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Chao-Kang ChungSubstanzlose HelligkeitErich Franz Chao-Kang Chung wurde 1984 in Taiwan geboren und studierte von 2009 bis 2016 Malerei und Video an der Kunstakademie Münster. Seit 2011 malt er realistische Bilder in Öl auf Leinwand. Was sie zeigen, ist gegenständlich, ist mimetisch. Doch gehört das Dargestellte verschiedenen Ebenen des Erkennens an, so dass dem Betrachter eine einfache Identifizierung unmöglich wird. Im Jahr 2011 malte Chung die allbekannten Schuhe van Goghs nicht als Kopie, sondern in Linien, die wie Neon in einem dunkel-dunstigen Raum zu leuchten scheinen (Abb. 1). Auch dieser Lichteffekt ist „gegenständlich" in Ölfarbe gemalt. Es durchdringen sich also völlig unterschiedliche, ja unvereinbare „Gegenstände". In acht Versionen der „Schuhe" „leuchten" die „Neon-Linien" im „räumlichen Dunkel" in jeweils einer anderen Farbe und in einem anderen Teilbereich auf. Die Bilder sind mit spiegelndem Lack überzogen, so dass auch die gesehenen Farben nicht verlässlich sind. Chao-Kang Chung nannte die Serie „‘Wahrheit‘?" Was auch immer man erkennt, es hat keinen Bestand. Jede unwillkürliche Identifizierung wird durch andere entwertet und als bloße Illusion bewusst. Was ich sehe, ist nicht Wahrheit. Das Gegenständliche und Wiedererkennbare, das in der Serie achtmal wiederholt wird, erweist sich als unverlässlich. Es lässt sich nicht einmal als Hinweis oder Vorstufe in Hinblick auf eine bleibende Aussage auffassen. Der Bildtitel „‘Wahrheit‘?", den Chao-Kang Chung der Bildserie gegeben hat, rückt die Frage nach einer bleibenden Aussage noch deutlicher ins Bewusstsein. Dieses Bleibende kann nur jenseits dessen liegen, was in den Bildern sichtbar wird. Die religiöse Dimension einer solchen Unerfüllbarkeit im Sichtbaren wird bestätigt, wenn man erfährt, dass für den Künstler (einen gläubigen Katholiken, was er jedoch nicht betont) die Frage nach der „Wahrheit" hinter all seinen Bildern stehe. Eine neuere Folge von fünf Gemälden mit dem Titel „Der Künstler in seinem Atelier" (2017) geht noch näher an die alltägliche und eher schäbige Realität heran, wie sie der Künstler vorfindet (Abb. 2). Man erkennt Wände und die Einrichtung eines Zimmers. Chung hat sie dort abgemalt, wo er lebt, in einem Sozialbau in Münster, den Tisch, die Fußbodenleiste, die Steckdose, die Staffelei, das angefangene Bild, den Ikea-Stuhl, die Plastikfolie und eben auch sich selbst bei der Arbeit. Dazu kommt eine zweite „Schicht" des Erkennens, eine zweite Gegenständlichkeit, die dieses erste Bild - ein Maler in seinem Atelier - völlig auflöst und verwandelt. Das Bild stellt sich selber dar - als Wandvitrine, als Schaukasten, dargestellt in perspektivischer Fluchtung. Die wandparallele Bildfläche schafft die Illusion eines Kastens in Schrägansicht und diese Tiefen-Täuschung wird durch den trapezförmigen Umriss des Bildes verstärkt. Die Illusion übersteigt sogar den Eindruck des realen Bild-Objekts. Was man als Körper des Bildes erkennt, ist „nur gemalt". In der europäischen Malerei bildet meist ein Körper aus Leinwand auf Keilrahmen den materiellen Gegenpol zu jenem „bildlichen Sinn", der „alles Faktische überbietet" - Gottfried Boehm nannte diesen „Grundkontrast" die „ikonische Differenz". Bei Chao-Kang Chung verliert sogar etwas so Elementares wie der rechteckige Bildkörper seine Faktizität. Er scheint in die Tiefe zu fluchten und gehört damit ebenfalls zu den Illusionen, die das Bild herstellt. Das Bild „reflektiert" sich selbst: Es zerlegt sich vor unseren Augen in verschiedenste Aspekte, die es malerisch vortäuscht. Doch auch in einem anderen Sinn kommt die „Reflexion" hier ins Spiel. Der Plexiglaskasten scheint das Dargestellte entweder in sich zu enthalten oder aber auf seiner Oberfläche widerzuspiegeln: den Maler in seinem Atelier beim Verfertigen eines Bildes - es ist eben dieses Bild. Ob Transparenz oder Spiegelung, so genau lässt sich das nicht entscheiden. Alles, was zu „erkennen" ist - das Vitrinenglas, die Wände, der Tisch, das Bild in Bearbeitung, die Staffelei, das Fenster im Hintergrund - wirkt teils gespiegelt und teils durchsichtig. Oft verliert es auf beiderlei Weise seine Eigenfarbe. Alles verblasst in den Transparenzen und Reflexionen und taucht in Schleier von weißlich-grauer Helligkeit ein. Tatsächlich ist die verwendete Farbe nicht Grau, gemischt aus Weiß und Schwarz, sondern man verspürt soeben noch die Einmischung rötlicher, bläulicher und gelblicher Töne, die einander die Farbkraft nehmen und sich zu hell-schattigen Dämmerungsstufen und kalkig-blassen Dunstschleiern auflösen. Alles Gegenständliche im Bild verschmilzt mit der Unfasslichkeit des perspektivischen Bildkörpers - und verliert wie dieser seine Verlässlichkeit. Unmerklich vereinigt sich das „reale" Bildobjekt mit dem imaginierten Studio des Künstlers. Die Faktizität all dessen, was man - oft nur mühsam - erkennt, verschwindet in den Schleiern sich widersprechender Vorstellungen. Im diesjährigen Ausstellungskatalog des Kunstvereins Lippstadt und der Galerie Hachmeister, Münster, erinnert Gerd Blum an die Tradition des europäischen Bildes, das wie ein Fenster den Blick auf eine reale Welt zu öffnen oder auch wie ein Spiegel etwas Reales widerzuspiegeln scheint:
Chao-Kang Chungs Bilder nehmen uns den Glauben, dass all das, was uns in diesen Bildern real erscheint, auch verlässlich und glaubwürdig ist. Wir erfahren, dass dies alles ganz und gar nicht real sein kann. Nicht einmal das Bild selbst wirkt real, es wird ebenfalls zu einer Illusion. Was wir sehen, verliert sich in den Spiegelungen, Transparenzen und im Dunst eines ungreifbaren Raums. Es verliert sich aber auch in der Vergangenheit. Das Bild zeigt die Arbeit an ihm - obwohl es doch fertig ist. Die Vorstellung, dass wir den Künstler „real" bei der Arbeit vor uns sehen, wird also ebenfalls aufgehoben. Das Sehen führt zu faszinierenden Entdeckungen wie auch zu virtuos inszenierten Enttäuschungen. Für den Maler scheint nichts festzustehen. Alles, was man sieht, ist unsicher. Man erfährt beim Sehen dieser Bilder eine große Skepsis - gegenüber allem, was man zu erkennen meint. Doch spürbar führen die Negationen alles Festen und Greifbaren auch wieder zu etwas Positivem. Die Verluste und unausweichlichen Auflösungen verdichten sich zu Erfahrungen einer Leere, die wir in diesen Bildern nicht als Abwesenheit und Negation erleben, sondern als ein Crescendo - als ein Entstehen und Sich-Verdichten von substanzloser und nicht benennbarer Helligkeit. Chao-Kang Chung bestätigt, dass in diese zunehmende Aufhebung eines Gegenübers Vorstellungen des buddhistischen Zen eingegangen sind. Gegenüber allen angedeuteten Gegenständen steigert sich die Faszination dieses anderen, das sie alle aufhebt, die Faszination dieser ungegenständlichen Helligkeit. Für sie wäre „Licht" auch nicht das richtige Wort, eher das Diesige, das Ungreifbare, der Blick in die sanfte Gleichförmigkeit, in die Ununterscheidbarkeit. Man „sieht", wie allmählich und zunehmend eben das wichtig wird, was dem Auge nicht erreichbar bleibt. Abbildungen
Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/113/ef01.htm |