... und ihre globalen Kämpfe

Wie die alten und neuen Gottheiten auf dem Boden der USA um die Vormacht ringen

Roland Wicher

Er wirkt wie ein abgehalfterter Privatdetektiv in seinem alten Straßenkreuzer, das Gesicht so knittrig wie der Trenchcoat. Auch tritt er mit einer ähnlich schlitzohrigen Souveränität auf wie dieser Typus stilvoller und zugleich raubeiniger älterer Herren, die wir eher aus Serien und Filmen der 1970er kennen, die Farbfernsehversion von Film-Noir Helden, die im Farbbild etwas von ihrem Glamour verlieren, kontrastloser und alltäglicher wirken. Mr. Wednesday aber ist kein Detektiv. Er ist ein nordischer Gott, Odin - er nennt sich aber auf amerikanischem Boden nach dem nach ihm benannten Wochentag.

Ein Strafgefangener, Shadow Moon, ein African American begegnet ihm während eines gewittrigen Interstate-Fluges. Wednesday bietet ihm einen Deal an, er soll seine rechte Hand werden, Fahrer, Mädchen für alles, gut entlohnt. Shadow ist auf dem Weg zurück zu seinem Heim, frisch entlassen, aber die Frau, die er liebt, ist dort nicht mehr. Sie ist am Tag seiner Entlassung bei einem Autounfall umgekommen, später wird er erfahren, beim Liebesspiel mit seinem besten Freund, bei voller Fahrt, kam es zum Crash.

Shadow hat nichts, außer vielleicht einem letzten, verzweifelten Quäntchen Glauben an das Leben. Er ringt mit sich, schließt sich aber bald nach der Beerdigung dann doch Wednesday an.

Es wird sich im Lauf der bereits abgedrehten ersten Staffel zeigen, seine eigentliche Funktion soll es sein, dass er an Wednesday glauben soll. Ein Gott ist nichts ohne Glauben, und sei es nur der Glaube eines einzelnen.

Auf diese Weise führt die amerikanische Serie „American Gods“ ein in eine fantastische Fiktion auf den Spuren der pluralen Religionsgeschichte der USA. Immigrationsgeschichte wird nachgezeichnet, im coolen, oft comichaft bizarren Stil, den der Roman des Autors Neil Gaiman vorgibt. Gaiman, auch bekannt als Autor von Graphic Novels („The Sandman“) wirkt auch an der Adaption des Buchs für die Serie mit. Freilich weicht bereits die erste Staffel in vielem von der Romanvorlage ab, so dass sich zeigen wird, welche Elemente in die Serie übernommen werden und wo sie andere Wege geht.

Amerikas religiöser Kosmos, auch der verborgene, der in Einwandererkulturen beinahe untergegangene Rest der Narrationen und Gottheiten der verschiedenen Kontinente und Regionen, die sich auf amerikanischem Boden versammeln, wird verlebendigt, in Verkörperungen der Mythen und Traditionen, der alten, raunenden Märchen und Sagen. Die Gewalt- und Leidensgeschichten wie auch die listenreichen Wege der Migranten, auf denen Sie den Unbillen ihrer Herkunftsländer entkommen, werden in farbenfrohen Rückblenden und zum Teil narrativ unverbundenen Rahmenerzählungen dargestellt. Die Sklaven in den Bäuchen der Schiffe, die sie an den Ort der Unfreiheit und Tortur verfrachten, sie bringen Ananse mit, den westafrikanischen Spinnengott, der als eleganter, in farbenfrohe Anzüge gewandeter Spieler auftritt. Wikinger landen vor Urzeiten an den Stränden an, treffen auf erbitterten Widerstand von Native Americans, die nur in Gestalt tödlicher Pfeilhagel erkennbar werden. Sie beten um Wind für eine schnelle Rückreise, und je länger die Flaute währt, desto wilder werden die Opfer und Selbstopfer, die sie für den deus absconditus bringen. Martialische Grausamkeiten scheut die Serie in diesen eingestreuten Mikronarrativen nicht.

Durch sie wird deutlich, dass die Gottheiten immer auch Begleiter, wenn nicht Anstifter des Clash of Cultures sind, dass sie Kämpfende ermächtigen – oder auch verraten – die an sie glauben. Im Zuge aber der Säkularisierung und Assimilation verlieren sie an Kraft. Wednesday nun, an dem man das ebenfalls beobachten kann, zieht durch die Lande und besucht alte Freunde. Er will ihre Unterstützung und ihre Waffen. Ein Krieg zieht herauf.

An dieser Stelle wird es spannend. Widersacher von Wednesday sind die drei Gottheiten der globalen und mediatisierten ökonomischen Kultur, Mr. World und seine beiden Helfer, Media, eine als 50er-Jahre-Diva erscheinende Verkörperung medialen Contents und Technical Boy, der  für die Hardware und den technischen, sprich digitalen Zugriff steht, ein unflätiger, grober, pickliger Teenager, ein bisschen wie ein Technokid der 1990er inszeniert. Er ist oft auch mit einem Pack von gesichtslosen Techno-Golems unterwegs, die in einer Szene den farbigen Shadow Moon an einen Baum fesseln. Die alte rassistische Gewalt findet neue, in Wahrheit kältere Kanäle. Kubricks Alex aus „A Clockwork Orange“ bekommt gleichsam eine neue Deutung, ist Emanation des technologischen Wandels. Mr. World, der oberste in diesem Dreigestirn, ist der Gott der Globalisierung mit ihrem alles vereinnahmenden Zug.

Diese drei versuchen nun zum einen, Shadow für sich zu gewinnen, ihn abzuwerben, und zum anderen und vor allem, Wednesday auf ihre Seite zu ziehen und so zu unterwerfen, ihn zum medialen Inhalt werden zu lassen, der die Potenz der alten Gottheiten in mediale Kanäle leitet. Als Geschenk bieten sie ihm dafür an einer Stelle ein zum Regenbogen-Einhornland bunt hochgepimptes Nordkorea an.

Wednesday aber ist zu edgy, zu rau und nicht durch den medialen Hype zu beeindrucken. Er sucht stattdessen alte Gottheiten, die ihm als Verbündete zur Seite stehen sollen. Der slawische schwarze, brutale Gott Czernobog und seine drei Schwestern, ihrerseits slawische Göttinnen, sie hausen in einer abgestoßenen, den kulturellen Klischees entsprechenden Wohnung, die eher ins 19. als ins 21. Jahrhundert passt. Der stark rauchende Czernobog spielt Dame um das Leben von Shadow, ist nach seiner aktiven Zeit als Gott Arbeiter in den Schlachthöfen Chicagos gewesen, und hat zum Töten der Kühe seinen mächtigen Schlachthammer benutzt. Letztlich erklärt er sich nach einer langen Nacht der Verhandlung und des Glücksspiels bereit, Wednesday zu unterstützen – und kommt doch nicht in den Genuss, dessen Assistenten zu erschlagen. Eine rohe Gewalt geht von diesem dürren, muskulösen Alten im Feinrippunterhemd aus.

Der antike Gott Vulkan hat sich in einer Stadt in den Südstaaten niedergelassen, und betreibt dort erfolgreich eine Munitionsfabrik. Zugleich wird er als Demagoge von den Bürgern des Städtchens gefeiert. Odin will in Wahrheit nur sein Schwert, während er den Schmied im Dienst der NRA nicht an seiner Seite haben möchte.

Es ist ein vielfältiges Tableau mythischer Figuren, die mit mehr oder weniger Widerwillen dafür gewonnen werden, gegen die coolen neuen Götter zu opponieren. Ein irischer Leprechaun etwa, der besagte Afrikaner Ananse, und andere Gestalten, die nicht unmittelbar eingebunden werden, aber in Fülle als Helfer der Einwanderer figurieren. Jesus etwa – es gibt ihn dutzende Male, als Jesus der Mexikaner, die versuchen, illegal über die Grenze zu kommen, aber auch als Jesus der vielen Denominationen des nordamerikanischen Kontinents.

Ostara, Göttin des Frühlings und der Vegetation, wird an einer entscheidenden Stelle als eine der mächtigsten Verbündeten Odins eingeführt – als WASP, die in einer Villa auf einer grünen Anhöhe residiert, eine Gesellschaftsdame, bei der gerade eine offensichtlich angesagte Party läuft. Sie lässt eine Dürrewelle über das Land senden, braun und saftlos stehen daraufhin die Wiesen und Wälder da.

Vielfältige Bezüge des Stoffs zur gegenwärtigen Lage der USA drängen sich auf: die krisenhafte Grundstimmung, die im Medium einer apokalyptischen Erzählung eines dämmernden großen Götterkampfs eingefangen wird. White-Trash, die Zusammenbruchzonen einer alten, materialistischen und auf Materialität beruhenden Wirtschaft, die aggressiven Selbstbehauptungsgesten der marginalisierten und ins Prekariat Abgedrängten – die zivilisationskritische Grundgeste ist ja auch sonst vielen aktuellen Produktionen und populären Genres nicht fremd, seien es die höchst erfolgreichen Zombie Narrationen in „The Walking Dead“ oder ganz anders die Erzählungen von „Game of Thrones“. Genuss des rauen, materiellen, wo die Kerle noch bärtig sind, die Frauengestalten aber auch feste zuschlagen. Sich-Spüren wird als Gegenbewegung zur medialen und ökonomischen Vereinnahmung angeboten. Lieber schockhafte Kontingenz als glatte Sicherheit ohne Sinntiefe jenseits infiniter medialer Reproduktion.

Das Konservative an dieser Erzählung ist sicher, dass die Welten als scheinbar so gegensätzlich in Stellung gebracht werden. Nach der ersten Staffel und angesichts der Entwicklung des Romans kann vermutet werden, dass es komplizierter wird und die Intrige raffinierter ist, als in diesem Moment zu erkennen. Das Medienphänomen Trump mit seinen leider nur zu realen Bedrohungspotenzialen ist ja selbst eine bizarre Verbindung aus antibürgerlicher Rüpelhaftigkeit, ignorieren des Comment mit den offenen Jackets und den wehenden, überlangen Schlipsen, die signalisieren, dass dieser Mann auf Benimmregeln und eben auch Kleiderordnungen pfeift, aber doch mitten durch die bürgerlichen Machtzentren pflügt. Er scheint die Verkörperung des rechten White American zu sein, der das Angebot von Mr. World angenommen hat. So kanalisiert das Phänomen Trump mit seinem Umhof von Alt-Right und Frühstücksfernseh-Radikalismus, von republikanischem Opportunismus, der wesentliche konservativ-bürgerliche Positionen aufzugeben bereit ist für den Erfolg, den das Phänomen Trump verbürgt. Die Wetten laufen, ob, wann und wie dieses Projekt implodiert, aber bislang ist das nicht geschehen – und im Blick auf das Gespür der Serie für solche Phänomene ist das in diesem Zusammenhang auch unerheblich.

Pathetisch könnte man sagen, es liegt in der Art, wie die Geschichte bislang erzählt wird, eine Warnung vor der Gefahr dieser Liaison des rohen Selbstbehauptungstriebes mit dem Medialen, wobei die amerikanische Rechte dann eher in Vulkans Gesellschaft zu suchen ist. Odin hingegen sucht sich den Ex-Häftling Shadow Moon, der in schattiger Unbestimmtheit und von permanenten Entscheidungsproblemen gequält eine Existenz zwischen der weißen und der African American Community ohne echte Traditionsanbindung darstellt. Diese ganzen Figuren, die da auf der religionsgeschichtlichen Bühne ihre Auftritte haben, sie bleiben ihm äußerlich, nur Gegenüber, das er mit dem ihm eigenen Gaze, dem gebannten, lethargischen Blick beäugt. Eine Verkörperung der Ambivalenz, die zum Glauben gebracht werden soll, damit der Gott seine Speise habe, die Verehrung eines menschlichen Wesens. Die verstorbene Ehefrau von Shadow wird in Rückblenden zugleich als in katholischen Glaubenswelten sozialisierte Frau inszeniert, die andererseits von tiefem, den Glauben löschenden Zweifel befallen wurde. Ihr gegenüber nahm Shadow bereits die Rolle des spirituelleren Partners ein, versuchte für die Möglichkeit eines Lebens jenseits der Todesgrenze zu argumentieren. Ironischerweise steht sie dann vor ihrem Richter, dem ägyptischen Gott Anubis, der sie auf Grund ihres Unglaubens durch eine Tür ins ewige Vergessen schicken will. Aber die Macht der Liebe und Renitenz gegen solche Auslöschung ziehen Laura zurück in die Welt, in der ihr Gatte noch wandelt, ein Mann aus Fleisch und Blut. Zu ihm will sie, die Reuige, zurück. Als Zombie folgt sie ihm auf seinem Roadtrip an Wednesdays Seite, auf dass durch den Funken der Liebe Wärme und Leben in ihr kaltes Herz zurückkehrten. Wie sehr hier ein christlicher, wenigstens westlicher Code im Spiel ist, kann an dieser Stelle nicht vertieft geklärt werden. Es ist aber in meinen Augen sehr zu vermuten.

Die sinntheoretische Rekonstruktion von Religion, wie sie Jörg Herrmann in seinen Forschungen zu Film und Wilhelm Gräb sie vielfältig vorgeführt haben, sie kann in diesen Figuren, in ihrer krisenhaften, fragilen Arbeit an einem Verhältnis zu alten Glaubensbeständen und zu den Nöten und Verheißungen menschlichen Lebens nachvollzogen werden. Im Spiel mit den popkulturellen, dabei kulturgeschichtlich informierten, Klischees und Gemengelagen geschieht eine Arbeit am Mythos, die zugleich eine Arbeit an der gegenwärtigen mentalen Lage, der seelischen und sozialen Verfasstheit nicht nur der USA ist. Dabei vollzieht sie sich im Medium unterhaltsamer Kunst freier, als wenn hier eine ernsthafte religions- und kultursoziologische Diagnose versucht würde. Es bereitet eine mit Unbehagen an der Zivilisation vermischte Freude, den überzeichneten Figuren in ihrem artifiziellen Setting dabei zuzusehen, wie sie Probleme zu lösen versuchen, die wir alle ganz anders auch kennen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/114/rw3.htm
© Roland Wicher, 2018