Mein Museum, dein Museum ...

Das Forschungsprojekt Museum Global

Karin Wendt

„Kulturgüter sind das Gedächtnis der Geschichte“, heißt es auf den Seiten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Stichwort „Kulturelles Erbe und Forschungsmuseen“. Und weiter: „Mithilfe der Forschung sollen die von Museen, Sammlungen, Archiven und Bibliotheken bewahrten Schätze unserer Kultur gehoben und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“ Was zunächst vielleicht unproblematisch klingt, birgt doch Konfliktpotenzial. Was ist museale Gedächtnis-Arbeit? Was kann und was sollte sie leisten?

Zunächst sind Schätze unserer Kultur ja nicht einfach „unsere“ Schätze, oft sind sie nationales Erbe und Weltkunst in einem. In dem Fall stellt sich die Frage, wie man mit dieser zweifachen Zuschreibung umgeht. Was ist zu tun, wenn Werke oder Teile eines Werks über merkantile Wege oder durch Raub in die Welt zerstreut sind? Darüber gibt es oft kontroverse Diskussionen, etwa in Bezug auf den Parthenon-Fries, dessen originale Fragmente seit dem Neubau des Akropolis-Museum 2009 wieder zusammengetragen werden könnten und das gesamte Werk damit wieder an dem Ort gezeigt werden, an dem es ursprünglich (ent-)stand.[1] Man kann dies im Sinne des Objekts (des Schatzes) befürworten und so begründen, dass nur dann dessen größtmögliche Unversehrtheit erreicht wird. Man kann aber natürlich auch für das Fragment sprechen und mit James Cuno, Direktor des Chicago Art Institute, die Meinung vertreten, „dass die großen Schätze der antiken Kunst (…) allen von uns [gehören] als Erben eines gemeinsamen Erbes.“[2] Ergänzend muss die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit bedacht werden. Denn das kulturelle Erbe wird auf eine offene Zukunft hin und für die zukünftig Lebenden bewahrt, wie der Literaturwissenschaftler Stefan Willer erklärt. Der Begriff des nationalen Erbes reicht in jedem Falle für die Beurteilung solcher Fragen nicht aus.[3]

Noch davor müsste jedoch geklärt werden, was wir überhaupt meinen, wenn wir von „Schätzen“ sprechen, die „das Gedächtnis der Geschichte sind“. Was ist das Gut(e) einer Kultur, das im Gedächtnisraum des Museums bleiben sollte? Ist das im Museum Aufbewahrte ein Gedächtnis oder ist es „unser“ Gedächtnis? Um welche Geschichte geht es in einem Museum? Auch wenn man „unsere“ Kultur durch „Kulturen“ und „Geschichte“ durch „Geschichten“ ersetzt, bleibt also zu fragen: Wer erinnert sich an was oder wen? Wie erinnert man überhaupt und wie gedenkt man einer Sache? Was und wie muss das im Museum Gesammelte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und welche Öffentlichkeit hat man dabei im Blick? Wie der Begriff des kulturellen Erbes hat auch die Idee des Museums immer auch eine politische Dimension, ein ganz sichtbares Beispiel ist die Ankauf- und Ausstellungspolitik des Museums für Bildende Kunst in Abu Dhabi, dem Ableger des Louvre in den Vereinigten Emiraten.[4]

Während Museen seit ihrer Entstehung den Gedanken des Nationalen bzw. des Regionalen betonen und so auch das Andere zunächst in ihrem eigenen Interesse sammeln, bewerten und integrieren, versucht man seit den 90er Jahren in vielen Häusern, auch die Perspektiviertheit des eigenen Horizonts stärker zu thematisieren und die eigene Begrenztheit aufzubrechen. Seither gibt es insgesamt – zumindest als erklärtes Ziel – mehr Gespräch. In der Folge der Documenta X unter Catherine David begann man Werke und Sammlungen durch außerästhetische Diskurse zu kontextualisieren und sie so „zum Sprechen“ zu bringen. Nach der Documenta11, kuratiert von Okwui Enwezor, öffnete man den ästhetischen Diskurs selbst für andere Praktiken und Bereiche abseits des Mainstreams der westlichen Kunstwelt. Die 14. Documenta versuchte beide Perspektiven affirmativ zusammenzubringen. Vielleicht lag darin auch eines ihrer Probleme, denn einen solchen Über-Blick hat ein Mensch nicht. Gleichwohl muss es weiter darum gehen, Kunst unter den Bedingungen einer globalisierten Moderne kritisch zu reflektieren, jenseits irgendwelcher ideologischer Vorentscheidungen. Ein gutes Beispiel dafür sind die seit 2010 öffentlich stattfindenden Engadin Talks, wo sich Kuratoren mit Theoretikern, Künstlern und Interessierten im Engadin treffen, um ihr eigenes Tun zu befragen und sich auszutauschen.

Relativ groß dimensioniert ist ein 2015 initiiertes, von der Kulturstiftung des Bundes getragenes Forschungsprogramm, das sich dem Thema Globalisierung und Museum aus unterschiedlicher Sicht und mit Interesse an der Verschiedenheit der Einsichten widmet. Es trägt den Titel Museum Global.[5] Es ist, wenn ich es recht sehe, in drei Phasen unterteilt, die man mit Sondierung (I) – Exploration (II) – Präsentation (III) umreißen könnte.

(I) Zunächst veranstaltete man zusammen mit dem Goethe-Institut unter dem Stichwort Museale Episode – Zur globalen Zukunft von Museen eine Konferenzreihe zum Gedankenaustausch. Die Treffen von Museumsfachleuten aus der ganzen Welt fanden in Bahia (Salvador/ Brasilien), in La Paz und Santa Cruz (Bolivien), in Kapstadt und Johannesburg (Süd Afrika) und zuletzt in Athen statt und ließen so ein feines und weit reichendes Netz entstehen, das Diskussionen im Kleinen und im Großen sowie viele Ideen vor Ort anregte.

(II) Im Januar 2017 fand dann im K20 in Düsseldorf das Symposium Wem gehört das Museum? statt. Dabei wurden vier Fragestellungen erörtert. Der Bildungs-Auftrag eines Museums („Museen und Mission Statements“), das Museum als Ort der kulturellen Teilhabe („Repräsentation und Teilhabe“), Museen als Spiegel einer freien Gesellschaft („Diversität“), das Museum als Institution („Struktur und Transparenz“). Alle Vorträge wurden aufgezeichnet und können abgerufen werden. Einen informativen Trailer mit Kurzinterviews findet man auf Youtube.

(III) Inzwischen läuft die dritte Phase, in der es unter der Überschrift „Sammlungen des 20. Jahrhunderts in globaler Perspektive“ um die Präsentation und Erprobung eines global gedachten und global denkenden Museums geht. Von 2017 bis 2021 zeigen die großen Häuser in Deutschland Ausstellungen, die die eigenen Sammlungen mit neuen Narrativen erschließen sollen. Es ist sicher auch der Versuch, nach dem Hype um die Outsider Art auf Seiten des Kunstmarkts das Thema sachlich und selbstkritisch einzuholen. Die Ausstellungen titeln: „A Tale of Two Worlds“, Museum Moderne Kunst, Frankfurt (noch bis zum 2. April 2018); „Hello World. Revision einer Sammlung“, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin (23.03. - 19.08.2018); „Die exzentrische Moderne“, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (10.11.2018 - 10.03.2019); „Gruppendynamik. Die Sammlung Blauer Reiter und Künstlerkollektive der Moderne im globalen Kontext“, Lenbachhaus, München (Frühjahr 2021). Obwohl nicht Teil dieses Projekts, gehören bereits die Ausstellungen „Avatar und Atavismus. Outside der Avantgarde“ in der Kunsthalle Düsseldorf 2015 und „Der Schatten der Avantgarde. Rousseau und die vergessenen Meister“ 2015 bis 2016 im Folkwang Museum in Essen im Grunde genommen in diese thematische Reihe. Interessant ist natürlich allein schon, dass sich hier die Big Player freiwillig vernetzen und einer gemeinsamen Fragestellung öffnen und dem vergleichenden Publikum stellen. Museen sollten „Kraftwerke“ sein, schrieb Alexander Dorner zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die eigentliche Kraft ist jedoch allein die Kraft der Kunst.[6]

Anmerkungen

[1]    Hans Rauscher: Ein Museum als stummer Vorwurf. In Athen wird das neue Akropolis-Museum eröffnet – auch als politischer Akt, in: Der Standard, 19.6.2009 und Ders: Nationales Erbe oder Weltkunst. Athen will den Parthenon-Fries zusammenführen – und das neue Akropolis-Museum soll das British Museum in Zugzwang bringen, in: Der Standard 21.6.2009.

[2]    James Cuno, zitiert nach Rauscher: Nationales Erbe oder Weltkunst, a.a.O.

[3]    Stefan Willer: Kulturelles Erbe und Nachhaltigkeit, Vortrag auf der 8. Initiative „Nachhaltigkeit in der digitalen Welt, Jüdisches Museum Berlin, 31.5.2013.

[4]    Alexander Grau: Salvator mundi – Demonstration eines Machtanspruchs, in: Cicero. Magazin für politische Kultur, 9. Dezember 2017.

[5]    Museum Global ist ein Forschungsprojekt der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Globale Kunstgeschichte des Heidelberger Centrums für transkulturelle Studien an der Universität Heidelberg, unter wissenschaftlicher Beratung von Prof. Dr. Monica Juneja.

[6]    Christoph Menke: Die Kraft der Kunst, Frankfurt/M: Suhrkamp 2013.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/111/kw80.htm
© karin Wendt, 2018