GeistesGegenwart |
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Dialektik der AufklärungNeue Nachrichten zum Gebrauch des Wortes „alttestamentarisch“Andreas Mertin Wie ein Wort entsteht und sich wandeltDie zunehmende Digitalisierung der Kulturgüter ermöglicht auch immer präzisere Beobachtungen früherer gesellschaftlicher Prozesse. Man ist nun in der Lage, wenn schon nicht die Entstehung, so doch die Verbreitung bestimmter Wörter und Wortkombinationen genauer zu datieren und zu verfolgen. Im Blick auf das Wort „alttestamentarisch“, so hatte ich 2005 in diesem Magazin geschrieben, wären die frühesten literarischen Belege Anfang des 19. Jahrhunderts aufzufinden und hatte insbesondere auf Clemens Brentano und seine Rheinmärchen verwiesen.[1] Für diese Diagnose sprach, dass Clemens Brentano Gründungsmitglied der antijudaistischen und zum Teil antisemitischen „Deutschen Tischgesellschaft“ war. Beide, Rheinmärchen wie Gründungsakt, datieren in das Jahr 1811 bzw. 1810. Freilich wurden die Rheinmärchen erst 1846 aus dem Nachlass veröffentlicht, so dass allenfalls von einer mündlichen, nicht aber einer schriftlichen Quelle für die Verbreitung des Wortes „alttestamentarisch“ auszugehen war.[2] Der 2011 von Georg Freuling publizierte Artikel zum Wortgebrauch „alttestamentlich/alttestamentarisch“ im Wissenschaftlichen Bibellexikon im Internet[3] gibt daher als früheste Print-Quelle Wilhelm Blumenhagens 1816 erschienenes Stück „Simson: dramatisches Heldengedicht in fünf Abtheilungen, nach einer alttestamentarischen Sage“ an. Der Arzt und Schriftsteller Blumenhagen ist dabei aber nicht in die Geschichte des Antijudaismus einzuordnen, er setzte sich ein für die Aufnahme von Juden in die Gesellschaft und auch in die Freimaurerlogen, denen er selbst angehörte. Die Verwendung des Wortes „alttestamentarisch“ indiziert bei ihm, insbesondere in Kombination mit dem Wort „Sage“ eine Neubewertung des „Alten Testaments“ als Teil der Literaturgeschichte. Das passt gut in die aufklärerischen und romantischen Zeiten. Neuere Erkundungen lassen aber Brentano wie Blumenhagen als Verwender einer bereits schon etablierten Sprachform kenntlich werden. Das Wort „alttestamentarisch“ entwickelt sich im 18. Jahrhundert in der deutschen Sprache und es hat eine andere Geschichte als bisher gedacht. Ich beginne mit einem Zitat, das zwar nicht den ältesten Beleg für das Wort „alttestamentarisch“ darstellt, aber vielleicht die Genese des Wortes beleuchten könnte. Es stammt aus dem 1747 in Leipzig erschienen Buch „Kurzgefasster Auszug der gründlichsten und nutzbarsten Auslegungen über alle Bücher Altes Testaments“ von Johann George Starke (1712-1762), einem Pastor und Garnisonsprediger aus Driesen (heute: Drezdenko). Dort heißt es:
Von „alttestamentarisch“ schreibt Starke noch nicht, aber er nennt den Bund Gottes mit Israel eine „testamentarische Verfassung“, die „eigentlich das A.T.“ heißt. Von hier aus ist es nur ein kurzer Weg zum Wort „alt-testamentarisch“. Das Wort „testamentarisch“ ist in dieser Zeit vor allem in der Juristensprache sehr verbreitet, bezieht sich dort aber in allen bekannten Fällen auf Testamente im Kontext von Erbschaften bzw. auf testamentarisch bestimmte Vormundschaften, nicht auf religiöse Tatbestände. Selbst wenn Moses Mendelssohn das Wort „testamentarisch“ nutzt (etwa in seiner Schrift über die „Ritualgesetze der Juden“), bezieht er sich auf juristische Fragen der Erbfolge. Als frühesten Text einer wörtlichen Verwendung von „alttestamentarisch“ habe ich die 1782 von Johann Kaspar Riesbeck publizierten „Neue Briefe, für und wider das Mönchswesen, mit unparteiischer Feder entworfen“ gefunden. Sie gehören zur religionskritischen Literatur der Aufklärung, insofern sie sich vor allem mit dem Klerus und seinen Unsitten beschäftigen. Im Anhang zum zweiten Buch gibt es ein „Dictionaire Personen“ und dort findet sich zum biblischen Elia folgende Eintragung:
Die Charakterisierung als „alttestamentarischer Prophet“ setzt voraus, dass die Leser sie auch verstehen konnten. Kurz nach 1780 muss also in der öffentlichen Kommunikation das Wort „alttestamentarisch“ verständlich gewesen sein. Die Literaten sind also nicht diejenigen, die das Wort erfinden und salonfähig machten. Es sind Theologen, Juristen und Philosophen in der Zeit zwischen 1750 und 1850. Tatsächlich, soviel wird nach und nach deutlich, stammt das Wort „alttestamentarisch“ mit all seinen Konnotationen aus den Diskussionen für und wider die Judenemanzipation Ende des 18. Jahrhunderts bzw. Anfang des 19. Jahrhunderts. Es geht um die Frage, welche Rechte Juden künftig in der Gesellschaft bekommen sollen. Mit Moses Mendelssohn (1729-1786) und mit dem Salon um Henriette Herz (1764-1847) war zumindest aufgeklärten Menschen deutlich geworden, dass Religion, Rang und Titel keinen Grund für die Diskriminierung von Menschen bilden konnten. „Alttestamentarische Glaubensgenossen“Bis dahin war die Bezeichnung „Jude“ ausreichend, die so bezeichnete Person herabzusetzen und auszugrenzen. Im Pass etwa stand neben dem Personennamen schlicht „Jude“ und diese Bezeichnung hatte gravierende Folgen:
Der Historiker Jacob Jacobson benennt damit ein klares Motiv für die Entwicklung des Wortes „alttestamentarisch“: die Vermeidung von automatischen Diskriminierungen, die das Wort „Jude“ hervorrief. Das wird deutlich in einer Eingabe von David Friedländer aus dem Jahr 1797:
Das führt nicht zwar zum Erfolg, aber es setzt bei einigen Behörden zumindest einen Prozess des Nachdenkens in Gang:
Die Behörde meint freilich, derartige Spracherziehung der Untertanen sei kaum durchsetzbar. Stattdessen solle man lieber ganz auf eine Benennung der jeweiligen Religion verzichten. Das geschah aber nicht. In der Folge wechselten die behördlichen Bezeichnungen zwischen „Juden“, „alttestamentarische Glaubensgenossen“ oder auch „israelitische Korporation“. Schon 1790 hatte ein erster Vorschlag gelautet, man solle nicht mehr Juden, sondern „Mosaiten“ oder „Deisten“(!) sagen.[9] Aufklärungsorientierte Regierungen wie die preußische, die der Judenemanzipation positiv gegenüberstanden, verboten nach 1812 ihren Behörden, das Wort „Jude“ im Pass neben den Personennamen zu setzen. Freilich wussten sich die Beamten zu behelfen. Im Süden Deutschlands notiert man 1818 in den Zeitungen Folgendes:
Diese Notizen zeigt die Richtung für die anstehende Erforschung der Sprachgeschichte des Wortes „alttestamentarisch“ an. Es ist zunächst u.a. ein nicht abwertendes Ersatzwort für den diskriminierenden Gebrauch des Wortes „Jude“. Solange „alttestamentarisch“ noch kein negatives Wort war, konnten sich jüdische Bürger über die Bezeichnung „alttestamentarische Glaubensgenossen“ sogar freuen zumindest war das die Überzeugung des jüdischen Aufklärers David Friedländer. Das wird indirekt deutlich durch eine Notiz von Heinrich Graetz in seiner Geschichte der Juden. Denn durch Kabinettserlässe von 1820 und 1836 hatte sich die Situation der Juden am Hof in Preußen wieder verschlechtert, so dass Graetz notiert:
Das lässt erkennen, dass ganz am Anfang die Bezeichnung „alttestamentarisch“ bzw. „alttestamentarischer Glaubensgenosse“ durchaus eine halbwegs positive Intention, freilich keine wirklich positive Konnotation hatte.[12] Dialektik der AufklärungWas Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht ging, war die Herabsetzung der Heiligen Schrift der Juden, denn mit der Beschimpfung des „Alten“ Testaments hätte man zugleich die christliche Theologie getroffen. Das heißt, man konnte noch nicht sagen, „der glaubt an das Alte Testament“, wenn man den Betreffenden herabsetzen wollte. Anfangs zögert die Aufklärung, bei aller religionsskeptischen Haltung ihrer Vertreter, sich gegen die Erste Bibel bzw. die Hebräische Bibel zu wenden. Mit der zunehmenden Durchsetzung der Aufklärung und ihrer Religionskritik fällt diese Schranke weg. Es ist eine Folge der Aufklärung, dass die Aggression, die sich bis dato auf das Judentum und da vor allem auf den Talmud gerichtet hatte („Talmudjude“), nun auf deren zentrale Heilige Schrift erweitert wurde, die ja bis dahin ein gemeinsam gelesener, wenn auch kontrovers gedeuteter Text von Judentum und Christentum war. Der Gegensatz von Altem und Neuem Testament wurde nun verstärkt hervorgehoben. Jacob Katz fasst diese Entwicklung in seiner Darstellung zum Frühantisemitismus in Deutschland so zusammen:
Hier deutet sich schon an, inwiefern David Friedländers ursprünglich als positiv gedachte Absicht, das Wort „Jude“ durch „alttestamentarischer Glaubensgenosse“ zu ersetzen, später umstandslos in eine negative Charakterisierung umschlagen konnte. In dem Maße, in dem die Frühantisemiten später alle negativen Stellen der Hebräischen Bibel zusammentrugen und zum Charakteristikum „des“ Judentums bzw. „der“ Juden machten ein Vorgang den wir heute analog beim Koran und „den“ Muslimen beobachten musste dies auch Rückwirkungen auf die Konnotationen des Wortes „alttestamentarisch“ haben. Und da durch die Aufklärung die kritische Betrachtung der Bibel voranschritt, war es für die Gegner des Judentums ein Leichtes, die Juden mit all dem zu behaften, was zu ihrer Heiligen Schrift gehörte. Und das war dann als Teil einer früh-antisemitischen Strategie, vor allem Negatives. Negative KonnotationenNach und nach nutzten die antijüdisch eingestellten Zeitgenossen das Wort „alttestamentarisch“ zur fortwährenden Herabsetzung der Juden. Heinrich Graetz schreibt dazu:
Es beginnt bereits 1791 mit der heute dem jungen Carl Wilhelm Friedrich Grattenauer zugeschriebenen Schrift „Ueber die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden“, die sich gegen die Judenemanzipation wendet. Hier sind alle jene Stereotypen versammelt, die bis heute zum Wortumfeld des Wortes „alttestamentarisch“ gehören:
Das Wort „alttestamentarisch“ findet sich bei Grattenauer 1791 noch nicht, auch nicht in seiner Folgeschrift „Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere christliche Mitbürger“ aus dem Jahr 1803.[16] Im gleichen Jahr sieht sich Grattenauer aber gezwungen, seine widerliche Schrift gegen öffentliche Kritik zu verteidigen und er publiziert die „Erklaerung an das Publikum ueber meine Schrift: Wider die Juden“. Dort schreibt er (neben dem Eingeständnis, bei Juden verschuldet zu sein): „Ich hasse die Juden; laßt mir den Haß; ich beleidige niemand, ich verfolge keinen.“ Menschenrechte „solche jakobinischen Blasphemien“ möchte er den Juden nicht zubilligen. Er wütet mit all den antisemitischen Stereotypen gegen das Judentum und schließt dann seinen Text mit den Worten: „Sollten auch diese Schriften die Zufriedenheit der alttestamentarischen Glaubensgenossen nicht erhalten“, dann wolle er eine weitere Schrift wider die Juden schreiben. Dass es dazu dann nicht mehr kam, lag schlicht daran, dass der Obrigkeit die Streitereien und die Hetze zu viel wurden:
Das Wort „alttestamentarisch“ zur Diskriminierung der Juden hatte da aber schon Verbreitung gefunden. In seiner Schrift über den „Frühantisemitismus in Deutschland“[18] schreibt Jacob Katz daher, dass die Datierung des Frühantisemitismus in die Zeit von 1815 zu korrigieren sei:
Rare positive BefundeEs gibt aber auch ein Beispiel unter den Funden, das den entgegengesetzten Weg andeutet. Der Altphilologe, Gymnasiallehrer und Literaturhistoriker Johannes Samuel Kaulfuß (1780-1832) entwirft 1817 einen „Plan zur Einrichtung des Erziehungswesens im Preussischen Staate“. Kaulfuß stand im Umgang mit Minderheiten für die souveräne Toleranz der Krone Preußens.[20] Und in seinem Entwurf kommt er auf das Verhältnis der Religionen an den staatlichen Schulen zu sprechen. Und er entwickelt die Idee einer stärkeren Zusammenarbeit der Religionen und verweist dazu auf ein positives Beispiel: „An dem königlichen Gymnasio zu Posen arbeiten ein und zwanzig Professoren und Lehrer, von denen neun katholischer, vier reformierter und acht lutherischer Religion sind. Die Schüler, deren Anzahl sich (heute den 16ten Januar 1817) auf 515 beläuft, sind Katholiken der Mehrzahl nach, Reformirte, Lutheraner, griechische Christen, alttestamentarische Glaubensgenossen (voriges Jahr auch Muhamedaner) und Lehrer und Schüler, beide unter sich, leben in der größten Eintracht.“[21] Hier blitzt ganz kurz die Möglichkeit eines eher deskriptiven Sprachgebrauchs von „alttestamentarisch“ im Sinne von jüdischen Mitbürgern in einer christlichen Gesellschaft auf. Aber es bildet eine Ausnahme. Die lexikalische Bewusstwerdung der Sprachdifferenzierungen1793 AdelungDas „Grammatisch-kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“[22] des Johann Christoph Adelung von 1793 führt über das Wort „testamentisch aus“: „Schicklicher“ das deutet an, dass sich die Wissenschaftler gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf den Gebrauch der Endung „...testamentlich“ zu einigen begannen. Das Wort „testamentarisch“ kennt Adelung 1793 nur im juristischen Sinne. Dementsprechent findet sich unter den Buchstaben A und N nur:
1807 CampeIn dem von Johann Heinrich Campe herausgegebenen Wörterbuch der Deutschen Sprache“ wird 1807 wenn auch erkennbar widerwillig das Lemma „Alttestamentlich“ aufgeführt:
Man spürt hier Campes Eintreten für eine deutsche Schriftsprache („halb undeutsch“) und sein aufklärerisches Pathos (wenn er zwischen guten und schlechten Schriften unterscheidet). Campe nennt nur das Wort „alttestamentlich“ vielleicht auch deshalb, weil er von Haus aus Theologe ist. Andere Sprachformen, wiewohl es sie ja gab, kennt bzw. benennt er nicht. 1838/54 GrimmDas Gleiche gilt für das 1838 begonnene, aber erst 1854 erschienene Wörterbuch der Gebrüder Grimm. Es kennt „testamentalisch“ und „testamentarisch“ nur als juristische Begriffe und benennt „testamentlich“ als theologisches Wort. Alltestamentarisch kennt es nicht, vielmehr notiert es nur knapp:
1858 WurmAuch in Christian Friedrich Ludwig Wurms 1858 erschienenem „Woerterbuch der Deutschen Sprache“ findet sich das Lemma „Alttestamentlich“ und hier wird zum allerersten Male (quasi prä-korpuslinguistisch argumentierend) in der Konnotation zwischen „alttestamentlich“ und „alttestamentarisch“ bzw. „alttestamentisch“ im Blick auf die Religion unterschieden:
Wurm geht von einer inzwischen verbindlichen Sprachform „alttestamentlich“ aus. Er macht aber kenntlich, dass dies eine Sprachentwicklung darstellt: „Nach neuerm Sprachgebrauche“. Das wird auch dadurch verstärkt, weil inzwischen ersten alt- und neutestamentlichen Theologien bekannt sind. 1848 werden aus dem Nachlass Heinrich Hävernicks Vorlesungen zum Alten Testaments publiziert, die im Vorwort als „alttestamentliche Theologie“ bezeichnet werden. August Dillmann lehrt in dieser Zeit in Tübingen laut Auskunft des Regierungsblatts für das Königreich Württemberg „Alttestamentliche Theologie“. Die Bezeichnung „Neutestamentliche Theologie“ war an den Universitäten schon üblich. Das Wörterbuch von Wurm meint die Entwicklung nun so charakterisieren zu können, dass alttestamentlich quasi den positiven Aspekt beleuchtet und „alttestamentarisch“ bzw. „alttestamentisch“ den negativen. Und es zitiert als Beleg aus einem Gedicht des Königs Ludwig von Bayern, das im Ganzen so lautet
In diesem Lexikonartikel wird deutlich, wie sich in der Sprache der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Bewusstsein davon bildet, dass man durch die Verwendung von „alttestamentarisch“ etwas Negatives über das Alte Testament ausdrücken konnte ohne damit zugleich das ganze Alte Testament herabzusetzen. Das hat weit reichende Folgen. Denn wenn es gelang, das Judentum unter dieses Wort zu fassen, konnte man mit „alttestamentlich“ das Positive benennen, mit „alttestamentarisch“ aber das Negative (= Jüdische). Und tatsächlich wurde das eine verbreitete Praxis. Die Allgemeine Zeitung des Judentums berichtet 1858 wie der jüdischen Bevölkerung (hier in Polen) weiterhin alle elementaren Rechte abgesprochen werden:
Hier wird erstmalig expressis verbis deutlich, dass „alttestamentarisch“ nicht nur herabsetzend gemeint war, sondern von der jüdischen Gemeinde auch so empfunden wurde. 1857-65 PiererDas von Fachwissenschaftlern geschriebene Pierer's Universal-Lexikon enthält in der umfangreichen vierten Auflage das Wort „alttestamentarisch“ überhaupt nicht mehr und nutzt konsequent die Fachsprache. Was wissenschaftlich korrekt ist, ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts offenbar eindeutig. 1905 MeyerMeyers Großes Konversations-Lexikon benutzt nur einmal und da wohl eher versehentlich das Wort „neutestamentarisch“, verbindet ansonsten „testamentarisch“ nur mit dem Erbrecht. Über 200 Mal aber spricht das Lexikon dagegen von alttestamentlich oder neutestamentlich. Was die Wörterbücher jedoch nicht reflektieren und thematisieren, ist der ganz alltägliche antisemitische Sprachgebrauch. Weitere WirkungsgeschichteDenn von der Tendenz zur herabsetzenden Verwendung des Wortes „alttestamentarisch“ hat sich die deutsche Sprache nicht mehr lösen können. Unzählige Schriften pflegen den damit einhergehenden antijudaistischen und antisemitischen Diskurs. Auch im ganz normalen Journalismus, in der kunstgeschichtlichen Fachliteratur und neuerdings in den religionskritischen Pamphleten stoßen wir auf die Verwendung des Wortes „alttestamentarisch“. Nun könnte man einwenden, dass die Mehrzahl derer, die das Wort „alttestamentarisch“ verwenden, über die Genese und die konkrete Sprachgeschichte überhaupt keine Kenntnis hätten, das Wort quasi „unbefangen“ verwenden. In diesem Sinne vermutete schon Dolf Sternberger 1968 im einschlägigen Wörterbuch des deutschen Unmenschen:
Und tatsächlich wird das Wort „alttestamentarisch“ irgendwann in den Duden aufgenommen, weil dieser den fortwährenden Gebrauch / Missbrauch des Wortes sozusagen ratifiziert. Wie sprechen Nationalsozialisten?Konnte das nur geschehen, weil die Nationalsozialisten in ihren Ansprachen das Wort zur selbstverständlichen Standardsprache erhoben? Hier einige oft zitierte Beispiele:
Deutlich wird aus diesen Textfunden zunächst die enge Verknüpfung von „alttestamentarisch“ mit Rache, Rachsucht, Strafe und auch Habsucht. Fundamentiert wird so die antisemitische Redeform vom unwandelbar bösen Judentum seit biblischen Zeiten. Allerdings erscheinen die Redeformen nicht als fokussierte Sprachprägung, sondern geschehen eher beiläufig, was die Frage aufkommen lässt, wie bewusst die Verbreitung des Wortes „alttestamentarisch“ durch die Nationalsozialisten war. War es, wie die Mehrzahl derer, die sich mit dem Wort auseinandergesetzt haben, vermuten, wirklich eine Sprachstrategie? Ich bin mir nicht mehr sicher, ob das eine zutreffende Beobachtung ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der einige Forscher von einem verbreiteten nationalsozialistischen Gebrauch des Wortes „alttestamentarisch“ ausgehen, ist ja noch kein Beleg für die Korrektheit dieser Ansicht. Die wenigen oben angeführten Belege bilden die wesentliche Grundlage für diese Behauptung und werden von den verschiedenen Forschern immer wiederholt, ohne durch weitere Angaben ergänzt zu werden. Das ist mir als Basis für eine solide Argumentation zu wenig. Ich habe mir zuerst Max Domarus‘ Kompilation der Reden und Proklamationen Adolf Hitlers angeschaut,[27] bin dort aber nur zweimal auf das Wort „alttestamentarisch“ gestoßen. Hitler hat es sicher noch häufiger verwendet, aber als denunziatorische Vokabel ist es bei ihm nicht besonders hervorstechend. Er knüpft in seiner politischen Rhetorik eher an die alte herabsetzende Verwendung des Wortes „Jude“ bzw. „jüdisch“ an. In den Tagebüchern von Joseph Goebbels kommt das Wort sechsmal vor. Auch das ist nicht besonders viel, um dahinter eine bewusste Sprachstrategie zu vermuten. Man sollte daher meines Erachtens vorsichtig mit der These sein, es handele sich bei „alttestamentarisch“ um ein „genuin“ nationalsozialistisches Wort. Eher ist es beiläufig und so verstärkend gebraucht worden. Und eigentlich widerspricht es auch dem nationalsozialistischen Anliegen, „die Juden“ insgesamt als solche herabzusetzen. Es war für sich einfacher, an der alten voraufklärerischen Diskussion anzuknüpfen, als sich das Wort „alttestamentarisch“ anzueignen. Aber in der begleitenden, sozusagen eher zweitrangigen antisemitisch-nationalsozialistischen und auch der anti-nationalsozialistischen Literatur lässt sich das Wort immer mal wieder nachweisen. Aber nur in wenigen Aussagen zeigt sich so etwas wie eine bewusste Sprachstrategie. 1932 erscheint das Buch „Klärung. 12 Autoren, Politiker über die Judenfrage“[28], das Beiträge verschiedener Autoren enthält. Das Buch enthält Beiträge von Autoren, die unterschiedlicher kaum gedacht werden können[29] und heute kaum im selben Buch zusammen fänden: vom jüdischen Kommunisten über jüdische Zionisten und Anti-Zionisten, jüdische Hitler-Verehrer bis zum dezidierten Nationalsozialisten und fanatischen Antisemiten.[30] Wenn sich aber das Wort „alttestamentarisch“ als charakteristisch für die Antisemiten durchgesetzt hätte, müsste man es hier finden. Und tatsächlich lässt sich dort von einem der beteiligten Autoren, dem nationalsozialistischen Schriftsteller und späteren Präsidenten der Reichsschriftumskammer Hanns Johst (1890-1978) unter der Überschrift „Volk im Volke“ Folgendes lesen:
Wenn ich es recht verstehe, dann dient ihm die Vokabel „alttestamentarisch“ dazu, Juden als „Rasse“ zu bestimmen und zugleich das seiner Ansicht nach Überholte wie das Fremde des Judentums hervorzuheben. Das entscheidende Stichwort lautet „der jüdische Volkskörper in seiner geschichtlichen Epoche“. Es gab einmal eine „heroische“ Zeit des Judentums, die aber lange vorbei und überholt ist und dem „deutschen Wesen“ widersprechen, weil dieses es als „jüdisch“ empfindet:
Hier finden wir ein frühes Spiegelbild der Debatte, die sich heute in Deutschland unter dem Etikett „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ wiederfindet. Die Religion ist eine andere, aber die Argumente sind die gleichen. „Alttestamentarisch“ bezeichnet wie heute „islamisch“ das angeblich dauerhaft Volksfremde. Auch diese Vorstellung führen heutige Verwendungen des Wortes „alttestamentarisch“ bruchlos fort. Ein interessantes und angesichts der aktuellen Entwicklungen sicher noch intensiver zu bedenkendes Argument führt seinerzeit der jüdische Autor Robert Weltsch an. Er meint vor allem im Blick auf den Dialog mit den Christen dass
Ersetzt man das seinerzeit auf Alfred Rosenberg zielende heidnisch heute durch religionskritisch kommt man der Sache näher. Nach Eva G. Reichmann habe keiner der an den damaligen Diskussionen beteiligten Christen begriffen, dass „Juden und Christen nunmehr in der gleichen Abwehrlinien dem anstürmenden Heidentum entgegenstehen“. Stattdessen hätten diese das Christentum als „verjudet" erklärt und für eine „Reinigung“ des Christentums plädiert. Insbesondere aber hätten sie jene Überlieferungen hervorgehoben, die Judentum und Christentum voneinander trennen.[34] Die Sprachentwicklung aber gibt Weltsch Recht. Schon länger steht den Menschen das „neutestamentarische“ so fern wie das „alttestamentarische“. In Alfred Rosenbergs berüchtigten „Mythos des 20. Jahrhunderts“ findet sich dennoch entgegen allen Erwartungen das Wort „alttestamentarisch“ nur einmal. In der Regel verwendet Rosenberg das akademische „alttestamentlich“, nicht zuletzt wegen der christlichen Theologen:
Seine Vorstellung einer völkisch-bedingten Differenz eines jüdischen und eines christlichen Gottes hat eine lange Wirkungsgeschichte bis in die Gegenwart. Nur einmal, und zwar in einem bezeichnenden Zusammenhang, spricht er von „alttestamentarisch“:
Das Alte Testament ist so lange er im Gespräch mit den Christen ist - sozusagen die abzustreifende Schattenseite des Christentums. Und das macht er mit der Formulierung „alttestamentarischer Geist“ kenntlich. Aus der Geisteswelt des StürmersDer Stürmer ist seit den späten 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts das antisemitische Periodikum schlechthin. Wenn das Wort „alttestamentarisch“ zur Sprachstrategie der Nationalsozialisten gehört hätte, dann müsste es hier gehäuft auftreten. Das tut es aber nicht. Beim Stürmer wird deutlich, dass vor allem an die antisemitische Hetze im Stil von Eisenmenger angeknüpft wird, man also vom „Talmudjuden“ redet und die jahrhundertealten Klischees und Vorurteile bedient, die vielfach zu Pogromen geführt haben. Das ist auch dezidiert das Ziel des Stürmers. Ein anderes Machwerk aus der Geisteswelt des Stürmer-Verlages ist das 1937 erschienene Buch „Die Judenfrage im Unterricht“[35] des Stadtschulrats Fritz Fink. Schritt für Schritt leitet Fink die schulische Vermittlung des Antisemitismus an und kommt dabei auch zum Abschnitt „Der Gott der Juden“. Und hier wird klar, dass nach 1945 schlicht das Wort „Jude“ durch „alttestamentarisch“ ersetzt wurde, es ist quasi die Tarnvokabel für den weiterbestehenden Antisemitismus der deutschen Bevölkerung. „Ist der Juden Gott Jahwe unser Gott?“ lässt Fink die Kinder fragen und entwirft gleich ein Tafelbild der anzustrebenden Antworten: „Jahwe ist ungerecht. Er teilt die Völker ein in auserwählte und verstoßene. Er ist grausam. Er verlangt die Vernichtung der nichtjüdischen Völker ... Der Gott der Juden ist nicht unser Gott.“[36] Das setzt sich nach 1945 ungebrochen fort im Bild des rachsüchtigen, grausamen und darin alttestamentarischen Jahwe, der mit dem Liebesgott des Neuen Testaments nichts zu tun habe. Es ist neben der Meme von den „Geldjuden“ eines der erfolgreichsten Stereotypen der Nationalsozialisten. Dem Christentum und den christlichen Kirchen wird von Finke noch vorgehalten, sich nicht entschieden genug gegen die Juden zu wenden, weil sie insgeheim auf die Bekehrung der Juden hofften.[37] Da spricht die Schule Alfred Rosenbergs. Aber nach 1945 konnte man „jüdisch“ als Denunziationswort nicht mehr verwenden. Also griff man auf ein anderes Wort des 19. Jahrhunderts zurück: „alttestamentarisch“. Genau so macht die historische Verlaufskurve im Gebrauch des Wortes „alttestamentarisch“ Sinn (s. dazu unten den Abschnitt Entwicklungslogik). Alttestamentarisch wurde nicht gebraucht, weil die Nationalsozialisten es gebraucht haben, sondern, damit man weiter das Gleiche sagen konnte wie die Nationalsozialisten. Sprachkritik nach 1945Erst in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kommt es dann zu sprachkritischen Auseinandersetzungen mit dem Gebrauch des Wortes. 1976 beschäftigt sich Hildebrecht Hommel mit dem Wort und berichtet u.a., dass damals
Laut Hildebrecht Hommel argumentieren die Fachleute vor allem mit Hilfe der formalen Logik der Grammatik. Allein aus dem Suffix „... arisch“ lasse sich keine Abwertung erkennen. Ein Argument, das bis heute wiederholt wird. Aber die Grammatik ist politisch sozusagen blind. Die Korpuslinguistik war damals noch nicht verbreitet, sie fand erst in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts in der deutschsprachigen Forschung Berücksichtigung. Und sie hätte ganz andere Ergebnisse gezeitigt, die dem formalen Argument entschieden widersprechen. 1984 schreibt Hildebrecht Hommel[39] zusammenfassend in einem Essay zur grundsätzlichen deutschen Sprachverwilderung:
Die Erkenntnisse der KorpuslinguistikNun ist es tatsächlich eine Folge des Nationalsozialismus gewesen, dass das Wort zu einem „normalen“ Element der deutschen Sprache wurde. Aber nicht im Sinne der Einführung - es war schon vorher bei vielen anti-jüdisch eingestellten Deutschen im Gebrauch sondern als Ersatzwort. Unsere Großeltern hatten sich an bestimmte von den Nazis über Juden verbreitete Meme gewöhnt, dass sie diese nun unter der Etikettierung „alltestamentarisch“ weiterführten und das Wort damit endgültig der deutschen Sprache zuführten. Die bisherige Zuweisung des Wortes an den Nationalsozialismus ist daher irreführend, es spiegelt vielmehr das Denken der Deutschen. Und so erklärt sich auch, warum die negativen Konnotationen bis in die Gegenwart erhalten geblieben sind. Denn wenn die Menschen nicht (mehr) wüssten, dass ‚alttestamentarisch‘ abwertend ist, woher kommen dann die diskriminierenden Wortverbindungen, die mit dem Wort im Deutschen bis heute beobachtbar sind? Denn wenn man aktuell, also im Jahr 2018, die Worte ‚alttestamentlich‘ und ‚alttestamentarisch‘ in eine korpuslinguistische Datenbank eingibt, dann bekommt man zwei sehr unterschiedliche Ergebnisse: Mit dem links abgebildeten Wortfeld zu „alttestamentlich“ verknüpft sich keine einzige(!) negative Konnotation, ganz im Gegenteil: Psalmen, Verheißung, Überlieferung, Kanon, Theologie, Weisheit das sind die auszeichnenden Konnotationen. Beim rechts abgebildeten Wortfeld zu „alttestamentarisch“ ist das ganz anders. Zwar gibt es Überschneidungen im Blick auf Bilderverbot und Propheten, ansonsten kommen nun aber andere Worte zum Tragen: Racheengel, Rachsucht, Strenge, Wucht, Zorn, Flüche, Vergeltung, Härte, Grausamkeiten, Rache, Hass das sind hier die auszeichnenden Konnotationen. Ausgerechnet jene Worte, die schon die frühen und späten Antisemiten gebrauchten. Das bedeutet: wer das Wort „alttestamentarisch“ verwendet, spricht heute eben in der Regel nicht neutral, sondern setzt antisemitische Stereotypen mit. Andere Entwicklungen müssten sich sonst in der Korpuslinguistik ablesen lassen. Auf keinen Fall zeigt sich in diesem Wort anders als es das Deutsche Literaturarchiv noch 1974 meinte eine Höherwertung des Alten Testaments. Die Tabelle rechts nennt noch einmal die größten Unterschiede in der Verwendung der beiden Worte. Die ersten fünf Nennungen gehören zu „alttestamentlich“, die restlichen zu „alttestamentarisch“. Hier wird auf einen Blick deutlich, welche Welten zwischen beiden Worten liegen und inwiefern es bis heute keinen unbefangenen Gebrauch geben kann. Erklärungsbedürftig bleiben aber meines Erachtens drei neuere Wortverbindungen. Dazu einige kurze Notizen: „Alttestamentarischer Racheengel“ Das Wort „Racheengel“ hat erst seit 1955 Konjunktur. Davor ist es relativ selten. Als Synonyme werden in den Lexika die Erinnyen, die Medusa, die Rachegöttin, die Furien und die Eumeniden angegeben alles Worte, die in die griechisch/römische Religionswelt verweisen. Wenn jemand die Wortkombination „alltestamentarischer Racheengel“ verwendet, könnte er meines Erachtens keine Bibelstelle mit einem solchen Engel benennen. Da aber die griechische Mythologie inzwischen vielleicht noch entfernter von der Lebenswelt der Menschen ist, verbindet sich hier etwas, was gar nicht zusammen gehört. Aber in der Tendenz ist es bedenklich. „Alttestamentarische Wucht“ Vielleicht wird diese Kombination gebraucht im Sinne einer geradezu elementaren Naturgewalt. Das Grimm’sche Wörterbuch weist das Wort „Wucht“ dem 19. Jahrhundert zu. Gemeint ist wohl so etwas, wie es sich im folgenden Satz spiegelt: „Luther, der mit solcher Wucht zu dem ganzen Volke zu reden wusste“. Oder bei Lessing: „das gibt seinen Worten Wucht“. Die Kombination mit dem Alten Testament kennt das Grimm’sche Wörterbuch nicht, sie muss neueren Datums sein. Vermutlich spiegelt sich hier ein Entfremdungsprozess vom Alten Testament, der dieses in die Richtung „Archaik“ interpretiert. „Alttestamentarische Schöpfungsgeschichte“ Auch die Kombination von „alttestamentarisch“ und „Schöpfungsgeschichte“ ist neueren Datums, sie fand sich vor 10 Jahren noch nicht im Wortfeld von „alttestamentarisch“. Schaut man sich die Belege für diese Kombination an, dann kommt entweder sprachlich eine äußerste Distanz zur Bibel zum Ausdruck dann wird „alttestamentarisch“ im Sinne von „uralt“ verwendet. Oder es wird auf den Kreationismus verwiesen. Dann sind wir in der gegenwärtigen religionskritischen Debatte, die dem Christentum vorhält, in seiner Deutung der Welt einem Modell zu folgen, das dem noch viel ferneren Alten Testament angehört und damit im Bereich der Weltdeutung nichts mehr zu suchen hat. Aber auch das setzt das Alte Testament herab. Ein Blick auf einige neueste Verwendungen des WortesDas Wort „alttestamentarisch“ ist also eines, das den Antisemitismus in der deutschen Sprache fortsetzt. Die Journalisten und Publizisten, die es heute verwenden, können sich nicht darauf berufen, das Wort quasi „unschuldig“ einzusetzen, sie verwenden es, der korpuslinguistische Befund lässt keinen anderen Schluss zu, zur Abwertung des Judentums und das ist eine neue Entwicklung, die sich ansatzweise aber schon mit der Aufklärung abzeichnet weitergehend zur Abwertung alles Religiösen. Letzteres erklärt, warum es nun vermehrt zu Begriffen wie „neutestamentarisch“ kommt. Das lässt sich bis in jüngste Äußerungen zeigen. Raoul Schrott Wenn der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Raoul Schrott in seinem 2018 erschienenen Werk „Politiken & Ideen“ schreibt
dann ist das eben nicht nur inhaltlich ziemlich krude, weil es Täter und Opfer strukturell auf dieselbe Ebene stellt (zulassen oder erleiden), sondern auch tendenziös formuliert, indem es Sprachformen des frühen Antisemitismus übernimmt. Der „alttestamentarische Jahwe“ ist überhaupt keine neutrale Beschreibung, sondern ein herabsetzendes und zudem überaus tendenziöses Werturteil, das mit negativen Konnotationen spielt. Es nimmt dem Judentum die eigene Schrift weg und macht sie zum bloßen Vorläufer des Neuen Testaments. Zumindest grenzwertig ist vor dem Hintergrund der Geschichte die Rede vom „alttestamentarischen Ritual“.[42] Wenn Schrott den Eigennamen Gottes wieder und wieder wiederholt, dann missachtet er bewusst den jüdischen Glauben, der auf die Nennung bewusst verzichtet. Und wenn er schließlich die Landnahme als „alttestamentarische Imagination“ bezeichnet, reduziert er einen komplexen Prozess bis heute kontroverser historischer Forschung auf eine angebliche „Einbildung“. Neues Deutschland Am 30. März 2018 dokumentiert ein Kommentator im Neuen Deutschland noch einmal eindrucksvoll den Triumph des Antisemitismus in der deutschen Sprache. Er schreibt zum Konflikt zwischen Russland und den Nato-Staaten Folgendes:
Das ist der fortgeschriebene Antisemitismus und Antijudaismus im 21. Jahrhunderts. Dass in der hebräischen Bibel steht: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott“ wird unterschlagen und das Stereotyp des jüdischen rachsüchtigen Strafprinzips bemüht. Dass der Autor vom ius talionis[44] nichts versteht sei geschenkt, Bildung ist ein Privileg, über das Journalisten heute nicht mehr verfügen. Aber warum spricht er bei „Auge um Auge“ vom „alttestamentarischen Prinzip des Strafens“ und nicht vom wortgleichen und deutlich älteren babylonischen? Weil er das Judentum treffen will. Bistum Münster Aber selbst die Kirchen sind von diesem sprachlichen Schwachsinn nicht verschont geblieben. Ich hatte schon 2005 darauf verwiesen, dass in vielen Gemeindeverlautbarungen inzwischen das Wort „alttestamentarisch“ auftaucht. Es auf einer Seite eines Bistums(!) an herausragender Stelle, nämlich zur Beschreibung der Osterpredigt von Bischof Genn in Münster zu finden, hätte ich freilich nicht erwartet. Die bischöfliche Pressestelle schreibt:
Das ist fast schon Satire. Denn das Buch „Baruch“ ist tatsächlich ‚nur“ alttestamentlich, weil das Judentum es nicht in den Tanach aufgenommen hat. Für Protestanten ist es nur apokryph, allein die Katholische Kirche verortet es im Alten Testament.[46] Für den Gebrauch des Wortes „alttestamentarisch“ auf einer Kirchenseite gibt es dennoch keine Entschuldigung. Katholisch.de Das gilt auch für die Plattform katholisch de, die einen Alttestamentler über einen Predigttext referieren lässt.[47] Und der schreibt auch korrekt von alttestamentlich und erläutert den biblischen Text. Aber was macht der Bildredakteur des Artikels? Man ahnt es schon: Evangelisch.de Und schließlich das protestantische Gegenstück. Im Text einer Preisverleihung des Gemeinschaftswerks Evangelischer Publizistik aus dem Jahr 2014 steht und so wird es bis heute auf evangelisch.de weiter verbreitet: „Tan entwirft eine Brudergeschichte von alttestamentarischer Wucht, die er jedoch im Interieur unserer Gegenwart ansiedelt.“ Ja, ja alttestamentarische Wucht. Was immer christliche Westeuropäer sich darunter vorstellen. („Interieur unserer Gegenwart“ ist freilich auch nicht viel besser hoffentlich wird da kein Porzellan zerschlagen.) Frankfurter Rundschau In einer Rezension der FR schreibt der Rezensent:
Er meint es ja gut, aber weiß wirklich nicht, was er schreibt. Und der Leser weiß immer noch nicht, was er sich unter „alttestamentarischer Wucht“ vorstellen soll.[48] Deutschlandfunk Auch der kulturell so renommierte Deutschlandfunk macht sich einiger „Sündenfälle“ schuldig, hier einer aus der jüngsten Zeit. In einem Feature über Quellengewissheit meint Florian Felix Wey unter der Überschrift „Wahrheit ist Belegbarkeit“:
Es tut mir leid, aber das ist bar jeden Sinns. Wenn man jemanden schon eines Festhaltens an der Ἀλήθεια bezichtigen will, dann wäre es doch besser, ihn mit den Griechen und der griechischen Philosophie zu behaften. Gerade die Hebräische Bibel mit ihren lustvollen Ambivalenzen, gerade das jüdische Denken mit seinen in Jahrtausenden geschulten dialektischen Auseinandersetzungen (man denke nur an die talmudischen Dialoge), verbietet es, dem Ganzen einen „alttestamentarischen Geistesglauben an verbindliche Quellen“ zu unterstellen. Natürlich ist die Heilige Schrift verbindlich aber doch nur als auszulegende Schrift. Ich habe nach einem Vorbild für Weys Formulierung gesucht und es schließlich im 18. Brumaire des Louis Bonaparte von Karl Marx gefunden. Marx schildert dort den Konflikt zwischen Parlament und Verfassung und schreibt, die Markionitische Meme von der jüdischen Gesetzesreligion aufgreifend:
Vom Aberglauben zum Geistesglauben. Es ist eine unselige Tradition. Die bekennenden Antisemiten Und dann gibt es ja auch noch die offensichtlichen Antisemiten, die heute aber ‚natürlich‘ so tun, als wären sie keine:
Natürlich ist man kein Antisemit, wenn man antisemitisch denkt und spricht, aber die Juden, die sind immer antisemitisch was auch sonst. Solche Argumentationen sind ein Fall für Psychologen und Psychiater und hoffentlich auch für den Verfassungsschutz. Aber von diesen kranken Äußerungen gibt es so unendlich viele im Netz, das man sie nicht alle zitieren und kommentieren kann. Die Dummheit stirbt nicht aus. Absurditäten Bleibt noch das ganz normale Absurde. Kunsthistoriker werden vom ersten Semester an das Wort „alttestamentarisch“ gewöhnt. Sie lernen es nicht anders. Das kann man den Gebildeten unter den Professoren vorhalten, aber selbst die großen Kunsthistoriker der Gegenwart tun immer noch so, als ob die Herabsetzung der jüdischen Religion durch belastete Floskeln ihr Recht wäre. [Kindlers Malereilexikon weist 11 Belegstellen des falschen Wortes auf und 11 richtige Verwendungen, Seemanns Lexikon der Kunst 12 falsche, aber immerhin 100 richtige]. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Absolventen der kunsthistorischen Fakultäten dies weiter in die Welt tragen. Auf einer Auktionsseite wird so eine russische „Ikone mit einer alttestamentarischen Dreifaltigkeit“ angekündigt. Das muss dann wohl bedeuten, dass ein Kunsthistoriker meint, die Rede von der Trinität sei im ‚Alten Testament‘ bezeugt? Gemeint sind vermutlich die drei Engel bei Abraham und Sara, die für Christen schon früh als Vorbild der Trinität herhalten mussten. Aber haarscharf daneben ist eben auch daneben. EntwicklungslogikDie Verlaufskurve des Wortes „alttestamentarisch“ zeigt deutlich, wie dieses um 1760 in der deutschen Sprache auftaucht, sich nach und nach verfestigt und in der Zeit des Nationalsozialismus mit Stereotypen unterfüttert wird. Danach haben sich die Menschen so an das Wort gewöhnt (mit all seinen negativen Konnotationen), dass es bis in die Gegenwart in exakt dieser negativen Bedeutung Verwendung findet:[51] Dagegen zeigt der Blick auf das Wort „alttestamentlich“, dass es zunächst den Regelgebrauch in der deutschen Fachsprache abbildet, dann aber nach 1900 gegenüber dem abwertenden „alttestamentarisch“ an Bedeutung verliert, bis sich dann in der Mitte des 20. Jahrhundert nach dem Faschismus in der außertheologischen Literatur der herabsetzende Gebrauch des Wortes durchsetzt:[52] Seriöse Quellen, das muss man zum genaueren Verständnis der Kurve aber auch hinzufügen, sprechen aber in der Regel nicht von ‚alttestamentlich‘, sondern eher neutral von biblisch was dann den Blick auf das Geschehen noch einmal deutlich aufhellt.[53] Die Zeitschrift DIE ZEIT etwa verwendet in neun von zehn Fällen das Wort „biblisch“. Und auch das lässt sich beobachten: In jüngster Zeit kommt es häufiger zur analog gebildeten Verwendung des Wortes „neutestamentarisch“. Das kommt zwar viel seltener vor als das Wort „alttestamentarisch“, aber es breitet sich in der deutschen Sprache aus und leider gerade auch in den Nachbarwissenschaften der Theologie. Hier wäre eine inneruniversitäre Aufklärung vonnöten. Blickt man auf die Kurve seit 1700, dann wird der Zusammenhang mit der Aufklärung und der neuesten Distanzierung von Religion deutlich[54]: TextkorporaAussagekräftig ist schließlich noch einmal der Blick auf die spezialisierten Text-Korpora, insbesondere der Wochenzeitschrift DIE ZEIT und der Tageszeitung Der Tagesspiegel [zu beachten sind dabei allerdings die ungleichen Zeitrahmen; ich habe den Textkorpus der ZEIT in der mittleren Spalte einmal dem Zeitraum des Textkorpus‘ des Tagesspiegel angeglichen].
Deutlich wird daraus, dass Journalisten der großen Zeitschriften, wenn sie spezifisch das Alte Testament bezeichnen wollen, in aller Regelmäßigkeit das falsche Wort dafür wählen (bzw. das richtige, wenn sie damit zugleich das Judentum und das Alte Testament abwerten wollen). Dabei ist die Tendenz beim Tagesspiegel bedenklicher als bei der Zeit. Grundsätzlich überwiegt aber der Gebrauch der neutralen Bezeichnung „biblisch“. Aber immerhin in 9% (Zeit) bzw. 16% (Tagesspiegel) der Fälle liegen die Zeitschriften sprachlich daneben. Ein, wie ich finde, zu hoher Prozentsatz. So kann einen der regelmäßige Gebrauch des Wortes „biblisch“ nicht darüber hinwegtrösten, dass es Antijudaisten und Antisemiten gelungen ist, mit „alttestamentarisch“ ein tendenziöses Wort dauerhaft in der deutschen Sprache zu verankern. Zur Sprachpflege gehört es daher weiterhin, den eigenen Sprachgebrauch sorgfältig zu reflektieren und auf den Gebrauch einen belasteten Wortes zu verzichten. HerausforderungNicht nur aus wissenschaftlichen Gründen wäre es Zeit für eine sorgfältige sprachgeschichtliche und korpuslinguistische Studie zum Wort „alttestamentarisch“. Denn bisher, das wurde ja auch mit diesem Text deutlich, basieren alle Schlussfolgerungen eher auf Zufallsfunden und das heißt mehr oder minder auf Spekulationen.
FazitWie es aussieht, steht die Aufklärung der Sprachgeschichte von „alttestamentarisch“ erst am Anfang. Ungeklärt ist im Detail, wie aus einem Wort, das emanzipationsorientierte Juden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Alternative zum Wort „Jude“ einbrachten nach und nach ein Wort aus dem Wörterbuch des Unmenschen wurde und warum es nicht gelang, nach 1945 diese Entwicklung aufzuhalten. Unbestreitbar ist der korpuslinguistische Befund der Gegenwart: wer das Wort gebraucht, transportiert ob er nun will oder nicht etwas Negatives. Vermutlich glaubt, wer so spricht, tatsächlich, es gäbe einen Konnex von Hebräischer Bibel und Racheengel, Rachsucht, Strenge, Wucht, Zorn, Vergeltung, Härte, Grausamkeiten, Rache, Hass. Das ist aber Ausdruck eines zutiefst antisemitischen Denkens. Nur weil man ‚unschuldig‘ an Unsinn glaubt, ist man noch lange nicht auf der unschuldigen Seite. Auch für naiven Sprachgebrauch ist man verantwortlich. Auch wer aus Unbedacht „polemisches Gift“ verteilt, verteilt dennoch Gift.
Anmerkungen[2] Der Text bei Brentano lautete: „So war das unglückliche Ende dieser neunmal neunundneunzig Braven; sie, die nicht der grausame Sündenbock der alttestamentarischen Glaubensgenossen hatte besiegen können, unterlagen den Sünden des jugendlichen Übermuts, die schon manchem Helden den Helmbusch geknickt haben; sie, die den langen Tag der Juden bezwungen hatten, wurden von einem kurzen Freudentage erdrückt und erblickten das Licht nicht wieder, welches ihnen mit der Lichtputze ausgelöscht worden.“ So schrecklich dieses Rheinmärchen im Blick auf die Darstellung der Juden auch ist, im Fall des Gebrauchs des Wortes „alttestamentarisch“ könnte es sein, dass Brentano sich hier nur der amtlichen Bezeichnung bedient hat. [4] Starke, Johann George (1747): Synopsis bibliothecae exegeticae in Vetus Testamentum. Kurzgefasster Auszug der gründlichsten und nutzbarsten Auslegungen über alle Bücher Altes Testaments. Leipzig. [5] Riesbeck, Johann Kaspar (1782): Neue Briefe, für und wider das Mönchswesen, mit unparteiischer Feder entworfen. Band 2. http://gutenberg.spiegel.de/buch/briefe-uber-das-monchswesen-4919/13 [6] Jacobson, Jacob (Hg.) (2018): Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 18091851. Mit Ergänzungen für die Jahre 17911809. Reprint 2018. Berlin, Boston: de Gruyter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 4). Online verfügbar unter https://doi.org/10.1515/9783110836219. [7] Zit. nach Jacob Jacobsohn, Allgemeine Zeitung des Judentums, 1912, Nr. 32, S. 379 [8] Ebd. [9] So Ludwig Geiger, Geschichte der Juden in Berlin, 1871, S. 135. [10] Das Google-Book-Suchergebnis verweist auf die Erlanger Real-Zeitung, die Baierische National-Zeitung, die Weimarische Zeitung und den aufrichtigen und wohlerfahrenen Schweizer-Boten. [11] Graetz, Heinrich (1870): Geschichte der Juden vom Beginn der Mendelssohn'schen Zeit (1750) bis in die neueste Zeit (1848). Aus den Quellen neu bearb. Leipzig: Leiner [12] Was man in Preußen wirklich dachte und intendierte wird bei Wilhelm von Humboldt in seinem Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden deutlich: „Die Individuen werden gewahr werden, dass sie nur ein Zärimonial-Gesetz und eigentlich keine Religion hatten, und werden, getrieben von dem angeborenen menschlichen Bedürfniß nach einem höhern Glauben, sich von selbst zu der christlichen wenden.“ [13] Jacob Katz, Frühantisemitismus in Deutschland, http://www.antisemitismus.net/geschichte/katz.htm. [14] Graetz, a.a.O. [15] Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich (1791): Ueber die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden. Stimme eines Kosmopoliten. Germanien (Leipzig). [16] Grattenauer, Karl Wilhelm Friedrich (1803): Wider die Juden. Ein Wort der Warnung an alle unsere christliche Mitbürger. Zweite Auflage. Berlin: Schmidt. [17] Zit. nach Heinrich Graetz, Geschichte der Juden, Abschnitt „Die Schmähschriftenliteratur gegen Juden und Judentum im Anfang des 19. Jahrhunderts“. [18] Jacob Katz, Frühantisemitismus, a.a.O., [19] Ebd. [21] Kaulfuß, Johann S. (1817): Die Erziehung für den Staat. S. 27f. [22] Adelung, Johann Christoph (1793ff.): Grammatisch-kritisches Wörterbuche der Hochdeutschen Mundart. mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten besonders aber der Oberdeutschen. Leipzig: Breitkopf. [23] Johann Heinrich Campe, Wörterbuch der Deutschen Sprache, Erster Theil A bis E, Braunschweig 1807. S. 115. [24] Gedichte des Königs Ludwig von Bayern, Zweyter Teil, München 1829. Gedicht LXXIV. [25] Allgemeine Zeitung des Judenthums, 22. Jahrgang, Nr. 29, Leipzig 12. Juli 1858. Artikel: Die Juden im Königreiche Polen. [26] Sternberger, Dolf; Storz, Gerhard; Süskind, Wilhelm E. (1968): Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue, erw. Ausg. mit Zeugnissen d. Streites üb. d. Sprachkritik. 3. Aufl. Hamburg, Düsseldorf: Claassen. S. 12. [27] Domarus, Max (1988): Hitler, Reden und Proklamationen 1932 - 1945. 4. Aufl., Leonberg: Pamminger. [28] Johannsen, Ernst; Hielscher, F.; Euringer, R.; Naumann, Max; Heller, O.; Heinz, F. W. et al. (1932): Klärung. 12 Autoren, Politiker über die Judenfrage. Berlin: Verl. Tradition (Die Diskussionsbücher, [1]). [29] Stefan Vogt ordnet die Schrift in seinem Buch „Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890-1933“ unter die Versuche zionistischer Autoren ein, mit Vertretern der Konservativen Revolution ins Gespräch zu kommen. [30] Eva G. Reichmann, Diskussionen über die Judenfrage 1930-1932, in: Mosse, Werner E. (Hg.): Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der Weimarer Republik. 1966, S. 503-535, hier S. 521: „Was die Art der Beweisführung anlangt, die man in diesen Bänden und Sonderheften vorfindet, so könnte sie uneinheitlicher nicht gedacht werden. Der Niveauunterschied, der zwischen den einzelnen Beiträgen besteht, würde normalerweise ihre Zusammenfassung in geschlossenen Publikationen unmöglich gemacht haben. Schon dieser Gegensatz beweist, daß es sich hier um den Zusammenstoß verschiedener Welten handelt. Auf der einen Seite waltet das Bemühen, zum mindesten eine gemeinsame Plattform zu finden, die gegenseitiges Verständnis, vielleicht sogar einen Ausgleich der Spannungen ermöglicht; auf der andern das verwegene, geradezu übermütige Spiel mit apodiktischen Behauptungen, für die ein Beweis nur selten gesucht wird. Nur wenige der radikalen Judengegner berufen sich auf anerkannte wissenschaftliche Autoritäten. Günstigstenfalls zitieren sie ihre eignen Werke, die oft abstruse Gedankengänge verfolgen“. [31] Johst, Hanns (1932): Volk im Volke. In: Ernst Johannsen, F. Hielscher, R. Euringer, Max Naumann, O. Heller, F. W. Heinz et al. (Hg.): Klärung. 12 Autoren, Politiker über die Judenfrage. Berlin: Verl. Tradition (Die Diskussionsbücher, [1]), S. 117123. [32] Ebd., S. 123. [33] So fasst Eva G. Reichmann Weltschs Argumentation zusammen, s. Diskussionen, a.a.O., S. 512. [34] Ebd. [35] Fink, Fritz (1937): Die Judenfrage im Unterricht. Nürnberg: Der Stürmer, Abt. Buchverl. [36] Ebd., S. 22f. [37] So Fink im Kapitel „Wie verhalten sich die Kirchen zum Volke der Christusmörder?“. [38] Hildebrecht Hommel, Symbola, 1976, S. 464. [40] Hommel, Hildebrecht (1984): Bemerkungen zur deutschen Sprachverwilderung. In: Arizcuren u.a. (Hg.): Navicula Tubingensis. Studia in honorem Antonii Tovar. Tübingen: Narr (Tübinger Beiträge zur Linguistik, 230), S. 199210. Hommel verweist dann auf Thomas Mann als einen frühen Verwender des Wortes „alttestamentarisch“. Aber auch diese Erkenntnis ist inzwischen überholt. Heute muss man von der Mitte des 18. Jahrhunderts ausgehen. [41] Raoul Schrott: „Politiken & Ideen“. Vier Essays. Hanser Verlag, München 2018 [42] Das einschlägige Klischee vom „jüdischen Ritual“ vermeidet er noch. [43] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1084046.neuer-kalter-krieg-auge-um-auge.html?sstr=Die|Abfolge|sich|stetig|aufschaukelnder|Reaktionen [49] http://www.deutschlandfunk.de/quellengewissheit-wahrheit-ist-belegbarkeit.1184.de.html?dram%3Aarticle_id=408682 [50] Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Marx/Engels: MEW Bd. 8, S. 181. [51] Wortverlaufskurve „alttestamentarisch“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. [52] Wortverlaufskurve „alttestamentarisch · alttestamentlich“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. [53] Wortverlaufskurve „alttestamentarisch · biblisch“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. [54] Wortverlaufskurve „neutestamentarisch“, Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. [55] So Sebastian Franck 1534; Johann Gropper 1556; Franciscus Agricola 1586; [56] Dafür sprechen Formulierungen wie „alttestamentarische Rache der Morgenthau-Leute“ oder „alttestamentarische Rache an den Deutschen“. Noch deutlicher wird der Zusammenhang hier, einer Publikation des Jahres 1954: „Gleich ihnen trauern Millionen heimatvertriebener Menschen andren Stammes um den verlorenen Lebenskreis der Heimat, Heilloses Unrecht geschah so in der Welt, himmelschreiend und von schwersten Folgen! Hemmungslose Machtgier und alttestamentarische Rache Auge um Auge sind nicht zu vereinen mit abendländischem Christentum, von dem so viel geredet wird. Sein Geist fordert das Menschenmöglichste an Gutmachen, nicht Fortsetzung und Verewigung von Gräueltaten!“ Die Oberpfalz, Band 42. [57] Hannes Stein, Thora, Newiin, Ketiwim, Die Welt: „Das Wort ‚alttestamentarisch‘ trägt polemisches Gift in sich. Es will uns die bekannteste hebräische Anthologie aller Zeiten madig machen: ein buntes Bündel von Gestalten und Geschichten, ohne die der größere Teil der abendländischen Literatur schlicht unverständlich würde.“ [58] Interessant wäre es etwa, am noch zu erstellenden Textkorpus der Gruppe „Poetik und Hermeneutik“ zu untersuchen, wie auch in diesem illustren Kreis der Gelehrten das tendenziöse Wort ‚alttestamentarisch‘ als normal erscheint. Vielleicht nicht zufällig taucht das Wort erstmalig 1971 beim Kolloquium „Terror und Spiel“ auf, bei dem die Theologen konsequent von „alttestamentlich“ sprechen und Germanisten nicht selten von „alttestamentarisch“. 1988 taucht es gleich mehrfach auf, etwa bei Odo Marquards Beitrag. |
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/113/am629.htm |