GeistesGegenwart |
„Wie kann man das, was ein Christusimpuls ist, herausarbeiten?“Eine kleine Collage von Texten und BildernAndreas Mertin 1978 führt Horst Schwebel eine Reihe von Gesprächen mit fünf Künstlern bzw. Schriftstellern. Das gemeinsame Thema ist die Situation von Kunst und Religion in der Gegenwart. Aus dem Gespräch mit Joseph Beuys, welches das Magazin für Theologie und Ästhetik in Heft 50 wiederveröffentlicht hat,[1] zitiere ich im Folgenden einige Sätze. Sie folgen auf die Frage von Schwebel nach der Aktion Celtic und der darin erfolgten Fußwaschung.
Wie kann man das, was ein Christusimpuls ist, herausarbeiten? Das ist eine Frage, die Künstler, die nicht nur einfach biblische Texte, nicht nur einfach biblische Geschichten illustrieren wollen, seit über 500 Jahren umtreibt. Es ist eine überaus aufregende Konstante in der Geschichte der Kunst seit 1500, dass die Künstler in Anknüpfung und Widerspruch sich mit dieser Frage immer wieder beschäftigen. Das möchte ich kurz in fünf Schritten zeigen: Schritt I: Aneignung Albrecht DürerDen Anfang machte vielleicht Albrecht Dürer als er sich im Jahr 1500 in seinem berühmten Selbstbildnis im Pelzrock exakt so porträtierte, wie es bis dahin dem Christusbild vorbehalten war: in Frontalansicht. Es ging um den Maßstab des Menschlichen, der vorher schon Giotto, Masaccio und Jan van Eyck in ihrer Kunst so wichtig gewesen war. Wenn der Mensch geradezu gottgleich war, musste man den Menschen auch so darstellen können. Und wenn Gott eine Entsprechung zum Menschen hat, dann musste im Menschenbild das Gottesbild inkorporiert sein. Da ist es nur noch ein kleiner Schritt, das eigene Bild am Christusbild auszugestalten. Und Albrecht Dürer macht das so, dass ein geradezu ikonisches Bild daraus entsteht: Das können Menschen werden! Schritt II: Identifikation James EnsorAn dieser Stelle folge ich einfach der einschlägigen Darstellung von Horst Schwebel in dem von ihm gemeinsam mit Günter Rombold geschriebenen Buch „Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts“.[2] Er notiert dort:
Persönlich würde ich die Subjektivität bei Ensor zumindest in einer logischen und sich geradezu notwendig fortentwickelnden Linie von Albrecht Dürers Selbstbildnis über Cranachs Selbstdarstellung auf dem Altar in der Weimarer Stadtkirche bis eben zur Selbstkreuzigungsdarstellung von James Ensor sehen. Schritt III: Handlung Joseph BeuysIch hatte schon auf das Gespräch hingewiesen, dass Horst Schwebel 1978 mit Joseph Beuys geführt hat. 1983 bilanziert Schwebel den Ertrag noch einmal im bereits erwähnten Buch über Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts:
Du musst, du kannst den Christusimpuls aufgreifen und umsetzen das ist es, was Beuys vermitteln will und überaus plausibel einsichtig macht. Schritt IV: Provokation Martin KippenbergerWenn man den Namen Martin Kippenberger hört, denkt man wohl kaum an einen Christusimpuls oder gar an eine Christus-Identifikation, wohl eher an das Fest der Narren, denn das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe.[3] Von Kippenberger stammt der gekreuzigte Frosch, der das Gemüt scheinbar frommer Menschen erregt und angeblich ihre religiösen Gefühle verletzt. Weniger bekannt ist, dass es auch ein großes, thematisch dazu gehöriges Gemälde gibt (ohne Titel, aus der Serie Fred the Frog 1990, Öl/Lwd. 240 x 200 cm) und zu diesem Werk wiederum eine Vorzeichnung auf Hotelpapier, die heute im Besitz des Museum of Modern Art (MOMA) ist.[4] Bei diesen beiden Arbeiten hängt kein Frosch, sondern Christus bzw. ein Mensch am Kreuz. Schaut man sich diese Arbeit Kippenbergers genauer an, so ist sie im Kern zunächst einmal eine beeindruckende Studie einer Kreuzigung. Vor dem Gekreuzigten öffnet sich eine surreale Welt, in der wir ein Spiegelei mit Finger, eine Colaflasche mit Glas und einen weiteren undefinierten Gegenstand erkennen. Am oberen Bildrand des Gemäldes können wir den Namen Kippenberger entziffern, während bei der Vorzeichnung dort noch der Name des Hotels am Sunset-Boulevard in Hollywood „Mondrian“ steht. Jedenfalls bringt dieses Bild die Kreuzigung mit dem Namen und der Person Kippenbergers zusammen. Zwar gibt es ikonographisch kaum eine unmittelbare Verbindung zu dem Multiple mit dem Frosch, aber es entstammt demselben Kontext. Dieses Bild hat aber bedauerlicherweise keine dem Frosch vergleichbare Wirkungsgeschichte gehabt, könnte aber viel zur Erhellung der Bedeutung dieses Multiples beitragen. Und wie schon bei Ensor verbindet es die Situation des leidenden Gekreuzigten mit der des Künstlers. Die Provokation besteht darin, noch im vielleicht sogar selbst verschuldeten Leiden des Künstlers einen Spiegel des Leidens Jesu Christi zu sehen. Schritt V: Weitergabe Olu OguibeWie ordnet sich nun der Obelisk von Olu Oguibe in diese Folge von Kunstwerken ein? Auch hier sehe ich eine Form der Christus-Identifikation, nur ist diese noch viel zugespitzter, noch viel performativer, noch viel gewagter als die bisherigen subjektiven Aneignungen des Christusimpulses durch die Künstler. Denn wenn man es genau betrachtet, dann spricht Olu Oguibe hier ja in einem übertragenen Sinne ein Gottes-Urteil, er begibt sich in die Situation Jesu Christi im Jüngsten Gericht: Ihr, Kasseler Bürger, das sage ich mit meinem Obelisken, habt mich - wie in Matthäus 25,35 gefordert - in eurer Stadt aufgenommen und willkommen geheißen. Wann, so fragen die Kasseler Bürger verwundert, Herr [Oguibe], haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen? Und er [Oguibe] antwortet ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. Und dann wendet er [Oguibe] sich an die AfD und die amerikanischen Fundamentalisten: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen.“ Da reiben sich diese die Augen und fragen: Herr [Oguibe], wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dir nicht geholfen? Und er antwortet ihnen und sagt: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. So dramatisch spricht das Kunstwerk von Olu Oguibe und so ordnet es sich ein in die Geschichte der künstlerischen Christus-Identifikationen: es identifiziert jene Kasseler Bürger, die seit 400 Jahren Flüchtlinge und Migranten mit offenen Armen empfangen, als Christus-Nachfolger. Das ist aus der Perspektive eines eigentlich religionsfernen Künstlers überaus bemerkenswert. Und all die Kasseler Bürger und Schein-Christen, die sich dagegen wehren, müssen sich fragen, wie sie denn zum christlich-humanitären Impuls von Matthäus 25, 35 stehen, ja, wie sie mit diesem Urteil leben können. Und siehe da: sie können es nicht. Der Obelisk von Olu Oguibe ist künstlerisch proleptische Rede: sie greift in einer prophetischen Zeichenhandlung vorweg, was Gott am Ende der Zeiten sagen wird. Vielleicht ist das der Grund, warum die Kasseler Kirchenfürsten so wenig zu diesem Kunstwerk zu sagen haben. Weil sie sich diese Art von zugleich prophetischer wie performativer Rede längst abgewöhnt haben, weil sie sich heraushalten aus allen Verwerfungen und Urteilen. Bloß nicht anecken, bloß niemanden verschrecken. Christus-Nachfolge sieht anders aus. Die Kasseler Bürger haben es bei den Hugenotten vorgemacht. Und es wäre gut, wenn das in Kassel sichtbar bliebe. Anmerkungen[2] Rombold, Günter; Schwebel, Horst (1983): Christus in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Eine Dokumentation. Freiburg/Br.: Herder. [3] Cox, Harvey (1977): Das Fest der Narren. Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe. Gütersloh: Mohn (Gütersloher Taschenbücher/Siebenstern, 216). [4] Angaben des MOMA dazu: 1989. Pencil, colored pencil, felt-tip pen, ballpoint pen, and gouache on hotel stationery, 11 x 8 1/2" (27.9 x 21.6 cm). http://www.moma.org/collection/browse_results.php?object_id=96351 |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/113/am631.htm |