01. Februar 2018

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn man ab und an in den beiden großen deutschen Kirchen unterwegs ist und ihre Verlautbarungen und Texte liest, stößt man des Öfteren auf den Satz, dies und das dürfe nicht zum Museum werden bzw. es dürfe nicht museal erscheinen, in der Regel geht es dabei um Kirchengebäude. Für manche Menschen in der Kirche, so scheint es, sind Museen der Inbegriff des Schreckens, langweilig, verstaubt, von gestern. Und dieses Gefühl möchten sie nicht auf die eigene Institution übertragen sehen. Dazu könnte man einiges bemerken. Zunächst dies, dass die Mehrzahl der Kirchen schlicht Museen sind, unter Denkmalschutz stehen und nur selten unmittelbarer Ausdruck der Theologie der aktuell in ihr lebenden Gemeinde sind. Kirchen sind – und das kann man ja auch nur begrüßen – Zeugnisse der Geschichte. Aber sie erschöpfen sich nicht in ihrer Geschichte. Museen aber auch nicht. Und deshalb wäre es natürlich gut, wenn viel mehr von dem, was der zentrale Gedanke des Museums ist, auch mit Kirchen assoziiert würde. Nämlich jener Ort zu sein, an dem das Beste aus der Geschichte der Menschheit aufbewahrt, überliefert und immer wieder durch Vergegenwärtigung reflektiert wird. Umgekehrt gibt es eine lange Tradition, die Erfahrung von Kunstmuseen mit Kirchen zu assoziieren, vor allem im Sinne der Erfahrung gesteigerter Bedeutung. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Museen deutlich später als Kirchen und zum Teil auch aus Kirchen entstanden sind.

Schon klassisch ist Goethes Beschreibung seines Besuchs der Dresdner Schlossgalerie:

"Ich trat in dieses Heiligtum und meine Verwunderung überstieg jeden Begriff, den ich mir gemacht hatte. Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie vergoldet wurden, der gebohnerte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume gaben mir ein Gefühl der Feierlichkeit, einzig in seiner Art, das umso mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manchen Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt schien."

Und auch Brian O’Dohertys Vergleich einer Galerie mit einer Kirche ist inzwischen klassisch:

„Die ideale Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, dass es ‚Kunst‘ ist, stören könnten. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt. Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz, wie sie auch andere Räume besitzen, in denen ein geschlossenes Wertsystem durch Wiederholung am Leben erhalten wird. Etwas von der Heiligkeit der Kirche, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas von dem Geheimnis des Forschungslabors verbindet sich mit schickem Design zu einem einzigartigen Kultraum der Ästhetik. So mächtig sind die wahrnehmbaren Kraftfelder innerhalb dieses Raumes, dass - einmal draußen - Kunst in Wirklichkeit zurückfallen kann, und umgekehrt wird ein Objekt zum Kunstwerk in einem Raum, wo sich mächtige Gedanken über Kunst auf es konzentrieren [...] Eine Galerie wird nach Gesetzen errichtet, die so streng sind wie diejenigen, die für eine mittelalterliche Kirche galten. Die äußere Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiß getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle [...] Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, ‚ihr eigenes Leben zu leben‘.

Es gibt also gute Gründe, sich noch einmal die gesellschaftliche wie biographische Bedeutung von Museen zu vergegenwärtigen. Das machen wir mit dieser Ausgabe des Magazins für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik.

Im Hauptteil VIEW finden Sie zunächst einen Essay von Wolfgang Vögele, der sich zu einer Reise aufmacht, bei der er eine Art imaginäres Museum (Malraux) durchschreitet und dabei den verschiedenen Momenten der Museumserfahrung nachgeht. Andreas Mertin wird persönlich und fragt sich, welche Museen ihn im Laufe des Lebens am stärksten beeinflusst haben. Karin Wendt erinnert an die Geschichte des Kabinetts der Abstrakten, einem Raum für die abstrakte Kunst im Sprengel Museum Hannover und stellt das Forschungsprojekt Museum Global vor. Michael Waltemathe begegnet [beinahe] Marina Abramovic. Darüber hinaus geht Andreas Mertin der Umwandlung der Dominikanerkirche in Münster in ein Museum nach und erinnert an zwei 2017 verstorbene Persönlichkeiten aus dem Bereich von Kunst und Kirche.

Unter RE-VIEW finden Sie eine Rezension von Wolfgang Vögele zu Tristan Garcia, und zwei Studien von Andreas Mertin zur aktuellen Ikonographie des Religiösen sowie einige kirchenpolitische Interventionen.

Und unter POST finden Sie wie gewohnt die Notizen von Andreas Mertin zu Themen der letzten zwei Monate.

Wir wünschen eine angenehme und erkenntnisreiche Lektüre!

Andreas Mertin, Jörg Herrmann, Horst Schwebel und Wolfgang Vögele

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