Die schwarzen Kanäle – Folge 2

Andreas Mertin


Die Schwarzen Kanäle hat die bisherige Kolumne "Was ich noch zu sagen hätte - Ein Bloggsurrogatextrakt" nach 27 Folgen abgelöst. Ich fokussiere mich in der neuen Kolumne, das Projekt Netzteufel der Evangelischen Akademie Berlin als Anregung aufgreifend, auf Meldungen und vor allem Leserkommentare der Plattformen idea und kath.net. Weiterhin bleibt diese Kolumne eine ironische und satirische Kolumne. Auch wenn ich die Kritisierten beim Wort nehme, kann ich sie dennoch nicht ernst nehmen. Sie sind und bleiben ein Element der Kategorie Realsatire.



Mammon

Die empfindliche Seite der schwarzen Kanäle ist der Mammon. Nicht, dass sie empfindlich reagieren würden, wenn es um das Geld anderer geht, nein, sie werden nervös, wenn es den eigenen Mammon betrifft. Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen! heißt es schon in Goethes Faust. Die Klick-Plattform kath.net bettelt auf jeder ihrer Seiten um Geld, Geld, Geld (oder Spenden, wie die religiöse Tarnformel für so etwas lautet). Sie hat sich sogar mit Amazon verbandelt und verdient selbst dann daran, wenn ihre Nutzer auf Unmoralisches und ethisch Fragwürdiges weiterklicken. Man lebt durchaus vom Geld des „Satans“. Als man vor Jahren den Verlag Weltbild kritisierte, war man noch kritischer. Inzwischen möchte man aber auch mal Reibach machen.

Aktuell geht es mir aber um die Plattform Idea. Die hatte mit reißerischer Überschrift vermeldet, dass der frühere Beauftragte der Evangelischen Allianz am Sitz des Bundestages und der Bundesregierung, Wolfgang Baake, nach einem zugegebenermaßen etwas einseitigen Artikel in Chrismon, zum systematischen Austritt aller Gläubigen aus den Evangelischen Landeskirchen aufgerufen habe. Nun ist Baake natürlich klar, dass die Landeskirchen nur bedingt Einfluss auf Chrismon haben und nur in totalitären Staaten auf Äußerungen der Presse mit Zensur reagiert wird. Aber im Evangelikalismus scheinen derartige Vorstellungen von einer linienkonformen Presse durchaus salonfähig zu sein.

Nur scheinbar neutral (denn eine Stellungnahme der Chrismon-Redaktion wurde offenbar nicht angefordert) und wahrnehmbar mit klammheimlicher Freude berichtet Idea über den Vorgang. Unter dem Artikel mit dem reißerischen Titel Baake: ‚In Scharen aus den evangelischen Kirchen austreten‘ gibt es in kürzester Zeit 29 Kommentare. Das ist für Idea-Verhältnisse extrem viel. Normalerweise äußern sich nur wenige, und vor allem immer wieder dieselben Stimmen.

Einem dort sich immer wieder äußernden Berufsevangelikalen reicht der Austritt aus den Landeskirchen nicht, er meint, man müsse konsequenterweise auch aus der Evangelischen Allianz austreten, schließlich sei die mit der EKD verbandelt. Und da ruft Idea schnell „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Denn sonst könnten auch ein paar Geldflüsse an Idea gefährdet sein. Man hätte zwar gerne, dass Chrismon und die EKD Geld verlören, sobald es aber um den eigenen Geldbeutel geht, wird man schmallippiger. Natürlich dient Ideas Meldung der Tymos-Steuerung der evangelikalen Klientel. Das kann aber auch außer Kontrolle geraten, vor allem, wenn auch landeskirchliche Gläubige mitlesen. So notiert ein Leser völlig logisch: Wenn Boykott die Antwort der Evangelischen Allianz auf einen misslungenen Artikel von Chrismon ist, dann muss die Antwort der verärgerten landeskirchlichen Leser die Kündigung des Idea-Spektrum-Abos sein. Gut gebrüllt, Löwe! Idea sieht das natürlich nicht so und greift direkt in den Kommentar ein. Man habe doch nur den Sachverhalt dargestellt. Das ist freilich eine sehr einseitige Darstellung, denn man hat lediglich Kritiker des Artikels angehört. Der korrigierende Eingriff von Idea ist insofern interessant, weil wenige Zeilen später von einem sich Gottesfreund nennenden Kommentator abtreibende Ärzte rechtswidrig als Mörder bezeichnet werden und Idea nicht(!) eingreift. Als dagegen ein Kommentator Baake scharf kritisiert, wird er von Idea noch im Kommentar(!) persönlich angegangen. Auch das ist im deutschen Journalismus eher ungewöhnlich (und ist ansonsten nur von den ‚Sätzern‘ der taz bekannt). Spätestens hier wird Idea parteiisch.

Bemerkenswert ist, dass die Frage des Boykotts Idea hier zu entgleiten droht. Denn wenn man die EKD wegen des Chrismon-Artikels kritisiert und zum Austritt auffordert, impliziert das natürlich Kritik an allen Freikirchen, die noch mit der EKD zusammenarbeiten. Und umgekehrt werden Landeskirchler, die bisher mit der Allianz zusammenarbeiteten, dies künftig nicht mehr tun, wenn diese ihrerseits zum Austritt aus der Landeskirche aufrufen. Kirchenmitglieder, die noch über ein Abo von Idea verfügen, müssten nach dieser tendenziösen Meldung kündigen. Denn ein Medien-Ereignis war der Facebook-Eintrag von Wolfgang Baake ganz und gar nicht. Es wurde erst eines durch die Meldung bei Idea. Das wird übrigens schon dadurch deutlich, dass kath.net für dieselbe Meldung sich dann auf Idea und nicht auf die ursprüngliche Quelle bezieht. Dann sollte Idea auch die Konsequenzen tragen.


Todessehnsüchtige Lebensschützer

Am 2. August ist etwas geschehen, dass einen auf lange Zeit mit dem Katholizismus versöhnen könnte. Papst Franziskus hat den Katholischen Katechismus geändert und die Todesstrafe in jeglicher Begründung als unvereinbar mit dem katholischen Glauben erklärt. Das ist ein großer Tag in der Geschichte der Christenheit. Denn bisher hatte man sich ein Törchen offengehalten und bestimmte Situationen benannt, angesichts derer die Todesstrafe doch noch möglich sei. Das war noch katholisch inspirierten totalitären Systemen wie etwa dem Pinochet-Regime weidlich ausgenutzt worden. Nun aber ist diese Lücke lehramtlich geschlossen. Und man sollte meinen, alle seien darüber glücklich – vor allem jene, die sich dem absoluten Schutz des Lebens verschrieben haben und sich deshalb Lebensschützer nennen. Und das ist vielleicht das Interessanteste an dem Ganzen. Denn Lebensschützer lassen schon gerne töten, nur eben Embryos nicht. Ansonsten aber ersinnen sie tausend absurde Konstellationen, unter denen die Todesstrafe doch sinnvoll sei.

Die 370 Beiträge umfassende Diskussion unter dem Artikel bei kath.net ist ein Lehrstück der ethisch-moralischen Verwirrung unter den kath.net-Lesern und könnte in jedem Universitätsseminar zur ethischen Urteilsbildung als abschreckendes (und stellenweise überaus widerwärtiges) Beispiel populistischer Argumentationen herangezogen werden.

Da vergleicht ein Kommentator Papst Franziskus allen Ernstes mit den Schergen Adolf Hitlers. Warum? Weil beide sich auf „Barmherzigkeit“ berufen hätten. (Die Barmherzigkeit von Hitlers Schergen stellt in den Augen dieses Verrückten übrigens die Kosten-Nutzen-Analyse von Erbkrankheiten im Rahmen der Euthanasie-Debatte der Nazis dar.) Das ist einfach nur verabscheuenswürdig.

Aber dieser Kommentator weiß sich zu steigern, indem er anhand von Emotionalität(!) eine strukturelle Analogie zwischen Franziskus, Merkel und Hitler herstellt. (Die Besitzer von deutschen Schäferhunden werden es mit Interesse zur Kenntnis nehmen, denn auch sie haben ja etwas mit Adolf gemeinsam.) Das steht auf den Seiten von kath.net und wurde durch die Redaktion freigeschaltet! Ein Katholik, der kath.net mit Spenden fördert, fördert eben auch dieses widerwärtige Geschreibsel! Meinem Rechtsempfinden nach sollte jemand, der Franziskus, Merkel und Hitler auf eine Stufe stellt, vor ein bundesdeutsches Gericht gestellt werden. Nicht einmal den Verfasser von „Fides et Ratio“ kennt der Kommentator, denn dieser Text von 1998 stammt von Johannes Paul II. und nicht von Benedikt XVI. (oder nur indirekt als Kardinal Ratzinger).

Es folgt nun eine Fülle von Katholiken, für die die Änderung des Katechismus durch Franziskus eine Häresie darstellt, weil die Bibel (in Wirklichkeit aber sie selbst) die Todesstrafe explizit fordere. Die Todessstrafe sei nicht nur bei Vergewaltigungen von Nonnen anzuwenden, sondern auch bei Drogenbaronen, Landesverrätern und – man glaubt es kaum – wenn die Gefängnisse überfüllt seien. Das nennt man dann „knappe Ressourcen“. Man kann nur froh sein, dass der deutsche Staat uns vor solchen Individuen schützt, denn man ahnt, was auf einen Dissidenten zukommt, wenn diese Menschen an die Macht kämen. Ich hoffe, dass der Verfassungsschutz diese Szene im Blick hat und den Äußerungen nach Recht und Gesetz nachgeht. Dass jemand ernsthaft am Beginn des 21. Jahrhunderts vertreten kann, Mördern käme keine Menschenwürde zu, raubt mir den Atem. Er wendet sich unmittelbar gegen das Grundgesetz, das von unveräußerlichen Rechten des Menschen spricht und diese in dessen unaufgebbarer Würde begründet sieht. So gesehen ist kath.net eine Plattform für Verfassungsfeinde.

Warum manchen frommen oder traditionalistischen Katholiken die Todesstrafe aber wichtig ist, wird aus deren früheren Anwendung durch den Vatikan deutlich. Michel de Montaigne berichtet in seinem „Tagebuch der Reise nach Italien“, dass um 1500 in San Giovanni a Porta Latina in Rom einige portugiesische Homosexuelle eine Bruderschaft gründeten und einander mit kirchenanalogen Riten geheiratet hatten. Kirchenrechtler der damaligen Zeit sahen darin eine Blasphemie: „Acht, neun Portugiesen dieser Sekte hat man jedoch verbrannt.“ (Montaigne) Das geht natürlich nicht mehr, wenn die Todesstrafe geächtet ist.

In der Diskussion taucht nun ein Argument auf, dem nachzugehen sich lohnt. Gandalf, der unchristliche Weise aus dem Auenland verweist mehrfach darauf, dass im 5. Gebot (für Normalsterbliche: im 6. Gebot) nicht stünde Du sollst nicht töten, sondern vielmehr Du sollst nicht morden. Da hat er recht wie jeder sofort mit dem Blick in die Biblia Hebraica Stuttgartensia feststellen kann. Nur, was sagt uns das? Gandalf möchte nahelegen, dass das 5. (6.) Gebot die Todesstrafe (die ja in der Regel nicht staatlicher Mord, sondern staatliche Tötung ist) nicht betrifft, weil das sechste Gebot nur auf Mord anzuwenden ist. Wenn es denn so einfach wäre. Ist es aber nicht. Als offenbar ausgebildeter Theologe müsste Gandalf ja nun (etwa bei Jenni/Westermann, Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament) nachschlagen, ob mit dem Wort „ratsah“, welches an dieser Stelle verwendet wird, in der hebräischen Bibel nicht auch die Anwendung der Todesstrafe bezeichnet wird. Nur wenn das niemals der Fall ist, macht sein Einwand Sinn. Nun verweist uns die rabbinische Literatur und Diskussion darauf, dass in 4. Buch Moses 35, 27-30 „ratsah“ auch da gebraucht wird, wo es um die Todesstrafe selbst geht. Und die Rabbinen und jüdischen Philosophen berücksichtigen das. Man muss also so oder so „ratsah“ in die Diskussion um den Vollzug der Todesstrafe mit einbeziehen. Elieser Segal kommt daher in der Auseinandersetzung mit der Übersetzung des sechsten Gebotes mit „Du sollst nicht töten“ durch christliche Exegeten zu folgendem Schluss:

Auch einige bedeutende jüdische Philosophen waren der Überzeugung, daß „Du sollst nicht töten“ eine exakte Übersetzung des Sechsten Gebotes ist. Maimonides … beispielsweise schrieb, daß sich bei der Tötung eines Menschen in jedem Fall um eine Verletzung des Gebotes handelt, auch dann, wenn mildernde Umstände die Übertretung gegenstandslos machen. Manche haben behauptet, daß diese Tradition der faktischen Aufhebung der Todesstrafe im rabbinischen Gesetz zugrunde liegt. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, fällt es uns nicht schwer, einzugestehen, daß „Du sollst nicht töten“ nicht einfach nur das Ergebnis von Unwissenheit auf Seiten von Hieronymus oder der Übersetzer der King-James-Bibel ist. Sondern daß sich darin die legitime Entscheidung ausdrückt, die ganze Skala möglicher Bedeutungen der hebräischen Wurzel abzudecken.

Ich kann jedem nur empfehlen, einmal bei Jenni/Westermann (Bd. II, Sp. 813-818) nachzuschlagen, welchen sprachlichen Reichtum das Wort „ratsah“ spiegelt. So fällt zum Beispiel auch Unterdrückung der Armen, ungerechter Handel, Häufung von Reichtum, Grausamkeit und Trug unter „ratsah“. Es kommt eben auf den Kontext an. Jedenfalls impliziert die Verwendung von „ratsah“ im 6. Gebot keinesfalls die Legitimation der Todesstrafe. Das zeigt die innerjüdische Diskussion, die faktisch die Todesstrafe außer Kraft setzt.

Nur in pansakralen Gesellschaften macht die Todesstrafe unter sehr eingeschränkten Umständen Sinn, weil sie dem Täter hilft, mit geringerer Schuld vor Gott zutreten, weil seine irdische Schuld durch das Todesurteil abgegolten wurde. In diesen Gesellschaftsformen leben wir aber nicht mehr. Interessanterweise behaupten einige Apologeten der Todesstrafe, dass diese den Opfern helfe und nicht vorrangig den Tätern. In einer pansakralen Gesellschaft ist das Gegenteil der Fall. Durch das Todesurteil wird keine Gerechtigkeit geschaffen (wie sollte das auch möglich sein), sondern nur Befriedigung erreicht und ein Täter final bestraft.

Grundsätzlich überrascht aber in der ganzen Diskussion die Todesverliebtheit der angeblichen Lebensschützer. Ich weiß, warum ich nicht auf ihrer Seite stehe. Und natürlich auch deshalb, weil es Kommentare wie diesen gibt.


Idea-Leser hetzen gegen Sophia L.

Idea, Meister der Polemik gegen die EKD über die Bande, referiert wieder einmal einen Beitrag, den jemand an ganz anderer Stelle gegen die EKD geschrieben hat. So muss man sich nicht die Finger schmutzig machen und kann dem Ratsvorsitzenden schnell eins auswischen. Aber man sollte doch zuvor lesen, um was es geht. Bedford-Strohm kannte die von einem Lastwagenfahrer ermordete Sophia L. als Studentin und hielt nun die Trauerrede in Amberg. Schon das sollte jeden(!) davor zurückschrecken lassen, die Ansprache nun politisch zu instrumentalisieren.

Vera Lengsfeld hat sich an solche Tabus noch nie gehalten und schlägt willkürlich zu: „Heinrich, mir graut vor Dir!“ Nun hat sich der Ratsvorsitzende keinesfalls eines Verbrechens schuldig gemacht wie das verwirrte Gretchen in der Tragödie von Goethe Faust gegenüber meint. Der Bischof hat nur geschildert, wie er die Lebenshaltung seiner früheren Studentin wahrgenommen hat und was das für sie für Folgen hatte: Die Studentin habe ihre Mitmenschen nicht als potentielle Gefahr gesehen, sondern zuallererst als gute Geschöpfe Gottes, die zur Mitmenschlichkeit fähig seien und selbst Mitmenschlichkeit verdienten. Und Bedford-Strohm fährt fort:

„Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Misstrauen heraus gelebt hätte. Aber wäre das das bessere Leben gewesen? Hätte es ihr Leben sein können?“

Das ist eine Frage, die in ethischer Perspektive gestellt werden muss. Wenn ich weiß, dass, wenn ich auf die Straße gehe, mein Leben deutlich gefährdeter ist, als wenn ich zu Hause bleibe, ist es dann sinnvoller zu Hause zu bleiben, oder muss ich nicht das allgemeine Lebensrisiko auf mich nehmen, weil nur so Leben möglich wird? Darum geht es. Bringt einem ein grundsätzliches Misstrauen ein besseres Leben, weil es einen im entscheidenden Moment vielleicht schützt, oder verhärtet es einen so, dass das, was gutes Leben genannt zu werden verdient, gar nicht mehr zum Zuge kommt. Jeder Mensch muss darüber nachdenken und für sich eine Lösung finden.

Bischof Bedford-Strohm sagt genau das und das wird ihm nun als theologische Irrlehre vorgeworfen. Aber die Kritiker merken nicht, dass sie eigentlich nicht Bedford-Strohm treffen, sondern die Lebenshaltung der Ermordeten mit Füßen treten. Denn diese hat sich ja entschieden, Mitmenschlichkeit als persönliche Priorität zu setzen. Und das ehrt sie (und ihre Familie) überaus. Und Bedford-Strohm erzählt nur davon. Wenn ihm nun Gutmenschlichkeit vorgeworfen wird, dann meint man de facto die Ermordete.

Und wenn ein Ewiggestriger dann meint, der Bischof hätte der Ermordeten und ihrer Familie in der Traueransprache korrigierend die Bibel vorhalten sollen, dann ekelt es mich vor ihm, ich finde ihn durch und durch widerlich. Das nennt man in Hiobs Worten: Trug für Gott vorbringen.

Das wäre die Aufgabe eines guten Hirten in der heutigen Zeit, den Menschen diese Wahrheiten als Spiegel vor die Augen zu halten und nicht die links-grüne politisch korrekte Ideologie zu predigen. Gottes Wort wäre wieder gefragt.

Ich glaube, er hat das Sprachbild mit dem "Spiegel vorhalten" nicht wirklich verstanden. Aber man greift sich die Worte, wo man sie nur kriegt.

Die geistig und geistlich völlig Unbeleckten, die das auch noch offen zugeben, wollen auf verquere Weise Teiresias spielen und in ihrer Blindheit den Untergang (der Kirche) verkündigen, wissen aber nicht, wie sie das theologisch begründen sollen, weil sie schlechte Propheten sind:

Wegen dieser Kirchenfürsten (Bedford-Strohm, Rekowski, Dröge) bin ich aus der Kirche ausgetreten. Die Handlungen dieser Leute führen zum Untergang der Kirche und dann zum Untergang Europas. Das klingt zwar überzogen, pathetisch, aber für diese Behauptung liefere ich gerne die Belege. Aber um was handelt es sich bei dem kritisierten Satz „Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Misstrauen heraus gelebt hätte. Aber wäre das das bessere Leben gewesen?"? Hoffentlich findet sich jemand, der die Aufforderung, nicht "misstrauisch" zu leben, THEOLOGISCH widerlegt.

Wie man Belege für etwas bringen will, das noch nicht eingetreten ist, bleibt ein Geheimnis des Verschwörungstheoretikers. Insgesamt sagt er aber schlicht: Ich habe keine Ahnung, aber hoffentlich erklärt mir jemand die Bibel so, dass sie mit meiner Meinung übereinstimmt. Denn das ist doch ganz sicher der Kernpunkt des Evangeliums bzw. der Frohen Botschaft: Seid misstrauisch!

Das biblische „Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ reduziert sich so ganz auf die Klugheit der Schlange, die, wie wir wissen, nach der Erzählung des ersten Buches der Bibel den Sündenfall der Menschen erst bewirkt hat. Vielleicht könnte man die Beschränkten auf Idea auch so zusammenfassen: Mehr Satan (Schlange) und weniger Heiliger Geist (Taube).


Palimpsest

Unter dem ebenso reißerischen wie irreführenden Titel „Kontroverse: Seiten für ein Kunstprojekt aus der Bibel reißen?“ wiegelt Idea seine Leser auf, eine Künstleraktion in der Pfalz zu kritisieren. Es geht darum, ausrangierte Bibeln (also etwa die Lutherbibel von 1984) einem Kunstprojekt zuzuführen, um daran Erkenntnisse zu gewinnen. Die Künstlerin möchte Seiten aus nicht mehr in Verwendung befindlichen Gebrauchsbibeln heraustrennen, sie falten und zu einem Band zusammenfügen, das dann auf eine Kabeltrommel gerollt wird. Bedenkt man, dass etwa die Lutherbibel 2017 mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren auf den Markt gekommen ist, wird schnell deutlich, wie viele Tausende 'überflüssige' Bibel nun herumliegen. Warum sollte man nicht 1000 davon nutzen, um an den kulturellen und kommunikativen Gehalt der Bibel zu erinnern?

Wenn man die Menschen also gefragt hätte, soll man die Lutherbibeln 1984 dem Altpapier zuführen oder sie im Rahmen eines Kunstprojektes sinnvoll weiter nutzen, dann hätte die überwiegende Mehrheit für die Fortnutzung der Bibel gestimmt. Fragt man aber: Darf man für die Kunst Seiten aus der Bibel reißen, wird man kaum Befürworter finden. Hier agiert Idea erkennbar tendenziös – so wie wir es von der BILD-Zeitung gewohnt sind.

Nun weiß jeder Protestant, dass eine Bibel materialiter nicht heilig ist. Die Buchdruckausgabe ist ganz sicher nicht Wort Gottes (das wäre magisch), sondern nur das im Text Ausgedrückte, respektive Jesus Christus selbst. Man kann das als symbolische Geste verurteilen, wenn es mit bösartiger Absicht geschieht. Ansonsten ist es religiös nicht relevant. Wer eine Seite aus der Bibel reißt, kommt – populärkulturell gesprochen – nicht in die Hölle.

Gott selbst gibt in Hesekiel 2 und 3 dem Propheten eine beschriebene Schriftrolle zur Nahrung:

Du aber, Mensch, höre, was ich zu dir sage! Sei nicht trotzig wie die trotzig Verschlossenen! Öffne deinen Mund und iss, was ich dir gebe! Ich schaute: Da – eine Hand streckte sich mir entgegen, und in ihr war eine Schriftrolle. Sie breitete sie vor mir aus: Vorder- und Rückseite waren beschrieben. … Da öffnete ich meinen Mund, und sie gab mir diese Rolle zu essen und sagte zu mir: Mensch, gib deinem Bauch Nahrung und fülle deinen Magen mit dieser Rolle, die ich dir gebe! Da aß ich sie, und sie war in meinem Mund so süß wie Honig.

Schriften können sich – darauf hat nicht zuletzt die documenta 14 Bezug genommen – als Nahrung erweisen. Und warum nicht auch als Kunst?

Die Leser von Idea wollen das Ganze nun missverstehen. Sie tun so, als würde durch die Aktion die Bibel ganz abgeschafft. Das ist erkennbar falsch. Sie behaupten: Die Bibel würde so unleserlich gemacht – auch das ist eine bösartige Darstellung. Natürlich darf der Verweis auf den Koran nicht fehlen, bei dem sich Künstler nie trauen würden, ihn analog zu behandeln. Und es finden sich auch diejenigen, die ganz magisch eine Druckausgabe einer Lutherbibel von 1984 in millionenfacher Auflage für „heilig“ halten. Da sollten ihre Gemeinden aber noch einmal Unterricht in christlicher Religion geben.

Höchst bedenklich finde ich eine Bezirkssynode, die das Projekt stoppt, weil es Bedenken in der Gemeinde gegeben habe. Dann aber sollte man nicht das Projekt stoppen, sondern die Gemeinde aufklären. Tiefenbohrungen unserer Kultur, seien es nun Bibeln, wissenschaftliche Werke oder Gesetzeskommentare sollte man Künstlern nicht verwehren.

Es gehört zu den verschlungenen Wegen des Heiligen Geistes, dass er uns manche bedeutsamen Kulturgüter nur auf Umwegen und sei es durch Zweitnutzungen erhält. In der Kulturgeschichte nennen wir das Palimpsest. Der Codex Ephraemi Resciptus ist uns eben nur als solch überschriebene Blättersammlung erhalten:

„Den Originaltext einer in Majuskelschrift geschriebenen Voll-Bibel in griechischer Sprache (Septuaginta + griechisches Neues Testament), die im fünften Jahrhundert in Ägypten hergestellt worden war, schabte man im zwölften Jahrhundert ab und überschrieb ihn in griechischen Minuskelbuchstaben mit Predigten von Ephraem dem Syrer.“ (Wikipedia)

Auch Ciceros „De re publica“ ist uns als Palimpsest (also im Rahmen einer Sekundärnutzung) erhalten. Und der außerbiblische Beleg für Pontius Pilatus in einer für den Hausbau zweitverwendeten Steintafel in Caesarea zeigt, wie wichtig manchmal solche Sekundärverwendungen sein können. Also: Wer weiß, wozu das Kunstprojekt in der Pfalz noch alles dienen kann.

Ich persönlich habe mehrere alte Bibeln aus der Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts und als mich ein befreundeter Künstler fragte, ob er eine davon für sein Projekt der „Tiefenbohrungen der Kultur“ haben könnte, habe ich sie ihm gerne gegeben. Nun hängt sie irgendwo neben einem Strafrechtsbuch und einem naturwissenschaftlichen Standardwerk an der Wand und erinnert alle Betrachter daran, dass zur Kulturgeschichte der Deutschen die Bibel, das Recht und die Naturwissenschaft zählt. Umgekehrt formuliert: wann immer man Tiefenbohrungen deutscher Kultur unternimmt, stößt man auf Bibel, Recht und Wissenschaft. Das klingt schon beinahe konservativer, als es intendiert war. Trotzdem finde ich es überaus beeindruckend. In Zeiten, in denen Roboter unsere Bibel schreiben, darf man doch wohl noch an den kulturellen und kommunikativen Aspekt der Bibel erinnern. Und nichts anderes macht mein Freund, der Künstler, und die Künstlerin in der Pfalz mit ihren Kunstprojekten. Dafür kann man ihnen nur dankbar sein.

Bei Kunstprojekten sollte man zunächst versuchen, sie zu verstehen, bevor man die Apokalypse beschwört.


Elfenbeauftragte

Merkwürdig still verhielt sich Gandalf, der Weise aus dem legendären katholischen Auenland, als auf seiner Webseite in heftigster Weise gegen die mit ihm verbündeten Elfen polemisiert wurde. Das ganze Zeug rundum Elfen (und damit natürlich auch um Gandalf) sei Humbug und Aberglaube und gefährde den christlichen respektive den katholischen Glauben. Auslöser der kath.net-Leser-Erregung war die Meldung, Polizisten hätten eine Elfenbeauftragte und eine Tierkommunikatorin auf einem Autobahnabschnitt der A2 mitfahren lassen, in dem besonders viele Unfälle zu verzeichnen waren. Und die hatten dort sofort negative Schwingungen festgestellt. Das ist eine schöne Sommerloch-Meldung und dient zum Schmunzeln. Ein wirklicher Hit wäre ja gewesen, wenn sie dort keine negativen Schwingungen festgestellt hätten. Dann hätte man vielleicht Unfallforschung betreiben müssen.

Aber herablassend sollte man auf solche Meldungen nicht reagieren. Denn ich kann nicht sehen, warum Elfenbeschwörungen lächerlicher sein sollten als Gebete zum Hl. Christophorus. Das sieht ein Mitarbeiter einer deutschen Straßenverkehrsbehörde etwas anders, der auf kath.net folgendes verkündet:

Ich war fast 40 Jahre in der inneren Verwaltung einer größeren Straßenbau- und Unterhaltungsbehörde tätig, ein solcher Unfug wäre dort nicht denkbar gewesen! Am 22.02.2011 genehmigte der Vatikan einen Antrag meiner Gewerkschaft, in deren Landesvorstand ich zeitweilig war, den hl. Christopherus zum Schutzpatron der Straßenwärter zu erklären! Es geht also auch ganz anders!

Inwiefern das nun kein Aberglaube ist, erschließt sich mir nicht. Mit der Revision der Liste der Heiligen nach dem II. Vatikanum wurde Christophorus explizit aus dieser gestrichen, weil er historisch überhaupt nicht belegt und daher reine Legende ist. Mit Ratzinger gesprochen: was nicht existiert hat, kann auch nicht helfen. Im Mittelalter hat das die katholische Kirche auch noch gewusst. Das Heiligenlexikon hält seine Existenz dagegen für gesichert, weil man 150 Jahre nach seinem angenommenen Tod begonnen habe, ihn zu verehren. Merkwürdige Logik.

Christophorus ist in der ostkirchlichen Legende ursprünglich ein Angehöriger eines hundsköpfigen Fabelvolkes. Nach anderen Versionen war er ursprünglich ein Menschenfresser. Ich empfehle all den Christophorus-Anhängern eindringlich, einmal den Text „Falsche Heilige“ des renommierten Mediävisten Peter Dinzelbacher zu studieren.

Die Gestalt des Christophorus freilich war sogar in der spätmittelalterlichen Amtskirche umstritten, da mehrere Lokalsynoden seinen Kult verboten und der Humanistenpapst Pius II. Zweifel äußerte, doch wurde er erst 1962 aus dem Kalender gestrichen. Mag es vielleicht auch einen freilich weder riesenhaften, noch kynokephalen, noch anthropophagen Märtyrer gegeben haben auf den sich die Christophorus-Verehrung anfänglich bezog, so erstaunt doch auch für das Mittelalter die ungebremste Phantastik, mit der diese Figur umgeben wurde.
[Dinzelbacher, Peter (2007): Falsche Heilige. In: ders., Körper und Frömmigkeit in der mittelalterlichen Mentalitätsgeschichte. Paderborn: Schöningh, S. 281–307.]

Die uns bekannte Überlieferung mit dem Christuskind entstand übrigens erst im 13. Jahrhundert! Die Kurie hatte nun nicht mit dem Aberglauben der römisch-katholischen Gläubigen gerechnet und musste zurückrudern. 2001/2004 wurde der Gute wieder in den Heiligenkalender aufgenommen und darf (sich) jetzt wieder zu den vierzehn Notheiligen zählen.

Mich plagt dagegen die unziemliche Neugier: wie viele der auf der A2 verunfallten Autos hatten wohl eine Autoplakette des Christophorus an ihrem Armaturenbrett? Und waren es die Opfer oder die Verursacher der Unfälle? Meine Lieblingsplakette ist übrigens die hier abgebildete synkretistische mit Christophorus im Hufeisen. Nur müsste man dort noch irgendwie eine Elfe und einen Marienkäfer unterbringen, denn das wäre glücks- und schutzmäßig sozusagen eine Vollkaskoversicherung. Ich werde bei der Kurie einmal nachfragen, ob auch eine Gandalf-Figur als Ersatz taugt, denn irgendwie sieht Gandalf doch fast aus wie Christophorus.

In seinem „Montagskick“ widmet sich auch der Experte für Unglauben, Peter Winnemöller, diesem Thema. Er wird sicher Klarheit in die Angelegenheit bringen. Zunächst verweist er darauf, dass dieser Elfenglaube immer dann entstünde, wenn es keine katholischen Priester vor Ort gäbe. Das habe ich bei Peter Dinzelbacher nun ganz anders gelesen. Die Mehrzahl der falschen Heiligen ist aus der Gewinnsucht örtlicher Kleriker entstanden, die Menschen in ihren Ort ziehen wollten. Winnemöller schreibt:

Der Heilige Pfarrer von Ars sagte einmal, lasst ein Dorf 20 Jahre ohne Priester und sie beten die Tiere an.

Als Protestant würde ich mit guten Gründen das Gegenteil sagen: Schickt über 20 Jahre einen Priester in ein Dorf und ihr werdet sehen, anschließend betet die Bevölkerung Tiere an. Wie schrieb schon Martin Luther über die Wallfahrt zu den Reliquien des Apostels Jakobus in Compostela:

Darumb laß man sy ligen und lauff nit dahin, dann man waißt nit, ob sant Jacob oder ain todter hund oder ain todts roß da liegt.

Winnemöller lästert nun über die Hexen- und Troll-Gläubigen, um dann seine Philosophie so abzuschließen: "Dem Heiligen Christopherus (sic) und seiner Fürsprache will ich mich als Kilometerfresser doch lieber anvertrauen, als Elfen und Trollen". Der Fürsprache des Heiligen Christophorus? Einer rein legendarischen, nicht existenten Figur, die selbst von mittelalterlichen Synoden bestritten und deren fehlende Historizität bereits seit der Renaissance bekannt ist? Peter Winnemöller vertraut einem menschenfressenden, hundeköpfigen Riesen, wenn er Auto fährt? Da würde ich eher auf Trolle und Elfen setzen, wenn ich denn auch nur ansatzweise über eine abergläubige Mentalität verfügte. Aber ich bin dann doch lieber rationalistischer Protestant, kann mich aber auch manchmal der christlichen Mystikerin Mechthild von Magdeburg anschließen, etwa wenn sie in ihren Höllenvisionen schreibt:

„Die falschen Heiligen setzt Luzifer in seinen Schoß, küsst sie gräulich und spricht: ,Ihr seid meine Genossen!'

Nebenbei wurde mir an dem kath.net-Text deutlich, wie oberflächlich Winnemöller selbst die Nachrichten wahrnimmt. Er hört etwas von A2 und denkt sofort an Dortmund, Bielefeld und Hannover. Und er nickt weise: „Die A2 ist zwischen Dortmund und Hannover durchaus unfallträchtig.“ Dahinter beginnt ja schon die Fremde. Wie recht er hat. Nun ereignete sich die geschilderte Fahrt mit der Elfenbeauftragten keinesfalls im Westfälischen, und auch nicht in jenem Abschnitt Niedersachsens, der auf der Strecke zwischen NRW und Hannover liegt. Da hätte man genauer lesen müssen. Der Elfen und Troll-Abschnitt liegt zwischen Lehrte und Braunschweig. Genau dort, vielleicht aus dem Wendesser Moor kommend, treiben die Wesen ihr Unwesen. Aber, auch das muss man sagen, im Vergleich zu so manchem falschen Heiligen, betreiben Trolle und Elfen, die nordischen Geister, eher Schabernack und nur wenn wir zu viel italienische Pizza gegessen haben, sitzen sie uns als „Alb“ (= Elfe) nächtlich auf der Brust und lassen uns schlecht träumen. Man merkt, ich mag Trolle und Elfen; in einer Welt von lauter falschen Heiligen wie Christophorus, Philomena, Paulus von Theben, Evermar, Ann Laminit, Renatus von Angers u.v.a.m. erscheinen sie mir fast schon lauter und wahr. Und mit der A2 verbindet sie mehr als mancher fromme Christophorus-Anbeter meint. Bereits im Planungsstadium der A2 wurde nämlich auf die Elben und Trolle Rücksicht genommen. Auf eine der möglichen Verlaufstrecken der A2 wurde verzichtet, weil „es hier zahlreiche Seen und Moore gab, welche den Bau erschwert hätten“. Und heute macht man sich über Elfen und Trolle lustig.


Proselytismus

Es gibt einen berühmten Text des Schriftstellers Bertolt Brecht, der einem verdeutlicht, wie man unwillkürlich, wenn man mit einer Riesendummheit konfrontiert wird, selber verdummt.

Herr K. ging „durch eine Stadt, die vom Feind des Landes besetzt war, in dem er lebte. Da kam ihm entgegen ein Offizier dieses Feindes und zwang ihn, vom Bürgersteig herunterzugehen. Herr K. ging herunter und nahm an sich wahr, dass er gegen diesen Mann empört war, und zwar nicht nur gegen diesen Mann, sondern besonders gegen das Land, dem der Mann angehörte, also dass erwünschte, es möchte vom Erdboden vertilgt werden. ‚Wodurch‘, fragte Herr K., ‚bin ich für diese Minute ein Nationalist geworden? Dadurch, dass ich einem Nationalisten begegnete. Aber darum muss man die Dummheit ja ausrotten, weil sie dumm macht, die ihr begegnen."

An diese Geschichte musste ich denken, als ich gerade auf dem schwarzen Kanal kath.net eine Kolumne des früheren Salzburger Weihbischofs Laun las, in dem er zur Proselytenmacherei aufrief. Der Beitrag trägt den „riesendummen“ Titel: „Liebe Protestanten, nehmt den Glauben der Kirche wieder an!“ Es gehe, so Laun, „um die Frage, ob evangelische Christen in der katholischen Kirche zu hl. Kommunion zuglassen werden können“. Da wird einem der Mann schon fraglich, denn kirchenrechtlich gebietet der Canon 912 CIC: „Jedweder Getaufte, dem es nicht rechtlich verboten ist, kann und muss zur heiligen Kommunion zugelassen werden“. Der Kirchenrechtler Klaus Lüdicke hält deshalb fest: „Eine Norm, die es nichtkatholischen Getauften verböte, die Eucharistie zu empfangen, sucht man im kirchlichen Gesetzbuch vergeblich.“ Das Gesetzbuch regelt „die Handlungsweise der katholischen Kommunionspender“, nicht der Empfänger. Aber mit dem katholischen Kirchenrecht nimmt es Laun offenbar nicht so genau.

Nun ist es so wie in der Geschichte von Bertolt Brecht, dass man angesichts dieses dreisten Versuches der binnenchristlichen Proselytenmacherei sich herausgefordert fühlt, nun im Gegenzug Katholiken zur Konversion aufzurufen. Schließlich ließe sich das Problem andersherum ja viel leichter lösen, weil erst gar keine Probleme entstünden. Warum sollten wir gemischtkonfessionelle Paare nicht einfach systematisch auffordern, sich zum evangelischen Glauben zu bekennen? Aber das ist natürlich keine Lösung – und schon gar keine vernünftige. Warum? Da berufe ich mich dann doch mal auf einen Katholiken, den Bischof von Rom, der 2013 in einem Interview ausführte:

„Proselytismus ist eine Riesendummheit, er hat gar keinen Sinn. Man muss sich kennenlernen, sich zuhören und das Wissen um die Welt um uns vermehren … Die Welt ist durchzogen von Straßen, die uns voneinander entfernen oder die uns näher zusammenbringen, aber das Entscheidende ist, dass sie uns zum Guten hinführen … Jeder von uns hat seine Sicht des Guten und auch des Bösen. Wir müssen ihn dazu anregen, sich auf das zuzubewegen, was er als das Gute erkannt hat … Das würde schon genügen, um die Welt zu verbessern … Die Liebe zum Anderen, die unser Herr gepredigt hat, ist kein Proselytismus, sondern Liebe. Liebe zum Nächsten, ein Sauerteig, der auch dem Gemeinwohl dient.“

Was schließe ich daraus? Weihbischof Laun fehlt danach erkennbar die Liebe zum Nächsten (Franziskus). Er begeht eine Riesendummheit (Franziskus) nach der nächsten. So wie ich den Proselytismus der Evangelikalen weltweit als unvernünftig ablehne, so finde ich ihn auch bei traditionalistischen Bischöfen nur dumm. Und deshalb sage ich den Leserinnen und Lesern des Textes von Laun mit Wolf Biermann:

Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind, brechen, die allzu spitz sind, stechen und brechen ab sogleich.


Kreuz.net reloaded

Es ist überaus auffällig, dass Stimmen, die noch vor Jahren auf der berüchtigten Plattform kreuz.net zu lesen waren, nun auf kath.net ihren Artikulationsraum finden. Eine Fülle von Sedisvakantisten und Traditionalisten, Papsthassern und Bischofverächtern äußert sich da und bringt nach und nach eine Tonlage in die Diskussion, die an die letzten Tage von kreuz.net erinnern. Angesichts der Haltung der katholischen Kirche in Irland, in ihren Kliniken keine Abtreibung zuzulassen, überlegt die irische Regierung, ob man nicht entweder die Kliniken dazu zwingen müsse, entsprechend der Gesetzeslage zu handeln oder ob man die Kliniken alternativ nicht staatlich übernehmen müsse. Der Premier ist bekanntermaßen Katholik und hat sich vor Jahren schon als homosexuell geoutet.

Das bringt einen kath.net-Leserkommentator zu nebenstehenden Äußerung. Ich weiß nicht, wer sich noch an die letzten Wochen von kreuz.net erinnert, aber damals war derartiges widerliches Geschreibsel von traditionalistischen Katholiken gang und gäbe. Ich wundere mich nicht, dass das in letzter Zeit zunehmend radikaler werdende kath.net nun als natürlicher Zufluchtsort für kreuz.net-Jünger betrachtet wird. Ich wundere mich aber schon, dass sie es so offenzulassen. Selbst konservative kath.net-Leser sind da entsetzt. Denn anders als auf anderen Plattformen, muss man auf kath.net als Kommentator ja freigeschaltet werden. Es sei denn, man ist ein trusted user. Dann wird das hier wohl so sein.


Unter Generalverdacht

Kath.net meldet, dass gegen den 27-jährigen Kameruner, der in Verdacht steht, einen katholischen Priester aus dem Kongo in einer französischsprachigen Berliner Gemeinde getötet zu haben, Anklage wegen Totschlags erhoben wurde. Nach einem lauten Streit in den Büroräumen war der Priester tot aufgefunden worden, der Kameruner wurde einige Tage später verhaftet. Das ist ein überaus trauriges Geschehen. Es hindert die Rechten unserer Gesellschaft aber nicht daran, aus dieser kargen Meldung ihr politisches Süppchen zu kochen. Scham kennen sie nicht. Der erste und einzige Kommentator der Meldung auf kath.net leidet unter Verfolgungswahn und rechter politischer Schnappatmung. Er schreibt: „Welche Religion der Mörder hat, wird wieder nicht erwähnt. Warum wohl …?“ Nun, einen Mörder gibt es im vorliegenden Fall nicht, nur einen des Totschlags Angeklagten. Warum die Religion eines Angeklagten relevant sein sollte, erschließt sich nicht. Es sei denn, man hält alle Verbrecher dieser Gesellschaft für Muslime. Bis zur Meldung bei kath.net und dem Kommentar, wusste ich wenig von dem Vorgang. Aber Kamerun hätte ich nun nie und nimmer als muslimisches Land eingestuft. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass 70% der Bevölkerung Christen sind, vor allem Katholiken. 20% der Bevölkerung sind Muslime, 6% Anhänger indigener Religionen, 4% ohne Religion. Ich hätte also vermutet, dass ein Gemeindemitglied nach einem Streit den Priester getötet hat. Alles andere wäre überraschend. Und es würde erklären, warum kath.net in diesem Fall die Religion nicht erwähnt. Das macht die Redaktion nur, wenn es um muslimische Täter geht. Nun zeigt rascher ein Blick in die Berliner Lokalpresse, dass es wohl tatsächlich um ein Gemeindemitglied geht. Wie soll ich den Kommentator nun verstehen? Warum wurde uns die katholische Konfession verschwiegen? Ist es vielleicht typisch, dass Katholiken ihre Priester töten?

Oder war sich der Fragende sicher, es könne nur ein Muslim gewesen sein, weil … Aus anderen Äußerungen des Kommentators wird nämlich deutlich, dass er eigentlich ganz Afrika für muslimisch hält. Er hat von den wirklichen Verhältnissen schlicht keine Ahnung.

Dass alle seriösen Statistiken für den afrikanischen Kontinent von einer ungefähren Patt-Situation zwischen Christentum und Islam ausgehen, weiß er nicht. Der nördliche Teil Afrikas ist eher muslimisch, das Zentrum und der südliche Teil eher christlich. Aber unser Kommentator würde wahrscheinlich schon bei der Aufgabe scheitern, Kamerun auf der Karte korrekt zu verorten. Ähnliches gilt für den Kongo – wahrscheinlich auch muslimisch. Da wundert man sich doch, dass die katholische Priester haben.


Atombombe

Als Protestant könnte man sich ja zurücklehnen und den dramatischen Zerfall der katholischen Kirche, der im Augenblick von den konservativsten unter ihren Mitgliedern vorangetrieben wird, schlichtweg beobachten. Es ist aber jedem, der sich nur kurz mit den Vorgängen beschäftigt, sofort einsichtig, dass es nicht einmal im Ansatz um die Vertuschung von Missbrauchsfällen geht. Ginge es darum, könnte man in aller Ruhe abwarten, was Recht und Gesetz zutage fördern. Nein, darum geht es nicht. Es geht in der katholischen Kirche seit über 100 Jahren um ihr Verhältnis zur Moderne. Und im Augenblick wittern die Reaktionäre ihre Chance, den katholischen Theologen bzw. Bischöfen, die den Entwicklungen der Moderne positiv gegenüberstehen, einen vernichtenden Schlag zuzufügen. Im Augenblick herrscht Krieg in der katholischen Kirche. Und das wird von einigen der Kombattanten auch offen eingeräumt. Hedwig von Beverfoerde schreibt wörtlich: Am 26. August ist auf dem Felsen Petri eine Atombombe detoniert. Man muss sich dieses Bild einmal vergegenwärtigen. Umgangssprachlich sprechen wir davon, dass jemand gesprächsweise „eine Bombe platzen lässt“. In diesem Sinne sprechen wir auch von einem „Bombenerfolg“. Bombe zielt hier auf dem außerordentlichen Wirkungsgrad eines Phänomens. Dass etwas „wie eine Bombe einschlägt“, ist ein Analogieschluss, der in aller Regel allerdings auf der Unkenntnis von Bombenexplosionen basiert. Aber die im Satz von Hedwig von Beverfoerde genannte Atombombe detonierte nicht einfach. Sie wird von einem Kriegsbeteiligten nach strategischen Gesichtspunkten über einer präzise ausgewählten Stelle abgeworfen, um den Gegner vernichtend zu schlagen. Und in der Sache impliziert dieser Vorgang Verluste, die weit über jedes Maß hinausgehen, das human in irgendeiner Hinsicht vertretbar wäre. Es gibt keine Ethik, nach der der Einsatz der Atomwaffe zu rechtfertigen wäre – außer der pragmatischen, dass es sie eben gibt (so argumentiert Donald Trump: wofür haben wir sie denn, wenn wir sie nicht einsetzen?). Hedwig von Beverfoerde sind die Implikationen ihrer Metapher vermutlich nicht klar, aber sie bezichtigt Erzbischof Viganò eines ungeheuren moralischen Verbrechens. Viganò nimmt danach um eines kirchenpolitischen Vorteils willen die Vernichtung der katholischen Kirche in Kauf. Nur dass kann das Wort „Atombombe“ hier bedeuten – sonst reichte der umgangssprachliche Rekurs auf „eine Bombe platzen lassen“. Hier geht es um die Vernichtung von Menschen und einer Institution. Nicht umsonst entschied der Internationale Gerichtshof „dass die Anwendung der Atomwaffen mit den Forderungen aus dem humanitären Kriegsvölkerrecht kaum in Einklang zu bringen sei.“ Theologisch ist und bleibt der Einsatz der Atombombe ein Verbrechen gegen Gottes Schöpfung. Das kontaminiert auch den metaphorischen Gebrauch des Wortes „Atombombe“. Freilich hat Hedwig von Beverfoerde in einem gewissen Sinn recht: Erzbischof Viganò hat ideologisch eine Atombombe über Papst Franziskus abgeworfen – durchaus mit dem Ziel, ihn als Papst zu vernichten. Dann sollten wir aber auch bei der Analogie bleiben. Jahr für Jahr erinnern wir an die Verbrechen von Hiroshima und Nagasaki. Und ich sehe nicht, dass dies bei metaphorischen Atombomben anders sein sollte. Ethisches Verhalten muss immer anlassbe­zogen und verhältnismäßig sein. Die Vernichtung einer Institution, angeblich, um die Institution zu retten, ist das nicht.

So verkommen muss man innerlich aber schon sein, um das Platzieren einer Atombombe, und sei es metaphorisch, affirmativ als erschütterndes Zeugnis zu etikettieren. Daraus lese ich, dass nicht die katholische Kirche, sondern einige ihrer konservativen KritikerInnen moralisch vollständig verrottet sind. Die letzte Schlacht, die hier geschlagen werden soll, richtet sich aber nicht nur gegen Papst Franziskus, von dem man hofft, ihn atomisieren zu können, sondern auch gegen alle Homosexuellen weltweit. Homosexualität – und nicht sexueller Missbrauch – wird zur Sünde schlechthin. Dass ein Mensch homosexuell ist, wird ihm vorgeworfen. Dagegen sollten wir tatsächlich in den ideologischen Krieg ziehen. Diesen Krieg werden die konservativen Krieger freilich unfehlbar verlieren. In nur wenigen Jahren wird das, was sie jetzt gegen alle humanistischen Erkenntnisse betreiben, als das erkannt werden, was es ist: ein der Rechtfertigung der Sklaverei und der Unterdrückung von Frauen analoger Vorgang. In Fragen der Sexualethik sind Teile der katholischen Kirche nicht einmal in der Neuzeit, geschweige denn in der Moderne angekommen. Lassen wir ihnen das nicht durchgehen.


Iterativismus

Es ist der erste September 2018 und kath.net publiziert - wie einen Tag vorher schon die katholische Tagespost - einen herzergreifenden Brief eines angolanischen Priesters an die New York Times, diese möge doch nicht immer nur über pädophile Priester berichten, sondern auch die schönen, guten und wahren Seiten des Katholizismus erwähnen. Und dann zählt er auf, welche Wohltaten er und seine Kollegen den Kindern in der Dritten Welt zukommen lassen. Schon das ist überaus peinlich. Und er fährt fort: Natürlich müsse man die Kinder vor falschen Priestern schützen: „Es müssen also alle Mittel des Schutzes angewandt werden, und alle Vorsorge für die Würde von Kindern muss absoluten Vorrang haben.“ Aber es gäbe eben auch die andere Seite, nämlich der Hilfe für die Kinder. Nun berührt es schon unangenehm, dass hier offenkundig Gutes und Böses irgendwie miteinander verrechnet werden muss. Auch, warum die New York Times, wenn in Amerika Verbrechen geschehen, lieber über katholische Hilfe in Angola berichten sollte. Das leuchtet kaum ein. Wenn man nun den Namen des Priesters „Pater Martín Lasarte sdb, Angola“ bei Google in die Suchmaschine eingibt, stößt man schnell auf einen Bericht einer spanischen Zeitschrift aus dem März 2017(!), in dem der gleiche Brief schon einmal abgedruckt wurde. Er ist also keinesfalls zum aktuellen Skandal des Jahres 2018 geschrieben worden. Und nur wenig tiefer in den Listen von Google stößt man auf eine Meldung der spanischen Ausgabe von Zenith.org vom 24. Mai 2010(!!), in dem derselbe Brief auch schon einmal abgedruckt wurde. Es ist sozusagen Iterativismus pur! Die älteste Stelle, die ich bei Google finden konnte, stammt von einer spanischen Quelle (www.diariyo.es) vom April 2010. Und hier wird es nun ärgerlich. 2010 haben wir noch einem anderen Papst und einen anderen Skandal als heute. Der Priester verweist auf das Schöne des Engagements des Katholizismus und zugleich auf die Notwendigkeit, alle Mittel des Schutzes und alle Vorsorge für die Würde der Kinder einzusetzen. Sieben Jahre später(!) kommt es zur Aufdeckung des nächsten Skandals und man wiederholt einfach den Brief aus dem Jahr 2010? Ich weiß nicht, wann Pater Martín Lasarte den Brief wirklich geschrieben hat, aber in der Sache belegt er doch, dass in der Zwischenzeit nichts zum Schutz der Betroffenen geschehen ist, wenn man kommentarlos Jahr (2010) für Jahr (2017) für Jahr (2018) wiederholen kann. Oder sehe ich das falsch? Logisch wäre das ja nur, wenn die New York Times immer über denselben Skandal berichten würde statt über das Engagement der Priester in der Welt. Es sind aber drei unterschiedliche Skandale über die NYT berichtet. Und jedes Mal lautet die Antwort: „Journalist, suchen Sie die Wahrheit, das Gute und die Schönheit. All dies macht Sie in Ihrem Beruf ehrenwert.“ In diesem Jahr wurde in Amerika ein Mann hingerichtet, der ein kleines Mädchen vergewaltigt und dann erstickt hatte. Der gleiche Mann hatte Jahre zuvor zwei Brüdern des Mädchens bei einem Brand das Leben gerettet. Schreiben wir jetzt auch, liebe Zeitung, berichte doch lieber über das Schöne und das Gute als über das Verbrechen? Oder gelten hier andere Regeln? All die guten Taten von Christen in der ganzen Welt relativieren nicht ein einziges der Verbrechen an Kindern oder jungen Männern, die gleichzeitig geschahen. Und es gibt kein moralisches Recht, darauf hinzuweisen, dass die Christen so viel Gutes tun, wenn einige in ihrem Namen so viel Schlechtes tun. Wenn es in der Geschichte des Christentums einige wenige Fälle des Missbrauchs gegeben hätte, wäre es vielleicht noch anders. Aber es gibt inzwischen eine erschreckend umfassende Chronik dieser Missbrauchs-Skandale: http://www.spiegel.de/panorama/chronik-der-missbrauchsskandal-in-der-katholischen-kirche-a-1012711.html. Es ist unmoralisch, angesichts dieser Chronik nun auf „die Wahrheit, das Gute und die Schönheit“ zu verweisen. Ein Diamant, der einen Einschluss hat, verliert grundlegend an Wert. Wie viel, hängt davon ab, wie offensichtlich die Einschlüsse sind. Sieht man sie auf den ersten Blick, ist er kaum noch etwas wert. Bei der christlichen Religion gilt dies ebenso. Das erklärt, warum der Pater so viel wert auf das Wahre, Gute und Schöne der katholischen Kirche legt. Denn inzwischen sind die Einschlüsse dieser Konfession mehr als gut erkennbar.


Nazisprüche

Steffen Reinicke aus dem Rostocker Kreisvorstand der AfD kritisierte die Kirchen wegen ihres Engagements für Flüchtlinge: „Es ist nicht das Blut von Jesus, sondern das Blut der Messeropfer, das ihr täglich sauft.“


Falsche Schlussfolgerungen

Der Kampf der Klick-Plattform kath.net gegen die katholische Kirche nimmt immer bizarrere Formen an. Man könnte meinen, auf einer Seite der humanistischen Union gelandet zu sein, so verzerrt sind die Darstellungen der gegenwärtigen katholischen Kirche. In Wirklichkeit hassen kath.net und die mit der Plattform verbandelten Ideologieschleudern (LSN) vor allem Papst Franziskus. Den Papst bekämpfen sie mit allen nur denkbaren Mitteln. Es ist unappetitlich und abstoßend, sich damit beschäftigen zu müssen. Da werden Sachbezüge hergestellt, die auf den ersten Blick widersinnig sind, da werden Vorwürfe erhoben, die in der Konsequenz in zehnfachem Maß auch auf den vorherigen Papst Benedikt zuträfen. Aber er wird nicht angegriffen, denn er gehört ja zu den Guten. Alle diese Invektiven machen nur Sinn, wenn kath.net längst schon ins Lager der Pius-Brüderschaft gewechselt ist. Insbesondere der Kommentarbereich spricht dafür. Dann wäre kath.net tendenziell schismatisch. Die Diskussion um die neu bekannt gewordenen Missbrauchsfälle wird nun von kath.net – obwohl die überwiegende Zahl der Fälle in den Amtszeiten früherer Päpste lag und diese die inkriminierten Bischöfe und Kardinäle ernannt haben – nahezu komplett zu Lasten von Papst Franziskus ausgelegt. Dieser müsse zurücktreten, weil er die Täter geschützt habe. Das hat nun gerade bei einer österreichischen Quelle (s. Hans Herrmann Groër) ein Geschmäckle.

Was mich aber vor allem interessiert, ist die Agitation, die kath.net gegen jene katholischen Theologen betreibt, die als eine mögliche Konsequenz aus dem bekannt gewordenen Missbrauchsfällen das Überdenken des Zölibats fordern. Die Forderung selbst lässt sich leicht aus der von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Missbrauchsstudie ableiten. Zum Ausmaß der Verbrechen nennt die Studie folgende Daten für die Zeit zwischen 1946 bis 2014:

  • 3677 Opfer von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen.
  • 1670 Täter haben mutmaßl. missbraucht. Beschuldigt sind Priester, Ordensmänner, Diakone.
  • 4,4 Prozent aller Kleriker der deutschen Bistümer waren mutmaßlich Missbrauchstäter.

Und das sind nur jene Zahlen, die aus den Akten hervorgehen, die erst kirchenintern ausgewertet wurden und dann den Untersuchenden als Ergebnis zugeleitet wurden. Die Dunkelziffer dürfte höher sein. Das entscheidende Faktum fasst nun die ZEIT wie folgt zusammen:

… dass der Anteil der Beschuldigten bei Diözesanpriestern 5,1 Prozent betrug (1429 Personen), bei Ordenspriestern 2,1 Prozent (159 Personen); bei hauptamtlichen Diakonen nur 1,0 Prozent (24 Personen). Allein diese Zahlen dürften eine heftige Debatte über die Macht geweihter Priester und über den Pflichtzölibat auslösen. Warum ist ausgerechnet bei den Priestern der Bistümer die Wahrscheinlichkeit, Missbrauchstäter zu werden, so viel höher? Liegt es auch daran, dass sie im Gegensatz zu den Diakonen zölibatär leben müssen und dass sie im Gegensatz zu den Ordensleuten mehr Macht in der Hierarchie haben?

Auf diesen Umstand beziehen sich jene, die nun ein Überdenken des Zölibats anregen. Dazu gehört etwa Johannes zu Eltz, der Frankfurter Stadtdekan, der eine ergebnisoffene Überprüfung der Daten der Missbrauchsstudie auch im Blick auf mögliche Konsequenzen für das Zölibat fordert. Eine katholische Nachrichtenplattform hätte das auch so berichtet und vielleicht am Ende des Artikels kritische Nachfragen gestellt. Nicht so kath.net (die man ja auch kaum katholisch nennen mag). Sie berichten vor allem über anonyme Reaktionen auf die Überlegungen des Dekans auf dessen Facebookseite.

So schreibt ein Troll namens „Suse Du“, Eltz missbrauche die Missbrauchsopfer für eigene kirchenpolitische Ziele. Dabei gibt der Dekan ja nur wieder, was Tenor und Schlussfolgerung der Missbrauchsstudie selbst war.

Die von der kath.net-Meldung Erregten suchen nun verzweifelt nach Widerlegungen. Beim folgenden Kommentar muss man nun ernsthaft nach dem Geisteszustand des Kommentators fragen:

Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch passieren meines Wissens nachweislich in Familien - leider. Eine Aufhebung der Zölibatspflicht daher überhaupt keine Vorbeugung für Missbrauch auch durch verheiratete Geistliche bieten.

Das ist in so vielerlei Hinsicht grotesk und falsch, dass man sich fragt, was der Betreffende eigentlich sagen will. Nun zum einen sind die innerfamiliären nicht die meisten Fälle, sondern nur die größte Einzelgruppe an Fällen (25%). Die Bundesregierung gibt an, dass 66% der Taten in der Familie oder im näheren Umfeld der Familie stattfinden. Andere Experten gehen von 25% in der Familie und 50% in der näheren Umgebung (also Nachbarn oder Personen aus Einrichtungen oder Vereinen, die die Kinder und Jugendlichen gut kennen) aus. Der Hinweis auf die Kernfamilie ist also nur bedingt tauglich (weil er den Gegenstand der Kontroverse, der Missbrauch von Schutzbefohlenen durch Priester gar nicht zum Gegenstand hat), im vorliegenden Fall wird das Argument zudem durch die Daten widerlegt. Denn die Studie, die die DBK in Auftrag gegeben hat, kommt ja unter Auswertung der zur Verfügung gestellten Daten zu dem Schluss, dass die hauptamtlichen Diakone durchaus extrem seltener des Missbrauchs beschuldigt werden. Daraus kann man durchaus den Schluss ziehen, dass die Aufhebung des Zölibats auch entsprechende Konsequenzen hat. Dass die Aufhebung der Zölibatspflicht keine Konsequenzen für den Missbrauch hat, kann nur behaupten, wer andere Gründe für die geringeren Missbrauchszahlen bei Diakonen hat.

Der Hobby-Kriminologe Lütz, der sich vor allem für die Apologie der katholischen Kirche zuständig fühlt, meint im Gespräch mit der WELT nun auf eine Studie aus dem Jahr 2012 verweisen zu können, die eindeutig zeige, dass es keinen Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch gebe. Das Material, auf das sich die gemeinte Studie von Norbert Leygraf stützte, bestand freilich nur qualitative Befragungen von 78 Priestern(!). Diakone wurden überhaupt nicht untersucht. Zur Häufigkeit von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche kann die Studie daher nicht einmal ansatzweise Auskunft geben. Sie besagt nur etwas über die Introspektion katholischer Geistlicher. Zum Vergleich mit den jetzt bekannt gewordenen Daten mit 38.000 Datensätzen ist diese Studie also überhaupt nicht geeignet. Aber Lütz hat die neue Studie ja auch noch gar nicht gesehen, er urteilt auf Verdacht. Und empirische Daten scheinen ihm für Urteilsbildungen nicht wichtig zu sein. Hauptsache die Ideologie stimmt.

Noch einmal zurück zu den Priestern und den Familien. Die aktuelle Studie, die die DBK in Auftrag gegeben hat, geht von 5,1% Missbrauchsfällen bei den untersuchten Personalakten von Diözesanpriestern aus, 2,1% bei Ordenspriestern und 1% bei Diakonen.

Ich glaube nun nicht, dass 5% aller Familienväter die ihnen anvertrauten Kinder missbrauchen. Auch nicht 2%, ja nicht einmal 1%. Die Statistik spricht dagegen. 2016 leben in Deutschland etwa 11,5 Millionen Familien mit mindestens einem Kinder im Alter bis 18 Jahre. Wenn in 5% der Familien Missbrauchsfälle vorkämen, dann wären das etwa eine halbe Million Missbrauchsfälle. Selbst wenn man nun einen größeren Zeitraum berücksichtigt, käme man nicht auf eine derartige Summe, die notwendig wäre, um den kirchlichen Missbrauchsfällen analog zu sein. Selbst bei einer Quote von 1% wären wir sonst bei 115.000 Fällen. Gemeldet wurden 2016 insgesamt 14.000 Missbrauchsfälle, davon gelten nach Angaben der Bundesregierung 25% als familienintern. Das wären immerhin noch schreckliche 3.500 Fälle pro Jahr. Auf 14 Jahre hochgerechnet wären das aber immer noch erst 49.000 denkbare Fälle, in denen ein Familienvater ein Kind im Alter zwischen 4 und 18 missbraucht. Und das wären statistisch immer noch deutlich weniger % als bei den untersuchten kirchlichen Fällen. Da kommt man doch ins Nachdenken. Es gibt, wenn ich mich nicht verrechnet habe, offenkundig doch ein institutionelles Problem.

Bedenkt man zudem, dass die aktuelle Studie wegen der Dunkelziffer und der bereits vernichteten Akten realistischerweise von mindestens 8% Missbrauchsfällen unter den Klerikern ausgeht, dramatisiert sich ganz ganze noch einmal. Und es wurden noch nicht einmal eine Befragung der potentiell betroffenen Opfer vorgenommen, wie sie die Niederländer mit ganz anderen Ergebnissen durchgeführt haben.

Solide wäre zur Beurteilung aber nur eine empirische Erhebung unter vergleichbaren Berufsgruppen, also etwa Lehrerinnen und Lehrer bzw. Erzieherinnen und Erzieher (unter Ausschluss der Priester und Ordensleute). Nur dann käme man zu sinnvollen Vergleichen und Schlüssen. Der Hinweis, dass es in Familien noch schlimmer wäre, trägt also nicht weit.

Einen empirischen Beleg für die bei kath.net ebenfalls zu findende These, die meisten Missbräuche geschähen in Wirklichkeit gar nicht in Kernfamilien, sondern in Patchworkfamilien, wird man dagegen lange suchen müssen. Abgesehen davon, dass schon die These wackelig ist, dass sich die meisten Opfer in den Familien fänden, gibt es für die weit darüberhinausgehende Behauptung mit den Patchworkfamilien nicht einem den Ansatz eines Beleges. Sie ist rein spekulativ, pure reaktionäre katholische Ideologie. Letztlich basiert sie auf der Annahme, dass Stiefväter geneigter zum Missbrauch wären als leibliche Väter, weil die leibliche Bindung entfällt. Das mag vielleicht sogar sein. Nur ergeben sich daraus nicht die angegebenen statistischen Schlussfolgerungen.

Etwa 10% der Familien in Deutschland sind Patchworkfamilien. Davon sind etwa die Hälfte Stiefvaterfamilien, 1/3 Stiefmutterfamilien und der Rest bildet sich aus komplexeren Familiensituationen. Die Vertreter der These mit den anfälligen Patchworkfamilien müssten nun belegen, dass in den etwa 580.000 Stiefväterfamilien signifikant mehr Missbräuche geschähen, als in den 10,3 Millionen Kernfamilien und zwar so viel mehr, dass sie die Zahl aus den Kernfamilien übertreffen würden. Diesen Nachweis gibt es nicht! Und das liegt nicht nur daran, dass die PKS (Polizeiliche-Kriminal-Statistik) derartige Familienverhältnisse gar nicht erfasst. Die Tathäufigkeit von Stiefvätern müsste ja etwa 20mal größer als bei Kernfamilienvätern sein, um die aufgestellte These zu decken. [Faktisch sagt es ja, dass von den 3250 entdeckten Missbrauchsfällen im Jahr, die Familien betreffen, mehr als 1625 aus Patchworkfamilien stammen. Das ist absurd.] Zumindest wären jene, die diese These aufstellen, dafür nachweispflichtig. Sie diskriminieren ja alle Stiefväter dieser Gesellschaft. Das ist natürlich im Interesse derer, die reaktionäre katholische Familientheorien vertreten. Sie treffen damit aber auch jene Familienväter, die in eine Familie einheiraten, deren früherer Familienvater zuvor gestorben ist.

Darauf gab es zunächst keine Antwort. Dann aber eine ebenso überraschende wie interessante. Man habe das in der katholischen Tagespost gelesen und der Autor Josef Bordat habe sich auf einen Artikel des Evolutionsbiologen Kutschera bezogen, der sich wiederum auf einen Artikel in der Ärztezeitung bezog, der sich wiederum auf eine amerikanische Studie von 2003 bezog, nach der die Wahrscheinlichkeit, dass homosexuelle Eltern ihre Kinder missbrauchen, um 20% (wegen der doppelt fehlenden Inzesthemmnis) erhöht sei, und bei nur einem homosexuellen Elternteil um 10% (wegen der einfachen fehlenden Inzesthemmnis). Ich kann die Validität der Studie nicht beurteilen, bezweifle in jedem Fall aber die Übertragbarkeit auf andere kulturelle Kontexte. Allerdings hat die Studie mit der aufgestellten These überhaupt nichts zu tun. Denn die betraf grundsätzlich Patchworkfamilien und nicht Patchworkfamilien mit homosexuellen Elternteilen. Und selbst wenn man die genannten, hier aber gar nicht zutreffenden Prozentzahlen zugrunde legen würde, könnte man keinesfalls behaupten, „die meisten Mißbräuche geschähen in Patchworkfamilien“.

Ein simples Rechenbeispiel: Gehen wir einmal nur rein hypothetisch von einer Missbrauchsrate von 1% aus. Dann gäbe es bei 10 Millionen Kernfamilien in Deutschland etwa 100.000 Familien mit Missbrauchsfällen. Wenn in Patchworkfamilien mit Stiefvater (und wir sprechen noch nicht wie in der zitierten Studie von homosexuellen Stiefvätern) tatsächlich das Risiko infolge der wegfallenden Inzesthemmung um 10% erhöht wäre, läge die Missbrauchsrate also bei 1,1%. Denn wenn ein 10% erhöhtes Risiko besteht, sind das eben nicht 11% wie manche meinen, sondern nur 1,1%. Und dann kommt gesellschaftlich es darauf an, wie groß die untersuchte Gruppe ist. Bei 580.000 Stiefvaterfamilien ginge es dann um 6.380 statt der sonst zu erwartenden 5.800 Familien mit Missbrauchsfälle. Das wären immer noch 580 Familien zu viel, in denen Missbräuche geschehen, aber diese in den Fokus zu rücken, während auf der anderen Seite 100.000 Kernfamilien mit Missbräuchen stehen, scheint mir nun diskriminierend zu sein. Nur ein absolut fahrlässiger Umgang mit der deutschen Sprache ermöglicht es, diesen Umstand dahin zu deuten, in Patchworkfamilien würden die meisten Missbräuche geschehen. Das einzige, worüber man spekulieren kann – seriöse Studien im Bereich der Bundesrepublik Deutschland kenne ich allerdings nicht –, wäre, dass in Stiefvaterfamilien ein minimal erhöhtes Risiko besteht. Im Blick auf die Gesamtzahl der zu betrachtenden Fälle spielt das aber – wenn es denn zuträfe – kaum eine Rolle. Es dient ausschließlich der Herabsetzung von Patchworkfamilien, nicht der Fürsorge für missbrauchte Kinder.


2018: Idea-Klientel, die Bibel und die Menschenrechte

Die Nordkirche hat am 28.09.2018 Kristina Kühnbaum-Schmidt zu einer ihrer BischöfInnen gewählt. Das hat in der Nordkirche eine lange Tradition. 1992 wurde Maria Jepsen die weltweit erste lutherische Bischöfin gewählt, 2001 Bärbel Wartenberg-Potter. 26 Jahre sollten lang genug sein, dass sich auch fundamentalistische Kleingeister mit dem Gedanken abfinden können, dass seit Jesu Zeiten Frauen eine wichtige Funktion in der Kirche zukommt und seit 1992 eben auch kirchenleitende Funktionen. In der hannoverschen Landeskirche, der Kirche Mitteldeutschlands oder der westfälischen Kirche sind analoge Positionen ganz selbstverständlich auch mit Frauen besetzt. Was aber meint die Idea-Klientel, wenn man ihr 2018 mitteilt, eine Frau habe eine kirchenleitende Funktion in einer Evangelischen Kirche übernommen? Man beruft sich auf die Bibel, in der Paulus Ansichten vertritt, die ebenso von einem Salafisten stammen könnten:

Soweit unsere freikirchlichen Brüder. Und nein, das ist nicht diskutabel!

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/115/am637.htm
© Andreas Mertin, 2018