Heilige Kunst?

Eine Rezension

Andreas Mertin

Burckhardt, Titus (2018): Heilige Kunst in den Weltreligionen. Xanten: Chalice. [Erstausgabe 1955]

Wer ist Titus Burckhart? Jedem Kunstinteressierten wird vermutlich der Name Jacob Burckhardt (1818-1897) etwas sagen, denn dieser gehört mit seinem Buch „Die Kultur der Renaissance in Italien“ (Basel 1860) zu den Autoren der Hauptwerke der Kunstgeschichte.[1] Und er ist der Großonkel des hier vorzustellenden Titus Buckhardt (1908-1984). Damit gehört er zu denjenigen Familien der Basler Oberschicht, die seit dem 16. Jahrhundert das Bürgerrecht besitzen und eine Fülle von Gelehrten, Pfarrern und Künstlern hervorgebracht hat. Titus Burckhardt, Sohn des Bildhauers Carl Burckhardt, studierte Kunstgeschichte und Orientalistik in Basel. Er ist ein herausragender Sufi-Forscher und hat sich bedeutende Verdienste um die Stadt Fès erworben. Er ist ein Vertreter der Philosophia perennis, nach der es in der Vielfalt unterschiedlicher Lehrmeinungen, doch so etwas wie eine grundlegende Einheit der Philosophie gibt.[2]

1955 hat Titus Burckhardt ein Buch vorgelegt, das seinerzeit den Titel „Vom Wesen heiliger Kunst in den Weltreligionen“ trug und 1958 auf Französisch unter dem Titel „Principes et méthodes de l’art sacré“ erschien. Der Verlag stellt die nun erschienene Neuausgabe so vor:

Dieses wundervolle Buch über die morgen- und abendländische Sakralkunst ist ein Klassiker der kunsthistorischen wie auch der religionswissenschaftlichen Literatur.  
     Dank seinem großen Verständnis der Geschichte, Theorie und Praxis aller Welt­reli­gio­nen sowie seinem außergewöhnlichen Gespür für den spirituellen Gehalt und die mythologische Symbolik handwerklicher und künstlerischer Ausdrucksformen des Sakralen gelingt es Titus Burckhardt, die Leserinnen und Leser im wahrsten Sinne des Wortes geistreich zu bilden. So eloquent wie unterhaltsam schärft er unsere inneren Augen und Ohren für den Anblick und den Klang der Echtheit, Schönheit und Wahrheit heiliger Kunst.    
    Anhand kenntnisreich ausgewählter Beispiele bedeutender Sakralwerke aus Hinduismus, Buddhismus, Taoismus, Christentum und Islam erfahren wir, nach welchen Prinzipien und Gesetzen das Ewige sich durch die Jahrhunderte und die Kulturen hinweg in vielfältigen Formen offenbart hat, die bei tieferer Betrachtung eine beeindruckend einheitliche Essenz enthüllen.  
    Diese vollständig durchgesehene Neuausgabe ist mit zahlreichen zusätzlichen, jetzt insgesamt 83 größtenteils farbigen Abbildungen illustriert und wurde um ein ausführliches Begriffsregister ergänzt.

Nun, anders als es der Verlag darstellt, ist das hier vorzustellende Buch allenfalls ein Klassiker der religionswissenschaftlichen und sicher nicht der kunsthistorischen Literatur. Und es wurde eher außerhalb des deutschsprachigen Raumes rezipiert, als in diesem. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die deutsche kunsthistorische Tradition sich nach und nach von Begriffen wie „Heilige Kunst“ gelöst hat. Ihre endgültige Formulierung fand das in Hans Beltings inzwischen wirklich zum Klassiker gewordenen Buch „Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst“.[3] Nur außerhalb des engeren kunsthistorischen Bereichs bzw. nur mit bestimmten leicht durchschaubaren Intentionen wird ungebrochen von „Heiliger Kunst“ gesprochen, als wenn dies nicht eine Contradictio in Adjecto wäre.[4] Ein kurzer Blick auf das Vorkommen der Wortkombination in deutschsprachigen Büchern seit 1500 zeigt, dass „Heilige Kunst“ als Begriff erst nach dem Ende der Gottesgeschichte im Bild[5] aufgetreten ist. Kurz nach 1800, also etwa zur Zeit der Romantik, die oft jedoch von „religiöser Kunst“ sprach, setzt die Konjunktur des Begriffs ein:

1955, als Burckhardts Buch erstmalig erschien, war der Regelbegriff jedoch „religiöse Kunst“. In Frankreich allerdings sah das anders aus, dort war der von Burckhardt verwendete Begriff der art sacré gebräuchlicher, wenn auch nicht so gebräuchlich wie „art religieux“:

Ich notiere dies, weil so deutlich wird, dass der Gebrauch der scheinbar zunächst deskriptiven Formel „Heilige Kunst“ durchaus interessegeleitet ist. Er wird eher von religiös bzw. kirchlich interessierter Seite als aus kunsthistorischer Sicht verwendet.

Und noch etwas anderes muss vorab notiert werden: der Gebrauch des Wortes Weltreligionen ist keinesfalls so selbstverständlich, wie er klingt. Was ist eine Weltreligion? Und wie unterscheidet sie sich von einer Universalreligion bzw. einer Buchreligion? Im Buch von Burckhardt kommt der Hinduismus, das Christentum, der Islam und der Buddhismus vor. Das wäre mehr als die klassische Liste der Universalreligionen, die den Hinduismus nicht umfasst, und weniger als die Liste der klassischen Weltreligionen, die noch das Judentum umfassen würde. Ganz einleuchten will die Nichteinbeziehung des Judentums nicht. Mit den Malereien in der Synagoge von Dura Europos haben wir den größten erhaltenen antiken Bilderzyklus vor uns, und mit dem in der Rekonstruktion bekannten Tempel von Jerusalem ein Architekturmodell, das prägend zumindest für das Christentum wurde. Vielleicht liegt es daran, dass innerhalb des Judentums der Gedanke einer Heiligen Kunst in dem Sinne, der Burckhardt vorschwebt, nicht bestehen kann. Auch die Ausmalungen der Synagoge von Dura Europos sind vom Wesenskern her säkulare Kunst. Sie illustrieren mehr, als dass sie den Glauben verkörpern würden.

Titus Burckhardt legt nun einleitend viel Wert darauf, dass nicht jedes Artefakt, das sich „sakral“ oder „heilig“ nenne, auch diesen Namen verdiene. Es müsse vielmehr „aus der Wahrheit, welcher der Glaube gilt“ entsprungen sein. Das immunisiert seine Darlegungen gegenüber jeder kunsthistorischen Betrachtung. In einem strengen Sinn geht es eben nicht mehr um Kunst (wie sie sich als Begriff in der Neuzeit ausgebildet hat; siehe Belting), sondern um so etwas wie sakrale Gegenstände, die von Kunsthandwerkern hergestellt werden. Das macht die Faszination und das Manko des ganzen Buches aus. Man muss sich schon auf diesen Ansatz einlassen, um dem Reiz des Buches zu erliegen. Der Rezensent tut das nicht, er hält Urteile wie jenes, das Grabtuch von Turin würde das überlieferte Bild Christi vollauf bestätigen (76f.) für schlicht unseriös. Und einen Satz wie „die geistige Tiefe der Komposition (bürge) für den ‚himmlischen‘ Ursprung“ (77) hält er für obskurant. Das ist keine Wissenschaft, sondern selbst Religion. So kann man – wie im Fall des Turiner Grabtuchs – betrügerisch hergestellte Objekte zu heiligen erklären.

Neben der Einleitung enthält das Buch sechs Kapitel. Es beginnt zunächst mit der Schöpfung des indischen Tempels, widmet sich dann den Grundlagen der christlichen Kunst und danach im speziellen der romanischen Kirchenpforte. Es folgt ein Kapitel zu den Grundlagen der islamischen Kunst, sowie zum Bild des Buddha und das Buch wird abgeschlossen mit dem Kapitel „Berg und Wasser“ in der tao-buddhistischen Malerei. Das alles scheint mir nicht auf derselben Ebene zu liegen. Die Grundlagen der christlichen Kunst und der islamischen Kunst sind schon schwer auf eine Ebene zu bringen, noch problematischer ist dies im Blick auf die anderen Kapitel. Insofern handelt es sich mehr um Studien zu Aspekten der von ihm so genannten Heiligen Kunst, als eine Darstellung derselben. Gar nicht mehr folgen kann ich dem Autor in seiner vernichtenden Kritik der Renaissance bzw. des Naturalismus.

Die Überlieferung der heiligen Urbilder brach im Westen bis zur Zeit der Renaissance nicht ab, und noch heute sind die berühmtesten wundertätigen Bilder innerhalb der römisch-katholischen Kirche Ikonen byzantinischen Stils. Dem zersetzenden Einfluss der Renaissance aber vermochte die römische Kirche lehrlich [lehrmäßig] nichts entgegenzustellen, während in der griechisch-orthodoxen Kirche die Ikonenmalerei diesem Einfluss auf Jahrhunderte hinaus standhielt. (83)

Ehrlich gesagt: das kann ich nicht ernst nehmen und an dieser Stelle habe ich die Lektüre abgebrochen. Giotto kommt in der Darstellung nicht mehr vor, er ist zu sehr bereits Teil der Renaissance. Das erinnert fatal an Sedlmayrs Invektiven gegen die Neuzeit und die Moderne. Als Dokument eines zu Ende gegangenen Denkens kann man das noch lesen, inhaltlich mag es noch Eindruck auf religiös inspirierte Schriftsteller wie Navid Kermani machen, aber wissenschaftlich sachangemessen ist es, zumindest was den Teil christlicher Kunst betrifft, den ich gut beurteilen kann, nicht mehr. Und ich bezweifle auch, dass die Ausführungen zur christlichen Kunst 1955 bei Erscheinen des Buches auf dem Stand des fachwissenschaftlichen Erkenntnisstandes waren. Heute sind sie es ganz und gar nicht.

Anmerkungen

[1]    Sitt, Martina (2010): Jakob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. In: Paul von Naredi-Rainer, Johann Konrad Eberlein und Götz Pochat (Hg.): Hauptwerke der Kunstgeschichtsschreibung. Stuttgart: Kröner (Kröners Taschenausgabe, 364), S. 64–66.

[2]    Wunderschön die Beschreibung durch G. Patzig in der RGG3: „Philosophia perennis ist der Name für die tröstliche Vorstellung eines Vorrats unverlierbarer Einsicht, zu der die Philosophie aus ihren »Abenteuern des Geistes« (Kant) zurückkehren kann wie der verlorene Sohn ins Vaterhaus. Sie ist dort leitend, wo das Wagnis der Existenz durch unüberholbare Prinzipien neutralisiert werden soll.“

[3]    Belting, Hans (2004): Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst. 6. Aufl. München: C.H. Beck.

[4]    «Es ist schwer, die Bedeutung des Bildes in der europäischen Kultur abzuschätzen. Wenn wir in dem Jahrtausend bleiben, mit dem dieses Buch befaßt ist, steht uns überall die Schrift im Wege, denn die christliche Religion ist eine Schriftreligion. Wenn wir das Jahrtausend in die Neuzeit hinein überschreiten, steht uns dagegen die Kunst im Wege, die als neue Funktion das alte Bild grundlegend verwandelt hat. Wir sind so sehr von der <Ära der Kunst> geprägt, daß wir uns von der <Ära des Bildes>nur schlecht einen Begriff machen können. Die Kunstgeschichte hat deshalb kurzerhand alles zur Kunst erklärt, um auf alles einen Besitztitel anzumelden, und damit gerade die Unterschiede nivelliert, von denen Aufschluß über unser Thema zu gewinnen wäre.» [Belting, Klappentext]

[5]    Vgl. dazu Schöne, Wolfgang (1957): Die Bildgeschichten der christlichen Gottesgestalten in der abendländischen Kunst. In: Wolfgang Schöne, Johannes Kollwitz und Hans von Campenhausen (Hg.): Das Gottesbild im Abendland. Witten: Eckart-Verl., S. 7–56: „Die Behandlung des Stoffes selbst wird im wesentlichen in einer Demonstration zahlreicher Kunstwerke aus anderthalb Jahrtausenden bestehen und zu zwei Feststellungen führen: 1. Gott (der christliche Gott) hat im Abendland eine Bildgeschichte gehabt. 2. Diese Bildgeschichte ist abgelaufen.“ (S. 7.)

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/115/am639.htm
© Andreas Mertin, 2018