Frommer Betrug im Stundentakt

Eine Kurznotiz

Andreas Mertin

Vor einigen Wochent besuchte ich mit einem guten Freund das Jheronimus Bosch Art Center in s’Her­togenbosch. Dort wird einem die „wunderliche Welt von Jheronimus Bosch“ vor Augen geführt. Anders, als man vielleicht vermuten könnte, gibt es dort kein einziges originales Werk von Hieronymus Bosch, sondern nur fotografische Reproduktionen in Originalgröße und in „authentischen, handgemachten Rahmen“. Das ist erkenntnisproduktiver als es sich anhört, denn in der Regel steht man ja nur vor vereinzelten Originalen von Bosch, seien diese nun in Lissabon, Wien, Venedig, München oder Berlin. Nur im Prado begegnet man aus naheliegenden Gründen (Philipp II.) mehreren Werken. Hier, in s’Hertogenbosch kann man aber ein Oeuvre überblicken – wenn auch nur in fotografischen Reproduktionen. Man kann die Seitenaltäre auf- und zuklappen, so wie es vor Jahrhunderten Kleriker in den Seitenkapellen der Kirchen tun konnten. Und man kann – ein unschätzbarer Vorteil – ganz nahe an die Bilder herantreten und quasi mit den Fingern den Details nachspüren. Insofern ist das Art Center zumindest museumspädagogisch empfehlenswert. Vieles ist aber auch der geradezu unerträglichen Spaßgesellschaft der Gegenwart geschuldet, etwa die 3D-Imitationen von Elementen aus Gemälden von Bosch: „Spaß für die ganze Familie“. Wer sich auch nur etwas mit der Welt von Hieronymus Bosch beschäftigt hat oder wer noch die alten, inzwischen aber überholten Deutungen von Wilhelm Fraenger im Ohr hat, dem kann bei derartigen Eventisierungen nur das Grauen überkommen. Aber das ist vielleicht der Preis dafür, dass alles in diesem Museum künstlich (und nicht künstlerisch) ist. Trotzdem lohnt aus den erwähnten Gründen der Besuch.

Was mich aber geradezu erschüttert hat beim Besuch des Art Centers, ist eine Rekonstruktion einer astronomischen Uhr aus den Zeiten von Hieronymus Bosch, die in ihrer plumpen religiösen Didaktik bzw. Indoktrination doch nachdenklich über den Umgang des Christentums mit seinen Gläubigen macht. Das ursprüngliche Werk stammt aus der Zeit von 1513 und wurde für die örtliche St. Jans-Kirche geschaffen.

Die nun 500 Jahre alte astronomische Uhr zeigt damals wie heute den Besuch der heiligen drei Köni­ge an der Krippe und eine Visualisierung des Jüngsten Gerichts. Die Mechanik der Uhr präsentiert nicht nur die Zeit, das Datum, Jahreszeiten, Mondphasen, sondern auch alle christlichen und weltlichen Feiertage. In seiner ganzen „Pracht“ ist das Instrument 10 Meter hoch. Der Aufbau ergibt sich aus der nebenstehenden Darstellung. Was das Ganze dann aber doch zu einem erbärmlichen Schmierentheater macht, ist die Darstellung des Jüngsten Gerichts. Dazu schreibt der Prospekt des Hauses m.E. unfreiwillig komisch und ehrlich:

Am bemerkenswertesten ist zweifellos die Vorstellung des Jüngsten Gerichtes. Dieses Uhrwerk diente einerseits dazu, den gläubigen Menschen im Mittel­alter zu erziehen und zu warnen, andererseits war es auch eine Sehens­würdigkeit, die Menschen aus der Ferne in die Stadt zog.

Wie muss man sich dabei das tourismusaffine „erziehen und warnen“ vorstellen? Wenn das Uhrenspiel zum Jüngsten Gericht kommt, sieht man einige Figuren von der Erde in den Himmel schweben und andere Figuren in das Höllenfeuer herabgerissen werden. Die ‚Erziehung‘ besteht also in der drastischen Warnung: Du wirst in der Hölle schmoren. Pädagogik mit dem Holzhammer. Vermutlich aber ein ganz normaler Teil mittelalterlicher praktischer Theologie. Trotzdem wirkt es auf einen heutigen Betrachter wie die Bestätigung aller aufklärerischen Priesterbetrugstheorien. Der Kontrast zwischen dem mechanisch arbeitenden Uhrenwerk und der Heilsdramaturgie im Stil des Schmierentheaters ist wirklich erschreckend. Dass dabei heute auch noch ganz unhistorisch eine Visualisierung im Stil von Hieronymus Boschs Weltgerichtsdarstellung aus der Wiener Akademie der Bildenden Künste verwendet wird, hat dieser grandiose Künstler nun wahrlich nicht verdient.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/115/am642.htm
© Andreas Mertin, 2018