Einfach frei Schnauze
Religiöse Parodien der Reformationszeit
Anne Breckner
Abstract
Im Vortrag[1] werden schwerpunktmäßig religiöse Parodien der Reformationszeit betrachtet. Während der Reformationszeit wurden bestehende religiöse Texte, wie das Vaterunser, verfremdet, um Feindbilder aufzubauen und Stereotype zu verfestigen. Vaterunser-Parodien wurden z. B. auf Flugblättern veröffentlicht, um Stimmung gegen den Papst zu machen. Auch in Luthers Tischreden findet sich eine Vaterunser-Transformation, die jedoch die notleidende Bevölkerung in den Blick nimmt. In den damaligen Zeiten emotional aufgeladener Streitigkeiten wurde mit den Parodien Propaganda für die eigene Bewegung, gegen die (scheinbar) Andersgläubigen betrieben. Selbst in den aus der Reformationsbewegung resultierenden Kriegen wurden religiös konnotierte, satirische Texte eingesetzt, um sich von den jeweils Anderen abzusetzen. Heute stellt sich die Frage, ob Kritik an und in der Kirche vergleichbar mit Kirchenkritik der Reformationszeit ist.
Einleitung
Fragen über Fragen
Wie so oft in der Wissenschaft, stehen zu Beginn dieser Veranstaltung eine Reihe von Fragen, die nicht in Gänze in einem Vortrag beantwortet werden können, die aber Gedankenanstöße liefern können:
- Was betrachten wir heute Abend gemeinsam, wenn es heißt „Religiöse Parodien der Reformationszeit“? Und wieso betrachten wir gerade diese Auswahl?
- Wie hängt der Titel „Einfach frei Schnauze“ mit der Veranstaltungsreihe „Einfach frei 2.0“ zusammen?
- Sind die Texte, die ich Ihnen vorstelle, wirklich ein Ausdruck von einem spontanen verbalen Gefühlsausbruch? Sind sie frei von der Leber weg, einfach frei Schnauze entstanden? Und was bedeutet diese ‚Frei‘- bzw. Kaltschnäuzigkeit in Vaterunser-Parodien? Steckt in ihr eine kreativ-künstlerische Befragung des Glaubens, ein Suchen nach Wahrheiten?
- Welche Schlüsse lassen sich aus meinen Textanalysen über einzelne gesellschaftliche Kontexte und kirchliche bzw. religiöse Stimmungsmache-Prozesse ziehen?
- Sind teils personifizierte Kirchenkritik und freie Meinungsäußerung heute auch noch existent? Was können wir vom Inhalt und Stil reformatorischer Vaterunser-Parodien im Hinblick darauf lernen, wie wir theologische Religions- und Kirchenkritik angemessen betreiben könnten?
Schwerpunktsetzung und Aufbau des Vortrags
Wie durch die Ankündigung, den Titel und die Einleitung schon angedeutet wurde, werden heute schwerpunktmäßig religiöse Parodien der Reformationszeit betrachtet. Zu Parodien zähle ich „das bewußte Spiel mit einem […] Werk“[2] durch die „Übernahme erkennbarer Struktur- und Gestaltungsmerkmale einer Vorlage zur Komisierung“[3]. Während der Reformationszeit wurden bestehende religiöse Texte, wie das Vaterunser, verfremdet, um Feindbilder aufzubauen und Stereotype zu verfestigen. Auch Bilder wurden verwendet. Daher erschließt sich auch die Auswahl des bekannten Titelbildes, des sogenannten Bapstesels, eine Karikatur, die in Kombination mit verschiedenen textuellen Papst-Schmähungen gedruckt wurde.[4] Da ich mich in meiner Dissertation schwerpunktmäßig mit Vaterunser-Parodien beschäftige, werde ich darauf heute einen Fokus legen, auch wenn beispielsweise Parodien auf das apostolische Glaubensbekenntnis[5] und zu Predigtparodien ebenso existieren.[6]
Vaterunser-Parodien wurden z. B. auf Flugblättern veröffentlicht, um Stimmung gegen den Papst zu machen. Dem Papst Unser als einer Papst-Schmähung werden wir uns gleich noch näher widmen, aber zunächst noch der Hinweis, dass nicht nur personifizierter Papsthass Anlass für Vaterunser-Parodien in der Reformationszeit geboten hat. Auch in Luthers Tischreden findet sich eine Vaterunser-Transformation, die jedoch die notleidende Bevölkerung in den Blick nimmt. Weitere Parodien sind in Reaktion auf die ersten Reformationsbestrebungen entstanden. In den damaligen Zeiten emotional aufgeladener Streitigkeiten wurde mit Parodien Propaganda für die eigene Bewegung, gegen die (scheinbar) Andersgläubigen betrieben. Selbst in den aus der Reformationsbewegung resultierenden Kriegen wurden religiös konnotierte, satirische Texte eingesetzt, um sich von den jeweils Anderen abzusetzen, darauf werde ich kurz verweisen. Zuletzt möchte ich einen weiten Bogen schlagen und einen Vergleich zwischen reformatorischer Kirchenkritik und heutigem Kontext ziehen.
Analyse eines exemplarischen Papst Unser-Textes
Nun aber zu den Schmäh-Vaterunser-Texte auf den Papst, die während der Reformationsbewegung im 16. Jahrhundert auftauchen und in den folgenden Jahrhunderten weiterwirken. Je etablierter und gefestigter die Reformationsbewegung sich herausstellte, je strenger also Konfessionen unterschieden wurden, desto mehr häufen sich die Vaterunser-Parodien gegen den Papst.
Hier sehen wir uns einen Text exemplarisch an und ich verweise auf andere.[7]
„Vatter vnser du bist zu(o) Rom.
1. Geschendet werde dein nam.
2. Dein Reich werde zersto(e)rt.
3. Dein will geschehe auff Erden / aber nicht im Himmel.
4. Vnsere feiste Pfrunden gib vns heut / vnd jmmerdar.
5. Vnd gib vns Ablaß zu(o)kauffen / als wi? dir vnser bestes Gelt zu(o) verbanckethieren vnnd zu(o)verthu(o)n geben:
6. Fu(e)hre vns nit in eyn lähre Kuchin.
7. Sondern erlöse vns von allem zeytlichem mangel.
8. Dann dein seind die Reich der Welt / aller verga(e)nglicher Pracht / krafft vnnd Herrligkeyt / aber nicht in ewigkeyt / Amen.“[8]
Analyseschritt 1: W-Fragen klären
Metareflexion zu W-Fragen als Analysemittel
Zunächst zum Offensichtlichen: Wer? Was? Wann? Wo? Wie? Warum? Hinter den knappen, scheinbar sachlichen W-Fragen der Analyse steckt jedoch mehr, als man vermuten könnte: Bei der Frage „Wer?“ stellt sich sowohl die Frage nach Autor*innen und Drucker*innen als auch Herausgebenden und Rezipierenden. Bei der Frage „Wo?“ kann die Frage nach dem Ort der Veröffentlichung, nach den genannten Orten im Text oder nach den Orten der Verbreitung anklingen. Auch die Frage „Wann?“ ist kniffelig, wie wir gleich sehen werden, weil der zitierte Text eine Vorgeschichte an Vorläufertexten hat. Diese im Einzelnen aufzudröseln, macht für unsere Zwecke jedoch nur wenig Sinn. Und bisher habe ich nur die vermeintlich einfachen W-Fragen thematisiert, die Frage nach „Warum und wieso?“, also nach Funktionen, Hintergründen und Zielen, ist noch nicht gestellt und lässt auch eine Fülle an Möglichkeiten der Interpretation offen. Um Antworten zu bekommen, lohnt ein Blick auf das Deckblatt der Flugschrift.
Quellen zur Beantwortung der W-Fragen: Deckblattinformationen und Sekundärliteratur
Das Deckblatt gibt uns Aufschluss über den Titel und damit über das Erscheinungsjahr: „Der Bapstlichen Cathechismus / nach dem Wittenbergischen Cathechismo verstellt. Durch Verordnung des Concilii zu Trient, Anno M. D. LXXXI“. Auf der zweiten Seite werden die Schmähungen, die folgen werden, zusammengefasst.[9]
Darin wird die Diskrepanz zwischen der vorgeschobenen Zielgruppe ‚altgläubige Papisten‘[10] und den eigentlichen Rezipierenden, den Reformationsanhängenden deutlich. Aber weder einen Autor oder Herausgeber noch einen Druckort oder eine Auflagenzahl werden uns mitgeteilt. Wir können also nicht alle W-Fragen in Gänze klären. Jedoch gelingt es, anhand von Sekundärliteratur mehr Einblick zu gewinnen. Die Flugschrift „Der Papisten Handbüchlein“ wurde mehrfach in unterschiedlicher Form aufgelegt.
Diese Fassung von 1581[11] hatte unter anderem einen Vorgängerfassung von 1563[12], aufgrund der späteren kann man die Relevanz von Katechismen sehen, da die Fassung in einen kritisch-satirischen Katechismus eingearbeitet wurde; außerdem wird deutlich, wie Flugschriften die Meinungsbildung der Reformationszeit prägten. Bedeutsam waren die Papstschmähungen für die zunehmende Konfessionalisierung. Für die Fassung von 1563 erläutert Behrendt die Rezipient*innenfrage:
„Der Titel gibt vor, sich an katholische Kleriker zu richten [, aber tatsächlich war das Blatt für, A. B.] ein lutherisch oder jedenfalls antipäpstlich orientiertes Lesepublikum, das von den reformatorischen Glaubenssätzen und Werten nicht mehr überzeugt werden muss, sondern das beim Lesen den aggressiven Spott und die Verunglimpfungen eines gefährlichen, aber längst entlarvten Feindes genießt.“[13]
Weiterhin klärt Behrendt auch den Ursprung und die Entwicklung der Flugschrift „Der Papisten Handbüchlein“:
„Einer dieser papstfeindlichen Texte, die über mehrere Jahrzehnte, zum Teil mit wechselnden Titeln und Erweiterungen und in Kombination mit anderen Flugschriften herauskamen, war Der Papisten Handbüchlein […] zuerst erschienen 1546 in zweifacher Auflage und mit einem Umfang von nur 6 Blatt in 4 °. […] 1546 war das Jahr, in dem Luther starb und in dem die Auseinandersetzungen zwischen dem Schmakaldischen Bund und der kaiserlichen Seite zum Krieg führten. Die Angespanntheit der politischen Lage war auf ihrem Höhepunkt, und die protestantische Seite legitimierte ihr militärisches Aufbegehren gegen den Kaiser als Verteidigung gegen den Papst“.[14]
Die Publikationsnachweise 1546, 1563 und 1581 stehen in Verbindung zu Kerndaten der Reformationszeit. 1546 hatte gerade das Konzil von Trient als Reaktion auf die Reformbestrebungen begonnen, 1563 zeigt sich die Verbindung mit dem Ende des Konzils. Die Veröffentlichung von 1581 könnte mit dem Erscheinen des Konkordienbuchs 1580 zusammenhängen. In jedem Fall kann durch den Nachweis der papstbezogenen Vaterunser-Parodie ab 1546 eine kontinuierliche Stimmungsmache während der gesamten zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verdeutlicht werden. Das Papst Unser funktionierte offensichtlich als Ausdruck der Kritik an der Kirche für ein breites lutherisches Publikum.
Analyseschritt 2: Inhaltsanalyse
Welche sprachlichen Mittel werden genutzt?
Auch wenn der zitierten Fassung aus der Flugschrift der Zusatz der lateinischen Fassung des Paternosters als sakrale Gegenüberstellung fehlt,[15] wird deutlich, dass nicht das Vaterunser in der Kritik steht, sondern die Institution. Die negativ konnotierten Worte „geschendet“, „zerstört“, „Pfrunden, „Ablaß“ und „vergänglicher“ zeigen einprägsam, wie die Wahrnehmung der irdischen Realität in der Kirche mit den Wünschen und Bitten des Vaterunsers kollidiert.
Welche Gegner*innen werden attackiert?
Offensichtlich wird der Papst attackiert, aber damit hängt eine diffuse Gruppe zusammen, die ebenso angegriffen wird die ‚altgläubige‘ Kirche. Luther selbst „bezeichnete den Papst als ‚Antichrist‘“[16]. Verweyen und Witting unterstreichen die bereits genannte These, dass nicht das Vaterunser, sondern der textimmanente Adressat herabgesetzt werden sollte. Sie deuten „das Verfahren der Umformulierung der Bitten [… als] darauf angelegt, Bedeutung und Anspruch des Paternoster […] unablässig als Maßstab der Kritik zu vergegenwärtigen und als ‚positives Gegenbild‘ zu signalisieren, an dem gemessen die Zustände in der Kirche und der Zustand der Kirche insgesamt als verrottet zum Vorschein kommen.“[17]
Dass ‚Papisten‘ bzw. ‚Altgläubige‘ indirekt mitangesprochen sind, ist auch bei anderen Flugschriften zu beobachten:
„Im Zentrum der reformatorischen Kirchenkritik stehen Lebensweise und Religionspraxis des katholischen Klerus, dessen höchster Repräsentant, der Papst, logischerweise den Kulminationspunkt der Kritik an institutioneller Machtstruktur und päpstlich sanktionierter Praxis von Abgabenordnung, Ablaßverkauf und ähnlichen die Mehrheit des Volkes drückenden und unterdrückenden Erscheinungen bildet. So sind es nicht pauschal die Katholiken oder Altgläubigen, die in ihrer übergroßen Mehrheit von vornherein von den Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind, sondern diejenigen Kleriker, die sich als Repräsentanten päpstlicher Macht erweisen“[18].
Analyseschritt 3: Historische Kontextualisierung
Ist das Beispiel typisch für zeitgenössische Kritik und Propaganda im Massenmedium Flugschrift?
Flugschriften als typische Form der Kommunikation während der Umwälzungen in der frühen Neuzeit sind eine große Gruppe von Veröffentlichungen mit sehr unterschiedlichen Themen, Formen und Umfängen.[19] Man kann mit Bezug auf den Bapstesel und auf das Papst Unser durchaus die Normalität solcher Veröffentlichungen aufzeigen:
„Flugschriften verbreiten die reformatorische Lehre. Populär sind vor allem die satirischen Flugblätter: Spottbilder mit rabiaten Texten verhöhnen den Gegner. 1496 treibt eine Tiermissgeburt im Tiber in Rom. Luther und Philipp Melanchthon (*1472, +1560) deuten diese später als Verkörperung des Papstes. Lucas Cranach der Ältere (*1472, +1553) fertigt eine Karikatur dieses ‚Papstesels‘ an: ein Ungeheuer mit Frauenleib und Eselskopf.“[20]
Das Zitat verdeutlicht, dass nicht nur Texte, u. a. Parodien, veröffentlicht wurden, sondern diese auch mit Illustrationen kombiniert wurden und namhafte Künstler und Persönlichkeiten durch Flugschriften im öffentlichen Diskurs mitwirkten.[21] Das gilt auch für den Auszug aus dem Handbüchlein, denn:
„Von der mehrfach aufgelegten Flugschrift Der Papisten Handbüchlein existiert eine in Verse gefasste Version von 1563, die mit zahlreichen Holzschnitten versehen ist.“ [22]
Die Drucker profitierten von Flugblättern und -schriften mit Papstpolemik, unabhängig davon ob Text, Bild oder Kombination verwendet wurden, in mehrfacher Hinsicht u. a. hohe Verkaufszahlen in reformationsnahen Gegenden; Möglichkeit der Wiederverwertung. Aber sie setzten sich auch Gefahren aus, z. B. Repression durch reformationsferne Obrigkeit.[23]
Welchen Bildungshintergrund hatten zeitgenössische Rezipierende?
Zwei Punkte sind bezüglich des Bildungshintergrundes zentral:
- Katechismenbildung und Kenntnis des Vaterunsers
- Lernen durch Hören Stichwort Analphabetismus
Das Vaterunser ist auch heute noch sowohl im schulischen als auch im kirchlichen Rahmen religionspädagogisch relevant, erst recht lässt sich die Relevanz des Vaterunsers für die Bildung der Reformationszeit nachweisen. Dabei ist eines der bekanntesten Beispiele Luthers Kleiner Katechismus. Das Auswendiglernen der Frage-Antwort-Kombinationen war für lange Zeit, bis ins 20. Jahrhundert, eine zentrale Aufgabe nicht nur für Schülerinnen und Schüler und Konfirmand*innen, sondern auch für Erwachsene.[24] Heute werden Katechismen, sei es der Kleine Katechismus oder der Heidelberger Katechismus, kaum noch in der Religionspädagogik eingesetzt, aber das Vaterunser hat nach wie vor einen dominanten Platz im kirchlichen und privaten Raum. Die unterschiedlichen Katechismen einten in der Vergangenheit bereits einige Aspekte, die sie als Vorlage für parodistische Adaptionen nahe legten: Die Katechismen wurden vom großen Teil der Bevölkerung auswendig gelernt, sie nutzten eine relativ leichte Sprache und kurzen Satzbau und ihr Aufbau in klar strukturierte Teile ermöglichte Orientierung in Bezug auf Glaubensinhalte.[25] Wenn also vorausgesetzt werden kann, dass die Rezipierenden die kontextuelle Grundlage der Papst Unsers kannten, dann war ihnen auch Folgendes klar:
„Die Satire hat sich also nicht den lutherischen Katechismus allgemein zur Vorlage genommen, der aus den zehn Geboten, dem Glaubensbekenntnis, dem Vaterunser, dem Taufsakrament und dem Abendmahl mit Beichte besteht, sondern sie folgt vielmehr dem Aufbau der Haustafel. Dem zeitgenössischen Leser der Schrift, sofern er sich zur lutherischen Reformation bekannte, war der Inhalt der Haustafel vertraut: der Begriff bezeichnet einen Anhang an Luthers Kleinen Katechismus von 1529. Luther hatte dort eine Reihe von Versen aus den Apostelbriefen zusammengestellt, die sich mit Verhaltensanweisungen an verschiedene gesellschaftliche Stände richteten. Er hatte diese Verse so ausgesucht und so angeordnet, dass sie genau dem Schema der drei Lebensbereiche Kirche, weltlicher Herrschaft und Haus […] entsprachen.“[26]
Nicht alle Menschen in der Reformationszeit konnten lesen, deshalb war das Vorlesen, Hören und Auswendiglernen zentral. Auch Flugblätter und -schriften wurden vorgelesen.[27] Walz formuliert, wie wichtig der öffentliche mündliche Austausch war:
„Da nur fünf bis höchstens zehn Prozent der Bevölkerung lesen konnten, ist das Kommunikationssystem der Reformationszeit nicht mit dem späterer Jahrhunderte zu vergleichen. […] Weil die Stadt Ausgangspunkt der religiösen Erneuerungsbewegung war und literarische Quellen überwiegen, sprach man zunächst auch von einer ‚bürgerlichen Öffentlichkeit‘ […] die mündliche Kommunikation (face to face) quellenmäßig schwieriger zu belegen als die literarische Überlieferung die für die folgenden Jahrhunderte typische Form der individuellen Lektüre bei weitem übertraf. […] Kanzel […] Wirtshaus […] Kirchgang […] Markt […] Straße […] Arbeit […] Vorlesen bzw. Zuhören […] Hausgemeinschaft oder öffentlich durch Buchführer“.[28]
Analyseschritt 4: Bündelung der Erkenntnisse
Bevor ich Ihnen meine Bündelung knapp darlege, bitte ich Sie, mir Ihre Eindrücke zum Papst Unser zu schildern. Wie bewerten Sie diesen Text aus heutiger Perspektive? Ist dem Text mit der Formulierung „einfach frei Schnauze“ Genüge getan? Was können wir vom Inhalt und Stil dieser reformatorischen Vaterunser-Parodie im Hinblick darauf lernen, wie wir theologische Religions- und Kirchenkritik angemessen betreiben könnten?
Das exemplarische Papst Unser ist m. E. zugleich ein Ausdruck von gelebter Religion wie auch von Kirchenkritik der Reformationszeit, auch wenn es nicht mehr unbedingt den heutigen Formen der Kirchenkritik entspricht.[29] Es fungiert als Kampfmittel, als Ausdruck der Widerstandspraxis gegen tradierte Strukturen. Der Text hat gesellschaftliche und kulturelle Relevanz, weil die breite Bevölkerung durch Flugschriften zur Diskussion und zum Protest angeregt werden konnte. Die theologische Komponente des Textes liegt in der Nutzung der basalen christlichen Vorlage, in dem Gebet, das biblisch inmitten der Bergpredigt (Mt 6, 9-13) verortet ist.
Ausblick
Luthers Vaterunser-Transformation aus den Tischreden
Das Papst Unser haben wir sehr detailliert betrachtet, da es so wirkmächtig war. Weniger bekannt, aber nicht weniger interessant ist die Tatsache, dass Luther das Vaterunser auch satirisch-kritisch nutzte. Er formulierte bzw. zitierte nämlich während seiner Tischreden, die von seinen Schülern protokolliert und herausgegeben wurden, folgendes Beispiel:
„Die Hessen beten also:
Vater unser, der du bist im himel,
wir sint auff erden,
giebst[d]u nichts,
so haben wir nichts, so versetzen wir ein pfandt,
losest du es nicht, so losens wir auch nicht [ist es verloren].“[30]
Bei diesem Beispiel sind die W-Fragen aufgrund der Benennung in der Weimarer Ausgabe einfach zu beantworten: Luther könnte die Fassung von seinen Hessenreisen kennen, 1512, 1521 und 1529.[31] Primäre Zielgruppe waren seine Zuhörenden bei Tisch, auch wenn die Veröffentlichung denkbar war.[32] Der Text stammt aus der Edition von Bindseil, die auf Anton Lauterbachs Sammlung basiert, aber ist in der Weimarer Ausgabe unter Konrad Cordatus‘ Sammlung vom 28. September bis 23. November 1532 subsumiert. Die Jahreszuordnung müsste im Einzelnen überprüft werden.[33]
Lemberg verweist darauf, dass Luther keine „Diskrepanz zwischen profaner Sprache und dem geheiligten Ton der Liturgie“[34] sieht. Der Text setzt auf das Spielerische, das Ironische, aber wendet sich immer noch an Gott, den Vater im Himmel. Im Vordergrund steht jedoch die Armut des Volkes.[35] Die Theodizeefrage „Wie kann Gott das zulassen?“ klingt an.[36] Es geht um die Thematisierung der irdischen Armut der hessischen Bevölkerung angesichts ihres Glaubens an göttliche Erlösung. Außerdem schwingt Luthers Verhältnis zu Philipp von Hessen mit, sie waren beide wirkmächtige Vertreter der Reformation, aber Luther kritisierte Philipp wegen moralischer Verfehlungen, indirekt in diesem Beispiel auch dafür, dass er sein Volk nicht mehr unterstützt.[37]
Da bei diesem Beispiel für mich nicht eindeutig der Parodie-Charakter deutlich wird, möchte ich die Analyse an dieser Stelle nicht vertiefen, jedoch möchte ich eine letzte Bemerkung zum historischen Kontext von Luther und Polemik machen: Luther wurde auch das Ziel von Spott und Häme, auch wenn mir kein Luther Unser vorliegt. [38] Aber Luther konnte durchaus damit umgehen und ebenso austeilen. Auch wenn es keine Belege dafür gibt, dass Luther selbst sich an den Vaterunser-Varianten gegen den Papst beteiligt, diffamierte er das Papstamt mithilfe seiner Wittenberger Unterstützer, Melanchthon und Cranach.
Entwicklungen im Anschluss an die Reformationszeit
Die Reformationszeit hat keinen eindeutigen Beginn, auch wenn die Veröffentlichung der 95 Thesen 1517 gern als Startpunkt angesehen wird. Genauso wenig hat sie ein klares Ende, die Bauernaufstände 1524-1526, der Schmalkaldische Krieg 1546 bis 1547, das Konzil von Trient 1545 bis 1563 und der Augsburger Religionsfrieden 1555 stellen nur einige paar große Daten dar.[39] Im Anschluss an die unmittelbaren Reformationsbewegungen etablierten sich die unterschiedlichen Konfessionen und Kriege wurden zwischen den zerstrittenen Parteien ausgefochten. Dabei wurde wiederum mehr als einmal das Vaterunser verzweckt und parodistisch verfremdet. Dann war jedoch nicht mehr nur das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche Ziel des Spotts, sondern Bauern und Soldaten wurden in den Texten gegenübergestellt oder weltliche Herrscher wurden angeklagt.
Der Beginn eines Beispiels für den ersten Typus[40] lautet:
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„Sobald der Soldat kömmt herein,
So grüßt er uns im Friedensschein:
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Vater unser'!
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Wir Bauern denken uns im Sinn:
Der Teufel hol den Gast dahin,
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'der du bist'
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Das Fluchen ist ihm angeborn,
Kein Heiliger bleibt ungeschorn
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'in dem Himmel'.
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Ich glaube nicht, daß man einen find,
Der unter diesem Lästerg' sind '
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geheiligt werde'
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Es ist ja kein Volk auf Erde,
Durch welches so gelästert werde '
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Dein Name'
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Sie quälen uns ohn' Ruhe und Rast
Und schreien stets „Bauer, was du hast,
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'zukomme uns'“!
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Sie sengen und rauben in eim Jahreszahl
Und wenn sie könnten auch sogar
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'Dein Reich'.
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Herr! wenn du sie thätst all erschlagen,
Wir Bauren würden mit Freuden sagen:
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'
Dein Wille geschehe'
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Für den zweiten Typus[41] steht z. B.:
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„Vater unser
Churfürst du wahrest unser Herr,
wir aber sagen dir nicht mehr
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Unser Vater
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dan wer die Kinder last in Peyn,
der ist ein Vater nur zum Scheyn
Du steyfest dich auf Österreichs Pracht,
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der du bist
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Friedrich hatt es aber heißer gemacht
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im Himmel
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[…]
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Erhör doch unser Angstgeschrey
und in österreichischer Sclaferey
Dan Österreich hat sich schon zu sehr,
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führe uns nicht
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durch Gält verführet mehr und mehr
Kanst du nun laßen Östreichs schreyn,
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in Versuchung
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so wirst du bald erlöset seyn
Gott reiche dir sein milde Hand,
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vom Übel
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das du darfst bleiben in dem Landt
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Amen“
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An diesen Texten zeigt sich, dass Vaterunser-Parodien in der Folge der Reformation eine neue Form angenommen haben.[42] Um diesen Ausblick abzurunden: Papst-Vaterunser-Parodien[43] treten in großer Zahl auf besonders im 16. und 17. Jahrhundert auf, genauso wie soldatische Vaterunser-Parodien[44]. Vaterunser-Parodien, die sich gegen Soldaten bzw. Kriegsgeschehen[45] wenden, treten vermehrt erst ab den Geschehnissen des Dreißigjährigen Krieges 1618 bis 1648 auf, flauen jedoch bis zum frühen 20. Jahrhundert kaum ab, gerade im 1. Weltkrieg erleben militärische Vaterunser-Parodien geradezu eine Renaissance, auch wenn in diesem Kontext nicht Bauern das Verurteilen ihrer Peiniger in den Mund gelegt wird, sondern eine militärische Gruppe die jeweiligen Gegner schmäht. Bauern-Vaterunser[46] können anscheinend nur bestehen, solange die Existenz grundlegend auf Agrarerzeugnissen beruht, also nimmt die Zahl der Bauern-Vaterunser mit zunehmender Industrialisierung ab. Hinzu kommt die Veränderung des militärischen Sektors, von Söldnertruppen zu Rekrutierung der allgemeinen Bevölkerung.
Relevanz für heutige Kirchenkritik[47]
Es gibt im 21. Jahrhundert meines Wissens keine Belege für Papst-Vaterunser-Parodien mehr. Warum sollte also die Brücke von der reformatorischen Papst- bzw. Kirchenkritik in die Gegenwart geschlagen werden? Ist der Vergleich überhaupt zulässig? Dazu möchte ich nun einige Unterschiede, aber auch ein paar Gemeinsamkeiten tabellarisch auflisten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Vergleichs-
kriterium
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Reformationszeit[48]
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21. Jahrhundert
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Kirchliche
Konfliktthemen
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u. a. Kirchenkritik anhand herausgestellten Persönlichkeiten (Papst und Luther); z. B. „grundsätzlichen theologischen Streitfragen das Gottesverständnis, die Beziehungen zwischen Mensch und Gott, Rechtfertigung und Heilsgewinnung, das Verhältnis von Glauben und Werken, Schrift und Kirchenlehren, Gesetz und Evangelium, die Anerkennung bzw. Ablehnung der Sakramente, der Autoritäten in der Kirche, die Rolle der Gemeinden und Laien, Folgerungen des Liebesgebots usw.“[49]
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u. a. Kirchenkritik anhand herausgestellter Themen (Missbrauch, Prunk, …) und Persönlichkeiten (Benedikt XVI., Käßmann, Tebartz-van Elst, …)[50]
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Sprache der Kritik
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Latein und Volkssprache
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Volkssprache
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Medium
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Flugblatt, Predigt, Brief
(teilweise sehr lang: mehrere Seiten) Voraussetzung Buchdruck[51]
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Digital, z. B. Twitter (teilweise sehr kurz (150 Zeichen), teilweise sehr ausufernd)
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Technik
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Vergröberung
Verfremdung
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Vergröberung
Verfremdung
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Produzierende
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Zwei grobe Fronten: reformdistanzierte / reformorientierte Christ*innen, oft Intellektuelle; Pseudonyme und anonyme Veröffentlichung
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Sehr unterschiedlich, Journalist*innen, radikale Kirchengegner (vgl. Giordano-Bruno-Stiftung[52]), Laien; digital pseudonyme Veröffentlichung möglich
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Rezipierende
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Zwei Fronten: reformdistanzierte / reformorientierte Christ*innen, insgesamt „breite gesellschaftliche Bewegung“[53]
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Sehr unterschiedlich: Nischenpublikum, breite Masse, …
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Rezeptions-kanäle
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Text
Bild-Text-Kombination
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Text
Bild-Text-Kombination
Audiovisuell
Plastisch
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Rezeptions-modus
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Hören (lautes Lesen in Gruppen)
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Sehen (Leises Lesen, individuell)
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Rezeptions-voraussetzungen
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Relevante Prätexte auswendig bekannt
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Relevante Prätexte v. a. Kirchgänger*innen bekannt
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Teilhabe-Bedingungen
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Lese- /Zuhörfähigkeit
Zugriff zu Neuigkeiten/Nachrichten lokal / regional
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An Fachdiskurs interessiert
Rezeption spezifischer Medienkanäle
Zugang zu digitalen Medien
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Gesellschafts-struktur
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Relativ klare Rollenzuordnungen nach Ständen und Hierarchien religiöse Zugehörigkeit ausgeprägt
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Diversität in jeglicher Weise, religiöse Identitäten vielfältig
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Rolle der Kirche
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Zentral
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einer von vielen Akteuren im öffentlichen Feld
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Art der Kirchenkritik
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Intern
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Zunehmend extern
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Ausmaß der Kirchenkritik
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Gesamte Struktur wird hinterfragt
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Im Einzelfall beißend, vgl. Karnevalswagen, insgesamt mäßig
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Vaterunser-Parodien
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Kirche im Fokus
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Konsumgüter im Fokus
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Probleme
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Zensur
Häresie-Vorwurf
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Gehör finden
Polarisierung / Radikalisierung
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Chancen
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Veränderung der Gesellschaft und Kirche
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Toleranz ggü. freier Meinungsäußerung
Pointierte Darstellung von Diskussionspunkten
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Ich bin der Meinung, dass es lohnt, darüber nachzudenken, inwieweit sowohl interne als auch externe Kirchen- und Religionskritik[54] gerade auch in parodistischer Form eine Rolle heute spielen könnten und sollten.[55] Da spielt die Frage hinein, warum Vaterunser-Verfremdungen nicht mehr für Kirchenkritik Verwendung finden, obwohl sie als Gattung durchaus noch existieren.
Ein Grund könnte darin liegen, dass Gebete als Möglichkeit, Gedanken zu bündeln und unterschiedliche Sichtweisen auf Erlebnisse zu bedenken, Menschen, die nicht stark kirchlich sozialisiert sind, heute oft fremd, unvertraut sind.[56] Gedichte als Ausdruck von Emotionen und Kritik sind ebenso Nischenprodukte.[57] Allerdings spielt Satire in verschiedenen Formen (Parodie, Kabarett, Karikatur, Kolumne…) heute im Fernsehen[58], im Radio[59] und in Printmedien[60] eine unersetzliche Rolle in der Reflexion und Kritik des täglichen Geschehens in Deutschland. Diese Medien strahlen auch auf soziale Netzwerke und andere Internetkommunikationswege wie Blogs aus.[61] Kritik braucht und schafft sich ihren Raum, gerade mit parodistischen Elementen. Das betrifft nach wie vor auch Kirchen. Innerhalb von Kirchen und von außen wird lokal, regional, national und international nach Wegen gesucht, wie kritische Punkte benannt werden können. Ein Weg ist der der Satire und des parodistischen Umgangs mit Geldausgaben eines Tebartz-van Elst, wie Abtreibungsdiskussionen, wie überkommene Gender- und Ehedebatten oder wie bezüglich Missbrauchsfällen.[62] Menschen, die kirchlich verwurzelt sind, könnten hergehen und das Gebet, das Jesus selbst gelehrt hat, in dem schon Kritik an bestehenden Umständen inhärent angelegt ist,[63] ihrer Lebenssituation anpassen. Die Freiheit ist sowohl in Form von Rede- als auch in Form von Religionsfreiheit vorhanden, aber erstaunlicherweise ist sie bisher nicht ausgeschöpft worden.
Vaterunser-Parodien werden heute kaum in Bezug auf gesellschaftspolitische Ereignisse wie Kriege oder Machthabende formuliert. Stattdessen gibt es vermehrt Texte, die sich auf Suchtmittel[64] oder Unterhaltungsphänomene[65] beziehen. Kirchen scheinen heute Schwierigkeiten mit der verfremdeten Umformulierung des Vaterunsers haben. Sonst hätte es keine Kritik am Champions-League-Spot „Fußball unser“ von Sat.1 im Jahr 2012 gegeben, z. B. durch Nikolaus Schneider.[66] Aber auch generell scheint die Umformulierung des Vaterunsers mit ernster Intention schwierig zu sein, sonst gäbe es keine öffentliche Diskussion um die Umformulierung einer Bitte,[67] die seit Dezember 2017 wieder vermehrt geführt wird, angestoßen durch einen Kommentar von Papst Franziskus.[68]
Es bleibt die Frage: Können und sollten Vaterunser-Parodien heute (wieder) als Form der Kritik an Kirche fungieren? Einige Vorteile hätte die komprimierte, prägnante Zuspitzung von Kritik unter Rückgriff auf die Vorlage aus der Bergpredigt in Mt 6,9-13:
- Es gäbe einen Adressaten, eine Person oder ein Konzept, das klar angesprochen würde. Damit hätte man jemanden oder etwas, der oder das zur Verantwortung gezogen werden könnte, so wie in der Reformationszeit eben der Papst als Angriffsziel herhalten musste.
- Es gäbe eine begrenzte Anzahl an Vorwürfen und/oder Forderungen, die geäußert würden, man müsste sich also auf die zentralsten Aspekte konzentrieren, sodass ein endloser Schwall an Beschimpfungen, wie bei Internet-Hetzjagden durch Trolle üblich, nicht entstehen könnte.
- Es gäbe keine Urheberrechtsprobleme, das Vaterunser ist als Kulturgut allen zugänglich.
Aber es gäbe natürlich auch Nachteile:
- Autor*innen wie Rezipient*innen müssten sich fragen lassen, ob sie die Vorlage nicht ernst genug nähmen, ob sie die Gefühle von Menschen verletzten wollten, denen das Gebet heilig sei.
- Falls Gebetsparodien doch problematischer sind, als zunächst angenommen, weil die Relevanz des Gebets erfasst wird, dann lohnt es sich nachzudenken, ob Beten neu lernbar ist.[69] Aber Gott lässt viele Perspektiven zu. Gott hat m. E. nichts gegen Humor.
Insgesamt wird deutlich, dass wir auf uns zukommen lassen müssen, welchen Stellenwert sowohl das Vaterunser als auch dessen Parodien in der Zukunft haben werden. Wird von religiösen Parodien als politischen Kampfmitteln gesprochen werden? Oder wird ‚Glauben als Widerstandspraxis‘[70] andere Ausdrucksformen entwickeln, um mit den aktuellen Problemen in Kirchen und Gesellschaft umzugehen? Offen bleiben am Ende ein paar weitere meiner eingangs gestellten Fragen, die ich nun gerne mit Ihnen diskutieren möchte. Fragen könnten lauten: Können wir Lehren aus den Belegen konfessioneller Konflikte vergangener Zeiten für gegenwärtiges ökumenisches und interreligiöses Miteinander ziehen? Wie wird in heutigen religiösen Konflikten „einfach frei Schnauze“ Stimmung gemacht?
Anmerkungen
[1] Vortrag im Rahmen der Reihe EINFACH FREI 2.0 501 Jahre Kirche der Reformation des Ev. Erwachsenenbildungswerks Regionalstelle Paderborn am 26.09.2018 in der ESG Paderborn. Der Vortragsstil und die Fragen an das Publikum sind beibehalten worden.
[2] Liede, Alfred: Dichtung als Spiel. Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache. Mit einem Nachtrag Parodie, ergänzender Auswahlbibliographie, Namenregister und einem Vorwort neu herausgegeben von Walter Pape. Band II. Berlin: de Gruyter, 1992, 2. Auflage, S. 319.
[3] Spörl, Uwe: Basislexikon Literaturwissenschaft. Reihe UTB, Band 2485. Paderborn: Schöningh, 2006, 2. Auflage, S. 154.
[4] Vgl. Schmidt, Josef: Lestern, lessen und lessen hören. Kommunikationsstudien zur deutschen Prosasatire der Reformationszeit. Reihe Europäische Hochschulschriften. Bern: Lang, 1977, S. 209-227.
[6] Vgl. z. B. für parodistische Predigten in der Reformationszeit Gilman, Sander L.: The Parodic Sermon in European Perspective. Aspects of Liturgical Parody from the Middle Ages to the Twentieth Century. Reihe Beiträge zur Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts, Bd. VI. Wiesbaden: Steiner, 1974.
[7] Werner, Richard Maria: Das Vaterunser als gottesdienstliche Zeitlyrik, S.1-49. In: Seuffert, Bernhard (Hrg.): Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, 5. Band. Nendeln: Kraus Reprint, 1974, ursprünglich 1892, S. 4, S. 4f., S. 5. Schade, Oskar: Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit. Hildesheim: Olms, 1966. Reprografischer Nachdruck der 2. Ausgabe Hannover 1863, S. 273. Verweyen, Theodor; Witting, Gunther: Die Kontrafaktur. Vorlage und Verarbeitung in Literatur, bildender Kunst, Werbung und politischem Plakat. Konstanz: Universitätsverlag, 1987, S. 247.
[8] o. A.: Der Bäpstischen Cathechismus nach dem Wittenbergischen Cathechismo verstellt. Durch verordnung des Concilij zu(o) Trient [Electronic ed.]. - [S.l.], 1581; Permalink: http://diglib.hab.de/drucke/517-8-quod-4/start.htm, Zugriff: 24.09.17. Vgl. Behrendt, Walter: Der Papisten Handbüchlein von 1563 und seine biblischen Illustrationen, S.535-565. In: Daphnis. Zeitschrift für Mittlere Deutsche Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit (1400 1750). Band 40, Heft 3-4, 2011, S. 539, 557. Für die Unterstützung beim Transkribieren, die bereichernden Gespräche über Vaterunser-Parodien und für viele hilfreiche Literaturhinweise danke ich Prof. Dr. Martin Leutzsch.
[9] Vgl. o. A.: Der Bäpstischen Catechismus: „Ein kurzer Summarischer Begriff / Und Inhalt Christloser Lehre / des Allerhelli-schen und Geistlosen Vatters des Bapsts unnd Antichrists zu Rom / des Kinds des Verder-bens / An seine einfältige / ungestudierte / Unwissende / finstere / Tolle und volle Brüder / geschorene Kappenbü-ben/unverstendige Eselsprie-ster/rewlose Pfaffen/ und Stickwürdige Kut-tenhengst / Zur Trewloser Warnung / Damit Sie Nicht durch den waren Seligmachenden Cate-Chismum Euangelischer Lehr / zur Erkandni? Der Warheit gebracht / sondern den ihrer alten Abgöt-Teren an hellem liechtem tag des H. Euange-Li/wider das zeugnuß ihres engnen Gewis-Sens/mutwilliglich verblendt und ver-Stocket bleiben / fürsetzlich darben ver- Harzen/ und letzlich ihres unglau-Bens end/so da ist der Seelen Ewige verdamuß/redlich Erlangen sollen. Gestellt durch das Concilium zu Trient.“
[10] Die Attribute ‚altgläubig‘ und ‚Papisten‘ sind damalige Zuschreibungen, die aus heutiger Perspektive mit Vorsicht zu benutzen sind, vgl. Posset, Franz: Unser Martin. Martin Luther aus der Sicht katholischer Sympathisanten. Reihe Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, Bd. 161. Münster: Aschendorff, 2015.
[11] Vgl. Behrendt: Handbüchlein, S. 543: „Die Karriere dieses satirischen Büchleins ist damit aber noch nicht am Ende. 1581 erscheint eine ähnlich aufgemachte Satire mit dem Titel Der Bäpstischen Catechismus, nach dem Wittenbergischen Cathechismo verstellt, durch Verordnung des Concilii zu Trient. Sie umfasst acht Blatt und ist ebenfalls nach dem Vorbild vieler / Kinderkatechismen in Frage- und Antwortform und in Prosa gehalten. Sie beginnt mit Fragen zum Sakrament der Firmung, fährt fort mit einer Kontrafaktur des Glaubensbekenntnisses, einem verkehrten Vaterunser und den Zehn Geboten, mit Fragen zu den guten Werken sowie zur katholischen ‚Opfermesse‘ und endet mit einzelnen Sätzen, die angeblich von den Päpsten Leo X. und Johannes XX. stammen. Eine zweite Ausgabe dieser Schrift, ebenfalls 1581 erschienen, ist auf 16 Blatt erweitert. Angehängt ist nämlich der Text von Der Papisten Handbüchlein in der Version des Drucks von 1563.“
[12] Die Fassung von 1563 wurde mit einem Bild herausgegeben. „Die Illustration dazu [zum gereimten verkehrten Vaterunser, A. B.] stammt […] aus der Offenbarung des Johannes und zeigt den Sturz des siebenköpfigen Höllentiers in ein Feuermeer“, vgl. Behrendt: Handbüchlein, S.536. Weitere Varianten gab es auch noch, S. 539: „Es gibt von ihr nach den beiden Auflagen von 1546 eine niederdeutsche Ausgabe von1548, zwei Nachdrucke von 1557 und 1571 sowie zwei erweiterte Ausgaben von 1556 und 1559, in denen auch noch ein Text mit dem Titel Der Barfüsser Mönch zehn Gebote aufgenommen ist, der schon um 1550 einzeln als Flugschrift erschienen war.“
[13] Behrendt: Handbüchlein, S.536.
[14] Vgl. Behrendt: Handbüchlein, S. 536.
[15] Solche Techniken wurden teilweise bei anderen Vaterunser-Parodien verwendet, um dem provokanten Parodietext den Gebetstext gegenüber zu stellen.
[16] Vgl. Stiftung Kloster Dalheim (Hrg.): Luther. 1917 bis heute. Katalog zur Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur 31. Oktober 2016 bis 12. November 2017, S. 148. Vgl. auch Diekmannshenke, Hans-Joachim: Die Schlagwörter der Radikalen der Reformationszeit (1520-1536). Spuren utopischen Bewußtseins. Frankfurt a. M.: Lang, 1994, S. 149. Vgl. ebenso Beyer, Franz-Heinrich: Eigenart und Wirkung des reformatorisch-polemischen Flugblatts im Zusammenhang der Publizistik der Reformationszeit. Reihe Beiträge zur Literaturwissenschaft und Bedeutungsforschung, Bd. 39. Frankfurt a. M.: Lang, 1994, S. 68ff.
[17] Verweyen, Theodor; Witting, Gunther: Die Parodie in der neueren deutschen Literatur. Eine systematische Einführung. Darmstadt: WBG, 1979, S. 139.
[18] Vgl. Diekmannshenke: Schlagwörter, S. 128.
[19] Vgl. z. B. Laube, Adolf: Vorwort, S. 1-4. In: Ders. (Hrg.): Flugschriften gegen die Reformation (1525-1530). Band 1 und 2. Berlin: Akademie, 2000, S. 1, Fn. 1: „Unter Flugschriften der Reformationszeit wird hier im weiteren Sinne jede Art durch den Druck verbreiteter Publizistik verstanden, die rasch in den durch Luther ausgelösten Streit eingriff, sich an breite Bevölkerungskreise wandte, also deutschsprachig ist, und das Ziel verfolgte, den Leser bzw. Hörer in dieser oder jener Richtung zu beeinflussen.“ Vgl. auch Harms: Illustrierte Flugblätter, S. VII.
[20] Stiftung Kloster Dalheim (Hrg.): Luther, S. 149.
[21] Vgl. Harms, Wolfgang: Einleitung. In: Ders. (Hrg.): Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe. Kataloge der Kunstsammlungen der Veste Coburg. Coburg: Neue Presse, 1983, S. V.
[22] Vgl. Behrendt: Handbüchlein, S. 535.
[23] Vgl. Behrendt: Handbüchlein, S. 535f.: „Von einem kommerziellen Standpunkt der Drucker aus gesehen hatte dieses Thema zwei Seiten: zum einen waren die anvisierten Käufer hauptsächlich in den von der Reformation betroffenen Gegenden zu erhoffen, während in den Gebieten mit altgläubiger Obrigkeit und auch in den Städten mit konfessionell gemischten Obrigkeiten der Absatz solcher Schriften recht riskant war. Viele dieser Drucke erschienen deshalb vorschriftswidrig ohne Druckerfirma. Auf der anderen Seite war das Thema ein ‚Evergreen‘, was es den Druckern erlaubte, denselben publikumswirksamen Text in gewissen Abständen immer wieder zu verwenden, zum Teil in wechselnden Kombinationen mit anderen konfessionspolemischen / Texten oder auch zusammen mit Schriften allgemein-zeitkritischer Thematik.“
[24] Vgl. Meyer-Blanck, Michael: Kleine Geschichte der evangelischen Religionspädagogik. Dargestellt anhand ihrer Klassiker. Gütersloh: Kaiser, 2003.
[25] Vgl. Behrendt: Handbüchlein, S. 536f.: „Der Inhalt der Schrift besteht in der recht grobschlächtigen satirischen Verkehrung katechetischer Lehren in einen Katalog von Verhaltensanweisungen für katholische Geistliche und für verschiedene weltliche Stände.“
[26] Behrendt: Handbüchlein, S. 537.
[27] Vgl. Harms: Flugblätter, S. VII.
[28] Walz, Herbert: Deutsche Literatur der Reformationszeit. Eine Einführung. Darmstadt: WBG, 1988, S. 4. Walz‘ Angaben zu 90 bis 95 % Analphabetismus können neueren Forschungsergebnissen nicht standhalten, die These, dass Auswendiglernen und Zuhören bzw. der mündliche Austausch an öffentlichen Plätzen zentral war, wird dadurch jedoch nicht tangiert. Vgl. Neecke, Michael: Textfeld 4: Ausblick Prosauflösungen im Reich, S. 203-233. In: Feistner Edith et al.: Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung. Reihe Hermaea, Bd. 114. Tübingen: Niemeyer,2007.
[29] Vgl. Harms: Flugblätter, S. X.
[30] Teil von Luthers Tischreden, WA TR 2.2731 b. Vgl. auch Lemberg, Margret: Stiefvater, der du bist in Paris. Politische Satiren und Parodien auf der Basis religiöser Texte, S.313-358. In: Archiv für Kulturgeschichte. 79. Band, 1997, S. 325.
[31] Vgl. Wolff, Fritz: Luther und Landgraf Philipp im Spiegel der ‚Tischreden‘, S. 19-38. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte. 1993, Bd. 43. Marburg, 1993, S. 28.
[32] Vgl. Wolff; Luther und Landgraf Philipp, S. 24f.
[33] Vgl. Bärenfänger, Katharina et al. (Hrg.): Martin Luthers Tischreden. Neuansätze der Forschung. Reihe Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, Bd. 71. Tübingen: Mohr Siebeck, 2013.
[34] Lemberg: Stiefvater, S.326.
[35] Volmer verweist ebenfalls auf die Vaterunser-Variante in den Tischreden, er spricht von Haushaltsschulden im Hause Luther als Ausgangspunkt. Wie sich die finanzielle Situation in der Familie Luther auf das Textbeispiel auswirkte, würde tiefere Recherche erfordern. Vgl. Volmer: Curiosa Biblica, S. 6. Vgl. auch Lemberg: Stiefvater, S. 325.
[36] Vgl. auch Lembergs Eindruck, S. 326: „Gott wird indirekt für Fehlentwicklungen innerhalb der menschlichen Gesellschaft verantwortlich gemacht. Wenn er sich nicht um die Menschen kümmere, ihnen nichts gebe, könnten sie auch nichts geben, dann seien sie verloren. Die wenigen Zeilen des Gebets klingen resignierend.“
[37] Vgl. Wolff: Luther und Landgraf Philipp.
[38] Vgl. Könneker, Barbara: V. Satire und Polemik. 1. Thomas: Murner: Von dem Großen Lutherischen Narren (1522), S: 135-154; aber auch 3. Niklaus Manuel: Vom Papst und seiner Priesterschaft (1523), S. 169-189. In: Dies.: Satire im 16. Jahrhundert: Epoche Werke Wirkung. München: Beck, 1991. Vgl. auch Laube, Adolf (Hrg.): Flugschriften gegen die Reformation (1518-1524). Berlin: Akademie, 1997, S. 5 und 32.
[39] Vgl. auch Walz: Literatur der Reformationszeit, S. 5.
[40] Gestrich, Andreas: Absolutismus und Öffentlichkeit. Politische Kommunikation in Deutschland zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Reihe Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 103. Göttingen: V & R, 1994, S.146. Gestrich zufolge ist die Vaterunser-Parodie 1706 gegen die kaiserliche Besetzung Bayerns während des Spanischen Erbfolgekrieges entstanden.
[41] Lemberg: Stiefvater, S.318. Politische Auseinandersetzungen, z. B. Erbfolgekonflikte, hingen auch noch im 18. Jahrhundert mit konfessioneller Zugehörigkeit zusammen. Lemberg kontextualisiert diese Vaterunser-Parodie: „während der Zeit der Kriege um Schlesien […], als Sachsen, zwischen den kriegführenden Mächten Preußen und Österreich gelegen, zum Kriegsschauplatz wurde.“
[42] Ein interdisziplinärer Blick in die Textsorten-Linguistik zeigt, dass Textsortenwandel ein faszinierendes Forschungsfeld ist, in dem Potenzial auch für die Analyse von Vaterunser-Parodien steckt. Diesem Forschungsdesiderat wird in der Zukunft nachzugehen sein.
[43] Es gibt eine Vielzahl an Textbelegen. Vgl. Nr. 33, 49f., 52f., 56, 58-60, 63, 71-74, 88, 109, 128, 167, 220, 368, 483 meines Korpus vonVaterunser-Transformationen.
[44] Vgl. Nr. 79, 96, 110,136, 184, 194, 199 meines Korpus vonVaterunser-Transformationen.
[45] Vgl. Nr. (18), 19, 35, (45), 46, 57, 64-66, 69f., (73), (75), 76, (80), 81-83, 86, 89, (91), 97-101, 103-107, (111), 117f., 120, 127, 129, 132, 136, 155, 157, 164, 179- 184, 186-191, 196f., 198-200, 224, 232, 236, 276 483 meines Korpus von Vaterunser-Transformationen.
[46] Vgl. Nr.35, 68-70, 81f., 92, 97-101, 103f., 106, 108, 111, 126f., 136, 149, 155, 265 483 meines Korpus von Vaterunser-Transformationen. Wenige Vaterunser-Parodien wenden sich gegen Bauern. Vgl. Nr. 3, 7f.
[47] Es wäre an dieser Stelle notwendig, detailliert zwischen Kirchen-, Christentums- und Religionskritik zu unterscheiden. Diese Begrifflichkeiten sind nicht deckungsgleich. Vgl. Hofheinz, Marco et al. (Hrg.): Theologische Religionskritik. Provokationen für Kirche und Gesellschaft. Reihe Forschungen zur reformierten Theologie, Bd. 1. Neunkirchen-Vluyn: Neukirchener, 2014.
[48] Vgl. Simon, Karl: Vorwort. In: Ders. (Hrg.): Deutsche Flugschriften zur Reformation (1520-1525). Stuttgart: Reclam, 1980, S. 13-25. Vgl. auch Walz: Literatur der Reformationszeit, S. 62-74. Vgl. ebenso Klug, Nina-Maria: Das konfessionelle Flugblatt 1563-1580. Eine Studie zur historischen Semiotik und Textanalyse. Reihe Studia linguistica Germanica, Bd. 112. Berlin: de Gruyter, 2012.
[49] Laube, Adolf: Flugschriften gegen die Reformation 1518-1524, S. 2.
[50] Vgl. Zeindler: Theologische Religionskritik als Kirchenkritik, S. 182.
[51] Vgl. Walz: Literatur der Reformationszeit, S. 3.
[52] Vgl. z. B. Czermak, Gerhard: Problemfall Religion. Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik. Marburg: Tectum, 2014.
[53] Vgl. Laube: Flugschriften 1518-1524, S. 32.
[54] Vgl. Zeindler: Theologische Religionskritik als Kirchenkritik, S. 183.
[55] Vgl. ebd., S. 198: „Kirchenkritik als theologische Religionskritik hat Kirche daran zu erinnern, wie sehr sie in der Gefahr steht, sich ihre Legitimation und ihren Auftrag von extrinsischen Maßstäben aus geben zu lassen. Kirchenkritik dieser Art besteht darin, in der Kirche geltend zu machen, dass sie neben sichtbarer auch unsichtbare Kirche ist und dass ihre Sichtbarkeit grundsätzlich von ihrer Unsichtbarkeit her gestaltet sein muss. Auch diese Unterscheidungstätigkeit bleibt eine Gratwanderung“.
[56] Vgl. Salmann, Elmar: Das ABC neu lernen, S. 6. In: Junge Kirche 1, 2018: „Das Gebet selbstverständlich fremd.“
[58] Vgl., um nur einige aktuelle zu nennen: Xtra3, Heute Show, ZDF neo royal, LUKE! Die Woche und ich etc. als humoristisch-satirische Kommentierungen der unübersichtlichen Ereignisse in der Gesellschaft und in der Welt.
[59] Jeder Radiosender hat seine eigene Comedy-Truppe, vgl. Einslive, WDR 2, … , zugeschnitten auf die jeweiligen Zielgruppen setzen sie intellektuellere oder plattere Spitzen gegen Kirche, Politik und Öffentlichkeit.
[60] Vgl. Kolumnen in jeder Zeitschrift, Karikaturen in jeder Zeitung Martenstein und die Rubrik Gesellschaftskritik im ZEITMagazin genauso wie die Kolumne der Chefredakteurin in Chrismon.
[61] Auf Facebook und Twitter werden Nachrichten ständig kritisch kommentiert und mit einer Prise Ironie zu einem meme umgestaltet.
[62] Es fällt auf, dass Fragen nach verantwortlichem Umgang mit Geld und Missbrauchsfällen, die mit katholischen Verantwortlichen in Verbindung gebracht werden, in der Öffentlichkeit undifferenzierte Debatten auslösen, bei denen häufig von ‚der Kirche‘ im Singular die Rede ist. Damit führen Probleme in der katholischen Kirche auch in der evangelischen zu Austrittswellen. Das zeigt einen der großen Unterschiede zwischen der Reformationszeit und heute: In Zeiten der Ökumene ist die Unterscheidung zwischen evangelischer und katholischer Identität nicht so maßgeblich wie damals, ganz zu schweigen von Binnendifferenzierungen wie reformierter, lutherischer, unierter, römisch-katholischer oder altkatholischer etc. Identität. Vgl. auch Zeindler: Theologische Religionskritik als Kirchenkritik, S. 182.
[63] Eine Bitte wie „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auch auf Erden.“ oder auch „Unser tägliches Brot gib uns heute.“ setzt voraus, dass auf Erden nicht paradiesische Zustände herrschen, dass nicht jede*m die Lebensgrundlagen zur Verfügung steht und dass diese Umständen sich zum Besseren wenden mögen.
[64] Vgl. z. B. Bier- und Kaffee-Unser-Varianten aus meinem Korpus.
[65] Vgl. z. B. Fußball Unser aus meinem Korpus.
[68] Vgl. Söding, Thomas (Hrg.): Führe uns nicht in Versuchung. Das Vaterunser in der Diskussion. Die Herausforderung des Vaterunsers. Reihe Theologie kontrovers. Freiburg: Herder, 2018.
[69] Vgl Salmann: Das ABC neu lernen, S. 6: „Das Gebet ist der vielleicht einzige Gestus des Menschen, der intim-privat und zugleich öffentlich ist, mystisch-personal (nicht notwendig persönlich) und rituell-geformt, oft anonym, gesellschaftliche Konvention und gemeinschaftsbildend, und in alledem in fast allen Kulturen völlig selbstverständlich, seltsamerweise im modernen Westeuropa ganz entlegen […] Alles Gebet unterbricht den läufigen Alltag. Schiebt sich dazwischen, öffnet eine Luke ins Weite oder Tiefe oder Hohe.“ Vgl. auch S. 7: „Unterbrechung, Öffnung und Weitung, Sammlung, Aufgenommensein, Wandlung. Das wäre der Reigen anfänglichen Betens. Aus solchem Sich-Einfinden mag der Mensch die Freiheit des freien Wortes finden, er kann sein Herz ausschütten, sich aussprechen, sein Leben in Not und Glanz erzählen, ausbreiten vor sich selbst und seinem Gott. Vielleicht zunächst ins Leere, Weite, Spurlose hinein“
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