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Die spirituelle Dimension von HeimatHeiderose Gärtner-Schultz ![]() Hinführung: Heimat heute?Das Thema Heimat ist so alt wie die Menschheitsgeschichte und gleichzeitig so aktuelle wie nie. Migranten der zweiten und dritten Genration z. B. fühlen sich in zwei Länder beheimatet, das ist für sie manchmal eine schwierige emotionale Gradwanderung. Denn Menschen wollen ein Zuhause, einen Ort haben, der zu ihnen gehört und zu dem sie gehören. Bis heute streiten Völker untereinander um die Erde auf der sie leben, weil diese ihnen ermöglicht, Häuser zu bauen oder Zelte aufzuschlagen und sie auch ernährt durch Weidewirtschaft oder Ackerbau. Der Begriff Heimat ist „schollengebunden“, hatte eine rechtliche Bedeutung als Aufenthalts- und Bleiberecht. In der Heimat ist man mit den Menschen zusammen, die auch dort geboren wurden. Heimat ist die „nahe Welt“. Damit ist, außer der Erde, auch der persönliche Bezugsrahmen in der Gemeinschaft, in dem Tradition und Gewohntes Sicherheit geben, gemeint. Der Mensch, der kein Eigentum, keine Heimat, besaß, der war fremd und ihm wurde noch im 19. Jahrhundert das Recht auf die Hochzeit verwehrt. „Nun ade du mein lieb Heimatland“, sang der Wanderbursche, der sich auf den Weg in die Welt machte, um seine Gesellenjahre, seine weitere Ausbildung in der „Fremde“ zu absolvieren. Er zollt seinem Heimatgefühl mit dem Lied Rechnung, die Heimat wird nicht vergessen werden. Schenkt man der Soziologie Glauben, dann hat sich in den westlichen Industrieländern, auch gerade in der Bundesrepublik Deutschland, nach dem Zweiten Weltkrieg ein gesellschaftlicher Individualisierungsschub von ungeahnter Kraft vollzogen. Die Auflösung von gemeinsamen weltanschaulichen Ansichten verbunden mit dem verlorenen Gottesbezug, der den umfassenden Referenzrahmen bildete, ist zu konstatieren. Das „Ich“ wurde zum Sinnstifter des eigenen Lebens, das sich dabei im Freizeit- und Konsumangebot orientieren muss. Sind wir bei einem postmodernen Autismus, wie manchmal formuliert wird, angekommen? Oder muss man von einer Entwurzelung sprechen? Das Fundament, die Tiefe, um wachsen und leben zu können, hat sich aufgelöst, wo ist Stabilität? Brauchen Menschen heute Gemeinschaft und Heimat oder sind sie sich selbst genug? Eine andere Form der Beheimatung, so meine These, hat in den Köpfen und Herzen der Menschen Platz genommen, das Zuhause sind spezielle Gruppen oder Schichten. Was bei dem einen der Golfclub ist, ist für den anderen die Fangemeinde eines Sängers oder der Hospizhilfeverein. Man sucht Gleichgesinnte, ähnliche Milieus, um Geborgenheit und Vertrauen zu spüren.
Heimat im Alten TestamentHeimat zu haben bedeutet im Alten Testament, Land zu besitzen und mit der Gemeinschaft, in die man hineingeboren worden ist, zu leben, dort kann das Zelt aufgeschlagen, die Hütte gebaut werden, da haben die Tiere Weideplätze, da steht der aus Steinen aufgerichtete Altar, der an Jahwe erinnert, dem diese Heimat zu verdanken ist. Doch bevor die Israeliten in ihre Heimat, in das gelobte Land ziehen können, leben sie als Sklaven in Ägypten und müssen sich jahrelang durch die Wüste quälen. „Das Land, in dem Milch und Honig fließt (2. Mose 3,8)“, dort wollen sie hin, diese Bild ist bis heute ein Synonym für Paradies, für einen Zustand, der nie erreicht werden kann. Es strahlt Hoffnung auf das, was kommen soll, aus, und setzt motivierende Energien frei. Heute sprechen wir von einer Vision, das ist die Vorstellung von einer Zukunft, die uns auf dem Weg dorthin voranträgt. Dem Heimatbegriff wird durch die „Milch und Honig“- Beschreibung eine Dimension des Unerreichbaren, Transzendenten gegeben.
Heimat ist für die Israeliten immer Land, das sie so dringend zum Leben brauchen und ist immer auch mehr als Land. Die geistige Heimat der Israeliten ist die Lade mit den Gesetzestafeln. Darin ist alles enthalten, was sie brauchen, nämlich Gottes Gebote und Weisungen, nach denen sie sich richten wollen, und die ihnen gleichzeitig Gottes Nähe versichern, ihr Zuhause. Heimat im Neuen TestamentWas sich bei Abraham als Grundcharakteristikum des biblischen Verständnisses einer gläubigen Existenz zeigt, nämlich Aufbruch und Veränderung, kehrt im Neuen Testament in anderer Weise wieder. In Lk 9,57-62 werden drei Begebenheiten auf dem Weg Jesu berichtet: „Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.“ Wer aufbricht, verlässt seine Heimat, die Sicherheit, das Gewohnte und partizipiert an der Heimatlosigkeit Jesu. Ein Loslassen von allem, der Familie, der Verwandtschaft gehört zur Nachfolge. Alles aufgeben, bedeutet im Neuen Testament alles gewinnen, denn nur auf diese Weise ist es möglich, am Reich Gottes zu partizipieren. Petrus fragt: „Du weißt, wir haben unser Eigentum verlassen und sind dir nachgefolgt. Jesus antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Jeder, der um des Reiches Gottes willen Haus oder Frau, Brüder, Eltern oder Kinder verlassen hat, wird dafür schon in dieser Zeit das Vielfache erhalten und in der kommenden Welt das ewige Leben“ (Lk 18, 28-30). „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Mt 16,25). Wer alles verlässt, folgt Jesu nach und erreicht das ewige Leben (vgl. Lk 14,25f.). Wer nachfolgt, muss bereit sein, die Heimatlosigkeit bis hin zur Pietätlosigkeit gegenüber der Familie, zu teilen (G.Theißen, A. Merz, Der historische Jesus 4. Aufl., S. 199 f). Ein Leben in der bedingungslosen Radikalität des Wandercharismatikertums wird verlangt. Alle irdischen Werte werden zugunsten der Verheißung verschmäht. Derjenige, der mit Jesus geht, ist in der Welt nicht mehr beheimatet, aber er hat die wahre Heimat gefunden (Mk 10,21). Jesus gibt der religiösen Existenz im Aufbruch einen eschatologischen, bleibenden Inhalt. Die emotionale Dimension von Heimat
Mein ehemaliger Zeichenlehrer und lokaler Künstler hat, wohl in weiser Voraussicht, Bilder vom alten „Grünstadt“, meinem Heimatort, gemalt um die ehemaligen Ansichten unvergesslich zu machen. Erst nach vielen Jahren und ebenso vielen Veränderungen habe ich sein Anliegen verstanden und bin froh, dass ein bisschen von dem, was mir örtliche Heimat war, in Bildern weiterexistiert. Mir war es wichtig, an diesem Ort verheimatet zu sein, da meine Eltern als Flüchtlinge das Trauma der Heimatlosigkeit mit sich herumtrugen. Freddy Quinn verlieh diesem Gefühl in seinen sehnsuchtsvollen Liedern, Ausdruck in einer emotional aufgeladenen Spätnachkriegszeit u. a. mit dem Song: „Schön war die Zeit“.
Für den türkisch stämmigen Schauspieler Mehmet Kurtulus (bekannt als Tatortkommissar Cenk Batu) ist, „Heimat kein geographischer Ort, eher ein Gefühl und auf Menschen bezogen“ (Buxtehuder Tageblatt, Boulevard 15.6.15). Beziehung leben und Geborgenheit erfahren verbindet er mit dem Begriff Heimat. Heimat ist da, wo ein Mensch sich in einem Raum und mit einer Gemeinschaft verwirklichen und etwas bewegen kann. Heimat wird zu einem subjektiven Empfinden. Das Heimatverständnis der jüngeren Generation spiegelt sich im Lied von Adel Tawil:
„Heimat“ zeigt sich als Projektionsfläche für Sehnsüchte und Klischees und ist in vielerlei Hinsicht missbraucht worden, trägt z. B. den Ballast von „Blut und Boden“ mit sich herum. Auch heute wird mit dem Heimatgefühl gespielt, meines Erachtens wird es als Verkaufsstrategie ge- oder benutzt, wie bei der Werbung für die Kreuzfahrtschiffe. Viele große Verkaufshäuser haben ein identisch aufgebautes „Innenleben“, damit sich in ihren Geschäften, wo diese auch sind, „ihre“ Kunden zurecht finden, sich beheimatet fühlen. Man kennt, was einen erwartet, man kann sich orientieren, weiß Bescheid, wo alles ist. Erkennungsmelodien von Produkten suggerieren Dazugehörigkeit und lassen, die in der Werbung vorgespiegelten Eigenschaften, im Kopf assoziieren. Es ist erkennbar, dass Menschen das Gefühl der Dazugehörigkeit brauchen, auch wenn, es wie beschrieben, häufig dazu dient, Menschen zu manipulieren. Die spirituelle Dimension von Heimat
Im Islam gibt es 99 Namen für Gott, um die Vielfältigkeit und Unfassbarkeit Gottes zum Ausdruck zu bringen. Gott als Geheimnis zu betrachten, macht deutlich, dass er sich Interpretationen und Festlegungen menschlicher Art entzieht. „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“, dieser Satz von Dietrich Bonhoeffer, betont in der paradoxen Formulierung, was die Beschreibung als Geheimnis meint. Wenn die Beschäftigung mit Gott auf diese Art und Weise meines Erachtens auch schwieriger wird, so dient sie doch dazu, dass Menschen, Gott „nicht als Lückenbüßer unserer unvollkommenen Erkenntnis figurieren“, wie Bonhoeffer schreibt. Seine Unfassbarkeit ist das Faszinierende, das nicht loslässt und immer wieder neu herausfordert und Kraft, Grundlage und Heimat gibt. Die Herausforderung für moderne Menschen und für Glaubende ist, im Ungewissen Halt zu finden. Heimat bedeutet die Auseinandersetzung mit dem Nicht-Fassbaren und auch nicht Vereinnahmbaren. Es heißt, sich einzulassen auf Unbekanntes und loszulassen vom Machbaren und sich fallen zu lassen, weil es „Mehr“ gibt, als unsere Ratio und unser Geist fassen kann. Geborgenheit zu spüren und Gelassenheit leben zu können, heißt eine bleibende, spirituelle Heimat zu haben. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/112/hgs1.htm |