden Zweifel Kultbilder und für Milliarden Menschen auf dieser Erde stellt die vollfigurale Darstellung Jesu am Kreuz eine Blasphemie dar. Und es ist irgendwie bizarr, wenn konservative Katholiken wie Felix Honekamp gegen die ‚Blasphemie‘ der Sophia Thomalla protestieren und dazu dann als Alternative ein Bild von einem Kruzifix stellen. Als ob das nicht blasphemisch wäre! Für mich wäre es das. Und auch für jeden Juden ist die Darstellung Jesu als Gottes Sohn blasphemisch, für viele Sunniten ist die Abbildung von Isa ibn Maryam blasphemisch und für jeden Reformierten sind figurale Kruzifixe Übertretungen des 2. Gebots. Aber was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall. Das sollte einen aber auch davor warnen, allzu polemisch gegen die Inszenierung von Lottohelden anzugehen. Es könnte sein, dass die Kritik am Ende auf einen zurückfällt. Und noch etwas ist interessant. Man kann sich ja fragen, warum Christen erst jetzt gegen die Lotterie protestieren. Hatten sie vorher keinen Grund dazu? Oder geht es gar nicht darum, dass Weihnachten und Lotto miteinander verknüpft werden, sondern vielmehr darum, dass es ausgerechnet die schillernde Sophia Thomalla ist, die man nicht mit der erhabenen Darstellung der Kreuzigung in Verbindung gebracht sehen will? Dafür spricht sehr viel. Die unerträglichen Invektiven gegen die Künstlerin, die man lesen konnte, zeigen an, dass es weniger die dargestellte Situation, als vielmehr das Model war, das einen aufregte (um nicht zu sagen: erregte). Mich erreichte auf dem Magazin-Blog nach einem entsprechenden Beitrag folgendes Posting:
Das ist schon sehr persönlich. Bei kaum einer anderen Werbung würden wir uns so sehr auf das Model statt auf den Auftraggeber fokussieren. Könnte es sein, dass die Kritiker hier eine Haltung einnehmen, die die außerkanonische Überlieferung den tempelnahen Kritikern der Maria unterschiebt, als sie von deren Schwangerschaft erfuhren? Gott jedenfalls lässt sich von der Niedrigkeit der Magd nicht abschrecken, wenn er seinen Blick auf die Menschheit richtet. Kommen wir zum nächsten Argument: Es geht um Klicks und Money ... Das ist ja schrecklich, dass Weihnachten mit Geld in Verbindung gebracht wird. Niemals würde ein frommer Mensch es dulden, dass ausgerechnet Weihnachten mit Kapital in Verbindung gebracht wird. Das wäre unerträglich und würde sofort, ich schwöre: sofort auf den entschiedenen Protest der Kirchen stoßen. Was aber, so möchte ich fragen, haben die folgenden Bilder miteinander gemeinsam? Nun könnte man sagen, das sei doch offensichtlich: jedes Mal gehe es um die Geburt Jesu Christi. Wir blicken auf Geburtsdarstellungen von Rogier van der Weyden, Bartolome Esteban Murillo, Juan de Castillo, Pieter Coecke van Aelst und in der Mitte auf eine volkstümliche Krippendarstellung. Und alle Bilder gehören zu einem Bildtyp, der erst nach dem 14. Jahrhundert in der Folge der Visionen der Birgitta von Schweden entstanden ist sind also keine historisierenden Darstellungen der Geburt, sondern visualisieren eine Imagination einer Person, die nicht bei der Geburt Jesu dabei gewesen ist und 1300 Jahre später lebte. Aber diese Vision wurde stilbildend. Ansonsten sind alle oben gezeigten Bilder stark kulturell von ihrer jeweiligen Zeit geprägt in der höfischen Kleidung, in der volkstümlichen Präsentation usw. Zugleich sind sie aber auch alle in spanischen Museen oder spanischen Kirchen zu finden. Auch wenn van der Weyden ein flämischer Maler ist, so ist das Bild doch in Granada. Und das Bild des Flamen van Aelst ist im Prado in Madrid ebenso wie Murillos Arbeit. Andere der Bilder sind in Sevilla oder Leon zu finden. Das aber ist nur die eine Seite dieser Bilder.
Nein, es geht um handfestes Kapital für das einzelne Subjekt. Seit 1892 gibt es die so benannte Sorteo de Navidad, inzwischen die größte Lotterieausspielung der Welt. 2013 betrug der Gesamtgewinn sagenhafte 2,2 Milliarden Euro. Und im Gegensatz zur deutschen Lotterie sind hier die Gewinnchancen nicht einmal verschwindend gering. Und auf all den vielversprechenden Losen findet sich Jahr für Jahr eine jeweils andere Darstellung von der Geburt Jesu, 2017 ist es diese von Murillo:
Was aber hat die deutsche Auseinandersetzung um Sophie Thomalla mit der großen spanischen Lotterie zu tun? Nun, Lottohelden macht mit ihrem Bild schlicht Reklame für die Teilnahme an der spanischen Weihnachts-Lotterie. Das fällt auf den ersten Blick vielleicht nicht auf, vor allem wenn man geifernd nur den oberen Teil des Bildes zeigt wie es viele Blogs und Nachrichtenportale getan haben.
Wenn Sophie Thomalla als „Madonna mit Kind“ aufgetreten wäre und Reklame für ein bereicherndes Weihnachten gemacht hätte, hätte es vermutlich auch Proteste gegeben und die Bigotterie der Protestierenden wäre noch viel offensichtlicher geworden. Aber vielleicht ist das für deutsche Verhältnisse inzwischen zu viel der kulturellen Bildung. Die schönen aufregenden Zeiten mit Oliviero Toscani und Horst Wackerbarth sind leider lange vorbei, Werbung ist langweilig und stereotyp geworden und ihre Kritiker sind es noch viel mehr.
Postskriptum
Nun könnte man sagen, dies gehöre zur vergangenen Geschichte und käme in der aufgeklärten Moderne nicht mehr vor. Das ist nicht wahr. 1950 bekommt Salvador Dali vom italienischen Staat den Auftrag, die göttliche Komödie zu illustrieren. Das ist ein Auftrag ganz nach seinem Herzen. In den nächsten 10 Jahren schafft er 101 Aquarelle, die später als Vorlage für Farb-Xylographien dienen (welche heute immer noch munter auf dem Graphikmarkt verkauft werden). Die Originale ließ er während einer Audienz bei Johannes XXIII. vom Heiligen Vater segnen. Unter den von Dali geschaffenen (und vom Papst gesegneten) Blättern ist nun auch eines, das Mohammed darstellt. Und zwar in einer Weise, die, wenn die Titanic so den Papst darstellen würde, sofort als blasphemisch angezeigt werden würde. Bei Mohammed, dem Stiftern der muslimischen Religion, ist das für Christen aber natürlich kein Problem. Schließlich ist Dante ein Teil der Literaturgeschichte und die Bilder Dalis sind Kunst. Und warum sollte man den Religionsstifter aus Mekka nicht mit dem Segen des Papstes als Gekreuzigten mit durchbohrten Augen, zerrissener Haut und herausquellenden Eingeweiden darstellen dürfen? Das gehört doch zur Freiheit des Christentums und schließlich wird nicht Jesus so dargestellt. Die Illustrationen werden in den 60er-Jahren veröffentlicht. Und vielleicht kann Peter Hahne mir ja einmal zeigen, wie „die Muslime“ Salvador Dali dafür verfolgt haben, ihn auf eine Todesliste gesetzt haben oder gar körperlich geschädigt hätten. Nein, davon ist nichts bekannt. Sie sind auch nicht in ein Museum eingebrochen und haben immer wieder mit einem Hammer auf die Bilder von Dali eingeschlagen, wie es dem berühmten „Piss Christ“ von Andres Serrano durch konservative Christen ergangen ist. Und ja, es gibt islamische Bilderstürmerei und genügend Künstler, die durch Islamisten mit dem Tod bedroht werden. Das soll gar nicht bestritten werden. Aber so zu tun, als wären blasphemische Bilder im Christentum folgenlos, im Islam aber nicht, verkennt die Realität. George Grosz, Max Ernst, Herbert Achternbusch, Andres Serrano, Madonna, David Wojnarowicz und viele andere haben etwas anderes erfahren. Und so finde ich, macht es wenig Sinn, hier die Religionen gegeneinander auszuspielen oder Künstler in ihren Freiheitsrechten einzuschränken. [Nebenbei bemerkt: Es obliegt auch nicht dem Vorsitzenden des ZdK, festzulegen, was in Deutschland Kunst ist und was nicht.] Religionskritik und religiöse Persiflage gehört zu den Freiheitsrechten der Menschen, die jeder in Anspruch nehmen können sollte, ob er einem nun sympathisch ist oder nicht. Man kann und sollte dafür eintreten, dass diese Freiheitsrechte überall gelten. Aber sie gelten auch vor der eigenen Tür. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/111/am612.htm |