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Ein AufrufAndreas Mertin Setzt ein Zeichen!In Kassel steht der Verbleib eines Kunstwerks auf der Kippe, das aktuell wie kaum ein anderes in Deutschland den Geist einer nicht zuletzt christlich inspirierten Gastfreundlichkeit der letzten 500 Jahre spiegelt. Das ist für die deutsche Kultur, die ja durchaus auch xenophob auftreten kann, nicht selbstverständlich. Sie umfasst beide Seiten die ausgrenzende und überhebliche zum einen und die weltoffene und kosmopolitische zum anderen. Darüber streiten aktuell nicht nur Uwe Tellkamp und Durs Grünbein.[1] Umso wichtiger ist es für Christen, die zivilreligiös für eine Kultur der Gastfreundschaft und der Offenheit eintreten wollen, auch im öffentlichen und kulturellen Bereich Zeichen zu setzen und derartige Zeichensetzungen zu unterstützen. Das Fremdlinge und Flüchtlinge Monument des nigerianisch-amerikanischen Künstlers Olu Oguibe, das dieser für die documenta 14 in Kassel auf dem Königsplatz platziert hat und das einen Vers aus der Weltgerichtsrede Jesu Christi in Matthäus 25 aufnimmt, soll nach dem Willen der Stadtverwaltung dauerhaft erhalten bleiben. Wie es in Kassel Tradition ist, setzt man bei den zu erhaltenden Documenta-Kunstwerken auf die Spendenbereitschaft der Zivilgesellschaft, nicht zuletzt um den Stadtetat nicht über Gebühr zu beanspruchen. Terminiert ist der Spendenaufruf auf Ende April 2018. Gesammelt werden müssen 600.000 Euro, was etwa der Hälfte des marktüblichen Wertes dieses Kunstwerks entspricht. Bisher haben Bürger und Stiftungen 100.000 Euro eingesammelt. Die Stadt Kassel schreibt zum Spendenaufruf:
Ich fände es wichtig, wenn nicht nur ganz allgemein die kulturinteressierten Bürger sich für das Kunstwerk einsetzen würden, sondern in diesem besonderen Fall die Spendenden auch als Christen, die sich für ein wichtiges Kunstwerk einsetzen, kenntlich werden. Es sollten
ein Zeichen setzen und sich ideell und ökonomisch für das Kunstwerk einsetzen. Sorgen Sie mit einer Spende dafür, dass dieses Gedächtniszeichen in Kassel an dezentral-zentraler Stelle erhalten bleibt. Das Schweigen der Christen in kulturellen Fragen muss beendet werden. ErinnerungSeit Jahrhunderten beobachten wir den Rückgang christlicher Themen in der Bildenden Kunst. Der erste Bruch kam schon im 14. Jahrhundert, als es zunehmend weniger wichtig wurde, wie religiöse Themen in der Kunst umgesetzt wurden, sondern eher, wer diese Kunstwerke schuf. Das war so lange noch nicht so auffällig, so lange es weiter darum ging, Kunstwerke für den religiösen Kontext zu schaffen. Mit der Errichtung der ersten öffentlichen Museen im 17. und 18. Jahrhundert wurde aber auch dieser Kontext den Werken entzogen.
Antwort: SchweigenIm Christentum ist man schleichend zu einem Habitus der kulturellen Ignoranz übergegangen. Man beruft sich zwar noch auf die goldenen Zeiten einer gemeinsamen Geschichte von Kunst und Religion die menschheitsgeschichtlich aber kürzer ist, als deren Vertretern lieb sein kann[4] , aber man lässt die Kunst einfach Kunst sein oder zieht sich gleich auf das religiöse Kunsthandwerk zurück. Wenn aber einmal ein Künstler oder eine Künstlerin, die nicht dem engeren Ghetto des religiösen Kunsthandwerks entstammt, sich auf die religiöse Ikonographie bezieht (wie beim Ecce Homo von Mark Wallinger) oder dezidiert die biblische Botschaft aufgreift (wie beim hier im Fokus stehenden Obelisken von Olu Oguibe), dann herrscht ein eigentümliches Schweigen oder sogar ein latenter Widerwille bei den religiös Virtuosen. Es ist, als ob es einem unheimlich wäre, dass das Eigene im Fremden vorkomme, so als ob man die moderne ästhetische Theorie dahingehend verstanden hätte, das Religiöse oder gar das Christliche dürfe in der Kunst gar nicht mehr vorkommen. Tatsächlich existiert dieser Reflex auf beiden Seiten. Auch im Betriebssystem der Kunst werden die kritisch beäugt, die sich auf die Zusammenarbeit mit Kirchen eingelassen haben. Schnell wird jemand, der den Kosmos des Religiösen in sein Werk aufnimmt, als „verbrannt“ wahrgenommen. Das aber ist ein elementares Missverständnis dessen, was der Begriff der Autonomie der Kunst ausmacht.[5] Sicher ist diese einmal gegen die Religion und vor allem gegen die Kirche errungen worden, aber in ihrer Autonomie, d.h. in ihrer Selbstgesetzgebung kann Kunst natürlich Religion und religiöse Aussagen zum Gegenstand ihrer Arbeit machen. Wenn das aber einmal geschieht, dann irritiert das anscheinend. Das Kunstwerk in Kassel ist keine Kultstele, die irgendwie Verehrung oder Anbetung einfordert, sondern ein Gedächtniszeichen in einem höchst biblischen Sinn, ein Zeichen das nicht nur den deutschen Bürgern ein „Erinnere Dich“ zuruft. Erinnere Dich an Deine Geschichte der Gastfreundschaft, die vor 400 Jahren mit der Aufnahme der Hugenotten in Kassel ihren Anfang nahm und mit der Aufnahme der Vertriebenen, der türkischen und italienischen Gastarbeiter ihre Fortsetzung fand und mit der Gastfreundschaft gegenüber den Flüchtlingen aus Syrien in der Gegenwart angekommen ist. Das sollte man dann auch fördern. Anmerkungen[2] Malraux, André (1987): Das imaginäre Museum. Neuaufl. Frankfurt/Main: Campus-Verl. (Reihe Campus, 1017). [3] Tabelle nach den Zahlen bei Sorokin, Pitrim A. (1966): The Western Religion and Morality of Today. In: J. Matthes (Hg.): Theoretische Aspekte der Religionssoziologie 1. Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie Band 2. Unter Mitarbeit von P.A Sorokin. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 949. [4] Vgl. dazu Mertin, Andreas (2013): Am Anfang. Chauvet und die Folgen. In: tà katoptrizómena - Magazin für Kunst | Kultur | Theologie | Ästhetik, Jg. 15, H. 81. Online verfügbar unter http://www.theomag.de/81/am422.htm. [5] Vgl. Lehnerer, Thomas (1987): Abschwächung und Radikalisierung der Argumentation. In: Kunst und Kirche (3), S. 230. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/112/am626.htm |